Es sollte noch dauern, bis das Floß über die Werra ausgedient hatte und die zerstörte Werra-Brücke bei Lindewerra wieder aufgebaut wurde, um Hessen und Thüringen auch hier wieder zu verbinden. Das Haupthindernis einer noch intensiveren grenzübergreifenden Zusammenarbeit bildeten, neben den auf DDR-Seite äußerst schlechten Straßenverhältnissen, die an allen Ecken und Enden fehlenden Telekommunikationsverbindungen: So gab es allein in der Kreisstadt Mühlhausen 1990/1991 einen Stau von 3000 Anträgen auf einen Fernsprechanschluss, von Verbindungen nach Hessen ganz zu schweigen. Als im Mai 1990 fünfundzwanzig neue Leitungen zwischen Mühlhausen und Eschwege geschaltet wurden, war dies eine deutlich spürbare Erleichterung. Verkehrslawine und geplatzte Träume Schnell versuchten auch hessische Unternehmen, in Thüringen Fuß zu fassen: Eschweger Bier war bald auch in den Läden und Märkten von Konsum und HO in Mühlhausen zu bekommen und ab dem Januar 1990 lieferten die regionalen Zeitungen ihre Ausgaben in die DDR-Nachbarkreise. West-Produkte standen damals dort hoch im Kurs. Allerdings hatte auch diese Medaille ihre Kehrseite: Mit der Eröffnung neuer Übergänge wälzten sich täglich nicht enden wollende Fahrzeugkolonnen aus der DDR über die Bundesstraßen 7, 27, 80 und 249 nach Westen. Zwar profitierten von diesen Besucherströmen auch im Werra-Meißner-Kreis viele – vor allem die Kreisstadt Eschwege als Einkaufsstadt und Handelszentrum –, aber auf den Straßen schnellte ab 1990 die Zahl der, leider auch tödlichen, Verkehrsunfälle als Folge des drastisch gestiegenen Fahrzeugaufkommens rasant nach oben. Letztlich waren viele Straßenstücke für solche Mengen an Kraftfahrzeugen gar nicht ausgebaut. Die Wiederherstellung aller früheren Verkehrsverbindungen war denn auch zentrales Thema der ersten Grenzkonferenz im Januar 1990. Dazu reisten Landrat Dieter Brosey, etliche Behördenleiter und die Vertreter der Grenzstädte und -gemeinden nach Geismar ins Südeichsfeld. Im Kulturhaus Florian Geyer wurde über die Probleme diskutiert, die sich wenige Wochen nach der Öffnung der Grenze am Horizont abzeichneten. Dazu gehörte die Sicherheit auf den Transitstraßen: Feuerwehren und Schnelle Medizinische Hilfe (SMH) in der DDR schienen für größere Einsätze unzureichend gerüstet. Zwar saßen ranghohe Offiziere der DDRGrenztruppe mit am Tisch, nicht aber BGS und Zoll aus der Bundesrepublik. Sie hoben die länderübergreifenden Kreiskonferenzen aus der Taufe: Landrat Dr. Werner Henning (l.) (Heiligenstadt) und Landrat Dieter Brosey. Waffen- und Uniformträger waren nicht erwünscht und mussten am eigens hergerichteten Übergang Großtöpfer umkehren. Im Grunde genommen schlug in Geismar die Geburtstunde der späteren Kreiskonferenzen zwischen den Landkreisen Werra-Meißner, Göttingen und Eichsfeld, die an wechselnden Orten bis heute stattfinden. Der letzte fahrplanmäßige Zug von Eichenberg nach Arenshausen verkehrte am 24. Juli 1945. Seitdem war der Bahnverkehr – erst zwischen der amerikanischen und sowjetischen Zone, dann zwischen der Bundesrepublik und der DDR – unterbrochen. Die Gleise nach Osten führten ins Nichts und endeten über Jahrzehnte an einem hölzernen Rammbock: Endstation der einst so stark befahrenen Bahnlinie und gleichzeitig auch das„Aus“ für Eichenberg als Bahnknotenpunkt. Im Nachhinein mutet es schon fast sensationell an, mit welcher Weitsicht Reichs- und Bundesbahn schon am 23. November 1989 über eine Grenzöffnung auch auf den Schienen der historischen Eisenbahnstrecke Kassel-Halle verhandelten. Sogar die Frage der Elektrifizierung wurde in diesem Kontext bereits geprüft. Am 31. Dezember 1989 kündigte DB-Chef Reiner Gohlke an, dass mit Fahrplanwechsel im Mai 1990 der Übergang Eichenberg–Arenshausen eröffnet werden solle. 67 VON DER„SCHNITTSTELLE DER SYSTEME“ IN DIE MITTE EUROPAS 07
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