Chronik Werra Meißner Kreis

Fast schon rührend muten in diesem Kontext hingegen die Zeilen an, die 1974 unter der Überschrift„Der Werra-Meißner-Kreis: Aufgabe und Anregung“ dem damals publizierten ersten„Wegweiser durch den Werra-Meißner-Kreis“ vorangestellt wurden. „Dieser Wegweiser durch den Werra-Meißner-Kreis“, so Professor Dr. Hanno Beck, der Autor des Vorwortes, „erhält damit die erste und große Chance, Tausenden von Menschen ihren neuen Kreis bewusst zu machen. Städte wie Witzenhausen, Wanfried und Bad Sooden-Allerndorf, Sontra und Waldkappel, Großalmerode und Hess. Lichtenau mit vielen gesegneten Dörfern gruppieren sich nun um die jetzt tausendjährige Kreisstadt Eschwege. In diesem größeren Rahmen soll die alte Heimatverbundenheit weiterleben und neue Grundlagen hinzugewinnen. Der Großkreis ist eine einzige Anregung, und jeder, der Verantwortung trägt, soll nicht nur verwalten, sondern sich auch menschlich verhalten, ja um besondere Menschlichkeit bemüht sein. (…) Möchte dieser Kreis zusammenwachsen im versöhnlichen Geist, und möchte er Achtung und Beachtung und schließlich auch etwas Liebe selbst derjenigen finden, die ihm noch abwartend gegenüberstehen.“ 243 Vermutlich auf der sogenannten Nordhessenschau in Eschwege im Jahr 1974 entstand dieses Bild einer Fotoausstellung, mit der sich der neu gegründete Werra-Meißner-Kreis den Besucherinnen und Besuchern vorstellte. Damit mag es an dieser Stelle mit dem Blick auf die anfänglichen Schwierigkeiten des neuen Landkreises genug sein. Auf politischer Ebene kehrte die Region mit der Kommunalwahl 1977 zu den Mehrheitsverhältnissen vor der Gebietsreform zurück – d. h. die SPD als „Partei der Gebietsreform“ erholte sich von ihrer Niederlage im März 1974 und erreichte mit 51,5 % der Stimmen wieder die absolute Mehrheit. Neben der vorsichtigen Überwindung der emotionalen Befindlichkeiten war nun eine ganze Menge handfeste politische Arbeit zu leisten: Schließlich mussten nicht nur zwei bislang selbständige Kreise zu einer funktionstüchtigen organisatorischen Einheit verschmolzen werden, sondern es harrten auch auf allen Ebenen ein Fülle infrastruktureller Verbesserungen ihrer Umsetzung. Wie ambivalent sich die Region damals Neubürgern darstellte, zeigt der Eindruck, den das Land zwischen Werra und Meißner auf den ehemaligen Oberurseler Stadtkämmerer und nunmehrigen Vize-Landrat Theodor Leyhe und dessen Familie machte: „Während in Südhessen die Diskussion um Umweltprobleme voll entbrannt war, wohnten wir nun inmitten einer reizvollen, heilen Landschaft. In Städten und Dörfern hatte man überkommene Bausubstanz bewahrt. Hektik und sogenannter „Fortschritt“ hatten diese Region noch nicht besetzt. Wir begegneten arbeitssamen, verlässlichen und freundlichen Menschen, deren „Nachteile“, wie ein Professor es ausführte, Reichstreue und Heimattreue waren. Das große„Aber“ fiel uns sofort auf. Die private und öffentliche Armut waren nicht zu übersehen. (…) Die unselige Teilung Deutschlands hatte zwar einen Grenzübergang in Herleshausen übrig gelassen, aber ansonsten gewachsene Verbindungen im Bereich des Verkehrs, des Handels, des Arbeitskräfteaustausches und der familiären Beziehungen zerstört. Auch wenn die Natur die Wunde häufig überwucherte, Mitte der 70er Jahre präsentierte sich die Innerdeutsche Grenze als technisch perfektionierte Todesfalle, die auch wirtschaftlich lähmende Folgen hatte. 53 SUCHEN UND FINDEN  DER WEG DES KREISES BIS ZUM NOVEMBER 1989 06

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