Da half es auch wenig, dass der Kreis seinerseits die Kommunen stärker zur Kasse bat und die Kreisumlage erhöhte – „der eine Arme fasst dem anderen Armen ins leere Portemonnaie“, 282 kommentierte dies Lothar Quanz (SPD) während der Haushaltsdebatte – die Möglichkeit, den Haushalt ausschließlich durch eigene Anstrengungen zu sanieren, besteht nur in Ansätzen. In dieser Situation ist es auch wenig tröstlich, dass der Kreis mit seinen Finanzproblemen nicht alleine steht. So schlugen schon im Mai 2004 alle nordhessischen Landkreise nebst der Stadt Kassel wegen ihrer Finanzmisere öffentlich Alarm 283, warnte der Deutsche Städtetag im Februar 2010 davor, dass deutschlandweit die „Kommunen vor dem Kollaps“ 284 stünden und ließen die„Rathaus-Chefs“ des Werra-Meißner-Kreises im Januar 2010 gemeinsam„Dampf ab“. 285 Seitdem ist viel ausführlich und kontrovers diskutiert worden, hat sich die Wirtschaft wieder erholt und ist vor allem vom Land das Programm „Kommunaler Schutzschirm“ zur Teilentschuldung der hessischen Kommunen und Landkreise aufgelegt worden. Diesem Programm, das von den beteiligten Kreisen und Kommunen einen gewissen Teil der aufgelaufenen Schulden übernimmt, ist auch der Werra-Meißner-Kreis mit großer Mehrheit des Kreistages am 7. Dezember 2012 beigetreten und erhielt vom Land die Zusage über 19,6 Mio. Euro Schuldenübernahme. Im Gegenzug verpflichteten sich Kreis und Kommunen bis spätestens 2018 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Neben der Überprüfung aller nur denkbaren Einsparpotenziale und der sogenannten „freiwilligen Leistungen“ können allerdings insbesondere die Kommunen im Kreis ihre Haushaltskonsolidierung nur durch deutlich erhöhte Steuern und Abgaben erreichen. Ob sich die Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuern, Kindergarten und Parkgebühren sowie den Eintritten in öffentliche Einrichtungen nicht letztendlich als Nachteile für die Region als Wohn- und Gewerbestandort herausstellen werden, muss die Zukunft erweisen. Kräfte bündeln – Wirtschaftsförderung, Tourismusmarketing und Landwirtschaft Am 1. Januar 1974 waren im Werra-Meißner-Kreis in 5.773 Betrieben in Industrie, Handwerk und Landwirtschaft insgesamt 27.026 Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, davon 21.444 in Industrie und Handwerk. 286 Zum Jahresbeginn 2012 gab es im Kreis 6.462 IHK – zugehörige Betriebe mit 26.599 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Gesamtzahl der Beschäftigten ist also während des betrachteten Zeitraumes weitgehend gleich geblieben – die Struktur der Beschäftigung hat sich allerdings deutlich verändert. Hervorstechend dabei ist vor allem der dramatische Bedeutungsverlust der Landwirtschaft. Gab es 1974 im Kreisgebiet noch insgesamt 4.045 bäuerliche Betriebe mit 5.584 Beschäftigten, so hat sich diese Zahl auf nur noch 138 Betriebe mit 457 reduziert, d. h. über 90 % der landwirtschaftlichen Arbeitsplätze des Jahres 1974 sind seitdem verloren gegangen. Ebenso rückläufig, wenn auch nicht in diesen Dimensionen, ist die Zahl der Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe. Waren 1974 noch 13.322 Personen im Werra-Meißner-Kreis ihm industriellen Bereich beschäftigt, so ist diese Zahl bis 2012 auf 8.698 Arbeitnehmer zurückgegangen, die, und das kommt noch hinzu, das gesamte sogenannten „produzierende Gewerbe (einschl. Bau)“ umfasst. 287 In den vergangenen fünf Jahrzehnten sind nicht nur völlig neue Berufsfelder und Berufe entstanden – man denke in diesem Zusammenhang nur an die Bereiche Information und Kommunikationstechnik bzw. Verkehr und Logistik – sondern die Arbeitsrealität selbst ist durch einen tiefgreifenden Strukturwandel radikal verändert worden. Um diesen neuen Herausforderungen gewachsen zu sein, es notwendig neue Wege zu gehen. Nachdem es in der zweiten Hälfte der 80er Jahre vielerorts bereits erfolgversprechende Ansätze gebündelter Wirtschaftsförderung und Entwicklung mit Partnern aus Politik und Wirtschaft gegeben hatte, starteten Mitte Mai 1988 auch im Werra-Meißner-Kreis die hiesigen Wirtschaftsjunioren die Initiative zur Gründung einer„Wirtschaftsfördergesellschaft Pro Werra – Meißner“. Durch eine solche Institution sollte ihrer Meinung nach das in der Region ansässige Potenzial gebündelt und aktiviert werden, „… so dass Defizite abgebaut, Stärken gefördert und gemeinsame Maßnahmen ergriffen werden, die unseren Kreis nach außen und innen positiver darstellen. Mit dem Randlagen – Gejammer müsse ebenso Schluss sein wie mit dem ständigen Sich – unter – Wert – verkaufen. Nötig sei der Schulterschluss des Landkreises, der Kommunen und aller Wirtschaftseinrichtungen im Werra-Meißner-Kreis unter der gemeinsamen Marschrichtung Pro Werra-Meißner.“ 288 Formuliert wurde diese Forderung als Ergebnis einer Klausurtagung in Bad Sooden-Allendorf, in deren Verlauf Unternehmen, Kammern, Verbände, die Bürgermeister der Städte Eschwege, Bad Sooden-Allendorf und Witzenhausen sowie der designierte Landrat Dieter Brosey die grundsätzliche Absicht bekundeten, sich gemeinsam im Bereich der Wirtschaftsförderung neu aufzustellen. Zwar veränderten der Fall der innerdeutschen Grenze und die Wiedervereinigung kurze Zeit später die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Kreises grundlegend, aber die Notwendigkeit gezielter und nachhaltiger Wirtschaftsförderung verlor dadurch nichts von ihrer Dringlichkeit. So stand dann auch die „Wirtschaftsfördergesellschaft Werra – Meißner (WFG)“ – am 16. November 1989 als Gesellschaft des Kreises und, mit Ausnahme von Weißenborn, fünfzehn seiner Kommunen gegründet – unmittelbar nach ihrer Gründung vor großen Herausforderungen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hatten sich tiefgreifend verändert und stellten sich so ganz anders dar, als es noch vor anderthalb Jahren in der o. a. Klausurtagung skizziert worden war. So attestierte z. B. Siegfried Rauer, der im Sommer 1990 berufene Geschäftsführer der WFG auf der ersten Beiratssitzung der Gesellschaft im September 1990 dem Werra-Meißner-Kreis 75 DER KREIS IM GEEINTEN DEUTSCHLAND CHANCE UND HERAUSFORDERUNG 08
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