Chronik Werra Meißner Kreis

Die ersten fünfzehn Jahre des Werra-Meißner-Kreises musste man mit einer Finanzlage leben, die dauerhaft sparsames Haushalten ebenso voraussetzte wie wohlüberlegtes Handeln im Investitionsbereich nötig machte. Ungeachtet aller pekuniären Schwierigkeiten gelang es aber mit ganz wenigen Ausnahmen in all den Jahren dennoch, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und gleichzeitig die notwendigen Investitionen in den Bereichen Verkehr, Schulen, Krankenhäuser und Abfallbeseitigung zu tätigen. Dies sollte sich ab 1990 grundlegend ändern: Mit dem Haushaltsansatz dieses Jahres, der erstmals seit 1976 wieder einen Fehlbetrag auswies (1,751 Mill. DM), war die Zeit der ausgeglichenen Haushalte vorbei. Mit diesem ersten Haushalt nach der Grenzöffnung sollte eine unruhige Epoche voller finanzieller Probleme beginnen, in der beim Kreis vieles auf den Prüfstand gestellt und verändert wurde und deren Ende auch heute noch nicht absehbar ist. Lässt man die durchgängig roten Zahlen der vergangenen Jahre Revue passieren wird erkennbar, dass es eine weder linear ansteigende noch absteigende Kurve in den Defizithöhen gibt. So lag. z. B. der Fehlbetrag im Jahr 1994 bei 2,4 Mill. DM und provozierte den FDP-Abgeordneten zu der als Überschrift für dieses Kapitel gewählten Zeile vom dem „Haushalt, der ein „ganz magerer Hering“ 276 sei, stieg dann innerhalb von zwei Jahren auf über 14 Mill. DM, was Landrat Brosey vor dem Kreistag von einer „todernsten Lage“ 277 sprechen ließ. Nach einer gewissen Stabilisierung in den Folgenjahren und Defizitzahlen von 9 Mill. (1997) bzw. 11,6 Mill. DM (1998) bescherte das Jahr 1999 dem Kreis mit einem Minus von 17,7 Mill. DM den bis dato negativen Ausreißer. Nach der abermaligen leichten Stabilisierung auf niedrigem Niveau, brachte das Jahr 2004 einen erneuten Schock: Die„rasante Talfahrt“ 278 der Kreisfinanzen ging nahezu ungebremst weiter und erreichte mit einem Defizit von 12,9 Mill. Euro ihren bisherigen Höhepunkt bzw. in diesem Fall Tiefstand. Über 15,5 Mill. Euro für 2005 stieg der Fehlbetrag auf 16,5 Mill. Euro im Jahr 2006 – ein abermaliger neuer Tiefpunkt war erreicht. In den drei Folgejahren gestaltete sich die Haushaltslage dann wieder deutlich besser und das Haushaltsloch wurde kleiner: Das Minus sank erst auf 11 Mill. Euro (2007), dann auf 6,5 Mill. Euro (2008) und erreichte mit lediglich noch 2,3 Mill. Euro (2009) den niedrigsten Stand seit 1994. Diese Entwicklung gab Anlass zu Optimismus und Landrat Stefan Reuß konnte am 12. Februar 2008 erstmals öffentlich davon reden, dass sich „die finanzielle Lage des Kreises deutlich gebessert“ 279 hätte. Insbesondere der Haushalt des Jahres 2008 stellte sich im Nachhinein noch einmal deutlich positiver dar als gedacht und bei Vorlage des Jahresabschlusses im Frühjahr 2010 war der Fehlbetrag auf nur noch knapp eine halbe Million Euro gesunken. Die Freude über die sich stabilisierenden Kreisfinanzen währte allerdings nur kurz, denn die aufbrechende weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise verschonte auch den Werra-MeißnerKreis nicht und machte deren Haushaltserholung erst einmal wieder zunichte. „Der Kreishaushalt verschlechtert sich durch Wirtschaftskrise dramatisch“, 280 titelte die Lokalpresse angesichts eines erwarteten Defizits von 17 Mill. Euro für 2010 – und das war beileibe noch nicht das Ende der Fahnenstange. Im Haushaltsjahr 2011 musste der Werra-Meißner-Kreis das bislang größte Haushaltsdefizit in seiner Geschichte verkraften: Mit 19,4 Mill. Euro blieb man nur knapp unterhalb der Marke von 20 Mio. und die Handlungsmöglichkeiten des Kreises wurden immer geringer. Großartigen Gestaltungsspielraum besaß man eigentlich schon seit Mitte der neunziger Jahre nicht mehr, was Landrat Dieter Brosey schon im November 1995 – angesichts eines erwarteten Haushaltsdefizits von 14 Mill. DM – zu drastischen Formulierungen greifen ließ. „Manchmal fragen wir uns“, so der Verwaltungschef in der Haushaltsdebatte vor dem Kreistag, „wofür wir überhaupt noch einen Kreistag haben – wir können ja doch nichts mehr entscheiden, nur noch die laufenden Kosten bedienen.“ 281 Die Einbringung und Diskussion des Haushalts ist auch immer in ganz besonderer Weise „die Stunde des Parlaments“. Hier hat die Regierung Gelegenheit, die Ziele ihrer Politik darzustellen und im Gegenzug kann die Opposition mittels einer „Generalabrechnung“ einen Gegenentwurf präsentieren. Dabei ist das Procedere in jedem Parlament ähnlich – gleich ob Bundes-, Land- oder wie in unserem Fall, eben der Kreistag. So sind denn auch im Kreistag des Werra-MeißnerKreises in aller Regel während der alljährlichen Haushaltsdebatten die unterschiedlichen politischen Meinungen mit besonderer Vehemenz und teilweise drastischer Wortwahl ausgetauscht worden. Betrachtet man die Einzelposten des Kreisetats auf der Ausgabenseite, so fällt sehr schnell ins Auge, dass der Sozialbereich, aufgeteilt in die Einzeletats „Sozialleistungen“, „Kinder, Soziales und Familie“ und die „Umlage an den Landeswohlfahrtsverband“ fast die Hälfte aller Ausgaben ausmacht. Hinzu kommen, neben diversen kleineren Posten, die Zuschüsse an den Eigenbetrieb Gebäudemanagement und die Personalausgaben als nochmals größere Einzeletats. Die Einnahmenseite wird dominiert von der„Kreis- und Schulumlage“, die die Städte und Gemeinden an den Kreis entrichten sowie den„Schlüsselzuweisungen“ des Landes, die zusammen weit über die Hälfte der Gesamteinnahmen ausmachen. Sowohl die Ausgaben – als auch die Einnahmenseite sind nur bedingt durch politische Entscheidungen des Kreises beeinflussbar, sondern unterliegen ganz wesentlich anderweitigen Einflüssen, wie z. B. der Anstieg der Ausgaben für Transfer – und Hartz IV – Leistungen im Haushalt 2010 deutlich macht. Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage war dieser Einzeletat um 2 Mio. Euro gegenüber 2009 angestiegen – in Kombination mit den massiv verringerten Schlüsselzuweisungen des Landes war das im Jahr 2010 ein Grund dafür, dass das Minus so dramatisch aus dem Ruder lief. 74 DER KREIS IM GEEINTEN DEUTSCHLAND  CHANCE UND HERAUSFORDERUNG 08

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