Chronik Werra Meißner Kreis

laufenden Kosten und einem deutlichen Minus im Haushalt ausgegangen, so konnte man dieses jetzt durch eine Nachzahlung vom Land in Höhe von 1,9 Mio. Euro für das laufende Jahr abwenden. Gleichzeitig stieg die Pauschale, die das Land den Kommunen für Betreuung und Unterbringung von Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften und Wohngemeinschaften für 2016 in Aussicht stellte, von 601 Euro auf 865 Euro pro Person und Monat – mithin stand für 2016 nun die Summe von 2,8 Mio. Euro an Landesmitteln zur Verfügung. „Damit“, so die spürbar erleichterte Feststellung von Landrat Stefan Reuß, „können wir diese Kostenstelle fast ausgleichen.“ 372 Generell lässt sich nach dem für viele höchst anspruchsvollen Jahr 2015 konstatieren, dass Kreis und Kommunen als Verwaltungseinheiten auf allen Ebenen bestens funktioniert und viele nichtstaatlichen Organisationen und Initiativen sowie eine große Menge engagierter Einzelpersonen alles zur Versorgung der neu in die Region gekommenen Menschen getan haben. Obwohl für viele dieser„Neubürger“ der Aufenthalt im Kreisgebiet nur vorübergehend war, blieb die Suche nach Wohnraum nach wie vor das zentrale Problem. So wurden im Februar und März 2016 das Keudell‘sche Schloss in Wanfried sowie das frühere Katasteramt und das „Blumenhaus“ der ehemaligen Wartebergklinik in Witzenhausen vom Kreis angemietet und zu Unterkünften umgebaut. Dann aber ließ der Ankommensdruck nach und bedingt durch die internationalen Vereinbarungen, die den Flüchtlingsansturm deutlich abschwächten, entspannte sich die Unterbringungssituation im Kreis bis zur Jahresmitte deutlich. Bis Mitte Juni 2016 hatten bereits alle 300 Bewohner der Notunterkunft in Eschwege und 150 Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung in Sontra den Kreis wieder verlassen. Dabei wurden die bislang in Sontra untergebrachten 148 Männer, Frauen und Kinder nach Fuldatal-Rothwesten umquartiert und am 14. /15. Juni ging es für die 298 Menschen aus dem Friedola-Lager im Eschweger Industriegebiet nach Hanau. „Wir reduzieren unsere aktiven Einrichtungen auf insgesamt 19 Standorte mit dann rund 20.000 Plätzen“, 373 so das Hess. Sozialministerium als zuständige Dienststelle. Parallel dazu behalte man die bisherigen Einrichtungen an 20 Standorten mit 15.000 Plätzen als passive Reserve, die bei Bedarf wieder aktiviert werden könne. Damit gehörten die krisenhaften Ausschläge der Flüchtlingsproblematik erst einmal der Vergangenheit an und man konnte sich nun darauf konzentrieren, die Integration der im Werra-Meißner-Kreis verbliebenen Flüchtlinge voranzubringen. „Nach den Masterplänen Daseinsvorsorge und Inklusion“, so Landrat Stefan Reuß Mitte Juni im Eschweger E-Werk, „…liegt nunmehr der Masterplan Integration vor. Wie kann es auch anders sein, kein Thema hat unser Land im letzten Jahr so beschäftigt wie das Thema Flucht und Integration.“ 374 Mit diesem Masterplan, dessen vier zentrale Themenfelder sich mit „Arbeit und beruflicher Integration“, „Wohnen, Freizeit und Kultur“, „Bildung und Sprache“ sowie „Sozialem Engagement“ befassten, wurde allen Beteiligten ein hilfreicher Leitfaden zur Integration an die Hand gegeben – das Entscheidende aller diesbezüglichen Bemühungen aber fasste die Presse treffend in ihrer Berichterstattung zusammen: „Sprache und Arbeit sind das A und O.“ 375 Flüchtlingspolitik und Integration standen auch im Mittelpunkt des 14. Regionalforums Werra-Meißner, das Ende September 2016 mit dem Leitthema „Zuwanderung als Chance“ auf die neuen Herausforderungen einging. „Die letzten zwölf Monate“, so Landrat Stefan Reuß in seiner Eröffnungsrede, „waren geprägt von Hektik, Unkoordiniertheit, Panik und Hysterie. Gut, dass wir inzwischen davon wegkommen und sich mehr Klarheit ergibt.“ Gleichzeitig lobte er die ehrenamtlichen Helfer, „die (…) an der richtigen Stelle (…) zupacken“ 376 und damit beweisen, welch hohen Stellenwert bürgerliches Engagement besitzt. Wenn auch ab dem Herbst 2016 die größten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik vorerst gebannt waren, blieb die Thematik „Flucht, Migration, Zuwanderung“ mit allen damit verbundenen gesellschaftlichen Unsicherheiten dem Kreis von nun an erhalten. Immer wieder wurde seitdem von vielen Seiten und auf vielen Ebenen versucht, denjenigen Menschen, die im Werra-Meißner-Kreis sesshaft geworden waren 377, nicht nur das zum Leben Notwendige zur Verfügung zu stellen, sondern sie auch in die heimische Gesellschaft zu integrieren, ihnen durch Arbeit ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und dadurch eine neue Heimat zu geben. Dieses Bemühen war und ist nicht immer nur von Erfolg gekrönt, zumal es auf beiden Seiten auch Vorurteile zu überwinden gilt. Hinzu kam nach Jahren relativer Ruhe – im 2. Quartal 2018 kamen nur noch 52 Geflüchtete in den Kreis (im 1. Quartal 2015 waren es 530) – plötzlich ein erneuter steiler Anstieg von Schutzsuchenden aus der von Russland überfallenen Ukraine und Menschen aus Afrika und Asien. Und plötzlich waren sie dann wieder da, die Erinnerungen an 2015. Schon im November 2021 gab es„kaum Platz für Geflüchtete“ 378, wie die Lokalpresse meldete, und im Sommer 2023 musste man feststellen, dass der„Puffer“ an Aufnahmekapazität für den Winter auf 606 Plätze gesunken war 379. In diesem Zusammenhang ging die Kreisverwaltung rein rechnerisch davon aus, wöchentlich 11 Personen zugewiesen zu bekommen, eine Zahl, die sich durch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Spätaussiedler und Ukraine-Flüchtlinge allerdings noch erhöhte. Im Gegensatz zu anderen hessischen Landkreisen musste der Werra-Meißner-Kreis im Sommer 2023 aber, wie der erste Kreisbeigeordnete Friedel Lenze im Kreistagsausschuss für Soziales und Integration erläuterte, „bei der Unterbringung von Geflüchteten noch nicht auf Zelte, Container oder kommunale Gebäude wie Turnhallen zurückgreifen“ 380. Ob dies allerdings auf Dauer so bleibt, hängt hauptsächlich davon ab, 109 FLUCHT, PANDEMIE UND KRIEG  DEKADE DER HERAUSFORDERUNGEN 10

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