Viele Menschen kamen mir damals mutlos vor. Dies war wiederum für jemanden, der aus Südhessen kam, wo alle vor Selbstbewusstsein strotzten und alles „machbar“ war, nicht immer verständlich.“ 244 Bürgernähe als oberstes Prinzip Damit der neue Kreis überhaupt als solcher in Erscheinung treten konnte, bedurfte es einer funktionierenden Struktur. Unter dem Motto „Aus zwei mach eins“ hatten die Verantwortlichen zwei bis dato eigenständige Verwaltungen zusammenzuführen und die Arbeit der neuen Kreisverwaltung an zwei unterschiedlichen Standorten in 30 km Entfernung zu koordinieren. Neben dem Landgrafenschloss in Eschwege, das als Dienstsitz des Landrates den Großteil der neuen Verwaltung beherbergte, blieb auch das, nun ehemalige, Landratsamt in Witzenhausen als Standort der Kreisverwaltung erhalten. Beide Standorte der neuen Kreisverwaltung hatten diese Funktion schon lange inne, wobei das Eschweger Landgrafenschloss auf eine deutlich längere Geschichte zurückblicken konnte. Erbaut ab 1386 durch Landgraf Balthasar von Thüringen , durch verschiedene hessische Landgrafen erweitert und zum Renaissance-Schloss umgebaut, wechselte die Nutzung des Gebäudes in seiner langen Geschichte mehrfach von Amts- zu Wohnsitz, um schließlich seit der Kreisreform des Jahres 1821 Sitz als Sitz der Kreisverwaltung und des Landrats zu fungieren. Bis 1891 wurde ein Gebäude in der Innenstadt von Witzenhausen als Kreishaus genutzt. Anschließend erfolgte der Umzug in das neue Gebäude in der Nähe des Nord-Bahnhofs. Das Witzenhäuser Landratsamt entstand zwischen 1889 und 1891 abseits der Altstadt auf einem parkartig angelegten Hügel in unmittelbarer Nähe der Bahnlinie Halle-Kassel. Vom damaligen Landrat Bernhard v. Schenck in Auftrag gegeben, ersetzte es das bis dato genutzte Kreishaus in der Innenstadt und erfüllt diese Funktion nunmehr bald 125 Jahre. Zwar bedeutete diese räumliche Zweiteilung der Verwaltung auch eine finanzielle Mehrbelastung des wahrlich nicht auf Rosen gebetteten Kreises, der diese aber von Anfang an wissentlich und vor allem willentlich in Kauf nahm, denn, wie es Eitel O. Höhne ausdrückte: „Demokratie und Bürgersinn bedarf der Nähe.“ 245 Das Festhalten an den räumlichen Strukturen der Verwaltung war ein nicht zu unterschätzender Bestandteil des aus heutiger Sicht doch relativ problemlosen Zusammenwachsens der beiden Kreisteile. Der Werra-Meißner-Kreis war hessenweit einer von zwei Landkreisen, die die neuen Strukturen in dieser Art und Weise handhabten. Dies schuf sehr schnell eine vertrauensvollere Atmosphäre im Umgang miteinander und nach dem ersten Jahrzehnt Kreisgeschichte zeigte sich Landrat Höhne im Januar 1984 durchaus zufrieden mit dem bis dato Erreichten. „Ich kann verstehen“, so der Landrat vor der heimischen Presse, „dass es Witzenhausen wegen der verlorenen Funktion einer Kreisstadt schwerer fallen muss, als Eschwege, sich mit dem Ergebnis anzufreunden. Gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz haben aber Positives bewirkt, so dass zwar noch nicht von einem Zusammenwachsen, aber doch von Verständnis füreinander gesprochen werden darf und im Gegensatz zu anderen Gebieten Animositäten nicht vorhanden sind.“ 246 Natürlich brachte die räumliche Zweiteilung der Kreisverwaltung auch das eine oder andere Problem mit sich. Vor allem in Witzenhausen ging periodisch wiederkehrend die Angst um, der Kreis könnte diese Konstruktion als nicht mehr sinnvoll erachten und die Außenstelle der Kreisverwaltung dauerhaft schließen. Besonders bis zur Jahrtausendwende – März 1979, April 1984, Dezember 1987, Mai 1994 und Oktober 1997, um nur einige markante Zeitpunkte zu nennen – tauchten diese Sorgen immer wieder auf und sorgten für erregte Anfragen, Resolutionen und Diskussionen. Neben den Zentralisierungswünschen der Landesregierung war es auch immer mehr die sich verschlechternde Haushaltslage des Kreises, die eine Schließung des Witzenhäuser Verwaltungsteils allein aus finanziellen Erwägungen zumindest diskussionswürdig machte. Da mochte auch die Lokalpresse nicht abseits stehen und veröffentlichte am 5. April 1984 einen Kommentar mit der Überschrift „Ungewisse Zukunft“, der fast schon wie ein Nachruf klang. „Die Zukunftsaussichten der Dienststellen im alten Landratsamt an der Nordbahnhofstraße“, heißt es da, „müssen eher pessimistisch beurteilt werden. Allerorten ist die öffentliche Verwaltung zum Sparen gezwungen – der Werra-Meißner-Kreis macht da keine Ausnahme. (…) Dass es – wenn auch mit Schwierigkeiten und zum Leidwesen der Bürger – funktioniert, machen andere nordhessische Kreise vor. Und eine halbe Million Mark zusätzliche Kosten im Jahr, die die Filiale Witzenhausen angeblich verursacht, sind kein Pappenstiel.“ 247 Die politische Leitlinie des Kreises war in dieser Frage allerdings eine andere. Schon Eitel O. Höhne betonte im März 1979 in einem mehrseitigen Papier an den Witzenhäuser Magistrat, dass er alles tun werde, um „im Interesse bürgernaher Verwaltung und zur Verhinderung von Substanzverlusten der ehemaligen Kreisstadt Witzenhausen Zentralisierungen zu vermeiden, auch wenn von anderer Seite eine Zusammenfassung aller Verwaltungszweige am Ort des Kreissitzes favorisiert werden mag.“ 248 54 SUCHEN UND FINDEN DER WEG DES KREISES BIS ZUM NOVEMBER 1989 06
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