Chronik Werra Meißner Kreis

In der Folgezeit gab es weitere freiwillige Zusammenschlüsse auf gemeindlicher Ebene, die dann allerdings schon durch die neuen Vorgaben aus Wiesbaden geprägt waren. Auch kam es zu weiteren Grenzveränderungen auf Landkreisebene. So im Jahr 1971, als die Gemeinde Stolzhausen vom Gebiet des Landkreises Melsungen zum Landkreis Eschwege wechselte. Das folgende Jahr 1972 brachte dann für den Landkreis Witzenhausen einen Gebietstausch. Die Gemeinde Sankt Ottilien verließ das Kreisgebiet zum neu gebildeten Landkreis Kassel, dafür wurde der Teil des Gutsbezirkes Kaufunger Wald, der bisher zum Landkreis Kassel gehörte, dem Landkreis Witzenhausen zugeschlagen. Eine bedeutende Veränderung erfuhr in diesem Jahr auch der Landkreis Eschwege, dem im Zusammenhang mit der Neugliederung des Landkreises Hersfeld-Rotenburg die Stadt Sontra mit all ihren Ortsteilen angegliedert wurde. Auf Kreisebene rückte ein Zusammengehen der beiden Nachbarkreise Eschwege und Witzenhausen immer stärker in den Focus der Planspiele, denn durch die Gründung der neuen Landkreise Kassel und Hersfeld-Rotenburg wurde diese Option immer wahrscheinlicher. Dies lag auch im Interesse des Landes, das bereits im Mai 1971 vorgeschlagen hatte, einen Zusammenschluss unter dem Namen Werrakreis anzustreben. Bestätigt wurde diese Linie schließlich durch noch konkretere Planungen vom November 1972. 232 Vom Werrakreis zum Werra-Meißner-Kreis Insbesondere im Kreis Witzenhausen traf dieser Vorschlag eines gemeinsamen Kreisgebietes mit dem Landkreis Eschwege auf erhebliche Widerstände. Zum einen war bei dieser Variante klar, dass die Stadt Witzenhausen den Rang als Kreisstadt an das größere und obendrein viel zentraler gelegene Eschwege verlieren würde, und zum anderen gab es – insbesondere aus dem Raum Hessisch Lichtenau – starke Tendenzen in Richtung Zusammenschluss mit dem Raum Kassel bzw. Melsungen. Ziel dieser Bestrebungen war die Bildung eines Werra-FuldaKreises unter Einbeziehung der drei Landkreise Melsungen, Witzenhausen und Eschwege. So beauftragte der Kreistag des Landkreises Witzenhausen eine Verhandlungsdelegation, Gespräche mit dem Landkreis Melsungen aufzunehmen und parallel mit den Partnern in Eschwege zu sprechen. 233 Schon bald stellte sich jedoch heraus, dass man mit den Avancen beim Wunschpartner Melsungen auf wenig Interesse stieß, woran auch die damals im Raum stehende Idee, Hess. Lichtenau zum Sitz der neuen Kreisverwaltung zu machen, nichts änderte. Der Vorsitzende des Witzenhäuser Kreistages Heinz Jünemann konnte dementsprechend als Ergebnis der Verhandlungen nur berichten, dass aus Melsunger Sicht „keinerlei Verbindungen zum Raum Eschwege bestehen“ und man sich, auch im Sinne des Landes, schon anderweitig orientiert habe und die Ehe mit den Kreisen Fritzlar-Homberg und Ziegenhain zum Schwalm-Eder-Kreis anbahnt. Ebenso signalisierte der Kreis Eschwege „kein Interesse“ an einer solchen Dreierfusion. 234 In dieser Situation blieb sowohl Eschwege als auch Witzenhausen mit der Bildung eines gemeinsamen Kreises nur noch der vom Land vorgezeichnete Weg. Insbesondere im Raum Hessisch Lichtenau tat man sich damit schwer. Die gefühlte und tatsächliche größere Nähe zum Oberzentrum Kassel ließ den Wunsch aufkommen, sich im Lossetal gen Westen zu orientieren. Doch das Land sah auch hier eine große Lösung durch die Eingemeindung aller umliegenden Gemeinden zur Stadt Hessisch Lichtenau vor. Ein Ausscheiden der so gewachsenen Stadt Hessisch Lichtenau aus dem zu gründenden Werrakreis lehnte das Land – mit Hinweis auf die notwendige„strukturelle Stärkung des Zonenrandgebietes trotz der im Vergleich zu den anderen Mittelbereichen des Kreises stärker ausgeprägten Beziehungen zum Raum Kassel“ – ab. 235 So galt es, gerade im westlichen Kreisgebiet, viele Gegner der Reform für das Projekt des neuen Kreises zu gewinnen. Um die zum Teil großen Widerstände gegen die Folgen der Gebietsreform heute verstehen zu können, muss man die unterschiedlichen Ausgangssituationen in den verschiedenen Kreisteilen berücksichtigen. Für den Kreis Eschwege gab es aufgrund der Grenzlage beim Beginn des Reformprozesses nur zwei Optionen: Entweder eine Orientierung gen Süden zum angrenzenden Landkreis Rotenburg oder nach Westen zum Landkreis Witzenhausen. Die Kreisstadt Eschwege war wegen der großen Entfernung zum hessischen Oberzentrum Kassel und dem niedersächsischen Göttingen ein wichtiger Wirtschafts- und Verwaltungsschwerpunkt, der für den Landkreis alle zentralörtlichen Funktionen erfüllte. Der Kreis Witzenhausen hingegen war in einer anderen Situation. Die Kreisstadt Witzenhausen lag am nördlichen Rand des Kreises und hatte eine deutlich größere Nähe zum Oberzentrum Kassel und noch stärker zu Göttingen. Der am westlichen Rand liegende Raum Großalmerode und Hessisch Lichtenau wiederum besaß traditionell starke Verbindungen in den Kasseler Raum. So waren die Erwartungen innerhalb des Landkreises Witzenhausen bezüglich des neuen Kreiszuschnittes eher westorientiert. Der Blick des Landes auf den nordosthessischen Raum wiederum war von übergeordneten Überlegungen geprägt. Mit einer Broschüre informierten der Landkreis Eschwege und die Stadt Sontra sowie die Kreisstadt Eschwege über die Planungen zum Werrakreis unter Einschluss der Stadt Sontra aus dem damaligen Landkreis Rotenburg. 44 DIE UNGELIEBTE REFORM  VON FRÜHEN EHEN UND ZURÜCKGEWIESENEN AVANCEN 05

RkJQdWJsaXNoZXIy MTcxNzc3MQ==