Chronik Werra Meißner Kreis

Dieses politische Credo hat seitdem Bestand. So betonte Landrat Dieter Brosey (SPD) im Mai 1994 noch einmal, dass der Kreis nicht daran denke, die „bürgernahe Dienstleistung“ in Witzenhausen aufzugeben und auch Stefan Reuß, der dritte Landrat des Werra-Meißner-Kreises „zeigte Flagge“, wie die Lokalpresse titelte, und bezog im Januar 2007 ein neues Büro im alten Witzenhäuser Landratsamt. Erst zu Jahresbeginn 2014 begann die Frage einer eventuellen Aufgabe des Standortes Witzenhausen in der gerade entbrannten Diskussion um die Sanierung des Kreisdomizils im Eschweger Landgrafenschlosses wieder eine Rolle zu spielen. 249 Wie sah nun der Kreis aus, den die seit dem 1. Januar 1974 insgesamt 430 Bediensteten der Kreisverwaltung zu betreuen hatten? In den jeweils acht Städten und Gemeinden, die innerhalb der 1.031,71 km² Kreisfläche lagen, lebten zum Jahresende 1973 in 41.000 Wohnungen etwas über 123.500 Menschen, d. h. die Bevölkerungsdichte war mit 120 Einwohnern pro km² nicht besonders hoch. Den Großteil der Fläche nahmen Wald (360 km²) und landwirtschaftliche Nutzfläche (450 km²) ein. In den 146 Industriebetrieben arbeiteten 13.322 Beschäftigte, das Handwerk mit 1.582 Betrieben und die Landwirtschaft mit 4.045 Betrieben kamen mit ihren 8.120 bzw. 5.584 Beschäftigten auf nur wenig mehr Arbeitnehmer. Prägend war die Lage an der innerdeutschen Grenze: Von den 327 km Kreisgrenze waren 121 km gleichzeitig Staatsgrenze zur DDR. Diese Randlage brachte schwerwiegende Strukturnachteile mit sich, die seit 1971 mittels der sogenannten „Zonenrandförderung“, d. h. mit staatlichen Subventionen und günstigen Abschreibungsbedingungen, zumindest teilweise ausgeglichen werden sollten. Trotz einiger durchaus bemerkenswerter Ansiedlungserfolge (u. a. die Witzenhäuser Papierfabriken im Gelstertal) gestaltete sich die wirtschaftliche Lage seit Mitte der 70er Jahre zunehmend schwieriger. Die weltweite Rezession, die sich in Folge der ersten Ölkrise 1973 zur schwersten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg ausweitete und sich, bedingt durch die zweite Ölkrise 1979, noch verschärfte, schlug im strukturschwachen Werra-Meißner-Raum doppelt durch. Was folgte, waren Liquidationen, Konkurse einiger größerer Firmen und Rationalisierungsmaßnahmen, die den Werra-Meißner-Kreis damals hart getroffen haben. Obwohl alle, die in der Region Verantwortung trugen, um jeden Arbeitsplatz kämpften und jede noch so kleine Chance zu ihrer Erhaltung nutzten, verlor der Kreis bis Ende der 80er Jahre über 4.000 Arbeitsplätze. Zwar wurden, insbesondere im Dienstleistungssektor, eine ganze Reihe neuer Arbeitsplätze geschaffen, die aber bei weitem nicht ausreichten, um den Verlust der gewerblichen Arbeitsplätze auszugleichen. Die Folge war ein kontinuierlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 4 % im Jahr 1974 bis auf 11.4 % ein Jahrzehnt später. Am 11. Februar 1982 titelte die HNA: „Zahl der Arbeitslosen steigt weiter: Höchste Quote seit 1959“ und hatte am 6. März 1984 eine erneute Steigerung auf 13 % im Bezirk Witzenhausen und 14,5 % im Bereich Eschwege zu melden. Mit dieser Entwicklung einher ging ein immer begrenzter werdendes Angebot an Lehrstellen – „Suche nach Lehrstellen so schwer wie noch nie zuvor“, so eine Schlagzeile Anfang Juni 1982 – und, auch als Folge dieser Situation, ein stetiger Bevölkerungsrückgang. Die Einwohnerzahl schrumpfte in den ersten fünfzehn Jahren der Kreisgeschichte von 123.503 Einwohnern Ende 1973 auf 112.663 am 30. Juni 1989 – mithin also fast 9 %. Dabei führten die unbefriedigende Arbeitsplatzsituation und die fehlenden beruflichen Zukunftsperspektiven vor allem zur Abwanderung junger Leute, was sich zusätzlich noch negativ auf die Altersstruktur insgesamt auswirkte. Investitionen in Gesundheit und Bildung Neben der Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung – eine institutionalisierte Wirtschaftsförderung war seinerzeit noch nicht Bestandteil der Kreisaufgaben – und den hoheitlichen Aufgaben lag die politischen Schwerpunkte der Kreispolitik in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Soziales, Bauen, Umwelt- und Naturschutz, Entsorgung, Jugend und Tourismus. Die 70er Jahre waren geprägt durch große Anstrengungen im Schulbau. Hier besichtigt Landrat Eitel O. Höhne (2. v. l. ) eine der vielen Schulbaustellen jener Jahre. „Die zurückliegenden zehn Jahre“, so Landrat Höhne am 7. Januar 1984 in der Presse, „sind von den Kreisorganen genutzt worden, um die Lebensmöglichkeiten in unserem Gebiet auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weiter zu verbessern und die Infrastruktur auszubauen. Beispielhaft darf ich den Neubau des Krankenhauses in Witzenhausen und die Errichtung einer neuen Berufsschule in Eschwege nennen, die in gemeinsamer Anstrengung verwirklicht werden konnten.“ 250 Der Landrat umriss mit dieser kurzen Nennung mit den Bereichen Schule und Gesundheit jene beiden Aufgabengebiete, die in den 70er und 80er Jahren das politische Geschehen im noch jungen Werra-Meißner-Kreis maßgeblich dominierten. In Folge der Gebietsreform war der Kreis zum hauptsächlichen Träger stationärer Krankenversorgung in seinem Hoheitsgebiet 55 SUCHEN UND FINDEN  DER WEG DES KREISES BIS ZUM NOVEMBER 1989 06

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