Chronik Werra Meißner Kreis

Der Kreis im geeinten Deutschland – Chance und Herausforderung Autor: Matthias Roeper Mit dem 3. Oktober 1990 hatte sich das Koordinatensystem, in dem sich der Werra-Meißner-Kreis bis dato eingerichtet hatte, endgültig verschoben. Damit war nach nur zwei Jahren erfüllt worden, was Landrat Dieter Brosey im Rahmen seiner Amtseinführung am 6. Juni 1988 formuliert hatte. „Hauptproblem des Kreises“, so der Verwaltungschef in seiner Antrittsrede, „werde auch in Zukunft die Lage unmittelbar an der innerdeutschen Grenze sein, die beste Strukturpolitik daher eine vernünftige Deutschland und Ostpolitik (…) Der Kreis müsse seine natürliche zentrale Lage mitten in Deutschland und Europa wiedererhalten.“ 273 Niemand in der gut gefüllten Eschweger Stadthalle, in der sich neben den Abgeordneten auch zahlreiche Besucher – insbesondere die Bürgermeister der sechzehn Städte und Gemeinden des Kreises – eingefunden hatten, um der Amtseinführung des neuen Landrates beizuwohnen, hätte sich an diesem Tag vorstellen können, in welcher atemberaubenden Geschwindigkeit die DDR und der gesamte sogenannte „Ostblock“ verschwinden und der Werra-Meißner-Kreis sich dadurch plötzlich tatsächlich in der Mitte Deutschlands und Europas wiederfinden würde. Die Euphorie war groß, die Hoffnungen in die Zukunft fast noch größer. Und tatsächlich schien die neue Zeit auch das zu halten, was man sich von ihr versprochen hatte: Der Einzelhandel boomte, viele neue Mitbürger aus der ehemaligen DDR ließen sich in den Städten und Dörfern des Kreises nieder, milderten dadurch den Bevölkerungsverlust der vergangenen Jahre ein ganzes Stück weit 274 und stärkten zudem das kommunale Steueraufkommen sowie die Finanzkraft der Gemeinden. „Aufbruch zu neuer Zeit“, überschrieb Landrat Dieter Brosey am 30. Dezember 1989 sein Grußwort zum bevorstehenden Jahreswechsel und drückte in ihm aus, was sich viele Menschen an Werra und Meißner von der neuen Wirklichkeit erhofften: „Für unseren Kreis bietet die Öffnung der Grenzen große Chancen in der wirtschaftlichen Entwicklung. Diese Chancen müssen wir nutzen, unser Kreis ist über Nacht ein hochinteressanter Gewerbestandort geworden, nicht mehr am Rande der EG, sondern mitten in Europa. Dies wird für die Struktur im Kreis Aufschwung bringen und gilt auch für den Fremdenverkehr mit Möglichkeiten der Einbeziehung von Eichsfeld und Thüringer Wald.“ 275 Niemand konnte in jenen euphorischen Tagen der Wendezeit voraussehen, dass sich die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität der nun folgenden Epoche deutlich prosaischer zeigen würde, als es die Blütenträume des Novembers 1989 erhoffen ließen. Für unseren Kreis galt es indes erst einmal Abschied nehmen, und das in doppelter Hinsicht. Einmal voller Freude und mit lachenden Augen von Stacheldraht, Todesstreifen, Schießbefehl und den Wachtürmen der innerdeutschen Grenze und – diesmal sicherlich mit einer gehörigen Portion an Nachdenklichkeit – vom Zeitalter der Zonenrandförderungen und der ausgeglichenen Kreishaushalte. Dieser Haushalt ist ein ganz magerer Hering Neben dem Wegfall der Zonenrandförderung war es vor allem die Entwicklung der Kreisfinanzen, die den Verantwortlichen die Sorgenfalten ins Gesicht trieb. Glänzten schon die Kreise Eschwege und Witzenhausen nicht durch besonders üppige finanzielle Ausstattung, so blieb dieses Manko leider auch dem neuen Großkreis erhalten. 73 08

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