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Suchen und Finden - der Weg des Kreises bis zum November 1989

Autor: Matthias Roeper

Auch wenn fünf Jahrzehnte in der Existenz politischer Gebilde eine eher geringe Zeitspanne darstellen, so beinhalten sie bei näherer Betrachtung dennoch eine schier unglaubliche Fülle an Ereignissen, Personen und Persönlichkeiten, lokalen, regionalen und übergeordneten Entwicklungslinien, politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen sowie einen rasanten wissenschaftlich-technischen Fortschritt.

All dies hier ausführlich zu dokumentieren, ist weder der Anspruch noch kann es die Aufgabe einer solchen Chronik sein. Allerdings wird eine Darstellung der Geschichte unseres Kreises immer auch das regionale Blickfeld erweitern müssen, um sich nicht im Dickicht des Lokalgestrüpps zu verlieren.

Im Fall des Werra-Meißner-Kreises macht dies allein seine geographische Lage an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze zwingend erforderlich - zu stark prägten die damit verbundenen politischen wie wirtschaftlichen Besonderheiten die Entwicklung der Region und wirken bis heute nach.

Dabei macht es Sinn, den Gang der Dinge zu strukturieren und die vergangenen vierzig Jahre unter übergeordneten Blickwinkeln zu betrachten. Die wohl nachhaltigste Zäsur in der noch kurzen Kreisgeschichte bildete zweifellos die Deutsche Einheit, die mit den Ereignissen des November 1989 ihren Anfang nahm und die Situation des Werra-Meißner-Kreises von Grund auf veränderte.

"Als wesentlichstes und freudigstes Ereignis", wie es der langjährige Erste Kreisbeigeordnete und Vize-Landrat Theodor Leyhe im Jubiläumsbuch zum 25. Geburtstag des Werra-Meißner-Kreises im Jahr 1999 formulierte, "in den 25 Jahren ist aus meiner Sicht die Grenzöffnung anzusehen. (...) Wichtig ist, dass wir nicht mehr am Rande des freien Europas, sondern im Herzen Deutschlands und eines späteren neuen Europas liegen."

So ist es sicher berechtigt, die fünfzig Jahre Kreisgeschichte in drei Phasen einzuteilen: Jene fünfzehn Jahre vor dem 9. November 1989 und die Zeit die seit dem ins Land gegangen ist vor bzw. nach der Corona-Pandemie (11.3.2020-5.5.2023).

Schwere Geburt - holpriger Start
Am 31. Dezember 1974 hatte das neue politische Gebilde, das unter vielen Geburtswehen das Licht der Welt erblickt hatte, das erste Jahr geschafft und es hieß zum ersten Mal Bilanz zu ziehen. Diese fiel bei fast allen Akteuren auf der politischen Bühne ebenso verhalten aus, wie bei den Menschen von Herleshausen bis Ziegenhagen. "Ein Kreis, der noch keiner ist", titelte die HNA und der aus Hess. Lichtenau stammende Kreistagsvorsitzende Horst Römisch (SPD) sinnierte: "... vielleicht waren wir alle zu recht nicht so begeistert."

Obwohl die Vorbehalte gegen das neue Gebilde im Altkreis Witzenhausen sicher größer waren als bei den Eschweger Nachbarn - immerhin wanderte der Hauptsitz des neuen Kreises nach Eschwege, das KFZ-Nummernschild WIZ verschwand und das ungeliebte neue Kennzeichen ESW stand bei vielen aus dem Altkreis Witzenhausen für "Eschwege schluckt Witzenhausen" - gab es auch dort nicht nur Zustimmung.

Selbst Eitel O. Höhne, der ehemalige Eschweger und seit dem 5. Juni 1974 erste Landrat des Werra-Meißner-Kreises konnte eine gewisse Skepsis nicht verhehlen. "Wir werden es alle", so prophezeite er während des Prozesses der Kreisfindung, "miteinander schwer haben." Er sollte Recht behalten.

Wie groß die Vorbehalte gegen die neuen Strukturen allenthalben waren, dokumentierten die ersten Kommunalwahlen, die nach vollzogener Gebietsreform am 24. März 1974 stattfanden. Die bis dato in beiden Altkreisen unangefochten allein regierende SPD büßte über 12 % der Stimmen ein und verlor im neuen Kreistag die absolute Mehrheit. Wenn die Sprecher aller Parteien laut HNA vom 25. März unisono "... landes- und bundespolitische Themen für das Abschneiden" ihrer Partei bei der Wahl verantwortlich machten, war das zwar ein wenig schwammig formuliert, traf aber, zumindest teilweise, den Kern der Sache.

Der Blick auf die Einzelergebnisse zeigt nämlich ganz deutlich, dass das wahlentscheidende "landespolitische Thema" ohne wenn und aber die Gebietsreform war und die SPD in denjenigen Städten und Gemeinden am meisten verloren hatte, in denen die neuen Strukturen besonders kritisch gesehen wurden und erheblicher Unmut über die Ziehung der neuen Großgemeindegrenzen herrschte. Die Sozialdemokraten, von der Bevölkerung als "Partei der Gebietsreform" wahrgenommen, wurden demnach bei dieser Wahl für die Reform an sich, alle damit verbundenen tatsächlichen Unzulänglichkeiten und - was fast noch schwerwiegender war - auch alle gefühlten Ungerechtigkeiten de facto verantwortlich gemacht und deshalb per Stimmzettel abgestraft.

Wie sehr dieser Verdruss selbst bis weit in die Reihen sozialdemokratischer Parteimitglieder reichte, zeigt das doch recht bittere Fazit Armin Eulers, der als einer der profiliertesten Kommunalpolitiker der Region lange Jahre erst dem Witzenhäuser Kreistag und dann von 1974-1997 dem Kreistag des Werra-Meißner-Kreises angehörte.

Euler kritisierte das gesamte Prozedere der Reform grundsätzlich und rügte noch Ende der 90er Jahre die dadurch seiner Meinung nach entstandene bürgerferne Verwaltung: "Die schönen Worte und Versprechungen über eine bürgernahe Verwaltung sind vergessen. Die Verwaltungen sind größer und undurchsichtiger geworden. Die Gesetze und Verordnungen werden immer komplizierter, so dass der normale Bürger sie nicht mehr versteht. Ohne Rechtsberater kommt kaum noch eine Verwaltung aus. Der Mensch ist in den Hintergrund getreten. Das Vertrauen in den Staat nimmt erschreckend ab. Die kommunale Selbstverwaltung findet zum Teil nur noch auf dem Papier statt."

Den nunmehr noch dreißig Mandaten der SPD standen im ersten Kreistag des neuen Großkreises deren 26 der CDU und fünf der F.D.P. gegenüber. Zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlamentes traf man sich am 2. Mai 1974 in Bad Sooden-Allendorf - der Ort war mit Bedacht gewählt, lag er doch fast genau in der Mitte zwischen den beiden "alten" Kreisstädten Eschwege und Witzenhausen und sollte das künftige Miteinander der beiden Altkreise auch räumlich demonstrieren.

Das Bemühen, die durch die Gebietsreform aufgerissenen Gräben wieder zu schließen, zog sich nicht nur durch diese Sitzung, sondern war politische Leitlinie des am 5. Juni in Eschwege mit den Stimmen von SPD und F.D.P. zum Landrat gewählten Sozialdemokraten Eitel O. Höhne (1922-1998), der schon am 2. Mai die Abgeordneten dazu aufrief, in diesem neuen Parlament auch über politische Gegensätze hinaus zusammenzustehen, Konfrontationen zu vermeiden, um am Beginn der durch die gebietliche Neugliederung geschaffenen Legislaturperiode die gestellten Aufgaben meistern zu können.

In das Amt des Kreistagsvorsitzenden wählten die Abgeordneten am 2. Mai den Sozialdemokraten Horst Römisch aus Hess. Lichtenau und zum hauptamtlichen ersten Beigeordneten und stellvertretenden Landrat am 5. Juni Theodor Leyhe (F.D.P.). Mit dieser Wahl begann die politische Ehe zwischen Sozial- und Freidemokraten, die bis zur Kommunalwahl 2011 Bestand haben sollte.

Hautnah miterlebt hat diese Epoche der Kreisgeschichte auch Erika Wagner (1922-2011), die seit 1960 für die SPD erst dem Eschweger Kreistag und dann von 1974-2001 dem Kreistag des Werra-Meißner-Kreises angehörte, seit 1997 als dessen Vorsitzende. Auch sie verhehlt in ihren Erinnerungen nicht, wie problembeladen der Start des neuen Kreises letztendlich vonstatten ging.

"Mit der Kommunalwahl am 24. März 1974", erinnert sie sich ein Vierteljahrhundert später, "wurde ein Schlussstrich unter die sehr strittige Diskussion über die vom Land Hessen "verordnete" Gebietsreform gezogen. (...)" Die Sozialdemokraten, die bis dahin im Landkreis Eschwege und im Landkreis Witzenhausen die absolute Mehrheit der Sitze hatten, mussten bei der Wahl kräftig Federn lassen und verloren die Mehrheit. Die Bürgerschaft hatte so ihren Unmut über die von der SPD geführten Landesregierung zu verantwortende Neugliederung der Kreise, Städte und Gemeinden deutlich zum Ausdruck gebracht.

Nun, es war schon ein großer Einschnitt in das kommunale Leben, der in manchen Bereichen bis heute nicht ganz verwunden ist. (...) Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass es in 1970 im Altkreis Eschwege 69 und im Altkreis Witzenhausen 57 selbständige Städte und Gemeinden mit Bürgermeister und Gemeindevertretung gab, die nun in 16 Städten und Gemeinden zusammengefasst wurden, dann kann man sicher ermessen, wie tiefgreifend die Veränderung war.

Das ging nicht ohne Verletzung und Frustration bei den bis dahin vor Ort Verantwortlichen ab und, so konstatierte Erika Wagner immerhin ein Vierteljahrhundert nach der vollzogenen Reform, "ein Rest von Groll kommt bei den Älteren immer wieder einmal hoch."

Fast schon rührend muten in diesem Kontext hingegen die Zeilen an, die 1974 unter der Überschrift "Der Werra-Meißner-Kreis: Aufgabe und Anregung" dem damals publizierten ersten "Wegweiser durch den Werra-Meißner-Kreis" vorangestellt wurden.

"Dieser Wegweiser durch den Werra-Meißner-Kreis", so Professor Dr. Hanno Beck, der Autor des Vorwortes, "erhält damit die erste und große Chance, Tausenden von Menschen ihren neuen Kreis bewusst zu machen. Städte wie Witzenhausen, Wanfried und Bad Sooden-Allerndorf, Sontra und Waldkappel, Großalmerode und Hess. Lichtenau mit vielen gesegneten Dörfern gruppieren sich nun um die jetzt tausendjährige Kreisstadt Eschwege. In diesem größeren Rahmen soll die alte Heimatverbundenheit weiterleben und neue Grundlagen hinzugewinnen.

Der Großkreis ist eine einzige Anregung, und jeder, der Verantwortung trägt, soll nicht nur verwalten, sondern sich auch menschlich verhalten, ja um besondere Menschlichkeit bemüht sein. (...) Möchte dieser Kreis zusammenwachsen im versöhnlichen Geist, und möchte er Achtung und Beachtung und schließlich auch etwas Liebe selbst derjenigen finden, die ihm noch abwartend gegenüberstehen."

Damit mag es an dieser Stelle mit dem Blick auf die anfänglichen Schwierigkeiten des neuen Landkreises genug sein. Auf politischer Ebene kehrte die Region mit der Kommunalwahl 1977 zu den Mehrheitsverhältnissen vor der Gebietsreform zurück - d. h. die SPD als "Partei der Gebietsreform" erholte sich von ihrer Niederlage im März 1974 und erreichte mit 51,5 % der Stimmen wieder die absolute Mehrheit.

Neben der vorsichtigen Überwindung der emotionalen Befindlichkeiten war nun eine ganze Menge handfeste politische Arbeit zu leisten: Schließlich mussten nicht nur zwei bislang selbständige Kreise zu einer funktionstüchtigen organisatorischen Einheit verschmolzen werden, sondern es harrten auch auf allen Ebenen ein Fülle infrastruktureller Verbesserungen ihrer Umsetzung.

Wie ambivalent sich die Region damals Neubürgern darstellte, zeigt der Eindruck, den das Land zwischen Werra und Meißner auf den ehemaligen Oberurseler Stadtkämmerer und nunmehrigen Vize-Landrat Theodor Leyhe und dessen Familie machte:

"Während in Südhessen die Diskussion um Umweltprobleme voll entbrannt war, wohnten wir nun inmitten einer reizvollen, heilen Landschaft. In Städten und Dörfern hatte man überkommene Bausubstanz bewahrt. Hektik und sogenannter "Fortschritt" hatten diese Region noch nicht besetzt. Wir begegneten arbeitssamen, verlässlichen und freundlichen Menschen, deren "Nachteile", wie ein Professor es ausführte, Reichstreue und Heimattreue waren.

Das große "Aber" fiel uns sofort auf. Die private und öffentliche Armut waren nicht zu übersehen. (...) Die unselige Teilung Deutschlands hatte zwar einen Grenzübergang in Herleshausen übrig gelassen, aber ansonsten gewachsene Verbindungen im Bereich des Verkehrs, des Handels, des Arbeitskräfteaustausches und der familiären Beziehungen zerstört.

Viele Menschen kamen mir damals mutlos vor. Dies war wiederum für jemanden, der aus Südhessen kam, wo alle vor Selbstbewusstsein strotzten und alles "machbar" war, nicht immer verständlich."

Bürgernähe als oberstes Prinzip
Damit der neue Kreis überhaupt als solcher in Erscheinung treten konnte, bedurfte es einer funktionierenden Struktur. Unter dem Motto "Aus zwei mach eins" hatten die Verantwortlichen zwei bis dato eigenständige Verwaltungen zusammenzuführen und die Arbeit der neuen Kreisverwaltung an zwei unterschiedlichen Standorten in 30 km Entfernung zu koordinieren. Neben dem Landgrafenschloss in Eschwege, das als Dienstsitz des Landrates den Großteil der neuen Verwaltung beherbergte, blieb auch das, nun ehemalige, Landratsamt in Witzenhausen als Standort der Kreisverwaltung erhalten.

Beide Standorte der neuen Kreisverwaltung hatten diese Funktion schon lange inne, wobei das Eschweger Landgrafenschloss auf eine deutlich längere Geschichte zurückblicken konnte. Erbaut ab 1386 durch Landgraf Balthasar von Thüringen, durch verschiedene hessische Landgrafen erweitert und zum Renaissance-Schloss umgebaut, wechselte die Nutzung des Gebäudes in seiner langen Geschichte mehrfach von Amts- zu Wohnsitz, um schließlich seit der Kreisreform des Jahres 1821 Sitz als Sitz der Kreisverwaltung und des Landrats zu fungieren.

Das Witzenhäuser Landratsamt entstand zwischen 1889 und 1891 abseits der Altstadt auf einem parkartig angelegten Hügel in unmittelbarer Nähe der Bahnlinie Halle-Kassel. Vom damaligen Landrat Bernhard v. Schenck in Auftrag gegeben, ersetzte es das bis dato genutzte Kreishaus in der Innenstadt und erfüllt diese Funktion nunmehr bald 125 Jahre. Zwar bedeutete diese räumliche Zweiteilung der Verwaltung auch eine finanzielle Mehrbelastung des wahrlich nicht auf Rosen gebetteten Kreises, der diese aber von Anfang an wissentlich und vor allem willentlich in Kauf nahm, denn, wie es Eitel O. Höhne ausdrückte: "Demokratie und Bürgersinn bedarf der Nähe."

Das Festhalten an den räumlichen Strukturen der Verwaltung war ein nicht zu unterschätzender Bestandteil des aus heutiger Sicht doch relativ problemlosen Zusammenwachsens der beiden Kreisteile. Der Werra-Meißner-Kreis war hessenweit einer von zwei Landkreisen, die die neuen Strukturen in dieser Art und Weise handhabten.

Dies schuf sehr schnell eine vertrauensvollere Atmosphäre im Umgang miteinander und nach dem ersten Jahrzehnt Kreisgeschichte zeigte sich Landrat Höhne im Januar 1984 durchaus zufrieden mit dem bis dato Erreichten. "Ich kann verstehen", so der Landrat vor der heimischen Presse, "dass es Witzenhausen wegen der verlorenen Funktion einer Kreisstadt schwerer fallen muss, als Eschwege, sich mit dem Ergebnis anzufreunden. Gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz haben aber Positives bewirkt, so dass zwar noch nicht von einem Zusammenwachsen, aber doch von Verständnis füreinander gesprochen werden darf und im Gegensatz zu anderen Gebieten Animositäten nicht vorhanden sind."

Natürlich brachte die räumliche Zweiteilung der Kreisverwaltung auch das eine oder andere Problem mit sich. Vor allem in Witzenhausen ging periodisch wiederkehrend die Angst um, der Kreis könnte diese Konstruktion als nicht mehr sinnvoll erachten und die Außenstelle der Kreisverwaltung dauerhaft schließen.

Besonders bis zur Jahrtausendwende - März 1979, April 1984, Dezember 1987, Mai 1994 und Oktober 1997, um nur einige markante Zeitpunkte zu nennen - tauchten diese Sorgen immer wieder auf und sorgten für erregte Anfragen, Resolutionen und Diskussionen. Neben den Zentralisierungswünschen der Landesregierung war es auch immer mehr die sich verschlechternde Haushaltslage des Kreises, die eine Schließung des Witzenhäuser Verwaltungsteils allein aus finanziellen Erwägungen zumindest diskussionswürdig machte.

Da mochte auch die Lokalpresse nicht abseits stehen und veröffentlichte am 5. April 1984 einen Kommentar mit der Überschrift "Ungewisse Zukunft", der fast schon wie ein Nachruf klang. "Die Zukunftsaussichten der Dienststellen im alten Landratsamt an der Nordbahnhofstraße", heißt es da, "müssen eher pessimistisch beurteilt werden. Allerorten ist die öffentliche Verwaltung zum Sparen gezwungen - der Werra-Meißner-Kreis macht da keine Ausnahme. (...) Dass es - wenn auch mit Schwierigkeiten und zum Leidwesen der Bürger - funktioniert, machen andere nordhessische Kreise vor. Und eine halbe Million Mark zusätzliche Kosten im Jahr, die die Filiale Witzenhausen angeblich verursacht, sind kein Pappenstiel."

Die politische Leitlinie des Kreises war in dieser Frage allerdings eine andere. Schon Eitel O. Höhne betonte im März 1979 in einem mehrseitigen Papier an den Witzenhäuser Magistrat, dass er alles tun werde, um "im Interesse bürgernaher Verwaltung und zur Verhinderung von Substanzverlusten der ehemaligen Kreisstadt Witzenhausen Zentralisierungen zu vermeiden, auch wenn von anderer Seite eine Zusammenfassung aller Verwaltungszweige am Ort des Kreissitzes favorisiert werden mag."

Dieses politische Credo hat seitdem Bestand. So betonte Landrat Dieter Brosey (SPD) im Mai 1994 noch einmal, dass der Kreis nicht daran denke, die "bürgernahe Dienstleistung" in Witzenhausen aufzugeben und auch Stefan Reuß, der dritte Landrat des Werra-Meißner-Kreises "zeigte Flagge", wie die Lokalpresse titelte, und bezog im Januar 2007 ein neues Büro im alten Witzenhäuser Landratsamt. Erst zu Jahresbeginn 2014 begann die Frage einer eventuellen Aufgabe des Standortes Witzenhausen in der gerade entbrannten Diskussion um die Sanierung des Kreisdomizils im Eschweger Landgrafenschlosses wieder eine Rolle zu spielen.

Wie sah nun der Kreis aus, den die seit dem 1. Januar 1974 insgesamt 430 Bediensteten der Kreisverwaltung zu betreuen hatten? In den jeweils acht Städten und Gemeinden, die innerhalb der 1.031,71 km² Kreisfläche lagen, lebten zum Jahresende 1973 in 41.000 Wohnungen etwas über 123.500 Menschen, d. h. die Bevölkerungsdichte war mit 120 Einwohnern pro km² nicht besonders hoch.

Den Großteil der Fläche nahmen Wald (360 km²) und landwirtschaftliche Nutzfläche (450 km²) ein. In den 146 Industriebetrieben arbeiteten 13.322 Beschäftigte, das Handwerk mit 1.582 Betrieben und die Landwirtschaft mit 4.045 Betrieben kamen mit ihren 8.120 bzw. 5.584 Beschäftigten auf nur wenig mehr Arbeitnehmer.

Prägend war die Lage an der innerdeutschen Grenze: Von den 327 km Kreisgrenze waren 121 km gleichzeitig Staatsgrenze zur DDR. Diese Randlage brachte schwerwiegende Strukturnachteile mit sich, die seit 1971 mittels der sogenannten "Zonenrandförderung", d. h. mit staatlichen Subventionen und günstigen Abschreibungsbedingungen, zumindest teilweise ausgeglichen werden sollten.

Trotz einiger durchaus bemerkenswerter Ansiedlungserfolge (u. a. die Witzenhäuser Papierfabriken im Gelstertal) gestaltete sich die wirtschaftliche Lage seit Mitte der 70er Jahre zunehmend schwieriger. Die weltweite Rezession, die sich in Folge der ersten Ölkrise 1973 zur schwersten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg ausweitete und sich, bedingt durch die zweite Ölkrise 1979, noch verschärfte, schlug im strukturschwachen Werra-Meißner-Raum doppelt durch.

Was folgte, waren Liquidationen, Konkurse einiger größerer Firmen und Rationalisierungsmaßnahmen, die den Werra-Meißner-Kreis damals hart getroffen haben. Obwohl alle, die in der Region Verantwortung trugen, um jeden Arbeitsplatz kämpften und jede noch so kleine Chance zu ihrer Erhaltung nutzten, verlor der Kreis bis Ende der 80er Jahre über 4.000 Arbeitsplätze.

Zwar wurden, insbesondere im Dienstleistungssektor, eine ganze Reihe neuer Arbeitsplätze geschaffen, die aber bei weitem nicht ausreichten, um den Verlust der gewerblichen Arbeitsplätze auszugleichen. Die Folge war ein kontinuierlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 4 % im Jahr 1974 bis auf 11.4 % ein Jahrzehnt später.

Am 11. Februar 1982 titelte die HNA: "Zahl der Arbeitslosen steigt weiter: Höchste Quote seit 1959" und hatte am 6. März 1984 eine erneute Steigerung auf 13 % im Bezirk Witzenhausen und 14,5 % im Bereich Eschwege zu melden. Mit dieser Entwicklung einher ging ein immer begrenzter werdendes Angebot an Lehrstellen - "Suche nach Lehrstellen so schwer wie noch nie zuvor", so eine Schlagzeile Anfang Juni 1982 - und, auch als Folge dieser Situation, ein stetiger Bevölkerungsrückgang.

Die Einwohnerzahl schrumpfte in den ersten fünfzehn Jahren der Kreisgeschichte von 123.503 Einwohnern Ende 1973 auf 112.663 am 30. Juni 1989 - mithin also fast 9 %. Dabei führten die unbefriedigende Arbeitsplatzsituation und die fehlenden beruflichen Zukunftsperspektiven vor allem zur Abwanderung junger Leute, was sich zusätzlich noch negativ auf die Altersstruktur insgesamt auswirkte.

Investitionen in Gesundheit und Bildung
Neben der Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung - eine institutionalisierte Wirtschaftsförderung war seinerzeit noch nicht Bestandteil der Kreisaufgaben - und den hoheitlichen Aufgaben lag die politischen Schwerpunkte der Kreispolitik in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Soziales, Bauen, Umwelt- und Naturschutz, Entsorgung, Jugend und Tourismus.

"Die zurückliegenden zehn Jahre", so Landrat Höhne am 7. Januar 1984 in der Presse, "sind von den Kreisorganen genutzt worden, um die Lebensmöglichkeiten in unserem Gebiet auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weiter zu verbessern und die Infrastruktur auszubauen. Beispielhaft darf ich den Neubau des Krankenhauses in Witzenhausen und die Errichtung einer neuen Berufsschule in Eschwege nennen, die in gemeinsamer Anstrengung verwirklicht werden konnten."

Der Landrat umriss mit dieser kurzen Nennung mit den Bereichen Schule und Gesundheit jene beiden Aufgabengebiete, die in den 70er und 80er Jahren das politische Geschehen im noch jungen Werra-Meißner-Kreis maßgeblich dominierten. In Folge der Gebietsreform war der Kreis zum hauptsächlichen Träger stationärer Krankenversorgung in seinem Hoheitsgebiet geworden - durch das Kreiskrankenhaus in Eschwege direkt und, gemeinsam über einen Zweckverband mit der Stadt Witzenhausen, durch das dortige Kreis- und Stadtkrankenhaus.

In der Chronik zum 25. Kreisgeburtstag liest sich diese neue bzw. alte Aufgabenstellung folgendermaßen: "Auch im neuen Werra-Meißner-Kreis waren die Anstrengungen (...) auf die Erfüllung des staatlichen Versorgungsauftrages zur Vorhaltung von Krankenhäusern für die erkrankten Mitbürger gerichtet. Die sprunghafte Entwicklung unser aller Ansprüche an klinische Diagnostik und Therapie, aber auch an die stationäre Unterbringung, konfrontierte die Verantwortlichen mit höchsten organisatorischen, betrieblichen und wirtschaftlichen Anforderungen."

Kurz gesagt bedeutet dieser Text nichts anderes, als dass der Kreis dafür Sorge zu tragen hatte, seinen Bürgern die bestmöglichste Gesundheitsfürsorge angedeihen zu lassen und sich sowohl räumlich und technisch als auch vom Personal auf modernstem Niveau zu bewegen. Für das 1968 eingeweihte Krankenhaus in Eschwege bedeutete dies die Erweiterung um eine interdisziplinäre Intensivpflegestation sowie die Modernisierungen im OP-Bereich sowie der Gynäkologie.

Weitaus komplexer stellte sich die Situation in Witzenhausen dar, denn das in den Jahren 1952-1955 erstellte Haus war deutlich in die Jahre gekommen und bedurfte dringend der Sanierung. Hier gab es ein noch unter dem Witzenhäuser Landrat Wilhelm Brübach erarbeitetes Raumprogramm, das in einem "großen Wurf" den Neubau eines 280 Betten umfassenden Krankenhauses vorsah und seit 1973 dem Hessischen Sozialministerium zur Prüfung vorlag. Dieser "große Wurf" war allerdings bald vom Tisch, denn die angespannte Finanzlage des Landes erlaubte die Breitstellung von Fördermitteln nur für Umbau- und Sanierungsmaßnahmen - der angedachte Neubau war damit nicht mehr möglich.

Was folgte war eine Fülle von Verhandlungen, Projektstudien und Plänen, ehe der Erste Beigeordnete Theodor Leyhe als neuer Kurator des Zweckverbandes - er hatte dieses Amt im Mai 1975 von Landrat Höhne übernommen - gemeinsam mit zahlreichen Ehrengästen am 6. Oktober 1977 den Grundstein zur "Sanierung und Erweiterung des Kreis- und Stadtkrankenhauses Witzenhausen" legen konnte.

Nach fünfjähriger Bauzeit war es am 18. November 1982 die Röntgenabteilung, die als erste Abteilung in dem 51 Mio. DM teuren Erweiterungsbau ihren Betrieb aufnehmen konnte. Zug um Zug folgten die anderen Abteilungen und am 14. Februar 1985 titelte die HNA auf ihrer Verlagssonderseite "Witzenhausen hat ein neues Krankenhaus". Was nun noch fehlte war die Sanierung des Altbaus, die, nach abermals dreijähriger Bauzeit, im Dezember 1988 abgeschlossen wurde.

"Ein Krankenhaus der Grundversorgung ist keine Reparaturwerkstatt, sondern in ihm wird der Mensch als Ganzes gesehen." Mit diesen Worten übergab Theodor Leyhe am 2. Dezember 1988 den neuen Altbau seiner Bestimmung. Leyhe prägte hier auch den Begriff vom "Krankenhaus für das Jahr 2000" für Witzenhausen und den Nordkreis, den der Hessische Sozialminister Trageser als Ehrengast dankbar übernahm.

"Nach vielen Jahren gemeinsamer Anstrengungen", so der Minister, "hätten der Werra-Meißner-Kreis und die Stadt Witzenhausen nun ein modernes, leistungsfähiges und zukunftsorientiertes Behandlungszentrum, das ein wichtiger Eckstein für die nordhessische Krankenhausversorgung sei."

Kurz nachdem die Sanierung des Witzenhäuser Krankenhauses erfolgreich abgeschlossen war, begannen bereits die Planungen für eine grundlegende Sanierung und Erweiterung des Kreiskrankenhauses in Eschwege - dies sollte dann im Bereich der Gesundheitsfürsorge die vordringliche Aufgabe der 90er Jahre werden.

Ein anderes wichtiges Thema im Werra-Meißner-Kreis jener Jahre war die Schulpolitik, ein Politikfeld mit besonderer Brisanz und teilweise auch voller Emotionen. Vor allem hier gilt das oben vorangestellte Postulat dieser Chronik, dass es schlechterdings jeden vernünftigen Rahmen sprengen würde, alle Entwicklungen der vergangenen vier Jahrzehnte ausführlich zu dokumentieren. Dazu unterliegt gerade die Bildungspolitik einem dauerhaften Wandel und manchmal sprunghaften Veränderungen - der Weg hin zu G 8 und aktuell zurück zu G 9 wird sicher nicht der letzte bildungspolitische Wechsel sein.

Seit dem 1. Januar 1970 war den hessischen Landkreisen neben der Trägerschaft für Gymnasien und Berufsschulen vom Land die Verantwortung für die Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschulen übertragen worden. Hinzu kam als weitere Pflichtaufgabe die Verantwortung für die Erwachsenenbildung, die ab Mai 1970 durch die Volkshochschulen ebenfalls den Kreisen zugeordnet wurden.

Damit war man in den Landratsämtern quasi zu Bildungsmanagern geworden und stand nun in der nicht immer einfachen Pflicht, sowohl den Bedürfnissen von Kindern und Eltern Genüge zu tun, als auch die politischen Vorgaben der jeweiligen Landesregierungen und ihre doch manchmal divergierenden bildungspolitischen Vorstellungen umzusetzen.

Für die verantwortlichen Kreispolitiker entstand durch die Gebietsreform besonders im Feld der Schulentwicklung eine höchst komplexe Situation, zumal sie die bislang "geteilte" Schulpolitik nun an den Bedürfnissen des Großkreises orientierten mussten und - was erschwerend hinzu kam - die Ausgangsvoraussetzungen in den beiden Altkreisen keineswegs deckungsgleich waren.

"Als der Großkreis geschaffen war", erinnerte sich Erika Wagner 1998, "musste ja erst einiges aufgearbeitet werden, was noch nicht erledigt war. Zum Beispiel: Im Kreisteil Witzenhausen hatte man 1969 beschlossen, die Gesamtschule im Gesamtkreis einzuführen - und zwar einstimmig (...). Aber es fehlte das Drumherum, um die Schulen betreiben zu können. Bad Sooden-Allendorf war gebäudemäßig nicht arrondiert, da war ein Torso. In Großalmerode hat man noch Schichtunterricht (...) gemacht, weil die Räumlichkeiten nicht vorhanden waren. Witzenhausen war gerade fertig geworden, Hess. Lichtenau war noch nicht fertig.

So wurde als Hauptaufgabe unmittelbar, nachdem die Kreise zusammengekommen waren, erst einmal Kassensturz gemacht und geschaut, was musste jetzt vorrangig besorgt werden. Und da war eine große Leistung, dass dann vorrangig im Altkreis Witzenhausen die Schulen fertig gestellt wurden. Das war eine große finanzielle Aufgabe, die wir aber einvernehmlich (...) geregelt haben. Dafür haben wir viele andere Dinge hier erst einmal zurückgestellt."

Im Sommer 1977 umriss Theodor Leyhe die bildungspolitische Aufgabe des Kreises ebenso kurz wie treffend: "Wir haben", so der Erste Kreisbeigeordnete anlässlich der ersten Abiturfeier in den Beruflichen Schulen Witzenhausen, "die Aufgabe, so viel wie möglich Bildung zu vermitteln."

In diesem Kontext wurde die Kreisverwaltung im Sommer 1974 beauftragt, den Entwurf eines Schulentwicklungsplanes zu erarbeiten, der dann auch nach jahrelangen, teilweise mühevollen und zermürbenden Diskussionen am 9. Juli 1980 vom Kreistag beschlossen und durch Fortschreibungen den jeweiligen politischen Veränderungen angepasst wurde.

Das Land Hessen hatte mit seinen Vorgaben für die Klassen 5 und 6 als Förderstufen und die Klassen 7 bis 10 als Sekundarstufe I in Form der additiven (= schulformbezogenen) oder integrierten (= schulformübergreifenden) Gesamtschule für reichlich Diskussionsstoff, beachtliches Konfliktpotenzial und teilweise heftige Auseinandersetzungen gesorgt.

Als schließlich aus der sogenannten "freiwilligen Förderstufe" in 1985 die "Pflichtförderstufe" wurde, musste für deren Umsetzung im Kreis abermals viel Zeit in schier endlosen Diskussionen verbracht werden, ehe man im November 1985 nach "einer mehrstündigen, zum Teil mit persönlichen Angriffen beladenen Debatte" endlich darüber beschließen konnte.

Nachdem aber das Land Hessen Mitte 1987 wieder zur Freiwilligkeit bei der Einführung von Förderstufen zurückkehrte, musste der Schulentwicklungsplan erneut geändert und am 22. Januar 1988 abermals im Kreistag beschlossen werden. Diese "Abstimmung im Wirrwarr (...) mit einer kaum noch überschaubaren Abstimmungsprozedur" sorgte zwar sowohl bei "Abgeordneten als auch sonstigem Auditorium für helle Aufregung und weitgehende Verwirrung", letztendlich konnte der erneuerte Schulentwicklungsplan aber dennoch in seine damalige Form verabschiedet werden.

Eine wesentliche Änderung zur ursprünglichen Fassung war der - bedingt durch die 1987 eingeführte "freie Schulwahl" im weiterführenden Bereich - Wegfall von festgelegten Einzugsbereichen zwecks Absicherung der Schulstandorte, was mitunter Konkurrenzdenken der Schulen untereinander und z. T. nicht unerhebliche Sorge um die Zukunft einzelner Standorten zur Folge hatte.

Neben der flächendeckenden Möglichkeit zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife - in Bad Sooden-Allendorf, Eschwege, Hess. Lichtenau, Sontra und Witzenhausen war dies nun möglich - und einem bestens ausgebauten Berufsbildungssektor vor allem in Eschwege und Witzenhausen, hat sich der Kreis immer auch für den Erhalt kleiner und kleinster Grundschulen als unverzichtbare Bausteine ländlichen Bildungsangebotes eingesetzt.

"Allen Ansinnen der Schulbehörden zum Trotz", bemerkt diesbezüglich das Jubiläumsbuch zum 25. Kreisgeburtstag, "sind die Kreisgremien nach dem Motto "Die Schule bleibt im Dorf" immer wieder für den Erhalt kleinster Grundschulen wie der in Herleshausen-Nesselröden, Sontra-Ulfen und Weißenborn, aber auch Gertenbach, erfolgreich eingetreten."

Ganz andere Aufgabenstellungen zeichnen die beiden Volkshochschulen Eschwege und Witzenhausen aus, die seit 1977 beim Werra-Meißner-Kreis unter dem Dach der "Kreisvolkshochschule" angesiedelt waren und, jede in ihrem Bereich eigenständig, die Aufgaben der Erwachsenenbildung wahrzunehmen hatten. Dabei waren ihre Programme - mit durchaus auch unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in Eschwege und Witzenhausen - immer ganz eng an den Bedürfnissen und Wünschen der Nutzer orientiert und symbolisierten durch ihre thematischen Veränderungen in gewissem Sinn auch den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte.

Zum Ausbau eines flächendeckenden modernen Bildungssystems, das nicht nur für die Ausbildung der nachwachsenden Generationen, sondern auch als sogenannter "weicher" Standortfaktor bei der Ansiedelung von Gewerbebetrieben und der Schaffung neuer Arbeitsplätze immer wichtiger wurde, gehörte neben den bildungspolitischen Weichenstellungen auch deren räumliche und technische Umsetzung und Ausgestaltung.

In diesem Bereich hat der Werra-Meißner-Kreis in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens Erstaunliches geleistet. Wenn auch aufgrund des doch erheblichen Mittelbedarfes die bauliche Anpassung an Schülerzahlen und Unterrichtsformen nur sukzessive zu realisieren war, so konnten dennoch z. B. in Bad Sooden-Allendorf, Eschwege, Großalmerode, Hess. Lichtenau, Sontra und Witzenhausen - um hier nur die größten und umfangreichsten Baumaßnahmen zu nennen - moderne und großzügige Schulen gebaut werden.

Von der Multifunktionalität dieser Neubauten profitierten aber nicht nur Lehrer und Schüler, sondern vor allem auch Vereine und Verbände, mithin also die Menschen des Kreises insgesamt. Gab es vor der Gebietsreform im Werra-Meißner-Kreis noch eine spürbare Unterversorgung an modernen Sporthallen, so ist dieses Manko im Zuge der Schulneubauten nachhaltig beseitigt worden. Schon Ende der 80er Jahre gehörten unterteilbare Großsporthallen mit moderner Technik und erheblichen Zuschauerkapazitäten in den Städten und größeren Gemeinden des Kreises zum Standard - eine solch positive Entwicklung war Mitte der 70er Jahre noch kaum vorstellbar.

Allerdings, wo Licht ist, gibt es auch Schatten, und dieser Schatten trägt im Zusammenhang mit den Schulneubauten den Namen "Asbest". Ein vom Land Hessen in den 70er Jahren den Kreisen vorgegebenes Rasterbausystem, das ein flexibles Reagieren auf Veränderungen der Schulform ermöglichen sollte, erwies sich als gesundheitliche Zeitbombe und finanzieller Bumerang.

Der im Zuge des Rasterbausystems aus Brandschutzgründen verwendete Baustoff Asbest begann sich nämlich im Laufe der Jahre aufzulösen und regelrecht zu zerfasern, so dass kleinste Teilchen des zwar feuerfesten aber krebserregenden Materials in der Atemluft schwebten. Bis zum Spätsommer 1990 hatte man seitens des Kreises die Asbestbelastung in den betroffenen Schulen messen lassen und war zu alarmierenden Ergebnissen gekommen: Die Luft etlicher Räume war so stark mit den giftigen Fasern durchsetzt, dass ganze Trakte der Schulen in Witzenhausen, Großalmerode und Hess. Lichtenau geschlossen werden mussten.

Um die Gefährdung von Schülern, Lehrern und Personal durch Asbestfasern auszuschließen, mussten an allen Schulen des Kreises sämtliche Asbestteile entfernt und aufwändig entsorgt werden. Dies führte nicht nur zu erheblichen Beeinträchtigungen des normalen Unterrichtsbetriebes, sondern bedeutete für den Kreis auf längere Sicht auch eine derartig große finanzielle Belastung - insgesamt kann man in diesem Zusammenhang von einer Summe in Höhe von ca. 40 Mill. Euro ausgehen -, dass für weitere schulische Neubauten sowie Modernisierungs- und Erhaltungsmaßnahmen am vorhandenen Bestand nur noch begrenzte Mittel zur Verfügung standen.

Die schwierige Sache mit dem Müll
Das Thema Asbest führt über den Umweg Abfallentsorgung hin zum Themenkomplex Umweltschutz, der seit Mitte der 70er Jahre nicht nur in der Politik, sondern auch im Denken und Handeln der Menschen ganz allgemein immer größeren Raum einnahm. Formal zuständig für die Belange des Umweltschutzes auf der Ebene der Kreisverwaltung zeichnete das Kreisbauamt, dessen "Zuständigkeiten sich über Hochbau, Baugenehmigungsbehörde, Untere Denkmalschutzbehörde, Wohnungsbauförderung, Immissionsschutz und nicht zuletzt die Zuständigkeiten für Abfallvermeidung, -transport, -verwertung und -beseitigung erstrecken."

Besonders in den Focus der Öffentlichkeit - und als Dauerthema auch in die politische Diskussion - rückte dabei der Themenbereich "Abfall und Entsorgung". Seit der Verabschiedung des Hessischen Abfallgesetzes vom 21. Oktober 1971 waren den Landkreisen weitreichende Aufgaben auf diesem kostenintensiven und daher höchst sensiblen Gebiet übertragen worden.

Nach Vollzug der Gebietsreform galt es für den sich gerade findenden Kreis eine gemeinsame Entsorgungsstrategie zu entwickeln und die dazu nötigen Deponieplätze zu finden. Vor dem Januar 1974 hatte man im Altkreis Witzenhausen zwei kreiseigene Deponien in Hess. Lichtenau/Föhren und Witzenhausen/Unterrieden, im Altkreis Eschwege gab es zwar keine kreiseigenen, dafür aber eine größere Anzahl gemeindeeigner Deponien.

Nach heftigen Auseinandersetzungen über die Standortfrage und einer kurzfristigen Nutzung der Deponie Kathus im Nachbarkreis Hersfeld-Rotenburg, rückte die gemeindeeigene Deponie "Am Breitenberg" der Gemeinde Meißner immer stärker ins Blickfeld der Verantwortlichen. Ab dem 1. April 1975 erst als Übergangslösung geplant, wurde zwei Jahre später auf Drängen der hessischen Landesregierung mit den Vorbereitungen für eine dauerhafte Verwendung des Breitenberges als Kreisdeponie begonnen.

Nachdem ein vom Kreistag in Auftrag gegebenes hydrogeologisches Gutachten den Standort für unbedenklich erklärt hatte, konnte mit den Arbeiten zur Erweiterung der Deponie auf ein Endvolumen von 3,9 Mill. m3 begonnen werden. Am 30. Juni 1979 beschloss der Kreistag auf seiner Sitzung in Abterode ein Bündel von Vorlagen, das als sogenanntes "Müll-Paket" die Weichen für die Zukunft stellte und die Müll-Entsorgung im Werra-Meißner-Kreis langfristig regelte. Im Kern bestand das "Paket" aus der Einrichtung der Abfallbeseitigungsanlage am Breitenberg, die Vertragsneufassung mit einem Deponieunternehmen und die Änderung der Gebührensatzung. Weiterhin wurde eine Sonderregelung für die Stadt Eschwege beschlossen, da diese über eine eigene städtische Müllabfuhr verfügte.

Der umweltkonforme Ausbau der Anlage konnte also beginnen, zog sich hin und verschlang viele Millionen. "Deponie schluckt schon Millionen", titelten die lokalen Medien z. B. im Herbst 1989 und ließen die bislang aufgelaufenen Kosten Revue passieren: "Nach 6,4 Millionen DM Baukosten schon 1988 werden sich die Investitionen für die Deponie in diesem Jahr auf rund 11,8 Mill. DM belaufen, zusätzlich noch über 500.000 DM für Grunderwerb. Allein die Abdichtungsarbeiten sowie die Dammversiegelung sind mit 8,2 Mill. DM veranschlagt (...) Für 1990 sind 6,6 Millionen DM Baukosten und 2,25 Mill. Für Grundstückskäufe im Investitionsprogramm veranschlagt, die Baukosten der nächsten Jahre bewegen sich bei jeweils fünf Millionen DM. Und die Ausgaben werden steigen, prophezeit Kreismülldezernent Leyhe, da der Stand der Technik ständig höhere Anforderungen stelle.

Mit Hinweis auf die Vergabe von Aufträgen seit Anfang 1988 bis heute mit einem Volumen von ungefähr 21 Mill. DM betonte er: Soviel wird investiert für die Sicherheit. Folge sei, dass auch die Bürger entsprechend mehr zur Kasse gebeten werden müssten, auch wenn der Kreis nun vorrangig die Getrenntsammlung sowie Vermeidungsstrategien betreibe."

Während der einzelnen Ausbauphasen der Deponie kamen die jeweils modernsten Erkenntnisse und Methoden der Umwelttechnik und Sicherung zum Tragen. So wurden z. B. auf Grund von Vorgaben der Aufsichtsbehörden die Sickerwasserbehandlung von der Kläranlage Eschwege auf eine eigene Sickerwasserbehandlung umgestellt, moderne Basisabdichtung und Sickerwasserfassung eingeschlossen. Zusätzlich wurde die Anlage so konstruiert, dass das aus der Deponie gewonnene Gas über ein Blockheizkraftwerk zur Wärmeversorgung der Sickerwasserkläranlage und der Stromgewinnung eingesetzt werden konnte.

Das Thema Abfall als solches blieb dem Kreis aber selbst nach dem umfangreichen und kostenintensiven Ausbau der Weidenhäuser Deponie als "Dauerbrenner" erhalten. Neue gesetzliche Vorgaben des Bundes, die Gründung des Abfallzweckverbandes Werra-Meißner und die Auseinandersetzungen um das Heizkraftwerk der Firma SCA-Packaging in Witzenhausen sollten die Diskussionen - von denen an anderer Stelle noch zu berichten sein wird - noch bis weit über die Jahrtausendwende immer wieder neu entfachen.

Und noch eine Entwicklung im Abfallbereich, deren langfristige Tragweite man damals weder im Kreis noch anderswo einzuschätzen vermochte: Im März 1983 wurde an der Universität in Witzenhausen die sogenannte "Biotonne" entwickelt, die heute in Deutschland, Österreich, Belgien, Luxemburg, Schweden und Norwegen im Abfallkreislauf zu finden ist. Zumindest in Deutschland ist diese Innovation aus dem Werra-Meißner-Kreis ein echtes Erfolgsmodell, und bis spätestens 2015 müssen die letzten biolosen Landkreise die Tonne eingeführt haben.

Tschernobyl und Hochwasser
Kontrovers wurde damals auch die Diskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie geführt, die insbesondere ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre innenpolitisch zu maximal verhärteten Fronten führte. Wenn auch der Werra-Meißner-Kreis nicht direkt von geplanten neuen Atomkraftwerken oder Wiederaufbereitungsanlagen bzw. End- und Zwischenlagern betroffen war, so rückte die grundsätzliche Fragestellung dieser Problematik spätestens nach Bekanntwerden der Katastrophe im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 auch hier in den Fokus des öffentlichen Lebens.

Die Besorgnis über mögliche Auswirkungen der freigesetzten Radioaktivität war groß, und nicht nur beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach liefen deswegen die Telefone heiß, sondern auch die kommunalen und Kreisbehörden hatten ihre liebe Not, der besorgten Anfragen Herr zu werden: Der Supergau und seine Folgen war auch für die Menschen im Werra-Meißner-Kreis zum alles beherrschenden Thema geworden.

So wurden ab Anfang Mai 1986 kreisweit Spiel- und Sportplätze von Amts wegen gesperrt, Kinder hatten die Rasenflächen rings um ihre Kindergärten zu meiden, auf Wochenmärkten sowie in öffentlichen Einrichtungen traf man Behördenbedienstete in Schutzanzügen und mit Strahlenmessgeräten bewaffnet, vor Wildbret und Pilzen aus heimischen Wäldern wurde eindringlich gewarnt und die über Herleshausen ankommenden DDR-Transit LKWs mussten sich ausgiebiger Strahlenkontrolle unterziehen. Der Atomunfall in der Ukraine war allgegenwärtig und seine Auswirkungen waren den Menschen spürbar in die Glieder gefahren.

Selten war das Informationsbedürfnis der Bürger größer als in diesen Mai-Tagen, und bei Veranstaltungen über die Auswirkungen der radioaktiven Belastungen waren überall im Kreis die Säle brechend voll. Die Angst vor einer Verseuchung war groß, das Durcheinander an Informationen nicht minder. Und obwohl die Medien ständig berichteten - oder vielleicht auch gerade deswegen - wollten die Menschen insbesondere vor Ort wissen, ob es auch für sie eine ernstzunehmende Gefährdung gäbe.

Diese gab es glücklicherweise nicht und mit der Zeit verblassten auch die Sorgen, die man sich allenthalben auf dem Höhepunkt der Tschernobyl-Katastrophe hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie gemacht hatte. Damit es diesbezüglich einen nachhaltigen Wandel geben konnte, bedurfte es einer erneuten Katastrophe - ein Vierteljahrhundert später und weit entfernt im japanischen Fukushima.

Nicht nur ganz nah dran, sondern leider mittendrin waren die Menschen an Werra, Gelster, Riedbach und Wehre allerdings im Frühjahr 1981, als in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni der Kreis "die schwerste Unwetterkatastrophe seit Jahrzehnten erlebte, deren Schäden noch lange sichtbar bleiben." Diese knappe Schilderung aus der Eschweger Stadtchronik kann das Ausmaß der Verwüstungen, die praktisch das gesamte Kreisgebiet in Mitleidenschaft zogen, natürlich nur unvollkommen beschreiben.

"Hochwasser-Katastrophe: Schwere Verwüstungen" - "Chaotische Verhältnisse nach der Sintflut im Kreis" - "Verheerendes Bild in Badestädter Ortsteilen" - "Unwetter richtete Schäden in Millionenhöhe an" - "Werratal verwandelte sich in eine einzige Seenplatte" - "Wasserversorgung zusammengebrochen" Diese Schlagzeilen aus der heimischen Presse vermitteln im Nachhinein vielleicht noch einen ungefähren Eindruck von der Dramatik des Geschehens. Lokal begrenzte Unwetter mit Katastrophenpotenzial - wie z. B. die Windhose in Gertenbach 1987 oder das Hagelunwetter am Meißner 2011 - hat es schon des Öfteren gegeben. Ein Unwetter allerdings, das einen ganzen Landkreis in ein Katastrophengebiet verwandelt, ist glücklicherweise ein höchst seltenes Ereignis.

Gleich ob im Altkreis Eschwege oder Witzenhausen, im Werra-, Riedbach-, Wehre- oder Gelstertal, in Waldkappel oder Hess. Lichtenau: Überall das gleiche Bild: "Ein ganzer Kreis bot einen verwüsteten Anblick."

"Mehrere Ortschaften im Kreis waren von riesigen Seen umgeben", hieß es in einem Situationsbericht über das Ausmaß der Katastrophe im Eschweger Raum, "stoßartig schossen die Fluten durch die Ortslagen. Auf der B 27 nahe Albungen wurde die Straße auf fast 100 Meter durch von den Hängen herabstürzendes Geröll blockiert (...) Ob in Reichensachsen oder Waldkappel, Albungen, Sontra, Hoheneiche oder Ringgau, Schwebda oder Eltmannshausen - überall waren Hunderte von Helfern im Einsatz, um der Katastrophe Herr zu werden. (...) Zahlreiche Industriebetriebe mussten ihre Produktion einstellen, nachdem das Hochwasser bis zu den Fertigungsstätten vorgedrungen war. (...)

Überall hieß es "Land unter!" In den beherzten Einsatz der Menschen, zu retten, was zu retten war, mischte sich oftmals Bitterkeit und Fassungslosigkeit. Ohnmächtig ob der Schreckenssituation standen Menschen vor ihrem vernichteten Hab und Gut, viele weinten. (...) Mit Bergepanzern der Bundeswehr versuchten die Soldaten, die Geröllmassen von den zugeschütteten Straßen zu entfernen. Immer wieder wurde dieses Unterfangen durch weitere starke Regenfälle beträchtlich behindert. Die Feuerwehren, z. T. seit über zwölf Stunden im Dauereinsatz, hatten alle Hände voll zu tun, pumpten Keller aus, legten Sandsäcke als Schutz vor weiteren Wassermassen und befreiten eingeschlossene Bewohner aus ihren Häusern."

Nicht besser sah es im Raum Witzenhausen aus: Die sonst nur kniehohe Gelster wurde zum reißenden Strom und setzte von Laudenbach bis Witzenhausen das ganze Tal unter Wasser. Besonders schwer traf es in dieser Region den Großalmeröder Stadtteil Trubenhausen. Das gesamte südliche Stadtgebiet von Witzenhausen stand durch die Gelsterfluten bis zum Krankenhaus unter Wasser und nur dem stundenlangen Einsatz hunderter Helfer war es zu danken, dass der Bruch des Werradeiches in der Nordstadt verhindert werden konnte.

In Bad Sooden-Allendorf traf es das Riedbachtal und Oberrieden am schlimmsten - "Der Ortsteil Oberrieden befindet sich in einem bedenklichen Zustand", konstatierte Bürgermeister Rolf-Erich Barrie während eines Ortstermins im Gespräch mit der Presse. Allein hier belief sich der Schaden auf über 3 Mio. DM.

Hart traf es auch die Landwirtschaft, denn nach vorsichtigen ersten Schätzungen des Amtes für Landwirtschaft und Landentwicklung in Eschwege waren mindestens 80 % der landwirtschaftlich genutzten Flächen im Kreis geschädigt. In einer ebenfalls ersten Schätzung bezifferte Landrat Höhne, der sich am 5. Juni mittels eines mehrstündigen Hubschrauberrundfluges ein Bild über das Ausmaß der Schäden im Kreisgebiet gemacht hatte, die Höhe des Gesamtschadens für den Werra-Meißner-Kreis auf ca. 80 Mio. DM.

Rettet den Meißner
"In der Not alle in einem Boot": So kommentierte die Lokalpresse die Hilfe der Menschen untereinander und füreinander in den Katastrophentagen des Juni 1981. Dieser Satz könnte aber auch sehr gut als Kapitelüberschrift über dem Abschnitt der Kreisgeschichte stehen, der in der zweiten Hälfe der 70er Jahre ganz maßgeblich durch den Kampf um "unseren Meißner" geprägt war.

Was war geschehen? Auf dem Meißner, mit seiner markanten Form, den weithin sichtbaren Sendemasten und der höchsten Erhebung, der 754 m hohen Kasseler Kuppe, nicht nur optischer Mittelpunkt des Werra-Meißner-Kreises, sollte der seit 1974 eingestellte Braukohletagebau wieder begonnen werden.

Der Braunkohlebergbau am Meißner hat eine lange Tradition und reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Urkundlich belegt ist er seit 1571, als der hessische Landgraf Wilhelm IV (1567-1592) erste Untersuchungen auf Braunkohlenflöze durchführen ließ. 1575 wurde in der Nähe vom Schwalbenthal ein Schacht durch den Basalt gelegt, von dem aus 1578 - dem eigentlichen Geburtsjahr des Bergbaus am Meißner - Schwarzkohle abgebaut wurde.

Der Tiefbau wurde 1888 weitgehend eingestellt, nur in Bransrode förderte man zeitweise bis 1929 weiter. Der letzte Braunkohle-Tiefbau in Deutschland auf der Zeche Hirschberg bei Großalmerode wurde erst 2002 endgültig eingestellt. Nachdem die Bergbaurechte 1945 an den Ilse-Bergbau übergegangen waren, begann der Tagebau: Erst bei Grebestein-Ost, dann im Bereich der Kalbe, wo ein besonders ertragreiches Flöz entdeckt wurde. Nach erheblichen Eingriffen in die Natur und schweren Umweltschäden - Rekultivierungsmaßnahmen und der heutige sogenannte "Kalbesee", der das 2 ha große Tagebaurestloch ausfüllt - konnten diese nur verdecken, nicht aber beheben, wurde der Tagebau 1974 aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt.

Nach dreißig Jahren Tagebau und den damit verbundenen schwersten Umweltschädigungen begann eine sogenannte "Rekultivierungskommission Meißner", die Landschaft und Natur des Berges so gut als es eben ging, von den Schäden der Eingriffe zu heilen. Niemand rechnete mit dem Versuch, den Tagebau erneut zu reaktivieren.

Entsprechend fassungslos und entsetzt war die heimische Öffentlichkeit, als Anfang Juni 1976 Direktor Friedrich von der Preußen-Elektra (kurz PREAG), die das Kraftwerk in Borken betrieb und die Bergrechte am Meißner erworben hatte, der Rekultivierungskommission im Gasthaus Schwalbenthal Pläne und Zeitplan seiner Firma vorstellte: Bis zum Jahresende 1976 sollte es noch 40 Probebohrungen im Naturschutzgebiet Weiberhemdmoor und Lettenberg geben, dann 1977 Versuchsstrecke Lettenberg und Schurf Weiberhemd, 1978 Genehmigungsverfahren und Abbaubeginn mit ca. 100.000 t; 1979-1990 jährlicher Abbau von 500.000 bis 600.000 t Braunkohle.

Grund für die Abbaupläne war das absehbare Ende der abbaufähigen Braunkohlevorräte im Borkener Raum, die bis 1985 erschöpft sein würden. Die PREAG malte in der Öffentlichkeit ein Schreckensszenario von unvermeidlichen Betriebsstilllegungen und Kündigungen "wenn nicht weitere Vorkommen erschlossen werden könnten".

Wie damals nicht unüblich, wurde auch hier versucht, alle kritischen Einwände mit dem "Totschlagargument" des Arbeitsplatzverlustes im Ansatz zu unterdrücken. Beispielhaft dafür soll hier die Stellungnahme zitiert werden, die der Fritzlaer SPD-Landtagsabgeordnete Karl-Heinz Ernst anlässlich einer Informationsveranstaltung der Arbeitskreise Wirtschaft u. Technik bzw. Umwelt seiner Partei in den Betriebsräumen der PREAG abgab. "Scharf wandte er sich gegen Höhnes Stellungnahme, die durch Formulierungen wie "Kohleabbau wäre ein Verbrechen" und "Meißner opfern" die Diskussion belaste. Die Erhaltung der Arbeitsplätze sei für den Borkener Raum eine ebenso wichtige Frage wie der Landschaftsschutz. Die Interessen der betroffenen Gemeinden und Bürger im Werra-Meißner-Kreis müssten natürlich berücksichtigt werden."

Die Bruchlinien der Diskussion des Für und Wider eines abermaligen Kohleabbaus auf dem Meißner zogen sich nordhessenweit quer durch die Parteien und entwickelten besonders innerhalb der SPD erhebliche Sprengkraft. Im Werra-Meißner-Kreis allerdings herrschte nicht nur in den Reihen der Sozialdemokraten, sondern auch parteiübergreifend - bis auf ganz wenige Einzelmeinungen - diesbezüglich Einvernehmen: Alle gesellschaftlich relevanten Gruppen lehnten den Kohleabbau vehement ab und der Landrat selbst stellte sich entschlossen an die Spitze des Widerstandes.

Am 26. Januar 1977 trat Eitel O. Höhne vor die Presse und ließ mit deutlichen Formulierungen keinen Zweifel an seiner und der Bevölkerung im Werra-Meißner-Kreis erklärten Absicht, den geplanten Kohleabbau zu verhindern. "Die Wiederaufnahme des Kohleabbaus auf dem Meißner", konnten die Menschen in der Region am folgenden Tag der Presse entnehmen, "stelle insofern "ein Verbrechen" dar, als es fahrlässig wäre, den Meißner zu opfern, während die Vorteile nur für kurze Zeit dauerten. (...) Ein Aufleben des Kohleabbaus würde für die schon schwer getroffene und mit Millionenaufwand gerade erst mühsam rekultivierte Meißnerlandschaft weitere irreparable Zerstörungen heraufbeschwören. (...) Er rechne mit der Initiative der Bevölkerung (...) denn sie müsse daran interessiert sein, den Meißner und seine nun wiedererlangte Attraktivität für die Zukunft zu erhalten."

Dieser indirekte Aufruf zum Widerstand traf auf offene Ohren: Nicht nur, dass die Presse sich sofort auf die Seite Höhnes schlug - "Der Eschweger Landrat Eitel O. Höhne bläst nun zum Angriff. Und dies zu Recht. Nach zahlreichen internen Verhandlungen möchte er nun die gesamte Bevölkerung des Kreises im Kampf gegen den Kohleabbau auf dem Meißner hinter sich sehen", konnten die Menschen im Kreis unter der Überschrift "Zu hoher Preis" am 27. Januar lesen -, auch die angesprochen Bevölkerung scharte sich nun um den Landrat.

Am 18. Februar 1977 wurde in Bad Sooden-Allendorf die Arbeitsgemeinschaft "Rettet den Meißner" gegründet, die unter dem Vorsitz des Landrats in den kommenden Jahren nicht müde wurde, gegen den Kohleabbau zu kämpfen. Sowohl auf politischer Ebene mit dem einstimmigen Beschluss des Kreistages vom 16. Februar 1977 im Rücken als auch medien- und öffentlichkeitswirksam - wie z. B. der Großkundgebung auf dem Meißnerplateau Ende Juni 1977 oder während des Hessentagsfestzuges in Hofgeismar ein Jahr später - ließ man nicht nach und war immer dann zur Stelle, wenn sich Waage auf die Seite der Abbaubefürworter zu neigen drohte.

Die Zitterpartie um den Meißner hielt die Region fast ein ganzes Jahrzehnt in Atem, ehe Ende der 80er Jahre der Kohleabbau endlich zu den Akten gelegt wurde. Bis es allerdings soweit war, kosteten die politischen und gesellschaftlichen Diskussionen den Menschen im Werra-Meißner-Kreis noch jede Menge Nerven.

Ein Blick in die Schlagzeilen jener Jahre zeigt noch einmal das Wechselbad der Gefühle: "Kohle-Abbau verhindern" (14.7.1978) /"Unruhe über Braunkohle-Abbau. Landrat Höhne interveniert bei Ministerpräsident Börner" (13.2.1979) /"Es ist noch nichts verloren" (24.8.1979) /"Kohleabbau auf dem Meißner: Fronten unversöhnlich" (25.1.1982)/"Kraftwerk Borken: Kein Kohleabbau am Meißner?" (13.7.1983).

Im Mittelpunkt des Interesses stand der Meißner dann noch einmal anlässlich des 87. Deutschen Wandertages, der im August 1987 im Werra-Meißner-Kreis unter dem Slogan "Gesunde Umwelt-Aufgabe Europas" stattfand und vielen tausend Besuchern aus ganz Deutschland die Schönheiten von Werratal und Meißnerlandschaft nahe brachte. Die Abschlusskundgebung des Wandergroßereignisses fand auf dem Meißnerplateau statt, und mehr als 3000 TeilnehmerInnen konnten sich noch einmal von der Notwendigkeit des Erhalts der unverwechselbaren Landschaft überzeugen.

Neben der Tatsache, dass es gelang, den Meißner vor seiner unvermeidlichen Zerstörung zu retten und damit den nachfolgenden Generationen zu bewahren, hat der gemeinsame Kampf um ihren Berg und seine Natur die Menschen zwischen Sontra, Eschwege, Großalmerode Hess. Lichtenau und Witzenhausen einander näher gebracht und somit ganz wesentlich zur Schaffung eines "Wir-Gefühls" im Werra-Meißner-Kreis beigetragen.

Team Landrat
"Ein Schlitzohr geht in Pension", titelte Bild-Hessen am 16. Mai 1988 und portraitierte fast schon liebevoll die Person Eitel O. Höhnes und dessen jahrzehntelanges Wirken als Landrat. HNA und WR gaben sich mit ihren Schlagzeilen "Ein skeptischer Realist nimmt Abschied" und "Wallmann: Hessen schuldet Eitel O. Höhne Respekt und Dank" (19. 5.1988) zwar staatstragender, brachten aber mit der persönlichen Würdigung der Person Höhne als "Vaterfigur eines Kreises" dessen Bilanz als Landrat ziemlich genau auf den Punkt.

In Zahlen, Jahren und Funktionen: Der 1922 in Dresden geborene Höhne betrat die politische Bühne 1948, als er erstmals in den Kreistag des damaligen Kreises Eschwege gewählt wurde. Seit 1961 fungierte er als Landrat eben dieses Kreises und von Juni 1974 bis Mai 1988 als erster Landrat des Werra-Meißner-Kreises. Zwanzig Jahre lang (1950-1970) vertrat er darüber hinaus als Mitglied des Hessischen Landtages die Interessen seiner Heimatregion in Wiesbaden.

Darüber hinaus war die Liste der Funktionen, die Höhne bekleidete, lang: Verwaltungsratsvorsitzender des Hessischen Rundfunks, Präsident der Verbandsversammlung des Landeswohlfahrtsverbandes, Präsidiumsmitglied des Landkreistages, um hier nur einige zu nennen. Tätig war er auch im Sparkassen- und Giroverband, in den diversen Organen der Regionalplanung und den Vorständen von Vereinen und Verbänden auf Kreisebene.

Erst 2011 ist bekannt geworden, dass Eitel Höhne am 1. September 1941 als 18-jähriger in die NSDAP aufgenommen wurde. Die im Auftrag des Hessischen Landtages erstellte Studie "Braunes Erbe - NS-Vergangenheit hessischer Landtagsabgeordneter der 1.-11. Wahlperiode" kommt aber zu dem Schluss, "dass Höhne zu denen gehört habe, die wohl als jugendliche Opfer jahrelanger Indoktrination gesehen werden können, aus der sie sich spätestens nach dem Krieg gelöst haben."

Die Eschweger Stadthalle konnte am Tag seines Abschiedes die Besucher kaum fassen, die aus allen Winkeln des Kreises und von weiter her zusammengeströmt waren, um Eitel Höhne ihre Wertschätzung zu bekunden und seiner Lebensleistung Anerkennung zu zollen. Selbst der damalige Hessische Ministerpräsident Walter Wallmann ließ es sich nicht nehmen, dem Landrat persönlich den Dank des Landes Hessen auszusprechen. "Ungeachtet der unterschiedlichen politischen Positionen", hob der Ministerpräsident hervor, "dürfe bei der Charakterisierung die Vorbildfunktion Höhnes nicht ohne Erwähnung bleiben. Die Lebensleistung des scheidenden Landrates in ihrer Gänze aufzuzeigen und würdigen zu wollen, hießen den Rahmen der Zusammenkunft sprengen. So sollten Anerkennung, Respekt und Verbundenheit sowie der dank des Landes Hessen Ausdruck der Sympathie und Zuneigung sein."

Als Vertreter des Parlaments - und damit auch der Bürger des Werra-Meißner-Kreises - bezeichnete Kreistagsvorsitzender Willi Höll den scheidenden Landrat als "Glücksfall für die Region" und sprach ihm den Dank der Bürger aus.

Sympathie und Zuneigung erfuhr Höhne von allen Seiten, nicht nur an diesem Tag, hier aber komprimiert und deshalb auch stellvertretend für all die Jahre im Licht der Öffentlichkeit. Diese auszudrücken gelang am besten Theodor Leyhe, der seit 1974 an der Seite Höhnes stand, und dabei mit ihm nicht nur ein kongeniales dienstliches Team bildete, sondern ihm obendrein auch ein guter Freund wurde.

Als Dramaturg und Regisseur, teilweise auch als Hauptdarsteller habe Höhne die Belange des Kreises in immer neuen Inszenierungen gegenüber den Einflussreichen in Land und Bund zu vertreten gewusst. Dabei habe er auch so manches Mal die Rolle der lustigen Person übernommen, auch wenn ihm so gar nicht danach zu Mute gewesen - die Hauptsache war, für den Kreis und die hier lebenden Menschen ließen sich dadurch Erfolge erzielen. "Im übrigen", so Leyhe, "hat er als Gourmet nicht nur seine Freizeit geopfert, sondern auch seine Figur, ist er dank seiner Wurstkennerschaft sogar als einer der wenigen Landräte in die Weltliteratur eingegangen."

Der erste Kreisbeigeordnete sah seinen Dienstherren zudem in der Rolle des Standhaften, Vermittlers und Landes- bzw. in diesem Falle Kreisvaters. Als "Staat in Person" habe er bei der Vermittlung eines "Wir-Gefühls" für Einheimische und Zugezogene eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt. Höhnes landesväterliches Tun habe ein Maß an Heiterkeit und Harmonie verbreitet, wie es in einer ansonsten materialistisch geprägten Zeit mittlerweile kaum noch vorzufinden sei. "Wir", so Leyhe abschließend, "der Kreisausschuss und alle Mitarbeiter, sind stolz, mit ihm in einem Ensemble gewirkt zu haben."

Wie Eitel O. Höhne diese Jahre selbst empfunden hat, verrät er ein gutes Jahrzehnt später in der Chronik zum 25. Geburtstag "seines" Kreises: "Wesentlich scheint mir, das geistig-politische Klima zu schildern, das wir in all den Jahren geschaffen und in dem wir gelebt und gearbeitet haben. Ein Klima bewusster Toleranz unter dem Wort: 'In der Macht ist der Keim der Ohnmacht, und wer seine Macht nicht demütig gebraucht, wird sie verlieren.' Es gibt leider nicht viele Plätze, an denen unter solchen Bedingungen so gehandelt wurde."