Als schließlich aus der sogenannten „freiwilligen Förderstufe“ in 1985 die „Pflichtförderstufe“ wurde, musste für deren Umsetzung im Kreis abermals viel Zeit in schier endlosen Diskussionen verbracht werden, ehe man im November 1985 nach „einer mehrstündigen, zum Teil mit persönlichen Angriffen beladenen Debatte“ 255 endlich darüber beschließen konnte. Nachdem aber das Land Hessen Mitte 1987 wieder zur Freiwilligkeit bei der Einführung von Förderstufen zurückkehrte, musste der Schulentwicklungsplan erneut geändert und am 22. Januar 1988 abermals im Kreistag beschlossen werden. Diese „Abstimmung im Wirrwarr (…) mit einer kaum noch überschaubaren Abstimmungsprozedur“ sorgte zwar sowohl bei „Abgeordneten als auch sonstigem Auditorium für helle Aufregung und weitgehende Verwirrung“, 256 letztendlich konnte der erneuerte Schulentwicklungsplan aber dennoch in seine damalige Form verabschiedet werden. Eine wesentliche Änderung zur ursprünglichen Fassung war der – bedingt durch die 1987 eingeführte „freie Schulwahl“ im weiterführenden Bereich – Wegfall von festgelegten Einzugsbereichen zwecks Absicherung der Schulstandorte, was mitunter Konkurrenzdenken der Schulen untereinander und z.T. nicht unerhebliche Sorge um die Zukunft einzelner Standorten zur Folge hatte. Neben der flächendeckenden Möglichkeit zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife – in Bad Sooden-Allendorf, Eschwege, Hess. Lichtenau, Sontra und Witzenhausen war dies nun möglich – und einem bestens ausgebauten Berufsbildungssektor vor allem in Eschwege und Witzenhausen, hat sich der Kreis immer auch für den Erhalt kleiner und kleinster Grundschulen als unverzichtbare Bausteine ländlichen Bildungsangebotes eingesetzt. „Allen Ansinnen der Schulbehörden zum Trotz“, bemerkt diesbezüglich das Jubiläumsbuch zum 25. Kreisgeburtstag, „sind die Kreisgremien nach dem Motto „Die Schule bleibt im Dorf“ immer wieder für den Erhalt kleinster Grundschulen wie der in Herleshausen-Nesselröden, Sontra-Ulfen und Weißenborn, aber auch Gertenbach, erfolgreich eingetreten.“ 257 Ganz andere Aufgabenstellungen zeichnen die beiden Volkshochschulen Eschwege und Witzenhausen aus, die seit 1977 beim Werra-Meißner-Kreis unter dem Dach der „Kreisvolkshochschule“ angesiedelt waren und, jede in ihrem Bereich eigenständig, die Aufgaben der Erwachsenenbildung wahrzunehmen hatten. Dabei waren ihre Programme – mit durchaus auch unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in Eschwege und Witzenhausen – immer ganz eng an den Bedürfnissen und Wünschen der Nutzer orientiert und symbolisierten durch ihre thematischen Veränderungen in gewissem Sinn auch den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte. Zum Ausbau eines flächendeckenden modernen Bildungssystems, das nicht nur für die Ausbildung der nachwachsenden Generationen, sondern auch als sogenannter„weicher“ Standortfaktor bei der Ansiedelung von Gewerbebetrieben und der Schaffung neuer Arbeitsplätze immer wichtiger wurde, gehörte neben den bildungspolitischen Weichenstellungen auch deren räumliche und technische Umsetzung und Ausgestaltung. In diesem Bereich hat der Werra-Meißner-Kreis in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens Erstaunliches geleistet. Wenn auch aufgrund des doch erheblichen Mittelbedarfes die bauliche Anpassung an Schülerzahlen und Unterrichtsformen nur sukzessive zu realisieren war, so konnten dennoch z. B. in Bad Sooden-Allendorf, Eschwege, Großalmerode, Hess. Lichtenau, Sontra und Witzenhausen – um hier nur die größten und umfangreichsten Baumaßnahmen zu nennen – moderne und großzügige Schulen gebaut werden. Von der Multifunktionalität dieser Neubauten profitierten aber nicht nur Lehrer und Schüler, sondern vor allem auch Vereine und Verbände, mithin also die Menschen des Kreises insgesamt. Gab es vor der Gebietsreform im Werra-Meißner-Kreis noch eine spürbare Unterversorgung an modernen Sporthallen, so ist dieses Manko im Zuge der Schulneubauten nachhaltig beseitigt worden. Schon Ende der 80er Jahre gehörten unterteilbare Großsporthallen mit moderner Technik und erheblichen Zuschauerkapazitäten in den Städten und größeren Gemeinden des Kreises zum Standard – eine solch positive Entwicklung war Mitte der 70er Jahre noch kaum vorstellbar. Allerdings, wo Licht ist, gibt es auch Schatten, und dieser Schatten trägt im Zusammenhang mit den Schulneubauten den Namen „Asbest“. Ein vom Land Hessen in den 70er Jahren den Kreisen vorgegebenes Rasterbausystem, das ein flexibles Reagieren auf Veränderungen der Schulform ermöglichen sollte, erwies sich als gesundheitliche Zeitbombe und finanzieller Bumerang. Der im Zuge des Rasterbausystems aus Brandschutzgründen verwendete Baustoff Asbest begann sich nämlich im Laufe der Jahre aufzulösen und regelrecht zu zerfasern, so dass kleinste Teilchen des zwar feuerfesten aber krebserregenden Materials in der Atemluft schwebten. Bis zum Spätsommer 1990 hatte man seitens des Kreises die Asbestbelastung in den betroffenen Schulen messen lassen und war zu alarmierenden Ergebnissen gekommen: Die Luft etlicher Räume war so stark mit den giftigen Fasern durchsetzt, dass ganze Trakte der Schulen in Witzenhausen, Großalmerode und Hess. Lichtenau geschlossen werden mussten. Um die Gefährdung von Schülern, Lehrern und Personal durch Asbestfasern auszuschließen, mussten an allen Schulen des Kreises sämtliche Asbestteile entfernt und aufwändig entsorgt werden. Dies führte nicht nur zu erheblichen Beeinträchtigungen des normalen Unterrichtsbetriebes, sondern bedeutete für den Kreis auf längere Sicht auch eine derartig große finanzielle Belastung – insgesamt kann man in diesem Zusammenhang von einer Summe in Höhe von ca. 40 Mill. Euro ausgehen –, dass für weitere schulische Neubauten sowie Modernisierungs- und Erhaltungsmaßnahmen am vorhandenen Bestand nur noch begrenzte Mittel zur Verfügung standen. 58 SUCHEN UND FINDEN DER WEG DES KREISES BIS ZUM NOVEMBER 1989 06
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