Chronik Werra Meißner Kreis

Autor: Matthias Roeper „Gebt mir zwölf Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wieder erkennen“, hatte Adolf Hitler in einer seiner Sportpalastreden Anfang 1933 verkündet. Und in der Tat, nach dem 8. Mai, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches, war das Land nicht mehr wiederzuerkennen. Gemäß den Vereinbarungen, die die Anti-Hitler-Koalition am 11. Februar 1945 auf der Halbinsel Krim getroffen hatte, wurde das Deutsche Reich in vier Besatzungszonen aufgeteilt und die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie unter russische und polnische Verwaltung gestellt. Nach den Ereignissen des letzten Kriegswochen gehörte das heutige Kreisgebiet zur amerikanischen Zone und das erste Plakat, das in den Rathäusern und Häuserwänden zwischen Herleshausen und Ziegenhagen erschien, war die berühmte „Proklamation Nr.1“ Dwight D. Eisenhowers, deren entscheidende Passage die Zukunft der bisherigen Machthaber betraf: „Wir kommen als ein siegreiches Heer, jedoch nicht als Unterdrücker. In dem deutschen Gebiet, das von den Streitkräften unter meinem Oberbefehl besetzt ist, werden wir den Nationalsozialismus und den deutschen Militarismus vernichten, die Herrschaft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei beseitigen, die NSDAP auflösen sowie die grausamen, harten und ungerechten Rechtssätze, die von der NSDAP geschaffen worden sind, aufheben.“ 220 Weiterhin wurde der Bevölkerung mitgeteilt, dass die Ausgangsbeschränkung von 19 bis 6 Uhr festgesetzt sei. In dieser Zeit durften Zivilisten, ausgenommen Ärzte und Angehörige ähnlicher Berufe, ihre Häuser nicht verlassen. Darüber hinaus durfte sich niemand aus dem jeweiligen Gemeindegebiet weiter als sechs Kilometer entfernen, es sei denn, er besaß einen Passierschein. Eisenbahnen – so sie denn überhaupt fuhren – und Privatfahrzeuge durften ohne besondere Erlaubnis nicht benutzt werden, Ansammlungen von mehr als fünf Personen waren verboten. Am 21. Mai 1945 wurden Wolfgang Hartdegen und Fritz v. Coelln, letzterer seit Mitte April Bürgermeister der Kreisstadt Witzenhausen, von der alliierten Militärregierung zu den ersten Nachkriegslandräten der damaligen Kreise Eschwege und Witzenhausen berufen – das „normale“ Leben lief wieder an, die Konturen des Kommenden begannen sich abzuzeichnen. Gemeinsam mit vielen anderen überall im Land, die, wenn sie auch nicht ausgewiesene Gegner der Nationalsozialisten gewesen waren, doch zumindest den Verlockungen der NS-Partei widerstanden hatten, gingen diese Männer und Frauen der ersten Stunde an die Errichtung eines demokratischen Staatswesens und den Wiederaufbau. Es war ein Wiederaufbau mit vielen Fragezeichen, der zudem von den Siegermächten – auch den Westalliierten – anfangs mit erheblichem Argwohn beobachtet und keineswegs immer nur unterstützt wurde. Und es war ein Wiederaufbau, der alle noch vorhandenen Kräfte der Besiegten bis zum Äußersten beanspruchte und die, die sich engagierten, vor fast unlösbare Probleme stellte. Deutschland, aufgeteilt in vier voneinander streng getrennte Zonen, in die hinein und aus denen heraus niemand ohne Passierschein kam; Deutschland, ohne einheitliche staatliche Verwaltung und Regierung, ohne Güter- und Personenverkehr, Von der Stunde„Null“ zur Gebietsreform 31 04

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