Chronik Werra Meißner Kreis

Der ökologische Landbau, der mit dem Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel in Witzenhausen ein international renommiertes wissenschaftliches Zentrum besitzt, hat jenseits aller wissenschaftlichen Forschung auch die praktische Landwirtschaft im Werra – Meißner erweitert und verändert. In dem bereits erwähnten Buch zum Kreisgeburtstag 1999 fristete der ökologische Landbau noch ein relativ bescheidenes Randdasein: Auf insgesamt fünf Seiten „Landwirtschaft“ beschäftigten sich ganze dreizehn Zeilen mit dem ökologischen Landbau. „1995 wirtschafteten 34 Betriebe nach den Regeln des ökologischen Landbaus“, begann der Absatz, um dann fortzufahren, „Sehr oft haben sich diese Betriebe – wie auch einige konventionell wirtschaftende – neue Vermarktungswege (Wochenmärkte, Hofläden. Lieferservice u. a.) erschlossen und liefern ihre frischen und hochwertigen Produkte direkt an den Endverbraucher. Sie tun dies in der Regel sehr engagiert und erfolgreich, obgleich die Voraussetzungen für diese Vermarktungsform im dünn besiedelten und kaufkraftschwachen Werra-Meißner-Kreis nicht besonders günstig sind.“ 302 In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren ist eine Menge geschehen und die Zahl der ökologisch wirtschaftenden Betriebe hat sich bis 2012 auf 77 erhöht und damit mehr als verdoppelt. Zentren des ökologischen Landbaus sind die Region Witzenhausen mit zwanzig und Bad Sooden-Allendorf mit dreizehn Betrieben. Knapp 8 % der landwirtschaftlichen Betriebe im Kreisgebiet wirtschaftet mittlerweile ökologisch und nutzt dabei insgesamt 3.596 ha Fläche, die zu zwei Drittel als Grünland und einem Drittel als Ackerland dient. Die durchschnittliche Flächenausstattung lag 2012 bei 47 ha, Landwirtschaft im Haupterwerb betrieben 40 % der Öko – Betriebe. Die meisten ökologisch wirtschaftenden Betriebe hielten Rinder (25 Mutterkuhhalter und 7 Milchviehhalter) oder Schafe, so dass hier Futterbau- und Verbundbetriebe überdurchschnittlich vertreten waren. Besonders bedeutsam ist im Werra-Meißner-Kreis die ökologische Schafhaltung, auf deren 17 Betriebe mit 4.316 Tieren mehr als die Hälfte des gesamten heimischen Schafbestandes kam. Im Kielwasser der Universität Kassel ist im Kreis eine hohe Konzentration von Bio – Betrieben entstanden, die von der WFG als „Bio – Region Werratal“ vermarktet werden. Im Februar 2013 gehörten 92 Anbieter dazu, die vom Honig über Rindfleisch, Getreide, Schafen bis hin zu Käse,„Ahler Wurscht“, mobilen Hühnerställen und Seifen ein breit gefächertes Angebot repräsentieren. Der Werra-Meißner-Kreis ist also in den vergangenen Jahren immer mehr zum „Paradies für Bio – Freunde“ geworden, wie die WR am 8. Februar 2013 titelte. Zum Ausdruck kommt dies u. a. auch darin, dass zahlreiche heimische Betriebe im Kontext mit der Uni – Kassel regelmäßig das Land Hessen auf der Weltleitmesse „Bio – Fach“ in Nürnberg vertreten und damit den Kreis als überaus zukunftsfähig in diesem stetig wachsenden Segment der Landwirtschaft präsentieren. Der Bericht zur Lage der Landwirtschaft wird inzwischen regelmäßig durch den Werra-MeißnerKreis veröffentlicht. Trotz aller teils einschneidender Veränderungen zeigt sich die Landwirtschaft im Werra-Meißner-Kreis robust, flexibel und damit zukunftsfähig. Dabei ist sie, wie es Horst Kupski, der damalige Vorsitzende des Kreisbauernverbandes Werra-Meißner ausdrückte, „… mehr als nur die Herstellung von Lebensmitteln und nachwachsenden Energierohstoffen, sondern auch der Erhalt und die Pflege der Kulturlandschaft. Ohne Bewirtschaftung verbuschen Flächen, das erhöht die Attraktivität der auch touristisch vermarkteten Landschaft nicht.“ 303 Immer älter, immer weniger – den demografischen Wandel gestalten Dünn besiedelt war unsere Region schon immer. Dies galt für die Jahrzehnte vor dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie für die erste Nachkriegszeit bis zur Gründung des Werra-Meißner-Kreises. Zwar erhöhten sich durch Flüchtlingszuzüge und Heimatvertriebene die Einwohnerzahlen der damaligen Kreise Eschwege und Witzenhausen nach 1945 erheblich, aber mit 123.500„Werra-Meißnerianern“ zählte man zur Geburtsstunde des neuen Kreises am 1. Januar 1974 neben dem Vogelsbergkreis in Mittelhessen sowie dem Odenwaldkreis ganz im Süden des Landes zu den bevölkerungs- und auch wirtschaftsschwächsten Landstrichen Hessens. Daran hat sich seit damals nichts geändert. Bereits in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte, bedingt durch die problematische wirtschaftliche Lage an der innerdeutschen Grenze, ein schleichender aber stetiger Bevölkerungsrückgang nicht verhindert werden. Die im Schnitt relativ hohe Arbeitslosigkeit – Mitte der 80er Jahre lag sie im Werra-Kreis-Kreis bei 11,4 % und damit um 4 % höher als der vergleichbare Hessenwert von 7,4 % – tat ein Übriges und immer mehr Menschen kehrten auf der Suche nach zukunftssicheren Arbeitsplätzen dem Werra-MeißnerLand den Rücken. Noch war dies eine bloße Wanderungsbewegung, durch welche die Bevölkerung im Kreis bis zum November 1989 um rund 11.000 Personen bzw. knapp 9 % schrumpfte und kurz vor der Grenzöffnung mit 111.991 ihren niedrigsten Wert seit 1974 erreichte. 81 DER KREIS IM GEEINTEN DEUTSCHLAND  CHANCE UND HERAUSFORDERUNG 08

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