Ausbleibender Getreideexport aus der Ukraine ließ nicht nur eine Hungersnot in den ärmsten Ländern der Welt befürchten, sondern auch die Preise für heimische Backwaren deutlich ansteigen. Die teils exorbitanten Preissteigerungen beschränkten sich aber nicht auf Brot und Co., sondern zogen sich durch alle Branchen, verschärft noch durch die plötzlich unterbrochenen Lieferketten und fehlendes Material für die meisten handwerklichen Gewerke. Den Sommer über beherrschte vor allem die Sorge über die Entwicklung von Gas- und Ölpreisen die Szenerie. Um die ganze Dramatik dieser Entwicklung zu demonstrieren, genügt der Blick auf die Preise bei handelsüblichem Heizöl im Zeitraum September 2021 bis Oktober 2022. Am 9. September 2021 kosteten im Werra-Meißner-Kreis 2.840 Liter Heizöl 1.941 Euro, am 22. Oktober 2022 die gleiche Menge 4.462 Euro – mithin also eine Preissteigerung von 2.521 Euro oder sage und schreibe 130 %. Preistafel einer Tankstelle im Kreisgebiet aus dem Jahr 2024. Die Preise haben sich nun auf diesem Level eingependelt. Aktuell hat sich der Preis bei knapp 2.800 Euro eingependelt, zwar deutlich unter den Höchstständen vom Herbst 2022, aber immer noch um 900 Euro oder rund 46 % höher als vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges. 384 Ähnlich gestaltete sich die Entwicklung beim Gaspreis, hier noch verschärft durch die staatliche Einführung einer „Beschaffungsumlage“, mit der die Gasversorgung im Winter sichergestellt werden sollte und die die Stadtwerke vor Ort ad hoc umzusetzen hatten. Zwar wurde diese Umlage als „Spitze des Eisberges“ relativ schnell wieder kassiert, aber die Gaspreise blieben ebenso wie die Heizölpreise extrem hoch und waren dadurch Treiber einer inflationären Entwicklung, wie sie Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erlebt hatte. Wie sehr sich unsere Lebenshaltungskosten auf allen Ebenen seitdem verteuert haben, erleben wir jeden Tag beim Einkauf und alle staatlichen Ausgleichsmaßnahmen inkl. der Tarifabschlüsse mit höheren Entgelten für die Beschäftigten machen die finanzpolitische Situation nicht besser – was das letztlich auch für die Kreisfinanzen bedeutet, davon an anderer Stelle mehr. Insgesamt waren und sind die Herausforderungen groß. Die Bilanz für den Kreis nach dem ersten Jahr Ukraine-Krieg las sich Ende Februar 2023 auf allen Ebenen wie folgt: Die größte registrierte Zahl an Flüchtlingen lag bei 1.049, überwiegend Frauen und Kinder, die allermeisten von ihnen versorgt durch ehrenamtlich Aktive wie „Eschwege hilft“, die Tafeln in Eschwege und Witzenhausen bzw. die „Arche“ in Hessisch Lichtenau. Der Kreis stellte 750.000 Euro für die Versorgung der Flüchtlinge im Haushalt für 2023 bereit, der Arbeitsmarkt hatte vorübergehend mit einer steigenden Zahl an Arbeitslosen, dem sogenannten „Ukraine-Effekt“, zu kämpfen und die Schulen mussten hunderte ukrainischer Kinder sowohl unterrichten als auch integrieren. Nichts ist so beständig wie der Wandel Vieles hat sich in der Dekade seit 2014 gewandelt. Dies geschah – wie geschildert – hauptsächlich im Kontext globaler Zusammenhänge und Ereignisse, auf die die Menschen im Werra-Meißner-Kreis keinen Einfluss hatten. Aber auch der Kreis selbst hat sich deutlich verändert, vor allem auch im Hinblick auf seine politischen Kräfteverhältnisse. Bereits seit den Kommunalwahlen des Jahres 2011 waren mit SPD, CDU, FDP, den Grünen, der Linken sowie der FWG fünf Parteien und eine Wählergruppe im Kreistag vertreten – ein Jahrzehnt später wurde diese Meinungsvielfalt noch einmal durch die AfD erweitert. Hatten sich bis einschließlich 2016 die Sozialdemokraten mit Stimmenanteilen jenseits der 40 %-Marke immer mit mehr oder weniger deutlichem Abstand als stärkste politische Kraft im Kreis behaupten können, so ist diese Stellung mit der Kommunalwahl 2021 deutlich ins Wanken geraten. Diese Erosion begann bereits im März 2016 und setzte sich fünf Jahre später ungebremst fort. Von 44,1 % im Jahre 2011 über 41,8 % in 2016 bis hin zu 32,8 % bei der bislang letzten Kommunalwahl im März 2021 ging es für die SPD rapide abwärts, ohne dass die CDU als größte Oppositionspartei nachhaltig davon profitieren konnte. Ihr Stimmenanteil bewegte sich wie festgezurrt in einer Range zwischen 30 % und 31 %. Auch wenn es für die Christdemokraten ein Trost sein mag, nach jahrzehntelangem deutlichem Abstand nunmehr in der Wählergunst mit der SPD fast gleichauf zu liegen, so zeigen doch die Ergebnisse der beiden großen Parteien, dass es auch im Werra-Meißner-Kreis für die Volksparteien zunehmend schwerer geworden ist, der Zerfaserung des Parteienspek- trums wirksam entgegenzutreten. 114 FLUCHT, PANDEMIE UND KRIEG DEKADE DER HERAUSFORDERUNGEN 10
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