Der Bahnhof Eichenberg wurde nach der Wiedervereinigung wieder ein Knotenpunkt im regionalen Bahnverkehr. Die Hoffnungen, die sich mit dem IC-gerechten Ausbau des Bahnsteiges in Richtung Thüringen verbanden, wurden jedoch enttäuscht. Schon in den ersten Januartagen rückten Baumaschinen und Arbeiter an, um die Trasse für den Lückenschluss freizuschlagen und am 26. Mai 1990 rollte dann endlich der erste Zug wieder von Thüringen nach Hessen. Es war der Traditionszug „Zwickau“ der Deutschen Reichsbahn, der mit Politprominenz und diversen Staatsgästen an Bord von Arenshausen kommend in Eichenberg einfuhr. Zur Feier des Tages stiegen tausend Ballons in den Himmel und für den Zugverkehr ins nahe Eichsfeld sowie weiter nach Nordhausen bzw. Halle gab es einen eigenen Bahnsteig mit Kontrollstellen von BGS und Zoll. Neu-Eichenbergs Bürgermeister Gerhard Hannich (SPD, Verwaltungschef von 1971–1995, gestorben 2012) war ein Mann vorausschauender Planung: Das Konzept für den Ausbau des Grenzüberganges Eichenberg/Hohengandern im Zuge der B 80 hatte er Anfang 1990 bereits im Kopf. Dazu gehörten Ver- und Entsorgungsleitungen von Eichenberg-Bahnhof zum Alten Holz, Parkplätze, Toiletten. Die seit Jahrzehnten unterbrochene Straße nach Hohengandern war nur provisorisch hergerichtet und bedurfte des Ausbaus. In den ersten Monaten des Jahres 1990 war die Route stark befahren, denn seit Weihnachten gab es die Reisefreiheit auch in östliche Richtung. Die „Organe“ der DDR kontrollierten nur mehr sporadisch. Auf der großen politischen Bühne gewann die Wiedervereinigung immer mehr Fürsprecher und man diskutierte nicht mehr das „ob“, sondern nur noch das „wie“ und „wann“. Am 30. Juni 1990 waren die Tage der Grenzübergänge zwischen Thüringen und Hessen und damit auch der Kontrollstellen Eichenberg/ Hohengandern, Wanfried/Katharinenberg und Netra/Ifta gezählt. Mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion wurden sie überflüssig. Die Anlagen, zumeist in Containern, wurden zurückgebaut und ungehindert rollte nun der Verkehr wieder zwischen den Kreisen Werra-Meißner, Heiligenstadt/Worbis und Eisenach (später: Eichsfeldkreis bzw. Wartburg-Kreis). Die Gemeinde Neu-Eichenberg, allen voran ihr Bürgermeister Gerhard Hannich und sein Nachfolger Wolfgang Fischer (SPD, Bürgermeister von 1995–2012), hatte sich schon Mitte der 80er Jahre für die Wiedereröffnung der unterbrochenen Bahnlinie eingesetzt. Nun schien die Renaissance des Bahnknotenpunktes Eichenberg, der in Spitzenzeiten Hunderten von Menschen Arbeit gegeben hatte, tatsächlich zum Greifen nah. Doch diese Träume platzten schnell: Zum einen entfiel durch die Deutsche Einheit die Kontrollstelle auf der Schiene, zum anderen bereiteten Stadt und Landkreis Göttingen gemeinsam mit der Deutschen Bahn den Bau der sogenannten „Göttinger Kurve“ vor, durch die die Züge aus Südniedersachsen direkt nach Heiligenstadt/Leinfelde und weiter nach Erfurt fahren konnten – ein Halt in Eichenberg war überflüssig geworden. Immerhin hat sich zumindest die traditionsreiche Strecke Kassel– Halle über Eichenberg etabliert. Die Gemeinde Neu-Eichenberg hat allerdings davon keinen Nutzen – im Gegenteil, das Empfangsgebäude ist verödet und die Pläne für die Modernisierung des Haltepunktes harren noch immer ihrer Verwirklichung. Im Zeichen der deutschen Einheit Mit dem Fall der Grenze – die Sperranlagen wurden nach und nach überall abgebaut – eröffneten sich neue Ziele für den Tourismus: Die Wartburg bei Eisenach lag nun quasi vor der Haustür, die Burgruine Hanstein eroberte sich ihren alten Einzugsbereich zurück und wurde wieder zum attraktiven Ziel für Touristen aus der Region Kassel/Göttingen/Erfurt. Darüber hinaus waren viele Ziele beiderseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs für die Menschen in Ost wie West plötzlich wieder erreichbar: Ob nun der der Normannstein bei Treffurt und das Städtchen selbst, die Creuzburg, der Meißner oder auch der Ludwigstein und Schloss Berlepsch – sie alle wurden wieder zu beliebten Ausflugszielen für Besucher aus Hessen und Thüringen. Kulturhistorisch hat das Eichsfeld mit seiner streng katholischen Tradition einen besonderen Rang: Herausragend bei den Wallfahrtsstätten sind der Hülfensberg, Klüschen Hagis und Etzelsbach. Die Anlagen des Franziskaner-Klosters Hülfensberg, einst im Sperrgebiet gelegen, sind nach und nach hergerichtet worden. Tourismus-Konzepte machen nicht an Verwaltungsgrenzen halt, wie der Werratal-Radweg zeigt: Er führt mit seinen zahlreichen romantischen Abschnitten durch Thüringen, Hessen und Niedersachsen und hat sich mittlerweile zu mehr als nur einem Geheimtipp unter Deutschlands Velo-Fahrern entwickelt. Mit dem Fall der Grenze eröffneten sich für die Wirtschaft des Kreises völlig neue Chancen: Der Handel etwa in der Kreisstadt Eschwege konnte an frühere Zeiten anknüpfen und seinen Einzugsbereich in die thüringischen Nachbarkreise erweitern. Industriebetriebe wie Rege-Motorenteil, SCA, Friedola oder Plastoreg zog es mit Zweigwerken nach Osten – günstige Grundstücke und eine höhere Förderung sowie ein großes Arbeitskräftereservoir machten es möglich. Als Paradebeispiele für solche Industrieansiedlungen im großen Stil können in Eisenach die Unternehmen Opel, BMW und Bosch gelten. 68 VON DER„SCHNITTSTELLE DER SYSTEME“ IN DIE MITTE EUROPAS 07
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