Chronik Werra Meißner Kreis

1575 wurde in der Nähe vom Schwalbenthal ein Schacht durch den Basalt gelegt, von dem aus 1578 – dem eigentlichen Geburtsjahr des Bergbaus am Meißner – Schwarzkohle abgebaut wurde. Der Tiefbau wurde 1888 weitgehend eingestellt, nur in Bransrode förderte man zeitweise bis 1929 weiter. Der letzte Braunkohle-Tiefbau in Deutschland auf der Zeche Hirschberg bei Großalmerode wurde erst 2002 endgültig eingestellt. Nachdem die Bergbaurechte 1945 an den Ilse-Bergbau übergegangen waren, begann der Tagebau: Erst bei Grebestein-Ost, dann im Bereich der Kalbe, wo ein besonders ertragreiches Flöz entdeckt wurde. Nach erheblichen Eingriffen in die Natur und schweren Umweltschäden – Rekultivierungsmaßnahmen und der heutige sogenannte„Kalbesee“, der das 2 ha große Tagebaurestloch ausfüllt – konnten diese nur verdecken, nicht aber beheben, wurde der Tagebau 1974 aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Nach dreißig Jahren Tagebau und den damit verbundenen schwersten Umweltschädigungen begann eine sogenannte „Rekultivierungskommission Meißner“, die Landschaft und Natur des Berges so gut als es eben ging, von den Schäden der Eingriffe zu heilen. Niemand rechnete mit dem Versuch, den Tagebau erneut zu reaktivieren. Entsprechend fassungslos und entsetzt war die heimische Öffentlichkeit, als Anfang Juni 1976 Direktor Friedrich von der Preußen-Elektra (kurz PREAG), die das Kraftwerk in Borken betrieb und die Bergrechte am Meißner erworben hatte, der Rekultivierungskommission im Gasthaus Schwalbenthal Pläne und Zeitplan seiner Firma vorstellte: Bis zum Jahresende 1976 sollte es noch 40 Probebohrungen im Naturschutzgebiet Weiberhemdmoor und Lettenberg geben, dann 1977 Versuchsstrecke Lettenberg und Schurf Weiberhemd, 1978 Genehmigungsverfahren und Abbaubeginn mit ca. 100.000 t; 1979–1990 jährlicher Abbau von 500.000 bis 600.000 t Braunkohle. Grund für die Abbaupläne war das absehbare Ende der abbaufähigen Braunkohlevorräte im Borkener Raum, die bis 1985 erschöpft sein würden. Die PREAG malte in der Öffentlichkeit ein Schreckensszenario von unvermeidlichen Betriebsstilllegungen und Kündigungen „wenn nicht weitere Vorkommen erschlossen werden könnten“. 264 Wie damals nicht unüblich, wurde auch hier versucht, alle kritischen Einwände mit dem „Totschlagargument“ des Arbeitsplatzverlustes im Ansatz zu unterdrücken. Beispielhaft dafür soll hier die Stellungnahme zitiert werden, die der Fritzlaer SPD-Landtagsabgeordnete Karl-Heinz Ernst anlässlich einer Informationsveranstaltung der Arbeitskreise Wirtschaft u. Technik bzw. Umwelt seiner Partei in den Betriebsräumen der PREAG abgab. „Scharf wandte er sich gegen Höhnes Stellungnahme, die durch Formulierungen wie „Kohleabbau wäre ein Verbrechen“ und „Meißner opfern“ die Diskussion belaste. Die Erhaltung der Arbeitsplätze sei für den Borkener Raum eine ebenso wichtige Frage wie der Landschaftsschutz. Die Interessen der betroffenen Gemeinden und Bürger im Werra-Meißner-Kreis müssten natürlich berücksichtigt werden.“ 265 So freundlich wie bei der Begrüßung durch Landrat Eitel O. Höhne blieb es nicht, wenn es mit dem damaligen Hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner um das Thema Kohleabbau am Meißner ging. Landrat Höhne bot hier dem Ministerpräsidenten die Stirn, der den Abbau befürwortete und konnte sich schließlich auch gegen die Pläne der PREAG und der Landesregierung durchsetzen. Die Bruchlinien der Diskussion des Für und Wider eines abermaligen Kohleabbaus auf dem Meißner zogen sich nordhessenweit quer durch die Parteien und entwickelten besonders innerhalb der SPD erhebliche Sprengkraft. Im Werra-Meißner-Kreis allerdings herrschte nicht nur in den Reihen der Sozialdemokraten, sondern auch parteiübergreifend – bis auf ganz wenige Einzelmeinungen – diesbezüglich Einvernehmen: Alle gesellschaftlich relevanten Gruppen lehnten den Kohleabbau vehement ab und der Landrat selbst stellte sich entschlossen an die Spitze des Widerstandes. Am 26. Januar 1977 trat Eitel O. Höhne vor die Presse und ließ mit deutlichen Formulierungen keinen Zweifel an seiner und der Bevölkerung im Werra-Meißner-Kreis erklärten Absicht, den geplanten Kohleabbau zu verhindern. „Die Wiederaufnahme des Kohleabbaus auf dem Meißner“, konnten die Menschen in der Region am folgenden Tag der Presse entnehmen, „stelle insofern „ein Verbrechen“ dar, als es fahrlässig wäre, den Meißner zu opfern, während die Vorteile nur für kurze Zeit dauerten. (…) Ein Aufleben des Kohleabbaus würde für die schon schwer getroffene und mit Millionenaufwand gerade erst mühsam rekultivierte Meißnerlandschaft weitere irreparable Zerstörungen heraufbeschwören. (…) Er rechne mit der Initiative der Bevölkerung (…) denn sie müsse daran interessiert sein, den Meißner und seine nun wiedererlangte Attraktivität für die Zukunft zu erhalten.“ 266 Auch mit Aufklebern (re.) und Buttons (li.) warb die Initiative„Rettet den Meißner“ für ihr Ziel, den Braunkohleabbau am Meißner nicht wieder aufleben zu lassen. 62 SUCHEN UND FINDEN  DER WEG DES KREISES BIS ZUM NOVEMBER 1989 06

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