Chronik Werra Meißner Kreis

Nachdem seit dem März 2021 nun auch noch die rechtspopulistische AfD mit 5,21 % und drei Sitzen im Kreistag vertreten ist – noch 2016 war der Werra-Meißner-Kreis der einzige Landkreis in Hessen, in dem die AfD nicht zu den Wahlen angetreten war – verteilen sich die 61 Parlamentssitze aktuell auf sieben Parteien bzw. Wählergruppen: SPD (32,79 % / 20 Sitze), CDU (30,41 % / 19 Sitze), GRÜNE (13,21 % / 8 Sitze), Freie Wähler (10,32 % / 6 Sitze), AfD (5,21 % / 3 Sitze), Linke 4,06 % / 3 Sitze) und FDP ( 4,00 % / 2 Sitze). Parlamentssitzungen fanden im Jahr 2021 unter Pandemiebedingungen mit Abstandsgebot und Maskenpflicht bzw. – empfehlung statt. Je differenzierter der Wählerwille das Parlament gestaltete, desto komplizierter wurde der Findungsprozess für eine arbeitsfähige Regierungskoalition, denn die Zeiten von SPD- Alleinregierungen bzw. Sozialliberalen oder rot-grünen Zweierkoalitionen gehörten seit 2016 sichtbar der Vergangenheit an. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise war seinerzeit die rot-grüne Koalition abgewählt worden und an ihre Stelle trat – zum ersten Mal in der Kreisgeschichte – ein Dreierbündnis bestehend aus SPD, Grünen und der FDP. Fast ist man an dieser Stelle geneigt, diese „Ampel“ 385 im Werra-Meißner-Kreis als Blaupause für die spätere Ampelregierung auf Bundesebene zu bezeichnen, wobei sich allerdings die Regierungsarbeit der „kleinen“ Ampel auf Kreisebene in der folgenden Legislaturperiode deutlich geräuschloser und effektiver gestaltete als das ihrer„großen“ Nachfolgerin auf Bundesebene. Fand die Kommunalwahl 2016 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise statt, so stand der Urnengang fünf Jahre später im Zeichen der Pandemie, was sicher auch den seit 2016 exorbitant gestiegenen Anteil der Briefwähler von 14 % auf 33 % der Wahlberechtigten erklärt. Seit in Hessen bei der Wahl neuer Kommunalparlamente das Prinzip von Kumulieren und Panaschieren angewandt wird, sind diese Stimmabgaben zu einer komplexen, im Extremfall sogar höchst zeitaufwendigen Angelegenheit geworden. Wenn man z. B. für den Kreistag jede Stimme einzeln vergibt, was nach dem Wahlrecht durchaus möglich ist, müssen 61 Kreuzchen gesetzt werden – ohne die darüber hinaus zu Stimmen für Stadtparlamente, Ortsbeiräte etc. Im März 2021 hatten sich den 81.000 Wahlberechtigten im Werra-Meißner-Kreis insgesamt 1.538 Bewerberinnen und Bewerber um die Sitze in Ortsbeiräten, Stadtparlamenten, Gemeindevertretungen und Kreistag zur Wahl gestellt. Allein bei der Kreistagswahl wurden 2.484.096 gültige Stimmen kumuliert und panaschiert, deren Auszählung mehrere Tage in Anspruch nahm und mit denen dann letztlich die seit 2016 regierende Ampel zwar knapp, aber dennoch abgewählt wurde. Was folgte, war ein neues Konstrukt, nämlich eine sogenannte „Kooperationsvereinbarung“ von SPD und Grünen mit der Partei Die Linke, die unterhalb der Schwelle einer formalen Koalition für eine regierungsfähige Mehrheit im Kreistag sorgen sollte. Dieses Konstrukt hatte allerdings nur eineinhalb Jahre Bestand, um dann, bedingt auch durch Turbulenzen um die Wahl des neuen Ersten Kreisbeigeordneten, im Januar 2023 von der ersten „Großen Koalition“ auf Kreisebene abgelöst zu werden. Ein Bündnis von SPD und CDU war für den WerraMeißner-Kreis etwas so grundlegend Neues, dass es für viele ziemlich überraschend kam. Beide Partner setzten damit, wie es ein Pressekommentar formulierte, „auf Verlässlichkeit statt Luftschlösser“ 386 und präsentierten in ihrem 10-seitigen Koalitionsvertrag Anfang Januar 2023 elf Themenfelder, mit denen sie den Kreis fit für die Zukunft machen wollen. 387 Nachdem Landrat Stefan Reuß Mitte März 2017 seine erneute Kandidatur für das höchste Amt im Landkreis öffentlich gemacht hatte, war die für den 24. September zusammen mit der Bundestagswahl angesetzte Wahlentscheidung eigentlich nur noch Formsache. Seit dem 6. Juni 2006 im Amt, hatte sich der Landrat durch sein überaus erfolgreiches Wirken über alle Parteigrenzen hinweg eine solche Reputation erarbeitet, dass keine der im Kreistag vertretenen Parteien auf den Gedanken kam, einen Gegenkandidaten aufzustellen. Bei einer – bedingt durch die gleichzeitig stattfindende Bundestagswahl – hohen Wahlbeteiligung von 73,8 % erreichte er dann auch mit 83,8 % Zustimmung ein absolutes Traumergebnis, das seine 78 % aus dem Jahr 2012 noch einmal deutlich übertraf. 388 Nachdem am 6. November auch der 1. Beigeordnete Dr. Rainer Wallmann vom Kreistag für eine zweite Amtszeit gewählt wurde, konnte die Presse titeln, dass „Reuß und Wallmann ( …) für weitere sechs Jahre den Werra-Meißner-Kreis (…) vertreten“. 389 Was damals niemand ahnen konnte: Beide verließen vor dem Ende ihrer Amtszeit die Kreisverwaltung – Landrat Stefan Reuß wurde am 30. Juni 2021 mit Wirkung zum 1. Januar 2022 zum Präsidenten des Hessischen Sparkassen- und Giroverbandes gewählt und der Erste Beigeordnete Dr. Rainer Wallmann wechselte im Herbst 2022 als Geschäftsführer des kommunalen Abfallentsorgungsunternehmens EDG nach Dortmund. 115 FLUCHT, PANDEMIE UND KRIEG  DEKADE DER HERAUSFORDERUNGEN 10

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