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Die spätgotische Schnitzwand im Rathaus

Mittelalterliche Rathäuser gehören zu den repräsentativsten Profanbauten der Städte. Hier wurde regiert, verwaltet, Recht gesprochen, gehandelt und gefeiert. Es waren multifunktionale Gebäude im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Das Stendaler Rathaus, ein Gruppenbau, wuchs in mehreren Bauphasen in der Zeit vom 14. bis zum 20. Jahrhundert. Den ältesten Teil bildet die Gerichtslaube. Parallel dazu wurde östlich in zwei dicht aufeinander folgenden Bauabschnitten im 15. Jahrhundert ein langgestreckter dreigeschossiger Bau errichtet. Im südlichen Teil des zweiten Obergeschosses befindet sich eine spätgotische Schnitzwand aus dem Jahr 1462. Sie gilt als älteste erhaltene Schnitzwand nördlich der Alpen in einem Profanbau und ist der Rest einer mittelalterlichen Holzvertäfelung des gesamten Raumes. Quer zu diesem Gebäude entstand Ende des 15. Jahrhunderts in Richtung Markt der Corpsflügel, der im 16. Jahrhundert mit Schmuckelementen der Renaissance versehen wurde. Nordwestlich schließt sich ein Erweiterungsbau im Brauer Stil der Neorenaissance an.

Das Getäfel

Bis in das 16. Jahrhundert war die Hansestadt Stendal die größte und bedeutendste Stadt der Mark Brandenburg.

Der Handel mit Tuch, Bier und Getreide verhalf den Stendalern zu Wohlstand. Entsprechend groß war das Bedürfnis nach Repräsentation. Im 15. Jahrhundert kamen Getäfel als Wandverkleidungen für Ratsstuben auf.

Die "Große Stube" des Stendaler Rathauses als Ort für repräsentative, wirtschaftlich und politisch bedeutsame Zusammenkünfte erhielt eine solche aufwendige Holzvertäfelung.

Der Stendaler Rat, dominiert durch die Gewandschneider, war Auftraggeber und Adressat zugleich.

Das Getäfel ist von einer Stendaler Werkstatt angefertigt worden, der auch mehrere Chorgestühle in Stendal und der Mark Brandenburg zugeordnet werden. Das Material, überwiegend Eichenholz, stammt vermutlich aus dem Stadtforst. Vorbilder für die Gestaltung gab es im sakralen Bereich. Die Ende des 14. Jahrhunderts geweihte Burgkapelle in Tangermünde war mit einer äußerst kunstvollen Vertäfelung ausgestattet, die damals sicher nicht unbeachtet blieb. Mehrere Ebenen beschreiben das Selbstverständnis und die Weltsicht des Stendaler Rates.

Zum Bildprogramm

Demnach zeigten die plastischen Reliefs in den kielbogigen Hauptfeldern den Kaiser und die sieben Kurfürsten, die den Kaiser wählten.

Erhalten blieb die Darstellung des Erzbischofs von Köln.

Über dem Kielbogenportal präsentiert ein Engel in Gestalt eines Jünglings ein Doppelwappen - das Wappen des Stendaler Rates (Adler mit zwei Smaragden) und das im 14. Jahrhundert aufgekommene Stadtwappen. Auffällig groß erscheinen die plastischen Figuren auf Postamenten über den gedrehten Taustäben, die den Eingang flankieren. Durch ihre vornehme Kleidung weisen sie sich als Stendaler Patrizier, wahrscheinlich Gewandschneider, aus.

Das Relief eines bärtigen Mannes, der als Prophet bezeichnet wird, schließt sich an. Er hält ein Spruchband mit dem Hinweis auf die Fertigstellung des Getäfels zu Martini (11. November) 1462 in den Händen. Zwei weitere Kielbogenfelder zeigen die im 15. Jahrhundert sehr populären biblischen Szenen um Simsons Kampf mit dem Löwen und den vom Walfisch verschlungenen und unversehrt wieder ausgespienen Jonas. Simson verkörpert Stärke. Außerdem ist sein Schicksal eng mit dem Thema Verschwiegenheit verbunden. Die Geschichte des Jonas versinnbildlicht die Errettung aus höchster Not durch göttliche Hilfe.

Beide Szenen erinnern an die Wahrung moralischer Grundwerte wie Treue und Gottvertrauen. Darunter befindet sich ein Brauer, ein Stangenglas haltend, und ein Walker mit Walkerkeule in der rechten und dem Modell der Walkmühle in der linken Hand. Überwiegend in Flachschnitttechnik ausgeführt, finden sich in großer Fülle und Vielfalt Blattranken, Tiere, Mischwesen, Wilde Männer und Masken. Diesen Gestaltungselementen liegt ein tiefer Symbolgehalt zu Grunde. Der Betrachter sollte zu einem gottesgefälligen Leben gemahnt werden. Während die Tiere, Mischwesen, Wilden Männer und Masken auf täglich lauernde Versuchungen hinweisen, die ein gottgefälliges Leben gefährden, geben die Pflanzensymbole Hoffnung und Zuversicht. Die Vertäfelung war ursprünglich farbig gefasst. So erzeugten die im Flachschnitt ausgeführten Bereiche den Eindruck einer Intarsie.

Die historische Schnitzwand im Stendaler Rathaus zählt zu den authentischsten Zeugnissen der Hansezugehörigkeit der Stadt. Seit mehr als 550 Jahren schmückt sie den Raum, der einst "Große Stube" genannt wurde und heute die Bezeichnung "Kleiner Rathausfestsaal" trägt.

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