Suchen und Finden – der Weg des Kreises bis zum November 1989 Autor: Matthias Roeper Auch wenn fünf Jahrzehnte in der Existenz politischer Gebilde eine eher geringe Zeitspanne darstellen, so beinhalten sie bei näherer Betrachtung dennoch eine schier unglaubliche Fülle an Ereignissen, Personen und Persönlichkeiten, lokalen, regionalen und übergeordneten Entwicklungslinien, politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen sowie einen rasanten wissenschaftlich-technischen Fortschritt. All dies hier ausführlich zu dokumentieren, ist weder der Anspruch noch kann es die Aufgabe einer solchen Chronik sein. Allerdings wird eine Darstellung der Geschichte unseres Kreises immer auch das regionale Blickfeld erweitern müssen, um sich nicht im Dickicht des Lokalgestrüpps zu verlieren. Im Fall des Werra-Meißner-Kreises macht dies allein seine geographische Lage an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze zwingend erforderlich – zu stark prägten die damit verbundenen politischen wie wirtschaftlichen Besonderheiten die Entwicklung der Region und wirken bis heute nach. Dabei macht es Sinn, den Gang der Dinge zu strukturieren und die vergangenen vierzig Jahre unter übergeordneten Blickwinkeln zu betrachten. Die wohl nachhaltigste Zäsur in der noch kurzen Kreisgeschichte bildete zweifellos die Deutsche Einheit, die mit den Ereignissen des November 1989 ihren Anfang nahm und die Situation des Werra-Meißner-Kreises von Grund auf veränderte. „Als wesentlichstes und freudigstes Ereignis“, wie es der langjährige Erste Kreisbeigeordnete und Vize-Landrat Theodor Leyhe im Jubiläumsbuch zum 25. Geburtstag des Werra-MeißnerKreises im Jahr 1999 formulierte, „in den 25 Jahren ist aus meiner Sicht die Grenzöffnung anzusehen. (…) Wichtig ist, dass wir nicht mehr am Rande des freien Europas, sondern im Herzen Deutschlands und eines späteren neuen Europas liegen.“ 239 So ist es sicher berechtigt, die fünfzig Jahre Kreisgeschichte in drei Phasen einzuteilen: Jene fünfzehn Jahre vor dem 9. November 1989 und die Zeit die seit dem ins Land gegangen ist vor bzw. nach der Corona-Pandemie (11.3.2020–5.5.2023). Schwere Geburt – holpriger Start Am 31. Dezember 1974 hatte das neue politische Gebilde, das unter vielen Geburtswehen das Licht der Welt erblickt hatte, das erste Jahr geschafft und es hieß zum ersten Mal Bilanz zu ziehen. Diese fiel bei fast allen Akteuren auf der politischen Bühne ebenso verhalten aus, wie bei den Menschen von Herleshausen bis Ziegenhagen. „Ein Kreis, der noch keiner ist“, titelte die HNA und der aus Hess. Lichtenau stammende Kreistagsvorsitzende Horst Römisch (SPD) sinnierte: „… vielleicht waren wir alle zu recht nicht so begeistert.“ 240 Obwohl die Vorbehalte gegen das neue Gebilde im Altkreis Witzenhausen sicher größer waren als bei den Eschweger Nachbarn – immerhin wanderte der Hauptsitz des neuen Kreises nach Eschwege, das KFZ-Nummernschild WIZ verschwand und das ungeliebte neue Kennzeichen ESW stand bei vielen aus dem Altkreis Witzenhausen für „Eschwege schluckt Witzenhausen“ – gab es auch dort nicht nur Zustimmung. 51 06
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