Eitel O. Höhnes zum neuen Landrat des Werra-Meißner-Kreises gewählt – gegen die Stimmen der CDU Fraktion, deren zwanzig Abgeordnete geschlossen für ihren Kandidaten, den Hess. Lichtenauer Ingo Geisler, stimmten. Geboren wurde der neue Landrat 1942 im sächsischen Chemnitz und lebte ab 1947 mit seiner Familie in Hünfeld. Nach Abitur, Jura-Studium und Referendariat übernahm er die Stelle als Dezernent für Gesundheitswesen beim Regierungspräsidium in Kassel. 1975 wurde er in seinem Wohnort Großalmerode zum Bürgermeister gewählt und schließlich im Februar 1988 zum Landrat des Werra-Meißner-Kreises. Obwohl diese Wahl unspektakulär und das klare Votum für Dieter Brosey aufgrund der Mehrheitsverhältnisse von vornherein absehbar gewesen ist, so ist diese Wahl, im Nachhinein betrachtet, doch gewissermaßen als historisch zu bezeichnen, denn zum letzten Mal nämlich wurde der Landrat von den Abgeordneten des Kreistages gewählt. Die Landratswahl des Jahres 1994 wurde bereits als Direktwahl durchgeführt und – niemand im Saal der Eschweger Stadthalle hätte das damals für möglich gehalten – in einem Kreis, der vom Rand des freien Europa in die Mitte des geeinten Deutschland gerückt war. Der Blick auf die Ziele des neuen Landrates am Beginn seiner Amtszeit und auf das Fazit nach 18-jähriger Tätigkeit im Juni 2006 macht deutlich, welche gravierenden Umwälzungen in der Amtszeit Dieter Broseys das Gesicht des Werra-MeißnerKreises verändert haben. Ganz oben auf seiner Agenda standen eine „behutsame Führung und sachliche Politik“, die mit dem vorhandenen „soliden finanziellen Fundament als Basis“ helfen sollte, die innerdeutsche „Grenze durchlässig zu machen“(…) „Dies sei“, so der Landrat, „lebenswichtig für den Kreis und könne die Probleme der Randlage mildern.“ 358 Drei Amtsperioden später las sich Dieter Broseys Bilanz seiner Jahre als Landrat deutlich ernüchterter, als sie es angesichts der weltgeschichtlichen Veränderungen eigentlich hätte sein müssen: „Ich habe 1988 eine wohlgeordnete Kreisverwaltung von meinem Vorgänger übernommen, und alles war planbar und überschaubar. Nach dem Jahr 1989 änderte sich das sukzessive. Die Grenzöffnung und der Fall des Ostblocks katapultierte den Kreis aus seiner Randlage ins Herz Europas. Die anfängliche Euphorie wich Mitte der Neunziger Jahre den ersten wirtschaftlichen Rückschlägen, die sich in den vergangenen zehn Jahren noch verstärkt haben. Firmen schlossen ohne Not und verlagerten ihre Produktionsstätten ins Ausland. Das Fördergefälle zwischen Ost und West tut noch heute wirtschaftlich ordentlich weh. Im zweiten Schritt musste der Kreis entsprechend weniger Einnahmen verbuchen, so dass der ausgeglichene Haushalt in Schieflage geriet und heute ein Defizit von knapp 40 Millionen Euro aufweist.(…) Diesen Vorgängen hätte ich gern noch mehr entgegengesetzt.“ 359 Zweimal wurde Dieter Brosey durch Direktwahlen in seinem Amt bestätigt, beide Male setzte er sich in überzeugender Manier gegen Mitbewerber Uwe Brückmann (CDU) durch – 1994 mit 70,9 % und 2000 mit 67,7 % der abgegebenen Stimmen. Einziger Wermutstropfen bei diesen überzeugenden Wahlerfolgen war die schlechte Wahlbeteiligung, die sich beim Wahlgang im Januar 2000 mit 43,8 % noch einmal um fast 8 % gegenüber der ohnehin schon mäßigen Beteiligung von 51,1 % im Januar 1994 verschlechterte. „Ob Sieger oder Unterlegener“, kommentierte diesen Trend am Tag nach der Wahl die Presse, „beide muss nachdenklich stimmen, dass nicht einmal die Hälfte der Kreisbevölkerung an die Urnen gegangen ist. Desinteresse oder Politikverdrossenheit?“ 360 Dieter Brosey manöverierte in der ihm eigenen unaufgeregten Art den Kreis sicher durch diese schwierige Zeit und brachte neben der Förderung der heimischen Wirtschaft, die ihm besonders am Herzen lag, und der Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs auch die Verwaltungsmodernisierung auf den Weg, die dann vom neuen Landrat Stefan Reuss kurz nach der Amtsübernahme umgesetzt werden konnte. Reuss war es auch, der im Rahmen der Verabschiedung seines Vorgängers nicht nur dessen Sachlichkeit und Fairplay herausstellte, sondern sich auch für die gut funktionierende Verwaltung bedankte, die ihm nun zur Verfügung stand: „Herr Brosey, Sie haben mir ein bestelltes Haus übergeben.“ 361 Der damalige Landrat Stefan Reuß kann für sich in Anspruch nehmen, mit seinem Wahlsieg am 29. Januar 2012 historische Maßstäbe gesetzt zu haben: Mit 78,2 % der abgegeben Stimmen siegte er „überdeutlich“, wie die Presse titelte und bekam mit diesem Vertrauensbeweis der Kreisbürger den Lohn für eine überzeugende erste Amtszeit. „Stefan Reuß“, so die Presse weiter, „hat sich das große Vertrauen der Menschen im WerraMeißner-Kreis erarbeitet – deutlicher konnte ihm dies gestern nicht bescheinigt werden.“ 362 Nach einem deutlichen Wahlsieg konnte Landrat Stefan Reuß (l.) 2012 in seine zweite Amtszeit starten. Es gratulierten nach der Vereidigung Kreistagsvorsitzender Dieter Franz MdL. Noch in der ersten Wahl im März 2006 konnte Stefan Reuß mit 56,9 % der Stimmen deutlich weniger Wähler hinter sich vereinigen, allerdings hatte er mit Sigrid Erfurt MdL (Bündnis 90/Die Grünen) und Dirk Landau MdL (CDU) auch veritable Gegenkandidaten. Reuß, Jahrgang 1970, wurde in Kassel geboren, wuchs in Velmeden auf und lebt mit seiner Familie in 101 PARTEIEN UND POLITIKER 09
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