Chronik Werra Meißner Kreis

und Norwegen im Abfallkreislauf zu finden ist. Zumindest in Deutschland ist diese Innovation aus dem Werra-Meißner-Kreis ein echtes Erfolgsmodell, und bis spätestens 2015 müssen die letzten biolosen Landkreise die Tonne eingeführt haben. Im Werra-Meißner-Kreis erfunden: Die Grüne Tonne für Bioabfälle war an der Universität in Witzenhausen entwickelt worden und trat von dort ihren Weg in die Haushalte der Republik an. Tschernobyl und Hochwasser Kontrovers wurde damals auch die Diskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie geführt, die insbesondere ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre innenpolitisch zu maximal verhärteten Fronten führte. Wenn auch der Werra-MeißnerKreis nicht direkt von geplanten neuen Atomkraftwerken oder Wiederaufbereitungsanlagen bzw. End- und Zwischenlagern betroffen war, so rückte die grundsätzliche Fragestellung dieser Problematik spätestens nach Bekanntwerden der Katastrophe im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 auch hier in den Fokus des öffentlichen Lebens. Die Besorgnis über mögliche Auswirkungen der freigesetzten Radioaktivität war groß, und nicht nur beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach liefen deswegen die Telefone heiß, sondern auch die kommunalen und Kreisbehörden hatten ihre liebe Not, der besorgten Anfragen Herr zu werden: Der Supergau und seine Folgen war auch für die Menschen im WerraMeißner-Kreis zum alles beherrschenden Thema geworden. So wurden ab Anfang Mai 1986 kreisweit Spiel- und Sportplätze von Amts wegen gesperrt, Kinder hatten die Rasenflächen rings um ihre Kindergärten zu meiden, auf Wochenmärkten sowie in öffentlichen Einrichtungen traf man Behördenbedienstete in Schutzanzügen und mit Strahlenmessgeräten bewaffnet, vor Wildbret und Pilzen aus heimischen Wäldern wurde eindringlich gewarnt und die über Herleshausen ankommenden DDR-Transit LKWs mussten sich ausgiebiger Strahlenkontrolle unterziehen. Der Atomunfall in der Ukraine war allgegenwärtig und seine Auswirkungen waren den Menschen spürbar in die Glieder gefahren. Selten war das Informationsbedürfnis der Bürger größer als in diesen Mai-Tagen, und bei Veranstaltungen über die Auswirkungen der radioaktiven Belastungen waren überall im Kreis die Säle brechend voll. Die Angst vor einer Verseuchung war groß, das Durcheinander an Informationen nicht minder. Und obwohl die Medien ständig berichteten – oder vielleicht auch gerade deswegen – wollten die Menschen insbesondere vor Ort wissen, ob es auch für sie eine ernstzunehmende Gefährdung gäbe. Diese gab es glücklicherweise nicht und mit der Zeit verblassten auch die Sorgen, die man sich allenthalben auf dem Höhepunkt der Tschernobyl-Katastrophe hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie gemacht hatte. Damit es diesbezüglich einen nachhaltigen Wandel geben konnte, bedurfte es einer erneuten Katastrophe – ein Vierteljahrhundert später und weit entfernt im japanischen Fukushima. Nicht nur ganz nah dran, sondern leider mittendrin waren die Menschen an Werra, Gelster, Riedbach und Wehre allerdings im Frühjahr 1981, als in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni der Kreis „die schwerste Unwetterkatastrophe seit Jahrzehnten erlebte, deren Schäden noch lange sichtbar bleiben.“ 260 Diese knappe Schilderung aus der Eschweger Stadtchronik kann das Ausmaß der Verwüstungen, die praktisch das gesamte Kreisgebiet in Mitleidenschaft zogen, natürlich nur unvollkommen beschreiben. „Hochwasser–Katastrophe: Schwere Verwüstungen“ –„Chaotische Verhältnisse nach der Sintflut im Kreis“ – „Verheerendes Bild in Badestädter Ortsteilen“ –„Unwetter richtete Schäden in Millionenhöhe an“ –„Werratal verwandelte sich in eine einzige Seenplatte“ – „Wasserversorgung zusammengebrochen“ 261 Diese Schlagzeilen aus der heimischen Presse vermitteln im Nachhinein vielleicht noch einen ungefähren Eindruck von der Dramatik des Geschehens. Lokal begrenzte Unwetter mit Katastrophenpotenzial – wie z. B. die Windhose in Gertenbach 1987 oder das Hagelunwetter am Meißner 2011 – hat es schon des Öfteren gegeben. Ein Unwetter allerdings, das einen ganzen Landkreis in ein Katastrophengebiet verwandelt, ist glücklicherweise ein höchst seltenes Ereignis. Gleich ob im Altkreis Eschwege oder Witzenhausen, im Werra-, Riedbach-, Wehre- oder Gelstertal, in Waldkappel oder Hess. Lichtenau: Überall das gleiche Bild: „Ein ganzer Kreis bot einen verwüsteten Anblick.“ 262 „Mehrere Ortschaften im Kreis waren von riesigen Seen umgeben“, hieß es in einem Situationsbericht über das Ausmaß der Katastrophe im Eschweger Raum, „stoßartig schossen die Fluten durch die Ortslagen. Auf der B 27 nahe Albungen wurde die Straße auf fast 100 Meter durch von den Hängen herabstürzendes Geröll blockiert (…) Ob in Reichensachsen oder Waldkappel, Albungen, Sontra, Hoheneiche oder Ringgau, Schwebda oder Eltmannshausen – überall waren Hunderte von Helfern im Einsatz, um der Katastrophe Herr zu werden. (…) Zahlreiche Industriebetriebe mussten ihre Produktion einstellen, nachdem das Hochwasser bis zu den Fertigungsstätten vorgedrungen war. (…) 60 SUCHEN UND FINDEN  DER WEG DES KREISES BIS ZUM NOVEMBER 1989 06

RkJQdWJsaXNoZXIy MTcxNzc3MQ==