Chronik Werra Meißner Kreis

Dann kam die Grenzöffnung, die, wie im Jubiläumsbuch zum 25. Kreisgeburtstag angemerkt, „… deutlich positiven Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung hatte“ 304 und die Zahl der Einwohner bis 1993 auf wieder rund 117.903 ansteigen ließ. Seitdem ist die Bevölkerungszahl allerdings stetig im Sinken begriffen und über 107.156 im Jahr 2007 und 100.600 am 30. Juni 2013 aktuell bereits unter die 100.000 Einwohner Grenze gerutscht. An dieser Marke soll mit dem Bevölkerungsrückgang, laut der Studien und Prognosen unterschiedlichster Institute, des statistischen Landesamtes und – dies erst jüngst – des hessischen Rundfunks, noch lange nicht Schluss sein. Die Voraussagen sind allerorten bescheiden, besonders alarmierend aber im aktuellen sogenannten„Demografie-Atlas“ von hr-online vom Januar 2014. Hier verliert der Werra-Meißner-Kreis bis 2030 mit 20 % der Bevölkerung so viele Menschen, wie kein anderer Landkreis in Hessen und wird dann nur noch knapp über 80.000 Einwohner haben. Nicht optimistischer stimmt auch der Blick in die etwas entferntere Zukunft: Bis zum Jahr 2050 sollen im Land an Werra und Meißner nur noch etwas über 62.000 Menschen leben – rund 40 % weniger als 2014 und nur noch die Hälfte der Einwohner des Jahres 1974. Allerdings sind weder die Prognosen noch die skizzierte Entwicklung neu. Das Problem einer schrumpfenden Bevölkerung einerseits und, über die reine Abwanderung hinaus, deren gleichzeitige Veränderung der Altersstruktur andererseits steht unter der Bezeichnung „Demografischer Wandel“ schon seit geraumer Zeit in vielen davon betroffenen Landstrichen auf der Tagesordnung. Auch wenn die Demografische Entwicklung eine Reihe von Problemen mit sich bringt, gibt es in einer älter werdenden Gesellschaft auch Chancen. So zeigt sich bei den kreisweiten Freiwilligentagen jedes Jahr erneut das große ehrenamtliche Potential, gerade auch von älteren Bürgerinnen und Bürgern. Der Blick auf eine willkürliche Auswahl von Schlagzeilen der Presse im Werra-Meißner-Kreis aus den vergangenen zehn Jahren zeigt, dass die Problematik der abnehmenden und gleichzeitig alternden Bevölkerung zu einem ganz wichtigen Thema innerhalb der kreisweiten Öffentlichkeit geworden ist: „Der Kreis vergreist“ (Juli 2004), „Eine Stadt verschwindet“ (November 2004), „Die alternde Stadt“ (Februar 2006), „Die Zeit des Abschieds – demographischer Kollaps kommt“ (Oktober 2006),„Zahlen die Angst machen – Dörfer sollen nicht zu Wüstungen werden“ (Februar 2009), „Dramatische Zahlen für den Kreis“ (März 2009), „Kreis rutscht unter 100.000 Einwohner“ (November 2013). Sehr früh schon waren sich die politisch Verantwortlichen der Brisanz des Themas bewusst und handelten. Innerhalb der Verwaltung wurde eine Stabsstelle Demografie geschaffen, hinzu kamen ein„Forum demografischer Wandel“ mit Vertretern aus allen gesellschaftlichen Bereichen und ein Regionalforum mit vielen ehrenamtlichen Kommunalpolitikern. Der Kreis hat seit 2004 nicht nur die Herausforderungen angenommen, sondern auch seine „Hausaufgaben“ gemacht und quer durch Politik, Verwaltung und Gesellschaft tragfähige Strukturen und Netzwerke aufgebaut. „Wenn der Werra-Meißner-Kreis nicht eines Tages als Landschaftsmuseum von sich reden machen will, muss dem Phänomen des Bevölkerungswandels gezielt entgegengewirkt werden“ 305 – diese klaren Worte des Kasseler Professors Ulf Hahne, formuliert auf dem 2. Regionalforum des Kreises Anfang Oktober 2006, fielen bereits auf fruchtbaren Boden und die zusätzlich aufgestellten Forderung des Wissenschaftlers, sowohl in den Städten und Gemeinden wie auch im Kreis Leitbilder und Profile zu schärfen, wurde von allen Beteiligten des Forums unterstützt. Diese seinerzeit postulierten Forderungen Hahnes, der als Leiter des Fachgebiets für nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung an der Universität Kassel bestens mit der Problematik vertraut ist, kann man getrost als Leitlinie für all das bezeichnen, was der Kreis seitdem zur Bewältigung des demografischen Wandels unternommen hat. Einen großen Schritt nach vorn im Rahmen dieser Anstrengungen brachte das Jahr 2009: Ende April wurde neben dem Landkreis Ostfriesland auch der Werra-Meißner-Kreis aus 35 westdeutschen Bewerbern als Modellregion für das Programm„Demografischer Wandel – Region schafft Zukunft“ der Bundesregierung ausgewählt. Der damalige Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee (SPD), der auf einer Pressekonferenz in Berlin Modellregionen und Programm vorstellte, begründete die Entscheidung für den Werra-Meißner-Kreis damit, „… dass der Kreis innerhalb der Gruppe von 35 westdeutschen Bewerbern mit den besten strategischen Ansätzen aufwarten konnte. Er bescheinigte dem Kreis konkret umsetzungsfähige Projekte und einen starken Rückhalt in der Region.“ 306 Zu diesen umsetzungsfähigen Projekten, die bis Ende 2010 vom Bund mit 870.000 Euro bezuschusst wurden, zählten insbesondere Vorhaben zur Stärkung regionaler Wertschöpfung 82 DER KREIS IM GEEINTEN DEUTSCHLAND  CHANCE UND HERAUSFORDERUNG 08

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