weniger Stunden jahrzehntelang unterbrochene Straßen- verbindungen provisorisch wieder herzustellen. Waren es am Arnstein zunächst nur einige wenige Schaulustige und Angehörige von Zoll und BGS, die die Aktion beobachteten, sprach sich die Nachricht vom bevorstehenden Fall der Grenze bis zum Vormittag wie ein Lauffeuer in den angrenzenden Städten und Dörfern herum. Immer mehr Menschen strömten an diesem sonnigen Spätherbsttag in Richtung Grenze. Nur für kurze Zeit gab es solche Schilder im Kreis zu sehen. Nach Jahren der Abriegelung gab es auf einmal viele neue Grenzübergänge, die aber – wie die ganze Grenze selbst – schnell wieder verschwanden. Der Zeiger der Uhr stand bei 12.25 Uhr, als auch hier der Jubel im wahrsten Sinn des Wortes „keine Grenzen“ mehr kannte: Der erste Trabi aus Thüringen rollte auf den neuen Übergang zu, Sekt und Tränen flossen gleichzeitig, und der Posaunenchor aus Witzenhausen intonierte „Lobet den Herren“. Auch der damalige Hessische Ministerpräsident Walter Wallmann und die Verantwortlichen des Werra-Meißner-Kreises ließen es sich nicht nehmen, diesen historischen Moment direkt an der nunmehr offenen Grenze zu erleben. Spätestens mit dem 12. November 1989 änderte sich das Leben im bis dahin beschaulichen und abgeschiedenen Werra-Meißner-Kreis: Von nun an strömten täglich die Fahrzeugkolonnen nach Hessen und – in einem etwas bescheideneren Ausmaß – auch in östliche Richtung, denn wer im kleinen Grenzverkehr ein Visum hatte, konnte die DDR-Nachbarkreise besuchen. Der früher so penible DDR–Zoll beschränkte sich auf stichprobenhafte Kontrollen, vor allem, um das Schmuggeln subventionierter Waren in den Westen zu unterbinden. Am Abend des 17. November 1989 überbrachte eine Streife des BGS Bürgermeister Rolf Jenther während der Einweihungsfeier des neuen Kurmittelhauses in Bad Sooden-Allendorf unter dem Jubel der Gäste die Nachricht, dass am nächsten Tag ein Grenzübergang für Fußgänger bei Wahlhausen geöffnet werden sollte. 18. November, kurz vor 6 Uhr früh: Von Wahlhausen her leuchtete den Menschen ein Spruchband entgegen: Willkommen! Die Parforcegruppe des Reitervereins Bad Sooden-Allendorf spielte„Ich bete an die Macht der Liebe“ – den Menschen ging es durch und durch. Wenige Minuten später setzte sich eine große Menschenmenge aus Richtung Bad Sooden-Allendorf nach Wahlhausen in Bewegung. In einer Kantine der dortigen LPG wurden die Hessen mit Mett und Kaffee bewirtet. Hilfe für die Nachbarn Die folgenden Wochen – die Grenze erhielt immer mehr Schlupflöcher – wurden dazu genutzt, zahlreiche Ost-WestKontakte zu knüpfen: In Stadtverwaltungen und Krankenhäusern, Schulen und Hochschulen gab es Besuch aus der DDR. Patenschaften bahnten sich an. So wurde z. B. noch im Dezember 1989 die Partnerschaft zwischen Mühlhausen und Eschwege besiegelt, ein Projekt, das schon lange vor der Wende angeschoben worden war. Aus der geplanten Städteverbindung zwischen Witzenhausen und Heiligenstadt wurde nichts mehr, doch die beiden Städte pflegen seitdem eine herzliche Nachbarschaft. Witzenhäuser Verwaltungsbeamte halfen den Eichsfelder Nachbarn beim Aufbau moderner Stadtwerke und einer neuen Stadtverwaltung, Bad Sooden-Allendorfer Experten bei der Wiederbelebung des Kurbetriebes. Die Hilfe aus Hessen lief für die thüringischen Nachbarkreise auf vielen Ebenen an. Die Feuerwehren aus dem Werra-Meißner-Kreis überließen ihren Kameraden modernere Fahrzeuge, die Polizei schickte Funkstreifenwagen und die Bürgermeister des Werra-Meißner-Kreises vermittelten modernes Verwaltungswissen. Die ersten Grenzübergänge waren meist wirklich nur kleine Löcher im Zaun, doch die Tage an denen der Grenzzaun noch die Landschaft durchschnitt, sollten gezählt sein. 66 VON DER„SCHNITTSTELLE DER SYSTEME“ IN DIE MITTE EUROPAS 07
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