Chronik Werra Meißner Kreis

Das öffentliche Leben war immer noch strengen Regeln unterworfen. Darunter fiel z. B. Alkoholverbot an belebten Orten und Plätzen, verbunden mit der allgegenwärtigen Maskenpflicht in den Fußgängerzonen. Für Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen sowie in Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen wie Sportplätzen, Fitnessstudios, Kinos, Theatern und bei touristischen Übernachtungen galt in Innenräumen die Regel 2G+ und außen die Regel 2G. 383 Ab April wurden dann alle Masken- und Abstandspflichten aufgehoben, worauf die Inzidenz im Landkreis geradezu explosionsartig auf 1.781 stieg und Mitte Juli nahm der Werra- Meißner-Kreis mit wöchentlich fast 2.300 Neuinfektionen dann die absolute bundesweite Spitzenposition in der 7-Tage- Inzidenz ein. Aber der Anteil der Infizierten, für die ein Krankenhausaufenthalt notwendig war, tendierte ebenso wie die Sterblichkeitsrate mittlerweile gegen Null – das Virus hatte eindeutig seinen Schrecken verloren. Bis zum Jahresende 2023 hatten sich im Kreisgebiet 43.698 Menschen mit Corona infiziert, 250 von ihnen waren verstorben. Die Pandemie war also überwunden und das gewohnte Leben nahm wieder Fahrt auf. Ganz besonders galt dies für die sommerlichen Großveranstaltungen im Kreis, die in den Pandemie-Jahren, wenn überhaupt, ein digitales Kümmerdasein fristeten. Nun aber stiegen sowohl die heimischen Traditionsfeste als auch die Musikfestivals wie das Open Flair in Eschwege oder der„SoundGarten“ in Bad Sooden-Allendorf gleich dem sagenhaften Feuervogel Phönix größer und schöner aus der Asche der Pandemie und die Menschen feierten ausgelassen und voller Freude. Und plötzlich ist Krieg Aber der Sieg über die Pandemie war nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen stand ein Wort, das die Europäer für ihren Kontinent eigentlich aus dem Sprachgebrauch gestrichen hatten: Krieg. Am 24. Februar 2022, mitten in der letzten großen Corona-Welle, überfiel der russische Diktator Wladimir Putin das Nachbarland Ukraine. Seit diesem Datum ist die Welt eine andere. Von Bundeskanzler Olaf Scholz in einer großen Rede vor dem Bundestag zu Recht als „Zeitenwende“ bezeichnet, hat dieser Überfall alle Blütenträume eines friedlich zusammenwachsenden Europas jäh platzen lassen und niemand – auch nicht die Menschen im weit entfernten Werra-Meißner-Kreis – konnte sich den Folgen der von Russland so bezeichneten „Militärischen Spezialoperation“ entziehen. Überall im Kreis lösten die Geschehnisse große Betroffenheit aus und das in allen Lebensbereichen. So ließen die evangelischen Kirchen zunächst täglich um 12 Uhr die Kirchenglocken für den Frieden läuten, nahmen viele Menschen an Friedensgebeten und Andachten teil, äußerten die Bürgermeister der Städte und Gemeinden unisono ihre Bestürzung über den Krieg an sich und die propagandistisch vorgeschobenen Gründe des Überfalls. Schon wenige Tage nach Kriegsausbruch erreichten die ersten Flüchtlinge das Kreisgebiet. Zuerst kamen die, die hier Bekannte oder Verwandte hatten. Aber schon bald sorgte die große Hilfsbereitschaft dafür, dass Flüchtlinge von der Grenze abgeholt wurden, um ihnen hier Schutz und Sicherheit zu geben. Nur knapp einen Monat nach dem Überfall hielten sich bereits 630 Menschen aus der Ukraine offiziell im Kreisgebiet auf, wobei die eigentliche Zahl sicher deutlich höher lag. Das stellte die Behörden vor erhebliche Probleme, denn die in Privathaushalten lebenden Ukrainer waren mitunter als Touristen eingereist, besaßen dadurch keinen offiziellen Flüchtlingsstatus und kamen somit auch nicht in den Genuss staatlicher Hilfen. Dies wiederum führte anfangs zu Verwirrung und Frust unter den Betroffenen und ihren einheimischen Helfern. Von Amts wegen wurde aber alles getan, um dieses Problem in den Griff zu bekommen, was etwa fünf Wochen nach Kriegsausbruch und dem Überwinden diverser bürokratischer Hürden auch gelang und so unkomplizierter Hilfe nichts mehr im Wege stand. Schnell wurde klar, dass sich die Lage in der Ukraine in absehbarer Zeit nicht normalisieren würde, und der von vielen so sehr erhoffte „status quo ante“ lag – und liegt beim Verfassen dieser Zeilen immer noch – in weiter Ferne. Dies spürten die Menschen allenthalben und eine gewaltige Welle der Hilfsbereitschaft rollte durch den Kreis und zahllose Menschen waren bestrebt, den Überfallenen so gut es ging zu helfen. Schon wenige Tage nach dem Beginn des russischen Angriffs rollten die ersten Konvois voll bepackt mit Kleidung, Möbeln inkl. einem ganzen LKW voller medizinischer Güter aus den Beständen der orthopädischen Klinik in Hessisch Lichtenau Richtung ukrainischer Grenze. Sehr engagiert waren dabei u.a. die Jugendbildungsstätte auf dem Ludwigstein, das THW, viele Privatpersonen und vor allem auch die Initiative „Eschwege hilft“, die unzählige Tonnen Material an die ukrainische Grenze und darüber hinaus brachten. Hier vor Ort ging es vor allem darum, die wachsende Zahl der Kriegsflüchtlinge unterzubringen. Dazu sammelte die Kreisverwaltung Angebote für Wohnraum und Unterkünfte, liefen Spenden- und Sammelaktionen wie z. B. bei der Jahreshauptversammlung der TSG Bad Sooden-Allendorf im Mai 2022, deren Teilnehmer 3.000 Euro aus dem Vereinsvermögen spendeten. Viele andere Vereine, Verbände und Institutionen stellten ähnliche Aktionen auf die Beine und versuchten damit, das Schicksal der Betroffenen ein wenig erträglicher zu gestalten. Darüber hinaus zeigte sich aber sehr schnell, dass der UkraineKrieg auch erhebliche Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen vor Ort haben würde. So kletterten an den Tankstellen die Benzinpreise auf einen noch nie gesehenen Höchststand, erklommen aufgrund der eingestellten Gaslieferungen aus Russland die Gaspreise für viele „Normalverdiener“ existenzgefährdende Höhen. Um die allerschlimmsten Auswirkungen abzuwenden, steuerte die Bundesregierung durch eine zeitlich begrenzte sogenannte „Gaspreisbremse“ zwar gegen, die grundsätzliche Problematik der extrem verteuerten Energie aber blieb erhalten. 113 FLUCHT, PANDEMIE UND KRIEG  DEKADE DER HERAUSFORDERUNGEN 10

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