Chronik Werra Meißner Kreis

ob sich eine Flüchtlingskrise 2.0 entwickelt, die neben allen logistischen Herausforderungen mittlerweile auch massive gesellschaftliche Verwerfungen mit sich bringen würde. Corona friert das Leben ein Als am 16. März 2020 bei einem Einwohner der Gemeinde Meinhard erstmals im Kreis das Corona-Virus festgestellt wurde, hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass mit diesem Augenblick die am 12. März 2020 von der WHO als Pandemie eingestufte Infektionserkrankung über drei lange Jahre – Ende April 2023 wurde sie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach offiziell für beendet erklärt – für die Menschen im Kreis zur nahezu allbeherrschenden Lebensbegleiterin werden würde. Den Weg und die Folgen des Virus während dieser Zeit auch nur ansatzweise in allen Facetten und Folgen nachzuzeichnen ist hier gänzlich unmöglich – zu komplex und vielschichtig waren nicht nur die wellenartigen Verläufe der Krankheit selbst, sondern auch die ebenso wellenartigen Maßnahmen des Staates zum Schutz von Leib und Leben seiner Bürger. Gleich ob im öffentlichen Raum oder im privaten Umfeld, die Pandemie bestimmte den Rhythmus. So gingen bis dato relativ unbekannte Begriffe wie „Lockdown“, „Shutdown“, Maskenpflicht, Priorisierung oder Inzidenz in den allgemeinen Sprachgebrauch über und es wurden die täglich in der heimischen Presse veröffentlichten Zahlen der Neuinfektionen von Sontra bis Witzenhausen so intensiv studiert wie in normalen Zeiten nur die Tabellen der diversen Fußballligen. Die tägliche Pressekonferenz des Robert-Koch-Instituts zur Coronalage wurde zur allmorgendlichen Pflichtveranstaltung und hatte für das tägliche Leben größeren Stellenwert als die abendliche Wetterkarte. Plötzlich war das bislang gewohnte Leben fast völlig verschwunden und zwei Jahre lang dominierte das Virus und dessen Bekämpfung alle Lebensbereiche: Die Schulen wurden ebenso geschlossen, wieder geöffnet und nochmals geschlossen wie die Gastronomie und der Einzelhandel mit Ausnahme der Lebensmittelmärkte. Betriebe und öffentliche Verwaltungen gingen ins „Homeoffice“, die politischen Institutionen wie Kreistag und Gemeindeparlamente trafen sich entweder digital, per Telefonkonferenz oder – wenn es die Inzidenzen zuließen – mit riesigem Abstand in Turn- bzw. Stadthallen. Dabei trieb die Pandemie auch durchaus seltsame Blüten. Das wohl berühmteste Beispiel dafür ist der durch massenhaftes „Hamstern“ plötzlich entstandene Notstand an Toilettenpapier und das nicht nur in großstädtischen Ballungsgebieten, sondern auch in solch ländlichen Regionen wie dem Werra-Meißner-Kreis. Wie leergefegt waren auf einmal die Regale der großen Märkte in Eschwege, Witzenhausen, Hessisch Lichtenau und anderswo von den drei- oder vierlagigen Kostbarkeiten und es passierte etwas, was vor diesen Tagen fast ausgeschlossen war: Die Städter fuhren zum Einkaufen in die kleinen Läden auf den Dörfern, weil sie gehört hatten, dass dort die begehrten Rollen noch ausreichend vorhanden waren! Live aus Eschwege, Germany: Frederik Pleitgen berichtete für CNN aus der Sporthalle des Oberstufengymnasiums in ganz Europa und den USA. Besonders hart traf der Lockdown die Kinder. Zunächst bis zum Ende der Osterferien, dann nochmals verlängert bis Ende April, wurden ab dem 13. März Schulpflicht und Präsenzunterricht ausgesetzt und die Kindergärten geschlossen. Leitendes Prinzip während dieses ersten Lockdowns war es, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, wobei Schulen und Kitas zu diesem Zeitpunkt als dessen Vermehrungsstätten ausgemacht worden waren. Für alle betroffenen Familien bedeutete dies eine immense zusätzliche Belastung des Alltags, für die Kinder ein plötzliches„Herausgerissensein“ aus ihrem gewohnten Leben inkl. sämtlicher sozialer Kontakte. Die Zauberformeln, um die allergrößten Verwerfungen bei der Bewältigung der schulischen Inhalte abzufedern, hießen „Homeschooling“ und digitalisierter Unterricht. Die vorhandenen Möglichkeiten reichten aber bei weitem nicht aus und so wurden die Leistungen des Sommerhalbjahres nicht bewertet. Die Kinder erhielten bei der Zeugnisvergabe im Sommer das identische Halbjahreszeugnis und niemand musste das Schuljahr wiederholen. Obwohl die Infektionszahlen bei Beginn der zweiten CoronaWelle im Herbst deutlich höher waren als noch im Frühjahr, wurde im Bereich der Schulen auf einen zweiten flächendeckenden Lockdown verzichtet und alles versucht, um sie so lange wie möglich offen zu halten. Grund dafür war auch eine verbesserte Datenbasis über das Virus selbst und die damit verbundene Erkenntnis, dass von Kindern keine besondere Infektionsgefahr ausgehen würde. Einzig die Weihnachtsferien wurden auf dem Höhepunkt der zweiten Welle auf vier Wochen vom 14. Dezember 2020 bis 11. Januar 2021 ausgedehnt. Wirtschaftlich besonders hart traf Corona die Gastronomie. Mehrfache Lockdowns und Geschäftsschließungen – zwei Monate im Frühjahr 2020 und dann wieder ab Anfang November – brachten die Betriebe an den Rand der Existenzkrise und selbst staatliche Hilfen und dass nach wie vor mögliche Abholgeschäft waren nur Tropfen auf den heißen Stein. Der Sportbetrieb – gleich ob im Freien oder in der Halle – kam für fast zwei Jahre gänzlich zum Erliegen oder wurde je nach dem Stand der Infektionszahlen auf Sparflamme mit strengen 110 FLUCHT, PANDEMIE UND KRIEG  DEKADE DER HERAUSFORDERUNGEN 10

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