Mitte der fünfziger Jahre normalisierte sich das Leben und der Neuaufbau der Verwaltung war vorerst abgeschlossen. Sehr übersichtlich zeigt sich trotzdem noch das Telefonverzeichnis der Kreisverwaltung in Eschwege. Die andere Kreisstadt Witzenhausen, der seit 1965 im „Großen Hessenplan“ die Funktion eines „gewerblichen Schwerpunktortes sowie einer Wohn- u. Fremdenverkehrsgemeinde“ zugedacht worden war, erhielt zudem als Bundesausbau und Sonderförderungsort seit Ende der 60er Jahre erhebliche Mittel zur Strukturverbesserung und Schaffung von Arbeitsplätzen. „Einen breiten Raum“, lautete bereits die zentrale Aussage des Verwaltungsberichtes der Stadt für die Jahre 1964–1968, „haben alle Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung eingenommen. Hier stand an erster Stelle die Stützung der heimischen Wirtschaft.“ Dies galt natürlich nicht nur für die beiden Kreisstädte, sondern auch für die gesamte Region, die als Kompensation für die aus der Randlage resultierenden strukturellen Nachteile seit 1971 von der Bundesregierung die sogenannte „Zonenrandförderung“ erhielt. Mit Subventionen und günstigen Abschreibungsbedingungen in Verbindung mit einem vergleichsweise niedrigen Lohnniveau sollten die Standortattraktivität verbessert und Investitionsanreize geschaffen werden. So ließ sich seit Mitte der 60er auch im strukturschwachen Zonenrandgebiet endlich von Vollbeschäftigung sprechen und bald musste im Land an Werra und Meißner, um den Produktionsprozess aufrecht zu erhalten, verstärkt auf sogenannte „Gastarbeiter“ aus Südeuropa zurückgegriffen werden. Insbesondere wurden diese Arbeitnehmer in der Zigarrenindustrie benötigt, die, neben Möbel, Textil und Papierherstellung, den industriellen Kern im Raum Witzenhausen bildete. Zusammen mit der Ton-, Schamotte- und Schmelztiegelherstellung im Raum Großalmerode, dem Braukohlebergbau am Hirschberg und auf dem Meißner, der Textil- und Möbelherstellung in Hess. Lichtenau und den vielfältigen kleineren Handwerks- und Gewerbetrieben waren Ende der 60er etwa 20.000 Menschen – mehr als ein Drittel der Einwohner des Kreises – in Industrie und Gewerbe beschäftigt. Deutlich weniger industrialisiert war der Kreis Eschwege, dessen gewerblicher Schwerpunkt im Bereich der Metallindustrie lag. Hinzu kamen Textilbetriebe, pharmazeutische Industrie, Steine und Erden, Bauindustrie, Schmelztiegel sowie Betriebe im Bereich Nahrungs- und Genussmittel. Insgesamt waren damals rund 12.000 Arbeiternehmer in der Industrie und noch einmal ca. 5.000 in rund 1.000 Handwerksbetrieben beschäftigt. Ministerpräsident Georg-August Zinn (l.), hier im Gespräch mit Landrat Eitel O. Höhne, war Vater des„Großen Hessenplanes“ mit dessen Hilfe die wirtschaftliche und soziale Situation – gerade auch in den von der Zonengrenze betroffenen Regionen Hessens – verbessert werden sollte. Einen wesentlich höheren Stellenwert als heute besaß damals die Landwirtschaft, die, zumindest im Landkreis Eschwege, einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellte. Laut einer Statistik aus dem Jahr 1966 umfasste der Kreis Eschwege insgesamt eine Fläche von 50.000 ha, von denen 24.000 ha landwirtschaftlich und 18.000 ha forstwirtschaftlich genutzt wurden. Die Struktur war kleinteilig und von den rund 3.900 Betrieben bewirtschafteten etwas mehr als 2.700 eine Betriebsfläche von maximal fünf Hektar. Nur rund 1.000 Betriebe hatten bis zu zwanzig Hektar und lediglich 20–50 ha unterm Pflug. Ganze 33 Landwirte nannten im Kreis Eschwege fünfzig Hektar und mehr ihr eigen – die von ihnen genutzten rund 4.100 ha waren allerdings fast ebenso groß wie die Fläche der 2.700 Kleinbauern und Nebenerwerbslandwirte. Ähnlich strukturiert war die Landwirtschaft im Kreis Witzenhausen, wo fünfzehn landwirtschaftliche Großbetriebe über 54 % der Anbaufläche verfügten. Die anderen 46 % der Fläche wurden von 90 % der Betriebe bewirtschaftet, und dies in der Regel im Nebenerwerb. Größere Bedeutung besaß im Kreis Witzenhausen noch der Obstbau – insbesondere der Kirschenanbau wurde in den 60er und 70er Jahren im Werratal deutlich intensiviert. Zukunftsträchtig erschien in beiden Landkreisen der Ausbau des Fremdenverkehrs, der sowohl über die Schiene örtlicher Heimat- und Verkehrsvereine als auch durch kreisweite Zusammenschlüsse wie dem 1961 gegründeten Fremdenverkehrsverein „Werra-Meißner-Kaufunger-Wald e.V.“ vorangetrieben wurde. 38 VON DER STUNDE„NULL“ ZUR GEBIETSREFORM 04
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