Flucht, Pandemie und Krieg - Dekade der Herausforderungen
Autor: Matthias Roeper
Wohl kaum jemand hätte sich im Rahmen des 40. Kreisgeburtstages 2014 vorstellen können, wie dramatisch anders als von vielen erwartet sich das Jahrzehnt auf dem Weg hin zum "runden" Kreisjubiläum in 2024 gestalten würde. Das Jahr 2014 wirkt aus heutiger Sicht regelrecht unbeschwert und fast ist man versucht, es mit dem Adjektiv "golden" zu versehen.
Der Kreis und seine 16 Kommunen befanden sich auf einem erkennbar guten Weg, allenthalben begannen sich die Finanzen zu konsolidieren - der Kreishaushalt schloss anstelle eines prognostizierten Minus von 3,5 Mio. Euro mit einem Plus nahe der Million . Die Bevölkerungszahlen hatten sich ebenso stabilisiert wie die Zahl der Arbeitsplätze, das politische Fahrwasser war wohltuend ruhig und die Lebensqualität in der naturnahen Region zwischen Werra und Meißner brauchte trotz aller von außen immer wieder hereingetragener Unkenrufe keine Vergleiche zu scheuen.
Zehn Jahre später ist der Werra-Meißner-Kreis immer noch ein sehr guter Raum zum Leben - auch wenn ein auf vielen gesellschaftlichen und politischen Ebenen feststellbarer Wandel einige der noch 2014 praktisch unumstößlichen Gewissheiten auf den Prüfstand gestellt und letztlich für nicht mehr zukunftstauglich befunden hat. Dieser Wandel betrifft alle Lebensbereiche und umfasst ebenso Politik und Verwaltungen, Kommunikation und Wirtschaft, Lebensentwürfe und deren Ausformungen.
Vieles von dem, was für den Kreis wichtig war und wurde, sind Entwicklungen aus seinem "Innenraum" - die politischen Veränderungen an der Kreisspitze und im Parteiensystem, das finanzielle Auf und Ab der Haushalte, die Entwicklung der Bürgergesellschaft in ihrer Gesamtheit sowie die Zukunftsvorsorge über den Tag hinaus. Nicht minder wichtig waren und sind aber auch Entwicklungen, die aus dem "Außenraum" in diesen Werra-Meißner-Innenraum getragen wurden und sowohl das Leben der Menschen als auch die Entwicklung des Kreises nachhaltig beeinflusst haben.
So hat es denn noch nie in der Geschichte dieses mit 50 Jahren noch relativ jungen Gebildes eine Dekade gegeben, die derart geprägt war von Ereignissen, denen der "Innenraum" ohne Möglichkeit der Beeinflussung einfach nur ausgeliefert war. Wie an einer Perlenschnur reihten sich ab 2015 Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie und zum Schluss noch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hintereinander auf. Begonnen hat dies alles mit dem massenhaften Zustrom von Kriegsflüchtlingen und anderen Geflüchteten, der vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2015 das gesamte öffentliche Leben im Kreis an prominenter Stelle dominiert hat.
Die Zahl der Geflüchteten im Kreis begann sich allerdings schon 2013 deutlich zu erhöhen und übertraf mit 238 die Zahl des Vorjahres (172) deutlich. Mit dieser Steigerung einher ging für den Kreis neben den wachsenden logistischen Herausforderungen wie Unterbringung, Bekleidung, Verpflegung etc. vor allem ein deutlicher Kostenanstieg von 1,2 Mill. Euro in 2012 auf 1,85 Mio. Euro in 2013, von dem nur etwa die Hälfte vom Land Hessen übernommen wurde. Ende Juni 2014 war die Zahl der Geflüchteten im Kreis bereits auf 280 angewachsen, Tendenz ungebremst steigend. Ende Dezember 2014 lag man dann schon bei 360, was eine Steigerung von 47% binnen Jahresfrist bedeutete und zu einer finanziellen Unterdeckung von 1,3 Mio. Euro führte.
"Es ist eine historische Zeit"
Mit dieser Aussage beschrieb Michael Roth, der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt und heimische Bundestagsabgeordnete, im Kontext der Diskussionen um die Planung einer weiteren großräumigen Unterkunft für 500 Personen im Feriendorf Sontra die Flüchtlingssituation Anfang Oktober 2015 . Zu diesem Zeitpunkt hatten die Flüchtlingswellen, die seit dem Frühsommer 2015 in immer kürzeren Abständen an die Grenzen Europas schwappten, in ihren Ausläufern endgültig auch den Werra-Meißner-Kreis erreicht.
Nachdem viele europäische Länder ihre Grenzen für Geflüchtete geschlossen hatten und die Bundesregierung das mittlerweile historische Credo "Wir schaffen das" verkündete, wurde Deutschland zum Hauptziel der Fluchtbewegung und die Menschen strömten in immer größerer Zahl ins Land. Schon bevor sich der große Flüchtlingstreck in Bewegung setzte, hatte Michael Roth mit der Aussage "Zuwanderer machen den Kreis bunter" die Richtung für unsere Region vorgegeben - nun lag es an den Verantwortlichen in Kreis und Kommunen, die neue Vielfalt unterzubringen und idealerweise auch dauerhaft zu integrieren.
Im September wurden Erstaufnahmeeinrichtungen u. a. in Hess. Lichtenau und Sontra eingerichtet. Zusätzlich dazu bauten Kreis und Kommunen in rascher Folge und unter großem Zeitdruck die Kapazitäten in Gemeinschaftsunterkünften aus, so dass anfangs mit Ausnahme von Wanfried in allen Kommunen des Kreises Flüchtlinge untergebracht werden konnten.
Und sie kamen - Männer, Frauen und Kinder - oft mit so kurzen Vorlaufzeiten, dass nur Stunden blieben, um sie alle einigermaßen menschenwürdig unterzubringen. Wöchentlich trafen neue Gruppen ein und die Unterbringung wurde trotz der vorhandenen Kapazitäten immer schwieriger. Laut einer Ende Oktober 2015 veröffentlichten Studie des renommierten Pestel-Institutes fehlten im Kreisgebiet dauerhaft Wohnungen für knapp 500 Flüchtlinge - eine Aussage, die die Kreisverwaltung in letzter Konsequenz allerdings nicht bestätigen konnte bzw. wollte. Und das mit gutem Grund, denn in Richtung Jahresende stellte sich die Gesamtsituation im Bereich der Flüchtlingsproblematik zunehmend unübersichtlich, teilweise widersprüchlich und in manchen Teilbereichen sogar verworren dar.
So kündigte z. B. im Oktober das Regierungspräsidium an, dass im ehemaligen Feriendorf Sontra Platz für 500 Geflüchtete geschaffen werden sollte, was in Stadt und Umland zu erregten Diskussionen auf Versammlungen und in Form von Leserbriefen in der örtlichen Presse führte. Dann passierte wochenlang nichts, ehe das RP Mitte Dezember mitteilte, dass noch vor Weihnachten mit den ersten 48 Bewohnern zu rechnen sei. Aber auch diese kamen nicht und zum Jahreswechsel 2015/2016 standen die Ferienhäuser immer noch leer.
Anfang November musste dann auf Maßgabe der Landesregierung relativ überstürzt Platz für weitere 1000 Flüchtlinge geschaffen werden. Dies betraf allerdings nicht nur den Werra-Meißner-Kreis, sondern alle hessischen Landkreise gleichermaßen. Sinn dieser - nennen wir es einmal "Vorratshaltung" - war die Entlastung der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen, die dem Andrang offenbar nicht mehr gewachsen war.
Innerhalb kürzester Zeit gelang es dank der Unterstützung von THW und Feuerwehren, die quasi im Akkord arbeiteten, diese Plätze in Eschwege auf dem Gelände der ehemaligen Firma Julphar und bei Friedola zu schaffen. In der Nacht zum 10. November kamen die ersten 100 Flüchtlinge in der Kreisstadt an, sorgten allerdings nur wenige Stunden später für erhebliche Irritationen.
Offenbar war für viele der Neuankömmlinge Eschwege nur Zwischenstation, denn bereits am nächsten Morgen machte sich ca. die Hälfte der Flüchtlinge auf den Weg zum Stadtbahnhof, um von dort die Weiterreise anzutreten. Hier wurden sie allerdings aufgehalten, weil vor Ort ziemliche Verwirrung bzgl. einer möglichen Residenzpflicht herrschte. Erst im Laufe des Tages klärte sich die Situation und die Menschen konnten weiterreisen. "Es gibt eine Reihe offener Fragen," so Kreissprecher Jörg Klinge damals, "die das Land Hessen und der Bund noch beantworten müssen."
In Hess. Lichtenau wurde in Rekordzeit eine Zeltstadt für 500 Bewohner aus dem Boden gestampft - kaum war sie fertiggestellt, wurde entschieden, dass es zu kalt für die Unterbringung im Zelt sei, und die Menschen wurden in andere Erstaufnahmeeinrichtungen verteilt, Abbau der Zelte bis Mitte Dezember inklusive. Parallel dazu entstand im Industriegebiet Senkefeld auf 34.000 m² eine feste "Flüchtlingsstadt" aus 17 Leichtbauhallen, die ein Fassungsvermögen von 1.250 Personen besaßen und kurz vor Weihnachten mit den ersten 90 Geflüchteten belegt wurden.
Über die reine Unterbringung und Versorgung sowie das Engagement der staatlichen Stellen hinaus, blieb auch die Zivilgesellschaft von der Flüchtlingsproblematik nicht unberührt. Dabei reichte die Bandbreite von dezidiert fremdenfeindlichen Übergriffen - so z. B. im Witzenhäuser Erntefestzelt und bei der daran anschließenden Mahnwache auf dem Marktplatz - einem Aufnahmestopp bei der Eschweger Tafel - der Installierung einer Arbeitsgruppe "Wir im Werra-Meißner-Kreis" mit Hilfen zur Integration bis hin zu einer beispiellosen Welle an Hilfsbereitschaft, die parteien- und generationenübergreifend das gesamte Kreisgebiet erfasste.
Besonders nachhaltig entwickelte sich die bis heute aktive Initiative "Eschwege hilft", die aus einer Matratzen-Sammelaktion entstand und innerhalb kürzester Zeit zu einer ehrenamtlichen Organisation mit zahlreichen Helferinnen und Helfern sowie einem umfangreichen Aufgabenspektrum wurde. Im Mittelpunkt stand während der Flüchtlingskrise die Entgegennahme und großflächige Verteilung von Hilfsgütern, die in einem ehemaligen Eschweger Supermarkt erfolgte.
Zum Jahreswechsel 2015/2016 hatte sich die allerorten zu konstatierende aufgeregte Stimmung dann wieder deutlich beruhigt und langsam gewann das "business as usual" die Oberhand. Die schlimmsten Prognosen bzgl. der Zahl unterzubringender Geflüchteter waren nicht eingetreten und mit 964 Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften plus 267 in Notunterkünften war man Mitte Dezember weit von der noch am Monatsbeginn prognostizierten Zahl 2000 entfernt.
Die in Gemeinschaftsunterkünften bzw. Wohnungen untergebrachten 964 Flüchtlinge verteilten sich auf die 16 Kommunen des Kreises wie folgt:
Gleichzeitig stieg die Pauschale, die das Land den Kommunen für Betreuung und Unterbringung von Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften und Wohngemeinschaften für 2016 in Aussicht stellte, von 601 Euro auf 865 Euro pro Person und Monat - mithin stand für 2016 nun die Summe von 2,8 Mio. Euro an Landesmitteln zur Verfügung. "Damit", so die spürbar erleichterte Feststellung von Landrat Stefan Reuß, "können wir diese Kostenstelle fast ausgleichen."
Generell lässt sich nach dem für viele höchst anspruchsvollen Jahr 2015 konstatieren, dass Kreis und Kommunen als Verwaltungseinheiten auf allen Ebenen bestens funktioniert und viele nichtstaatlichen Organisationen und Initiativen sowie eine große Menge engagierter Einzelpersonen alles zur Versorgung der neu in die Region gekommenen Menschen getan haben. Obwohl für viele dieser "Neubürger" der Aufenthalt im Kreisgebiet nur vorübergehend war, blieb die Suche nach Wohnraum nach wie vor das zentrale Problem.
So wurden im Februar und März 2016 das Keudell'sche Schloss in Wanfried sowie das frühere Katasteramt und das "Blumenhaus" der ehemaligen Wartebergklinik in Witzenhausen vom Kreis angemietet und zu Unterkünften umgebaut. Dann aber ließ der Ankommensdruck nach und bedingt durch die internationalen Vereinbarungen, die den Flüchtlingsansturm deutlich abschwächten, entspannte sich die Unterbringungssituation im Kreis bis zur Jahresmitte deutlich.
Bis Mitte Juni 2016 hatten bereits alle 300 Bewohner der Notunterkunft in Eschwege und 150 Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung in Sontra den Kreis wieder verlassen. Dabei wurden die bislang in Sontra untergebrachten 148 Männer, Frauen und Kinder nach Fuldatal-Rothwesten umquartiert und am 14. /15. Juni ging es für die 298 Menschen aus dem Friedola-Lager im Eschweger Industriegebiet nach Hanau. "Wir reduzieren unsere aktiven Einrichtungen auf insgesamt 19 Standorte mit dann rund 20.000 Plätzen", so das Hess. Sozialministerium als zuständige Dienststelle. Parallel dazu behalte man die bisherigen Einrichtungen an 20 Standorten mit 15.000 Plätzen als passive Reserve, die bei Bedarf wieder aktiviert werden könne.
Damit gehörten die krisenhaften Ausschläge der Flüchtlingsproblematik erst einmal der Vergangenheit an und man konnte sich nun darauf konzentrieren, die Integration der im Werra-Meißner-Kreis verbliebenen Flüchtlinge voranzubringen. "Nach den Masterplänen Daseinsvorsorge und Inklusion", so Landrat Stefan Reuß Mitte Juni im Eschweger E-Werk, "...liegt nunmehr der Masterplan Integration vor. Wie kann es auch anders sein, kein Thema hat unser Land im letzten Jahr so beschäftigt wie das Thema Flucht und Integration."
Mit diesem Masterplan, dessen vier zentrale Themenfelder sich mit "Arbeit und beruflicher Integration", "Wohnen, Freizeit und Kultur", "Bildung und Sprache" sowie "Sozialem Engagement" befassten, wurde allen Beteiligten ein hilfreicher Leitfaden zur Integration an die Hand gegeben - das Entscheidende aller diesbezüglichen Bemühungen aber fasste die Presse treffend in ihrer Berichterstattung zusammen: "Sprache und Arbeit sind das A und O."
Flüchtlingspolitik und Integration standen auch im Mittelpunkt des 14. Regionalforums Werra-Meißner, das Ende September 2016 mit dem Leitthema "Zuwanderung als Chance" auf die neuen Herausforderungen einging. "Die letzten zwölf Monate", so Landrat Stefan Reuß in seiner Eröffnungsrede, "waren geprägt von Hektik, Unkoordiniertheit, Panik und Hysterie. Gut, dass wir inzwischen davon wegkommen und sich mehr Klarheit ergibt." Gleichzeitig lobte er die ehrenamtlichen Helfer, "die (...) an der richtigen Stelle (...) zupacken" und damit beweisen, welch hohen Stellenwert bürgerliches Engagement besitzt. Wenn auch ab dem Herbst 2016 die größten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik vorerst gebannt waren, blieb die Thematik "Flucht, Migration, Zuwanderung" mit allen damit verbundenen gesellschaftlichen Unsicherheiten dem Kreis von nun an erhalten.
Immer wieder wurde seitdem von vielen Seiten und auf vielen Ebenen versucht, denjenigen Menschen, die im Werra-Meißner-Kreis sesshaft geworden waren, nicht nur das zum Leben Notwendige zur Verfügung zu stellen, sondern sie auch in die heimische Gesellschaft zu integrieren, ihnen durch Arbeit ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und dadurch eine neue Heimat zu geben. Dieses Bemühen war und ist nicht immer nur von Erfolg gekrönt, zumal es auf beiden Seiten auch Vorurteile zu überwinden gilt.
Hinzu kam nach Jahren relativer Ruhe - im 2. Quartal 2018 kamen nur noch 52 Geflüchtete in den Kreis (im 1. Quartal 2015 waren es 530) - plötzlich ein erneuter steiler Anstieg von Schutzsuchenden aus der von Russland überfallenen Ukraine und Menschen aus Afrika und Asien. Und plötzlich waren sie dann wieder da, die Erinnerungen an 2015. Schon im November 2021 gab es "kaum Platz für Geflüchtete", wie die Lokalpresse meldete, und im Sommer 2023 musste man feststellen, dass der "Puffer" an Aufnahmekapazität für den Winter auf 606 Plätze gesunken war . In diesem Zusammenhang ging die Kreisverwaltung rein rechnerisch davon aus, wöchentlich 11 Personen zugewiesen zu bekommen, eine Zahl, die sich durch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Spätaussiedler und Ukraine-Flüchtlinge allerdings noch erhöhte.
Im Gegensatz zu anderen hessischen Landkreisen musste der Werra-Meißner-Kreis im Sommer 2023 aber, wie der erste Kreisbeigeordnete Friedel Lenze im Kreistagsausschuss für Soziales und Integration erläuterte, "bei der Unterbringung von Geflüchteten noch nicht auf Zelte, Container oder kommunale Gebäude wie Turnhallen zurückgreifen" . Ob dies allerdings auf Dauer so bleibt, hängt hauptsächlich davon ab, ob sich eine Flüchtlingskrise 2.0 entwickelt, die neben allen logistischen Herausforderungen mittlerweile auch massive gesellschaftliche Verwerfungen mit sich bringen würde.
Corona friert das Leben ein
Als am 16. März 2020 bei einem Einwohner der Gemeinde Meinhard erstmals im Kreis das Corona-Virus festgestellt wurde, hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass mit diesem Augenblick die am 12. März 2020 von der WHO als Pandemie eingestufte Infektionserkrankung über drei lange Jahre - Ende April 2023 wurde sie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach offiziell für beendet erklärt - für die Menschen im Kreis zur nahezu allbeherrschenden Lebensbegleiterin werden würde.
Den Weg und die Folgen des Virus während dieser Zeit auch nur ansatzweise in allen Facetten und Folgen nachzuzeichnen ist hier gänzlich unmöglich - zu komplex und vielschichtig waren nicht nur die wellenartigen Verläufe der Krankheit selbst, sondern auch die ebenso wellenartigen Maßnahmen des Staates zum Schutz von Leib und Leben seiner Bürger.
Gleich ob im öffentlichen Raum oder im privaten Umfeld, die Pandemie bestimmte den Rhythmus. So gingen bis dato relativ unbekannte Begriffe wie "Lockdown", "Shutdown", Maskenpflicht, Priorisierung oder Inzidenz in den allgemeinen Sprachgebrauch über und es wurden die täglich in der heimischen Presse veröffentlichten Zahlen der Neuinfektionen von Sontra bis Witzenhausen so intensiv studiert wie in normalen Zeiten nur die Tabellen der diversen Fußballligen. Die tägliche Pressekonferenz des Robert-Koch-Instituts zur Coronalage wurde zur allmorgendlichen Pflichtveranstaltung und hatte für das tägliche Leben größeren Stellenwert als die abendliche Wetterkarte.
Plötzlich war das bislang gewohnte Leben fast völlig verschwunden und zwei Jahre lang dominierte das Virus und dessen Bekämpfung alle Lebensbereiche: Die Schulen wurden ebenso geschlossen, wieder geöffnet und nochmals geschlossen wie die Gastronomie und der Einzelhandel mit Ausnahme der Lebensmittelmärkte. Betriebe und öffentliche Verwaltungen gingen ins "Homeoffice", die politischen Institutionen wie Kreistag und Gemeindeparlamente trafen sich entweder digital, per Telefonkonferenz oder - wenn es die Inzidenzen zuließen - mit riesigem Abstand in Turn- bzw. Stadthallen.
Dabei trieb die Pandemie auch durchaus seltsame Blüten. Das wohl berühmteste Beispiel dafür ist der durch massenhaftes "Hamstern" plötzlich entstandene Notstand an Toilettenpapier und das nicht nur in großstädtischen Ballungsgebieten, sondern auch in solch ländlichen Regionen wie dem Werra-Meißner-Kreis. Wie leergefegt waren auf einmal die Regale der großen Märkte in Eschwege, Witzenhausen, Hessisch Lichtenau und anderswo von den drei- oder vierlagigen Kostbarkeiten und es passierte etwas, was vor diesen Tagen fast ausgeschlossen war: Die Städter fuhren zum Einkaufen in die kleinen Läden auf den Dörfern, weil sie gehört hatten, dass dort die begehrten Rollen noch ausreichend vorhanden waren!
Besonders hart traf der Lockdown die Kinder. Zunächst bis zum Ende der Osterferien, dann nochmals verlängert bis Ende April, wurden ab dem 13. März Schulpflicht und Präsenzunterricht ausgesetzt und die Kindergärten geschlossen. Leitendes Prinzip während dieses ersten Lockdowns war es, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, wobei Schulen und Kitas zu diesem Zeitpunkt als dessen Vermehrungsstätten ausgemacht worden waren. Für alle betroffenen Familien bedeutete dies eine immense zusätzliche Belastung des Alltags, für die Kinder ein plötzliches "Herausgerissensein" aus ihrem gewohnten Leben inkl. sämtlicher sozialer Kontakte.
Die Zauberformeln, um die allergrößten Verwerfungen bei der Bewältigung der schulischen Inhalte abzufedern, hießen "Homeschooling" und digitalisierter Unterricht. Die vorhandenen Möglichkeiten reichten aber bei weitem nicht aus und so wurden die Leistungen des Sommerhalbjahres nicht bewertet. Die Kinder erhielten bei der Zeugnisvergabe im Sommer das identische Halbjahreszeugnis und niemand musste das Schuljahr wiederholen.
Obwohl die Infektionszahlen bei Beginn der zweiten Corona-Welle im Herbst deutlich höher waren als noch im Frühjahr, wurde im Bereich der Schulen auf einen zweiten flächendeckenden Lockdown verzichtet und alles versucht, um sie so lange wie möglich offen zu halten. Grund dafür war auch eine verbesserte Datenbasis über das Virus selbst und die damit verbundene Erkenntnis, dass von Kindern keine besondere Infektionsgefahr ausgehen würde. Einzig die Weihnachtsferien wurden auf dem Höhepunkt der zweiten Welle auf vier Wochen vom 14. Dezember 2020 bis 11. Januar 2021 ausgedehnt.
Wirtschaftlich besonders hart traf Corona die Gastronomie. Mehrfache Lockdowns und Geschäftsschließungen - zwei Monate im Frühjahr 2020 und dann wieder ab Anfang November - brachten die Betriebe an den Rand der Existenzkrise und selbst staatliche Hilfen und dass nach wie vor mögliche Abholgeschäft waren nur Tropfen auf den heißen Stein.
Der Sportbetrieb - gleich ob im Freien oder in der Halle - kam für fast zwei Jahre gänzlich zum Erliegen oder wurde je nach dem Stand der Infektionszahlen auf Sparflamme mit strengen Hygieneregeln betrieben. Die allseits beliebten traditionellen Heimatfeste in Eschwege, Bad Sooden-Allendorf, Witzenhausen, Sontra oder Wanfried und das Open Flair gab es, wenn überhaupt, nur digital, das gesamte kulturelle Leben war bis zum Sommer 2022 regelrecht erstarrt.
In den Kliniken wurden die sogenannten "planbaren Operationen" zwar nicht auf den berühmten St. Nimmerleinstag, aber doch auf eine Zeit "nach Corona" verschoben. Der Witzenhäuser Teil des Klinikums Werra-Meißner war "Pandemie-Krankenhaus"; Krankenbesuche allerdings waren hier ebenso wie in den anderen Kliniken des Kreises bzw. den Alten- und Pflegeheimen generell nicht mehr erlaubt.
Auch nach dem Jahreswechsel 2020/2021 gab die Pandemie den Takt vor, beherrschte Corona das Alltagsleben der Menschen vom ersten Tag an. Zwar gab es mittlerweile den lang erwarteten Impfstoff, aber dieser war noch knapp und im Werra-Meißner-Kreis bald schon vergriffen. Immerhin konnten in einem ersten Block schon einmal etwas mehr als 1.300 Altenheimbewohner bzw. Klinikpatienten in Eschwege, Hessisch Lichtenau und Witzenhausen geimpft werden, aber dann war der Impfstoff auch schon wieder vergriffen und das komplizierte Prozedere der Anmeldung bereitete erheblichen Ärger.
Aber auch in einem anderen Zusammenhang sorgte das Impfgeschehen für Unmut: Um nicht unverimpftes Serum vernichten zu müssen, hatten sich Landrat und Erster Kreisbeigeordneter - obwohl sie nicht zur berechtigten Prioritätsgruppe 1 gehörten - am 27. Dezember 2020 im Seniorenheim Birkenhof in Eichenberg impfen lassen, was eine erregte öffentliche Diskussion nach sich zog und zur Bildung eines aus Juristen, Medizinern und Theologen bestehenden kreisweiten "Impfrates" führte, der bis zur Aufhebung der Priorisierung am 7. Juni 2021 entschied, wer mit evtl. übrig gebliebenen Impfdosen geimpft werden sollte.
Festgelegt war durch die Priorisierung bis dahin die Reihenfolge der Impfberechtigten: erst die über 80-Jährigen, dann die Menschen ab 70, dann die über 60-Jährigen. Zwischenzeitlich durften sich auch bestimmte Berufsgruppen und Menschen impfen lassen, deren Tätigkeiten als "systemrelevant" eingestuft worden waren.
Geimpft wurde anfangs in Pflege- und Altenheimen, dann kreisweit durch zwei, später drei mobile Teams sowie stationär ab dem 9. Februar im Impfzentrum Eschwege. Letzteres war übrigens das erste seiner Art in Deutschland und schaffte es dadurch sogar in die Weltnachrichten des amerikanischen Senders CNN. Nachdem dann endlich genügend Impfstoff vorrätig war, begannen auch die niedergelassenen Hausärzte mit den regelmäßigen Impfungen - zu den anfangs angebotenen sogenannten "Sonderimpftagen" gab es einen solch starken Andrang, dass Wartelisten und Terminvergaben unumgänglich wurden.
Als dann im Sommer 2021 die Infektionszahlen deutlich sanken, wurden die Zentren geschlossen und das gesamte Impfgeschehen verlagerte sich in die Praxen der Hausärzte. Doch kaum nachdem sich dieses Prozedere eingespielt hatte, brach im Herbst 2021 die sogenannte "4. Welle" über Deutschland herein und Mitte November entschlossen sich deshalb die Verantwortlichen, im Kreisgebiet wieder vier stationäre Impfzentren in Eschwege, Sontra, Witzenhausen und Hessisch Lichtenau einzurichten. Der Bedarf an Impfstoff und Impfmöglichkeiten war stark gestiegen, was allerdings nicht nur an der vierten Welle, sondern auch an den drastischer werdenden Einschränkungen lag, die ab dem Herbst für Ungeimpfte galten.
Trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte bzgl. der Entwicklung wirksamer Seren zeigte sich die Pandemie überaus hartnäckig und fast hätte es Ende Januar 2021 sogar eine nächtliche Ausgangssperre für das gesamte Kreisgebiet gegeben - glücklicherweise aber verharrte die Inzidenz unter dem dazu notwendigen Wert von 200, so dass den Menschen vorerst zumindest diese Verschärfung erspart blieb. Regelrecht "eingefroren" blieb allerdings kreisweit weiterhin jegliches öffentliche Leben, was z. B. auch Absagen für die Parlamentssitzungen in Hessisch Lichtenau, Witzenhausen, Bad Sooden-Allendorf und Großalmerode nach sich zog.
Mit dem beginnenden Frühjahr lockerten sich dann aber die meisten der strengen Lockdown-Regeln merklich: Zuerst erlaubte das Land Hessen Mitte März den Vereinen, wieder im Freien Sport zu treiben, dann wurden auch die kreiseigenen Hallen sowie die örtlichen Sportplätze geöffnet, wobei erstere allerdings nur unter Beachtung strenger Auflagen benutzt werden durften. Keine Lockerungen indes gab es für die Schulen, denn aufgrund gestiegener Zahlen von Neuinfizierten verschob das Land die eigentlich geplanten Schulöffnungen bis nach den Osterfeiertagen Anfang April.
Mitte März konnte dann nach genau einem Jahr Pandemie auch die erste "Corona-Bilanz" des Kreises gezogen werden. In nackten Zahlen ohne Kommentar: Vom 16. März 2020 bis zum 16. Juni 2021 haben sich im Werra-Meißner-Kreis 2.461 Personen mit dem Virus infiziert, fast jeder fünfte war 80 Jahre und älter. 138 Infizierte sind binnen dieses Jahres an oder mit der Infektion verstorben. Ab diesem Termin wurde auch die Infrastruktur der Testmöglichkeiten mit Hilfe von DRK, Apotheken sowie den Allgemein- und Zahnmedizinern deutlich erweitert, so dass sich bereits Ende April 27 Testzentren in Betrieb und fünf weitere in Planung befanden.
Wer allerdings zu diesem Zeitpunkt gehofft hatte, dass die Pandemie nun endlich und endgültig überwunden sei, sah sich schon bald eines Besseren bzw. in diesem Zusammenhang Schlechteren belehrt, denn vom 28. April bis 13. Mai 2021 griffen im Kreis auf die Regelungen der sogenannten "Bundesnotbremse" mit einer dann doch angeordneten nächtlichen Ausgangssperre. Auch durfte sich höchstens ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen und in Geschäften durften Kunden nur bedient werden, wenn diese einen negativen Corona-Test vorlegen konnten und zusätzlich einen Termin gebucht hatten.
Der Grund für diese drastischen Maßnahmen: Die Inzidenz, also der Wert der Neuansteckungen mit dem Covid-19-Virus in den zurückliegenden sieben Tagen, stieg weit über den Schwellenwert von 100. Für diesen Tag wurden 266 positiv getestete Menschen im Kreis und ein Inzidenzwert von 267 angegeben. Im Klinikum wurden 15 Personen auf der Isolier- und 6 Personen auf der Intensivstation behandelt, davon 5 mit Beatmung.
Weil die Marke noch über 150 kletterte, wurde kurze Zeit später auch das Einkaufen mit Terminvergabe ("click and meet") untersagt - lediglich das Abholen von Ware blieb erlaubt. Nicht betroffen von diesen Einschränkungen waren dieses Mal die Schulen, in denen direkt nach Ende der Osterferien am 19. April wieder Präsenzunterricht angeboten wurde. Allerdings mussten sich alle Schüler vor dem täglichen Unterrichtsbeginn einem Corona-Schnelltest und einer entsprechenden Schulung zum Umgang damit unterziehen.
Der wellenartige Pandemieverlauf ging das gesamte Jahr 2021 weiter und blieb den Menschen im Kreis sogar bis weit in den Sommer 2022 erhalten. Im Juni 2021 konnte das Klinikum Werra-Meißner im bisherigen Pandemiekrankenhaus Witzenhausen aufgrund der drastisch gesunkenen Inzidenzen den Normalbetrieb wiederaufnehmen - um im November desselben Jahres von der 4. Corona-Welle überspült zu werden. "Im Vergleich zum Vorjahr", so Dr. Peter Schott, der ärztliche Direktor des Klinikums, "haben wir jetzt schon mehr CoVid-Patienten als im Dezember 2020." Wegen der erneut hohen Infektionszahlen griffen abermals die mittlerweile sattsam bekannten Maßnahmen inkl. der Absage zahlreicher Weihnachtsmärkte und sonstiger Jahresend-Veranstaltungen im Kreisgebiet.
Bereits im Juni 2021 hatten sich 3,68 % von den knapp 100.000 Einwohnern des Kreises mit dem Virus infiziert - mithin jeder 27te, was einer Quote von 3,68 % entsprach. Damit lag diese sowohl im Vergleich zum Land Hessen (4,60 %) als auch dem Bundesdurchschnitt (4,47 %) deutlich niedriger. Bedingt durch die demografische Situation im Landkreis war aber gleichzeitig eine mit 4,26 % überdurchschnittlich hohe Sterberate zu verzeichnen, die deutlich über den Vergleichszahlen von Land (2,57 %) und Bund (2,42 %) lag.
Insgesamt starben vom Frühjahr 2020 bis Ende Juni 2021 157 Menschen im Kreis mit oder an Corona, 116 von ihnen waren 80 Jahre oder älter, 29 zwischen 70 und 79 Jahre alt. Bis Anfang Januar 2022 stiegen diese Zahlen nochmals an und zwar auf 7.155 Infizierte und 193 Todesfälle.
Das öffentliche Leben war immer noch strengen Regeln unterworfen. Darunter fiel z. B. Alkoholverbot an belebten Orten und Plätzen, verbunden mit der allgegenwärtigen Maskenpflicht in den Fußgängerzonen. Für Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen sowie in Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen wie Sportplätzen, Fitnessstudios, Kinos, Theatern und bei touristischen Übernachtungen galt in Innenräumen die Regel 2G+ und außen die Regel 2G.
Ab April wurden dann alle Masken- und Abstandspflichten aufgehoben, worauf die Inzidenz im Landkreis geradezu explosionsartig auf 1.781 stieg und Mitte Juli nahm der Werra-Meißner-Kreis mit wöchentlich fast 2.300 Neuinfektionen dann die absolute bundesweite Spitzenposition in der 7-Tage-Inzidenz ein. Aber der Anteil der Infizierten, für die ein Krankenhausaufenthalt notwendig war, tendierte ebenso wie die Sterblichkeitsrate mittlerweile gegen Null - das Virus hatte eindeutig seinen Schrecken verloren. Bis zum Jahresende 2023 hatten sich im Kreisgebiet 43.698 Menschen mit Corona infiziert, 250 von ihnen waren verstorben.
Die Pandemie war also überwunden und das gewohnte Leben nahm wieder Fahrt auf. Ganz besonders galt dies für die sommerlichen Großveranstaltungen im Kreis, die in den Pandemie-Jahren, wenn überhaupt, ein digitales Kümmerdasein fristeten. Nun aber stiegen sowohl die heimischen Traditionsfeste als auch die Musikfestivals wie das Open Flair in Eschwege oder der "SoundGarten" in Bad Sooden-Allendorf gleich dem sagenhaften Feuervogel Phönix größer und schöner aus der Asche der Pandemie und die Menschen feierten ausgelassen und voller Freude.
Und plötzlich ist Krieg
Aber der Sieg über die Pandemie war nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen stand ein Wort, das die Europäer für ihren Kontinent eigentlich aus dem Sprachgebrauch gestrichen hatten: Krieg. Am 24. Februar 2022, mitten in der letzten großen Corona-Welle, überfiel der russische Diktator Wladimir Putin das Nachbarland Ukraine. Seit diesem Datum ist die Welt eine andere. Von Bundeskanzler Olaf Scholz in einer großen Rede vor dem Bundestag zu Recht als "Zeitenwende" bezeichnet, hat dieser Überfall alle Blütenträume eines friedlich zusammenwachsenden Europas jäh platzen lassen und niemand - auch nicht die Menschen im weit entfernten Werra-Meißner-Kreis - konnte sich den Folgen der von Russland so bezeichneten "Militärischen Spezialoperation" entziehen.
Überall im Kreis lösten die Geschehnisse große Betroffenheit aus und das in allen Lebensbereichen. So ließen die evangelischen Kirchen zunächst täglich um 12 Uhr die Kirchenglocken für den Frieden läuten, nahmen viele Menschen an Friedensgebeten und Andachten teil, äußerten die Bürgermeister der Städte und Gemeinden unisono ihre Bestürzung über den Krieg an sich und die propagandistisch vorgeschobenen Gründe des Überfalls.
Schon wenige Tage nach Kriegsausbruch erreichten die ersten Flüchtlinge das Kreisgebiet. Zuerst kamen die, die hier Bekannte oder Verwandte hatten. Aber schon bald sorgte die große Hilfsbereitschaft dafür, dass Flüchtlinge von der Grenze abgeholt wurden, um ihnen hier Schutz und Sicherheit zu geben. Nur knapp einen Monat nach dem Überfall hielten sich bereits 630 Menschen aus der Ukraine offiziell im Kreisgebiet auf, wobei die eigentliche Zahl sicher deutlich höher lag.
Das stellte die Behörden vor erhebliche Probleme, denn die in Privathaushalten lebenden Ukrainer waren mitunter als Touristen eingereist, besaßen dadurch keinen offiziellen Flüchtlingsstatus und kamen somit auch nicht in den Genuss staatlicher Hilfen. Dies wiederum führte anfangs zu Verwirrung und Frust unter den Betroffenen und ihren einheimischen Helfern. Von Amts wegen wurde aber alles getan, um dieses Problem in den Griff zu bekommen, was etwa fünf Wochen nach Kriegsausbruch und dem Überwinden diverser bürokratischer Hürden auch gelang und so unkomplizierter Hilfe nichts mehr im Wege stand.
Schnell wurde klar, dass sich die Lage in der Ukraine in absehbarer Zeit nicht normalisieren würde, und der von vielen so sehr erhoffte "status quo ante" lag - und liegt beim Verfassen dieser Zeilen immer noch - in weiter Ferne. Dies spürten die Menschen allenthalben und eine gewaltige Welle der Hilfsbereitschaft rollte durch den Kreis und zahllose Menschen waren bestrebt, den Überfallenen so gut es ging zu helfen. Schon wenige Tage nach dem Beginn des russischen Angriffs rollten die ersten Konvois voll bepackt mit Kleidung, Möbeln inkl. einem ganzen LKW voller medizinischer Güter aus den Beständen der orthopädischen Klinik in Hessisch Lichtenau Richtung ukrainischer Grenze. Sehr engagiert waren dabei u.a. die Jugendbildungsstätte auf dem Ludwigstein, das THW, viele Privatpersonen und vor allem auch die Initiative "Eschwege hilft", die unzählige Tonnen Material an die ukrainische Grenze und darüber hinaus brachten.
Hier vor Ort ging es vor allem darum, die wachsende Zahl der Kriegsflüchtlinge unterzubringen. Dazu sammelte die Kreisverwaltung Angebote für Wohnraum und Unterkünfte, liefen Spenden- und Sammelaktionen wie z. B. bei der Jahreshauptversammlung der TSG Bad Sooden-Allendorf im Mai 2022, deren Teilnehmer 3.000 Euro aus dem Vereinsvermögen spendeten. Viele andere Vereine, Verbände und Institutionen stellten ähnliche Aktionen auf die Beine und versuchten damit, das Schicksal der Betroffenen ein wenig erträglicher zu gestalten.
Darüber hinaus zeigte sich aber sehr schnell, dass der Ukraine-Krieg auch erhebliche Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen vor Ort haben würde. So kletterten an den Tankstellen die Benzinpreise auf einen noch nie gesehenen Höchststand, erklommen aufgrund der eingestellten Gaslieferungen aus Russland die Gaspreise für viele "Normalverdiener" existenzgefährdende Höhen. Um die allerschlimmsten Auswirkungen abzuwenden, steuerte die Bundesregierung durch eine zeitlich begrenzte sogenannte "Gaspreisbremse" zwar gegen, die grundsätzliche Problematik der extrem verteuerten Energie aber blieb erhalten.
Ausbleibender Getreideexport aus der Ukraine ließ nicht nur eine Hungersnot in den ärmsten Ländern der Welt befürchten, sondern auch die Preise für heimische Backwaren deutlich ansteigen. Die teils exorbitanten Preissteigerungen beschränkten sich aber nicht auf Brot und Co., sondern zogen sich durch alle Branchen, verschärft noch durch die plötzlich unterbrochenen Lieferketten und fehlendes Material für die meisten handwerklichen Gewerke.
Den Sommer über beherrschte vor allem die Sorge über die Entwicklung von Gas- und Ölpreisen die Szenerie. Um die ganze Dramatik dieser Entwicklung zu demonstrieren, genügt der Blick auf die Preise bei handelsüblichem Heizöl im Zeitraum September 2021 bis Oktober 2022. Am 9. September 2021 kosteten im Werra-Meißner-Kreis 2.840 Liter Heizöl 1.941 Euro, am 22. Oktober 2022 die gleiche Menge 4.462 Euro - mithin also eine Preissteigerung von 2.521 Euro oder sage und schreibe 130 %.
Aktuell hat sich der Preis bei knapp 2.800 Euro eingependelt, zwar deutlich unter den Höchstständen vom Herbst 2022, aber immer noch um 900 Euro oder rund 46 % höher als vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges. Ähnlich gestaltete sich die Entwicklung beim Gaspreis, hier noch verschärft durch die staatliche Einführung einer "Beschaffungsumlage", mit der die Gasversorgung im Winter sichergestellt werden sollte und die die Stadtwerke vor Ort ad hoc umzusetzen hatten.
Zwar wurde diese Umlage als "Spitze des Eisberges" relativ schnell wieder kassiert, aber die Gaspreise blieben ebenso wie die Heizölpreise extrem hoch und waren dadurch Treiber einer inflationären Entwicklung, wie sie Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erlebt hatte. Wie sehr sich unsere Lebenshaltungskosten auf allen Ebenen seitdem verteuert haben, erleben wir jeden Tag beim Einkauf und alle staatlichen Ausgleichsmaßnahmen inkl. der Tarifabschlüsse mit höheren Entgelten für die Beschäftigten machen die finanzpolitische Situation nicht besser - was das letztlich auch für die Kreisfinanzen bedeutet, davon an anderer Stelle mehr.
Insgesamt waren und sind die Herausforderungen groß. Die Bilanz für den Kreis nach dem ersten Jahr Ukraine-Krieg las sich Ende Februar 2023 auf allen Ebenen wie folgt: Die größte registrierte Zahl an Flüchtlingen lag bei 1.049, überwiegend Frauen und Kinder, die allermeisten von ihnen versorgt durch ehrenamtlich Aktive wie "Eschwege hilft", die Tafeln in Eschwege und Witzenhausen bzw. die "Arche" in Hessisch Lichtenau. Der Kreis stellte 750.000 Euro für die Versorgung der Flüchtlinge im Haushalt für 2023 bereit, der Arbeitsmarkt hatte vorübergehend mit einer steigenden Zahl an Arbeitslosen, dem sogenannten "Ukraine-Effekt", zu kämpfen und die Schulen mussten hunderte ukrainischer Kinder sowohl unterrichten als auch integrieren.
Nichts ist so beständig wie der Wandel
Vieles hat sich in der Dekade seit 2014 gewandelt. Dies geschah - wie geschildert - hauptsächlich im Kontext globaler Zusammenhänge und Ereignisse, auf die die Menschen im Werra-Meißner-Kreis keinen Einfluss hatten. Aber auch der Kreis selbst hat sich deutlich verändert, vor allem auch im Hinblick auf seine politischen Kräfteverhältnisse. Bereits seit den Kommunalwahlen des Jahres 2011 waren mit SPD, CDU, FDP, den Grünen, der Linken sowie der FWG fünf Parteien und eine Wählergruppe im Kreistag vertreten - ein Jahrzehnt später wurde diese Meinungsvielfalt noch einmal durch die AfD erweitert.
Hatten sich bis einschließlich 2016 die Sozialdemokraten mit Stimmenanteilen jenseits der 40 %-Marke immer mit mehr oder weniger deutlichem Abstand als stärkste politische Kraft im Kreis behaupten können, so ist diese Stellung mit der Kommunalwahl 2021 deutlich ins Wanken geraten. Diese Erosion begann bereits im März 2016 und setzte sich fünf Jahre später ungebremst fort. Von 44,1 % im Jahre 2011 über 41,8 % in 2016 bis hin zu 32,8 % bei der bislang letzten Kommunalwahl im März 2021 ging es für die SPD rapide abwärts, ohne dass die CDU als größte Oppositionspartei nachhaltig davon profitieren konnte. Ihr Stimmenanteil bewegte sich wie festgezurrt in einer Range zwischen 30 % und 31 %.
Auch wenn es für die Christdemokraten ein Trost sein mag, nach jahrzehntelangem deutlichem Abstand nunmehr in der Wählergunst mit der SPD fast gleichauf zu liegen, so zeigen doch die Ergebnisse der beiden großen Parteien, dass es auch im Werra-Meißner-Kreis für die Volksparteien zunehmend schwerer geworden ist, der Zerfaserung des Parteienspektrums wirksam entgegenzutreten.
Nachdem seit dem März 2021 nun auch noch die rechtspopulistische AfD mit 5,21 % und drei Sitzen im Kreistag vertreten ist - noch 2016 war der Werra-Meißner-Kreis der einzige Landkreis in Hessen, in dem die AfD nicht zu den Wahlen angetreten war - verteilen sich die 61 Parlamentssitze aktuell auf sieben Parteien bzw. Wählergruppen: SPD (32,79 % / 20 Sitze), CDU (30,41 % / 19 Sitze), GRÜNE (13,21 % / 8 Sitze), Freie Wähler (10,32 % / 6 Sitze), AfD (5,21 % / 3 Sitze), Linke 4,06 % / 3 Sitze) und FDP ( 4,00 % / 2 Sitze).
Je differenzierter der Wählerwille das Parlament gestaltete, desto komplizierter wurde der Findungsprozess für eine arbeitsfähige Regierungskoalition, denn die Zeiten von SPD-Alleinregierungen bzw. Sozialliberalen oder rot-grünen Zweierkoalitionen gehörten seit 2016 sichtbar der Vergangenheit an. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise war seinerzeit die rot-grüne Koalition abgewählt worden und an ihre Stelle trat - zum ersten Mal in der Kreisgeschichte - ein Dreierbündnis bestehend aus SPD, Grünen und der FDP. Fast ist man an dieser Stelle geneigt, diese "Ampel" im Werra-Meißner-Kreis als Blaupause für die spätere Ampelregierung auf Bundesebene zu bezeichnen, wobei sich allerdings die Regierungsarbeit der "kleinen" Ampel auf Kreisebene in der folgenden Legislaturperiode deutlich geräuschloser und effektiver gestaltete als das ihrer "großen" Nachfolgerin auf Bundesebene.
Fand die Kommunalwahl 2016 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise statt, so stand der Urnengang fünf Jahre später im Zeichen der Pandemie, was sicher auch den seit 2016 exorbitant gestiegenen Anteil der Briefwähler von 14 % auf 33 % der Wahlberechtigten erklärt. Seit in Hessen bei der Wahl neuer Kommunalparlamente das Prinzip von Kumulieren und Panaschieren angewandt wird, sind diese Stimmabgaben zu einer komplexen, im Extremfall sogar höchst zeitaufwendigen Angelegenheit geworden. Wenn man z. B. für den Kreistag jede Stimme einzeln vergibt, was nach dem Wahlrecht durchaus möglich ist, müssen 61 Kreuzchen gesetzt werden - ohne die darüber hinaus zu Stimmen für Stadtparlamente, Ortsbeiräte etc.
Im März 2021 hatten sich den 81.000 Wahlberechtigten im Werra-Meißner-Kreis insgesamt 1.538 Bewerberinnen und Bewerber um die Sitze in Ortsbeiräten, Stadtparlamenten, Gemeindevertretungen und Kreistag zur Wahl gestellt. Allein bei der Kreistagswahl wurden 2.484.096 gültige Stimmen kumuliert und panaschiert, deren Auszählung mehrere Tage in Anspruch nahm und mit denen dann letztlich die seit 2016 regierende Ampel zwar knapp, aber dennoch abgewählt wurde. Was folgte, war ein neues Konstrukt, nämlich eine sogenannte "Kooperationsvereinbarung" von SPD und Grünen mit der Partei Die Linke, die unterhalb der Schwelle einer formalen Koalition für eine regierungsfähige Mehrheit im Kreistag sorgen sollte.
Dieses Konstrukt hatte allerdings nur eineinhalb Jahre Bestand, um dann, bedingt auch durch Turbulenzen um die Wahl des neuen Ersten Kreisbeigeordneten, im Januar 2023 von der ersten "Großen Koalition" auf Kreisebene abgelöst zu werden. Ein Bündnis von SPD und CDU war für den Werra-Meißner-Kreis etwas so grundlegend Neues, dass es für viele ziemlich überraschend kam. Beide Partner setzten damit, wie es ein Pressekommentar formulierte, "auf Verlässlichkeit statt Luftschlösser" und präsentierten in ihrem 10-seitigen Koalitionsvertrag Anfang Januar 2023 elf Themenfelder, mit denen sie den Kreis fit für die Zukunft machen wollen.
Nachdem Landrat Stefan Reuß Mitte März 2017 seine erneute Kandidatur für das höchste Amt im Landkreis öffentlich gemacht hatte, war die für den 24. September zusammen mit der Bundestagswahl angesetzte Wahlentscheidung eigentlich nur noch Formsache. Seit dem 6. Juni 2006 im Amt, hatte sich der Landrat durch sein überaus erfolgreiches Wirken über alle Parteigrenzen hinweg eine solche Reputation erarbeitet, dass keine der im Kreistag vertretenen Parteien auf den Gedanken kam, einen Gegenkandidaten aufzustellen.
Bei einer - bedingt durch die gleichzeitig stattfindende Bundestagswahl - hohen Wahlbeteiligung von 73,8 % erreichte er dann auch mit 83,8 % Zustimmung ein absolutes Traumergebnis, das seine 78 % aus dem Jahr 2012 noch einmal deutlich übertraf. Nachdem am 6. November auch der 1. Beigeordnete Dr. Rainer Wallmann vom Kreistag für eine zweite Amtszeit gewählt wurde, konnte die Presse titeln, dass "Reuß und Wallmann ( ...) für weitere sechs Jahre den Werra-Meißner-Kreis (...) vertreten".
Was damals niemand ahnen konnte: Beide verließen vor dem Ende ihrer Amtszeit die Kreisverwaltung - Landrat Stefan Reuß wurde am 30. Juni 2021 mit Wirkung zum 1. Januar 2022 zum Präsidenten des Hessischen Sparkassen- und Giroverbandes gewählt und der Erste Beigeordnete Dr. Rainer Wallmann wechselte im Herbst 2022 als Geschäftsführer des kommunalen Abfallentsorgungsunternehmens EDG nach Dortmund.
Nun mussten beide Spitzenpositionen nacheinander neu besetzt werden, ein Vorgang, der die heimische politische Landschaft gehörig durcheinanderwirbelte. Für den Landratsposten waren es dann letztlich vier Kandidatinnen und Kandidaten, die für den zum 1. Januar 2022 freiwerdenden Chefsessel im Landgrafenschloss ihre Hüte in den Ring warfen: die Bürgermeister Herz (Witzenhausen, parteilos), Hix (Bad Sooden-Allendorf, CDU) und Lenze (Berkatal, SPD) sowie als einzige Frau innerhalb der bürgermeisterlichen Männerrunde die Grebendorfer Ortsvorsteherin Nicole Rathgeber, deren Kandidatur von den Freien Wählern unterstützt wurde.
Den ersten Wahlgang am 24. Oktober entschied Friedel Lenze mit 41,56 % der Stimmen für sich, gefolgt von Nicole Rathgeber, die 29,70 % auf sich vereinigen konnte - beide stellten sich am 7. November der notwendigen Stichwahl. Letztere entschied, wie die Presse titelte "überraschend" Nicole Rathgeber mit großem Vorsprung für sich (59,7 % gegenüber 40,3 %) und wurde dadurch zur neuen Landrätin gewählt.
Ihren höchsten Stimmenanteil erreichte die neue Landrätin dabei im Ringgau mit 79,4 % und in Wanfried mit 71,9 %, ihren niedrigsten in Eschwege und Berkatal - knapp an der 50 %-Marke vorbei - mit jeweils 46,9 %. Alles in allem ein solides Wahlergebnis. In ihr Amt eingeführt wurde sie in der Kreistagssitzung am 13. Dezember 2021, in der gleichzeitig der scheidende Landrat Stefan Reuß nach seiner letzten höchst emotionalen Kreistagsrede vom Hohen Haus einmütig "mit Ovationen im Stehen verabschiedet" wurde.
Als Nicole Rathgeber am 1. Januar 2022 ihr Amt antrat, war das für den Werra-Meißner-Kreis in vielerlei Hinsicht eine Zeitenwende: Seit Gründung der Landkreise Eschwege und Witzenhausen 1821 und deren Zusammenlegung 1974 war die neue Landrätin die erste Frau an der Spitze des Kreises, die erste, die die Bastion der SPD im Landratsamt nach 48 Jahren durchbrochen hatte, zudem in Hessen eine von damals insgesamt nur drei (heute zwei) Landrätinnen und die einzige, die aus den Reihen der Freien Wähler kam.
Bundesweite Bekanntheit erlangte die Landrätin dann anderthalb Jahre später, als sie in der Sendung "RTL Direkt Special - Am Tisch mit Olaf Scholz" als eine von vier "Menschen aus dem Volk" die Möglichkeit hatte, direkt mit dem Bundeskanzler zu diskutieren. Eine knappe Million Zuschauer hatte eingeschaltet und erlebte eine Landrätin, die mit Olaf Scholz "...auf Augenhöhe diskutierte" und dabei "den Schneid hatte, dem Bundeskanzler Erfahrungen von "normalen Menschen" sachlich, aber bestimmt mit auf den Weg zu geben (...) Nicht zuletzt prägte sie den Satz des Abends, der in der Übertragung ein wenig unterging: "Seien Sie mehr on fire!" "On fire" geriet dann ab Herbst zunehmend die hauchdünne rot-grün-rote Mehrheit im Kreistag.
Nach der Ankündigung des hauptamtlichem Ersten Kreisbeigeordnetem, den Werra-Meißner-Kreis in Richtung Ruhrgebiet zu verlassen (s. o.), begann die fieberhafte Suche nach einem Nachfolger. Im Herbst 2022 schickten dann die Grünen, die laut Koalitionsvertrag das Vorschlagsrecht für diese Position besaßen, Holger Pflüger-Grone aus Witzenhausen ins Rennen. Die Abstimmung am 26. September zeitigte allerdings auch nach drei Wahlgängen kein Ergebnis, denn dem Kandidaten der Mehrheitsfraktionen war in allerletzter Minute in Gestalt des von der CDU ins Rennen geschickten Juristen Dr. Philipp Kanzow ein Gegenkandidat erwachsen, der die exakt gleiche Stimmenzahl erreichte.
Was folgte, war eine wachsende Ungewissheit über die zukünftigen Kräfteverhältnisse im Kreistag, die in eine Neuausschreibung der Beigeordnetenstelle und den Verzicht des Grünen-Kandidaten auf einen zweiten Wahlgang mündete.
Als Folge all dieser politischen Turbulenzen begannen ab Mitte Dezember erste Gespräche zwischen SPD und CDU, um die Möglichkeit einer "Großen Koalition" auszuloten.
Mitte Januar 2023 wurde diese Option dann konkret: Die Sozialdemokraten beendeten ihre Zusammenarbeit mit den Grünen und schlossen stattdessen ein Bündnis mit der CDU. Diese Koalition stellte in der Geschichte des Werra-Meißner-Kreises eine ebensolche Zeitenwende dar, wie bereits im Herbst 2021 die Wahl Nicole Rathgebers zur Landrätin. Zwar war die neue Verbindung laut den Aussagen beider Partner "keine Liebesheirat", bedeute aber eine stabile Mehrheit im Kreistag (39 von 61 Sitzen) und sei deshalb - auch angesichts der bestehenden und zukünftigen Herausforderungen - für den Kreis das Beste. Um diese Mehrheit auch im täglichen Geschäft zu verankern, gestand die CDU den Sozialdemokraten die Position des Ersten Kreisbeigeordneten zu, womit die SPD wieder direkten Zugriff auf das Landratsamt erhielt.
Im Gegenzug bekam die CDU das Zugriffsrecht auf die neu geschaffene Position eines zweiten hauptamtlichen Beigeordneten und den Vorsitz im Kreistag. Entsprechend dieser Vereinbarungen wurde der bisherige Kreistagsvorsitzende Friedel Lenze am 1. März 2023 zum Ersten Kreisbeigeordneten und der CDU-Abgeordnete Peter von Roeder zum neuen Kreistagsvorsitzenden gewählt. Mit der Änderung der Hauptsatzung wurden gleichzeitig die rechtlichen Voraussetzungen für die Wahl eines weiteren hauptamtlichen Beigeordneten geschaffen, die dann - allerdings begleitet von erheblichem politischen Widerstand in der kreisweiten Öffentlichkeit - am 1. Juni erfolgte und den bereits im Herbst 2022 von der CDU ins Rennen geschickten Dr. Philipp Kanzow in das neu geschaffene Amt brachte. Die Kreisspitze war nun wieder komplett, dabei erstmals in der Geschichte des Werra-Meißner-Kreises zu dritt.
Bemerkenswert - und deshalb an dieser Stelle auch zu dokumentieren - ist das Ergebnis der Wahlen zum Hessischen Landtag vom 9. Oktober 2023, die auch für den Werra-Meißner-Kreis eine dramatische Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse mit sich brachten. Unter der Schlagzeile "Rechtsruck ist haarsträubend" bewertete die Lokalpresse das Wahlergebnis als "deutlichen Sieg für die CDU, enorme Zuwächse für die AfD, eine Klatsche für Grüne und SPD" . "Tief enttäuscht" zeigte sich deshalb auch der SPD-Unterbezirksvorsitzende Knut John aus Eschwege, dessen Partei im gesamten Werra-Meißner-Kreis als eine ihrer einstigen Hochburgen herbe Verluste hinnehmen und den Christdemokraten die "Pole Position" überlassen musste.
Damit lagen die Verluste der Sozialdemokraten zwischen Werra und Meißner ebenso voll im Landestrend wie die der Grünen und die Gewinne der Christdemokraten, die in beiden Wahlkreisen, die das Kreisgebiet abdeckten, stark zulegten und mit Abstand zur führenden politischen Kraft auf Landesebene wurden. Ebenfalls hohe Zuwächse verbuchen konnte die rechtspopulistische AfD, die sowohl im Wahlkreis 9 "Eschwege-Witzenhausen" als auch im Wahlkreis 10 "Rotenburg" Zuwächse von über 5 % erreichte und mit knapp 20 % fast ebenso viele Zweitstimmen auf sich vereinigen konnte wie die Sozialdemokraten.
Haushalte und Investitionen
Sowohl die notwendige Daseinsvorsorge für die Bürger als auch die auf vielen Ebenen erforderlichen Zukunftsinvestitionen sind natürlich auch auf der Ebene des Landkreises von dessen finanzieller Ausstattung abhängig. Es genügt daher nicht, hehre politische Absichtserklärungen zu postulieren und den Menschen möglichst rosige Perspektiven anzudienen. Gefragt ist immer eine Politik mit Augenmaß, die eingedenk der vorhandenen finanziellen Möglichkeiten das Machbare in den Blick nimmt und sich nicht in - sicher erstrebenswerten, aber unrealisierbaren - Zukunftsträumen verliert.
Nach Jahren der finanziellen Dauerkrise hatte sich der Landkreis mit Wirkung vom 7. Dezember 2012 unter den Schutzschirm des Landes Hessen gestellt und war von 19,6 Mio. Euro der angehäuften Schulden entlastet worden. Im Gegenzug hatte man sich verpflichtet, bis spätestens 2018 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Dieses Ziel war nicht nur ambitioniert, sondern wurde auch erreicht - und zwar viel früher, als es selbst die kühnsten Optimisten erwartet hatten.
Bereits 2014 schaffte man einen ausgeglichenen Etat und ein Jahr später war der "Turnaround" mit dem ersten positiven Kreishaushalt seit 21 Jahren endgültig geschafft. Bei einem Gesamtvolumen von insgesamt 135 Mio. Euro hatte sich das ursprünglich für das Haushaltsjahr 2015 eingeplante Minus von 1,4 Mio. Euro in ein zwar kleines, aber nichtsdestotrotz Plus von 188.000 Euro gewandelt.
Dass diese positive Entwicklung keine Eintagsfliege war, bestätigte sich Ende November 2015 bei der Einbringung des Haushalts für 2016, der, laut vorsichtiger Prognose, mit einem Überschuss von etwa einer Viertelmillion abschließen sollte. Aus dieser Viertelmillion wurde bis zum September 2016 dann ein mehr als deutliches Plus von 5,5 Mio. Euro, das den Kreis nunmehr auch in die Lage versetzte, "Altdefizite auszugleichen und in die Zukunft zu investieren."
In ähnlichen Dimensionen entwickelten sich die Haushalte der kommenden Jahre, so dass man bereits Ende Januar 2018, also vier Jahre früher als geplant, den kommunalen Schutzschirm des Landes Hessen wieder verlassen konnte. Damit übernahm das Land Hessen fast 20 Mio. Euro Schulden, die sich in der Vergangenheit angesammelt hatten, und attestierte dem Kreis darüber hinaus, "bei der Konsolidierung ein hohes Tempo vorgelegt zu haben."
Auf die Gründe für diese rasante und überraschend positive Entwicklung angesprochen, verwies Landrat Stefan Reuß u. a. auf die seinerzeit herrschende Niedrigzinsphase, die "für alle öffentlichen Haushalte natürlich ein Segen" gewesen sei, sowie die uneingeschränkt positive konjunkturelle Lage. Zukünftig war der Kreis nun dauerhaft zu einem ausgeglichenen Haushalt verpflichtet und musste sich gleichzeitig einer zusätzlichen Netto-Neuverschuldung enthalten.
Nächstes Ziel auf dem Weg hin zur nachhaltigen finanziellen Gesundung war der Abbau der Kassenkredite. Ähnlich wie beim Schutzschirmprogramm stand auch hier wieder das Land bereit, dieses Mal mit dem speziellen Unterstützungsprogramm der sogenannte "Hessenkasse", mit deren Hilfe die Kassenkredite von Kreisen, Städten und Gemeinden abgelöst werden konnten.
Nachdem am 7. Mai 2018 der Kreistag den Beitritt zur Hessenkasse beschlossen hatte, wurden mit Stichtag 17. Dezember 2018 47,6 Mio. Euro Schulden, die durch Kassenkredite aufgehäuft worden waren, vom Land Hessen übernommen. Natürlich ging auch dies nicht ohne Eigenleistung, denn die Hälfte der Gesamtsumme muss an das Land zurückgezahlt werden. Gewählt wurde hier ein Ratenmodus in Höhe von 25 Euro pro Einwohner und Jahr - der Kreis muss also bis Ende 2027 jedes Jahr rund 2,5 Mio. Euro als Tilgung an das Land überweisen.
Die positive Haushaltsentwicklung setzte sich in den kommenden Jahren fort - zwar nicht immer auf der Höhe des Jahres 2016 - aber kontinuierlich im positiven Bereich. Fast das gesamte vergangene Jahrzehnt hatte dieser Haushaltstrend Bestand, ehe er ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2024 in den negativen Bereich drehte. Noch für 2023 wies der Jahresabschluss einen Überschuss von rund 2 Mio. Euro aus - an ein solches Ergebnis ist im laufenden Haushaltsjahr 2024 noch nicht einmal ansatzweise zu denken.
Bereits bei der Einbringung des Etats Mitte Dezember 2023 war deutlich geworden, dass sich der eingebrachte Haushaltsansatz mit 198 Mio. Euro auf der Einnahmen- und 213 Mio. Euro auf der Ausgabenseite nicht nur weit weg von den mittlerweile gewohnt positiven Zahlen bewegen, sondern mit einem prognostizierten Minus von über 14,5 Mio. Euro in rekordverdächtigen Negativsphären bewegen würde.
Dennoch wurde er von den Mehrheitsfraktionen im Kreistag "zähneknirschend gebilligt", wobei diese allerdings im gleichen Atemzug "ernsthafte Sparbemühungen der Kreisverwaltung einforderten". Die Forderung nach Sparbemühungen ist das Eine, Möglichkeiten solche zu finden und sie dann vor allem auch mit signifikanten Auswirkungen auf die Ausgabenseite umzusetzen, das Andere. Dies insbesondere auch, weil - wie alle Fraktionen im Kreistag unisono monieren - von Bund und Land den Kreisen immer neue Aufgaben zugeordnet werden, ohne dass im Gegenzug die finanzielle Ausstattung entsprechend verbessert wird. Letztlich führt dieses Vorgehen dazu, dass "dreiviertel des Kreishaushaltes nicht mehr zu beeinflussen sind ", was nicht nur aktuell im Werra-Meißner-Kreis, sondern in fast allen hessischen Landkreisen zu ähnlich gelagerten Finanzproblemen führt.
Für den Werra-Meißner Kreis bedeutet dieses Szenario, dass sich im ersten Quartal des laufenden Haushaltsjahres 2024 bereits ein Verlust von ca. 2 Mio. Euro ergeben hat und sich der Haushalt für das Gesamtjahr so entwickeln wird, wie bei der Einbringung des Etats prognostiziert wurde. Dabei dürfte die finanzielle Talsohle, wie es Landrätin Nicole Rathgeber auf der Kreistagssitzung im Mai 2024 berichtete, noch lange nicht erreicht sein.
"Trotz des erheblichen Defizits im Jahr 2024", so die Verwaltungschefin, "...das auch durch eine hohe Ausgleichszahlung von 5,5 Mio. Euro an das Klinikum geschuldet ist, sei das laufende Haushaltsjahr noch ein Schonjahr. Die Prognosen zeigten, dass 2025 noch viel schlimmer werde." Auch wenn die Fachbereichsleiter der Kreisverwaltung deshalb erneut aufgefordert wurden, "massiv zu sparen", verheißt dieser Ausblick der Landrätin für die kommenden Jahre nichts Gutes.
"Jeder zweite Euro für Soziales" - diese Schwerpunktsetzung von Landrat Stefan Reuß für den Etat 2018 galt nicht nur für dieses eine, hier beispielhaft herausgegriffene Zahlenwerk, sondern zog sich durch alle Haushaltspläne, die vom Kreistag im letzten Jahrzehnt verabschiedet worden sind. Neben den knapp 19 Mio. Euro, die als Umlage an den Landeswohlfahrtsverband gingen, waren dies 2018 noch 34 Mio., die in die Bereiche Grundsicherung für Sozialhilfeempfänger bzw. Arbeitssuchende flossen, 14 Mio. erhielt die Kinder- und Jugendhilfe, 5 Mio. mussten für die Betreuung von Geflüchteten aufgewendet werden.
Neben dem Schuldenmanagement lag ein weiterer Schwerpunkt mit 18 Mio. Euro im investiven Bereich, wobei hier der Löwenanteil an Schulen und Kreisgebäude mit 11,6 sowie die Erhaltung der Kreisstraßen mit 4 Mio. ging. In ähnlicher Höhe bewegten sich die Investitionen auch in den kommenden Jahren, wobei insbesondere die Erneuerung der Gefahrenabwehr, sprich neue Feuerwehrfahrzeuge und Gerätehäuser, sowie - und dies vor allem - die grundlegende Modernisierung der Kreisverwaltung selbst im Fokus stand.
Nachdem zum Jahresbeginn 2015 die Sanierungsarbeiten in der Witzenhäuser Außenstelle fast abgeschlossen waren, begannen nun die Vorbereitungen zur Modernisierung der Verwaltungsgebäude im Eschweger Landgrafenschloss. Bereits 2014 war allen Verantwortlichen klar, dass das stark sanierungsbedürftige Schloss den Anforderungen, die eine zukunftsfähige Verwaltung zu erfüllen hatte, nicht mehr entsprach. Hinzu kam eine immer problematischer werdende räumlich Enge sowie die wenig bürgernahe Aufteilung der Kreisverwaltung auf mehrere, z. T. weit entfernte Standorte.
Geraume Zeit legten die Planungen den Fokus auf die Komplettsanierung des Schlossareals, um dann auf einmal Ende Mai 2015 in eine ganz andere Richtung zu gehen und das Areal auf der gegenüber liegenden Straßenseite mit Schlosshotel und ehemaliger Sparkasse in den Blick zu nehmen. Die bislang geplante Komplettsanierung des Schlosses sollte nun "deutlich zurückgefahren", das Schlosshotel erworben und zusammen mit der bereits als Verwaltungsgebäude genutzten ehemaligen Sparkasse abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Nachdem der Kreistag mit deutlicher Mehrheit "grünes Licht" für dieses völlig veränderte Konzept gegeben hatte, wurden Ende Juli 2015 die Kaufverträge unterschrieben, das Schlosshotel gekauft und am 25. September der Startschuss für das neue Sanierungskonzept mit einem europaweit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb gegeben.
In seiner ursprünglichen Form war die Fertigstellung des Gesamtprojekts auf das Jahresende 2019 terminiert - aufgrund der veränderten Umstände und auch bedingt durch den doch zeitaufwändigen Architektenwettbewerb ging man nun von einem Bauende Mitte bis Ende 2020 aus. Dieser Terminangabe lag allerdings die Vorstellung von reibungsloser Planung und zügiger Ausführung zugrunde. Die tatsächlichen Abläufe gestalteten sich dann aber deutlich komplizierter und langwieriger als im Szenario des Sommers 2015 prognostiziert.
Der Kostenrahmen sollte sich im Vergleich zur ursprünglichen Planung nicht ändern und für die Gesamtsanierung - also inkl. der bereits abgeschlossenen Arbeiten am Kreishaus in Witzenhausen - weiterhin bei 13,8 Mio. Euro gedeckelt bleiben, wobei das bereits sanierte Kreishaus in Witzenhausen mit 300.000 Euro zu Buche schlug. Für die Modernisierung des Landgrafenschlosses waren nun 3 Mio. Euro veranschlagt und der völlig neu zu planende Bereich Verwaltungsgebäude II/Schlosshotel sollte - einschließlich des Kaufpreises von 500.000 Euro für das Schlosshotel - die Summe von 10,5 Mio. Euro nicht überschreiten.
Der Ende September 2015 angestoßene Architektenwettbewerb stieß in der Branche auf große Resonanz und die Kreisverwaltung erhielt diesbezüglich über 500 Anfragen. Letztlich beteiligten sich 74 Architekturbüros am Wettbewerb und reichten bis Anfang 2016 ihre Entwürfe ein. Im Frühjahr 2016 verständigte sich die Findungskommission, bestehend aus Kreisverwaltung, Architekten, Stadtplanern, den Fraktionsvorsitzenden der Parteien und Vertretern der Stadt Eschwege auf die 16 Entwürfe, aus denen dann bis Mitte Juni die drei Erstplatzierten herausgefiltert wurden.
Den Auftrag bekam letztendlich auch der Sieger des Wettbewerbs, das Berliner Architekturbüro Karl Hufnagel, das in seinem Entwurf große Teile des bestehenden Gebäudekomplexes als erhaltungs- und sanierungswürdig einbezogen hatte. Am Beginn der eigentlichen Arbeiten stand dann ab dem Sommer 2017 als erstes der Abriss der nicht erhaltenswürdigen Gebäudeteile des bisherigen Verwaltungstraktes II. Die dort beschäftigten Mitarbeiter waren zuvor für die Zeit bis zur Fertigstellung des Neubaus nach Oberhone umgezogen.
Kurz bevor Anfang 2019 dann mit dem eigentlichen Neubau begonnen werden konnte, musste erst einmal eine ebenso überraschende wie negative Neubewertung sowohl des Zeitplans als auch des Kostenapparates verdaut werden: Die Fertigstellung verzögerte sich um ein ganzes Jahr und - noch viel gravierender - sie verteuerte sich um fast 4 Mio. Euro. Hinzu kamen noch die absehbar anschwellenden Kosten der Schlosssanierung, die in ihrer Gesamtheit bei Verantwortlichen und Öffentlichkeit einen gehörigen Schock auslösten. Was folgte, war die Neubewertung des Gesamtprojektes, die schließlich in drei neue Planungsvarianten mit unterschiedlichen Kostenrahmen zwischen 13,59 und 16,25 Mio. Euro mündete.
Angesichts dieser Situation verschob sich der Baubeginn um ein ganzes Jahr - 2019 hatte man alle Hände voll zu tun, den Kostenrahmen von Neubau und Gesamtsanierung einigermaßen in Grenzen zu halten. Dies beschäftigte sowohl den Kreistag in mehreren Sitzungen - hier wurde u. a. im Februar 2019 ein Akteneinsichtsausschuss gebildet - als auch die verantwortlichen Dienststellen der Kreisverwaltung unter Leitung des zuständigen Ersten Kreisbeigeordneten Dr. Rainer Wallmann fast eineinhalb Jahre.
Im März 2019 kündigte der Kreis dann die Verträge mit dem bislang verantwortlichen Berliner Architekturbüro und beauftragte den kreiseigenen Architekten Theodor Sternal mit der Neuplanung, die den ursprünglichen Entwurf "abspeckte", dadurch mit 12,5 Mio. deutlich kostengünstiger und vom Kreistag folgerichtig auch so beschlossen wurde. "Auf Basis dieser Neuplanung", erläuterte der 1. Beigeordnete diese Entscheidung gegenüber der Presse, "...mit den Gesamtinvestitionen von 12,5 Mio. Euro sowie den Investitionsfolgekosten hat der Kreistag am 22. März 2019 entschieden, den Vertrag mit dem Büro Hufnagel zu kündigen bzw. aufzuheben und die nach aktuellem Berechnungsstand ca. 2,5 Mio. günstigere Neuplanung umzusetzen."
Teilt man die Komplettsanierung der Kreisverwaltung in zwei Abschnitte ein, so endete der durch mancherlei Turbulenzen und Konfusionen geprägte erste mit dem nicht ganz billigen Ende der Kooperation mit dem Architekturbüro Hufnagel - letztlich musste der Kreis an Honoraren und Ausfallentschädigungen 660.000 Euro nach Berlin überweisen - und dem Beginn der eigentlichen Bauarbeiten im September 2020.
Als dann tatsächlich mit den Bauarbeiten begonnen wurde, traten die Turbulenzen des Vorjahres in den Hintergrund und der Neubau machte unerwartet geräuschlos sichtbare Fortschritte. Auch auf der Kostenseite gab es positive Signale: Trotz der weltweit gestiegenen Rohstoffpreise blieb es bei den veranschlagten Kosten von etwa 12,4 Mio. Euro. Dies lag auch daran, dass 95 % der notwendigen Gewerke noch zu den günstigeren Konditionen des Jahres 2020 beauftragt werden konnten. Anfang Juli 2020 wurde dann für den Neubau des Gebäudeteils C Richtfest gefeiert und einen Monat später stand dann auch der Rohbau für Gebäudeteil D.
Doch auf den "letzten Metern" der Baumaßnahme gab es noch einmal schlechte Nachrichten: Im Februar 2022 musste ein weiterer deutlicher Kostenanstieg verkraftet werden - diesmal drehte es sich um rund 650.000 Euro, die vor allem den knappen Rohstoffen auf dem Weltmarkt und den damit verbundenen z. T. exorbitanten Preiserhöhungen geschuldet waren. Letztendlich verschlang der Neubau inkl. aller Summen, die den Auseinandersetzungen im Kontext der Erstbeplanung "zum Opfer" fielen, 13,6 Mio. Euro - ob die für die Schlosssanierung veranschlagten 4,4 Mio. ausreichen werden, muss die Zukunft zeigen.
Natürlich war die Modernisierung der Verwaltungsgebäude nur ein Teil der vielfältigen Investitionen, die der Werra-Meißner-Kreis während des letzten Jahrzehnts in eigener Regie getätigt hat. Mit den Schulen und den Kreisstraßen, deren Funktionstüchtigkeit der Kreis als verantwortlicher Träger zu gewährleisten hat, sind schon die beiden Bereiche genannt, die hier im Mittelpunkt stehen. Maßnahmen zur Verbesserung dieser wichtigen Bestandteile "Kommunaler Infrastruktur" werden aufgrund ihrer Bedeutung regelmäßig auch von Bund und Land gefördert, so dass sich die finanzielle Belastung für den Kreishaushalt bei den allermeisten Maßnahmen somit in überschaubaren Bahnen bewegt.
Ein Beispiel für diese Aufteilung sind die Planungen für das Jahr 2016, in dem von Seiten des Kreises "15 Schulen und 5 Kreisstraßen modernisiert und saniert" wurden. Für dieses Investitionsprogramm, das in seiner Gesamtheit ein Volumen von 13,5 Mio. Euro hatte, erhielt der Kreis rund 12,5 Mio. als Zuschüsse von Bund und Land über direkte Zahlungen bzw. sogenannter Sonder- und Rahmendarlehensprogramme.
Wie wurden nun diese Gelder im Einzelnen verwendet? Hierzu an dieser Stelle die ausführliche Dokumentation aller Einzelmaßnahmen des Jahres 2016 im Bereich der Schulen, die mit 11,5 Mio. Euro den Löwenanteil der Gesamtsumme verschlangen und in den Folgejahren 2018, 2020 und 2023 mit weiteren 18 Mio. Euro in ähnlicher Intensität fortgeführt wurden:
Bis 2022 wurden dann insgesamt 23 Sanierungsprojekte mit Kosten in Gesamthöhe von 14,2 Mio. Euro durchgeführt, ab 2023 folgten noch einmal 11 Maßnahmen mit einem Volumen von 6,5 Mio. Euro für die Landesstraßen und 8 Mio. Euro für die Bundestrassen. "Ziel aller dieser Maßnahmen", so Hessen Mobil als die dafür zuständige Behörde, "sei es, kontinuierlich und verlässlich an der Sanierung der Landesstraßen zu arbeiten und deren vielerorts schlechten Zustand zu verbessern."
Ein stetes Ärgernis hingegen und wirtschaftlicher Hemmschuh zudem ist die scheinbar "unendliche Geschichte" des Baus der A 44. Nicht nur, dass andauernde Materialengpässe und Lieferschwierigkeiten die eigentlich für 2022 geplante Freigabe des Abschnittes Waldkappel-Ringgau nochmals bis zum Jahresende 2024 verschieben, sondern auch die Fertigstellung der Autobahn insgesamt wird sich abermals um mehrere Jahre verzögern. Grund hierfür ist die einkassierte Ausschreibung des Tunnels Holstein bei Sontra, die die erneute Vergabe der Bauarbeiten notwendig machte. Die Folge: Stillstand der Arbeiten in Höhe Mitterode, Entsetzen in Sontra und die allgemeine Befürchtung, dass diese für den Kreis so wichtige Schnellstraße niemals fertig wird.
War die Ertüchtigung des Straßennetzes auf Kreis- und Landesebene praktisch mit den Händen zu greifen, so konnte im Bereich der Versorgung mit schnellem Internet davon mitnichten die Rede sein. Mit großem Medienrummel als "Europas größtes Breitbandprojekt" im Oktober 2016 von den fünf Landkreisen Kassel, Hersfeld-Rotenburg, Schwalm-Eder, Waldeck-Frankenberg und natürlich Werra-Meißner in Bad Sooden-Allendorf gestartet, sollten die beteiligten Kreise bis 2020 flächendeckend mit schnellem Internet versorgt werden; von den insgesamt dazu erforderlichen rund 2.000 km Kabel waren 400 km im Werra-Meißner-Kreis zu verlegen.
Im Mai 2018 gab es dann eine positive Zwischenbilanz bezüglich der Ausbaufortschritte, die sich mit bislang 1.000 km verlegtem Kabel laut Breitband Nordhessen GmbH deutlich besser entwickelten als geplant. Im Werra-Meißner-Kreis war man seinerzeit in Frankenhain, Frankershausen, Herleshausen, Nesselröden, Unhausen, Wommen, Grandenborn, Blankenbach, Wolfterode, Breitau und Ulfen in der Bauphase, auf die dann die Vermarktung folgen sollte. In allen anderen Gemeinden des Altkreises Eschwege befand man sich indes noch in der Planungsphase.
Im März 2023 dann folgende Schlagzeilen in der HNA: "Vielerorts läuft noch nicht viel" und "Ausbau gerät ins Stocken" . Der Grund für diese enttäuschende Entwicklung - immerhin war ja 2016 prognostiziert worden, dass alle beteiligten Kreise bis 2020 flächendeckend mit schnellem Internet versorgt sein würden - lag einerseits an der deutlich verspäteten Fertigstellung des Kabelnetzes, vor allem aber an der wachsenden Marktsituation vor Ort, die durch eine Vielzahl konkurrierender Anbieter hervorgerufen wurde. Während in manchen Kommunen der Ausbau mit Glasfaser so gut wie abgeschlossen ist, hat er in anderen Orten leider noch nicht begonnen. Alle beteiligten Akteure sind positiv gestimmt, dass der Werra-Meißner-Kreis in den nächsten Jahren tatsächlich flächendeckend mit schnellem Internet versorgt sein wird.
Ebenso unbefriedigend wie die kreisweite Bereitstellung des schnellen Internets entwickelte sich auch der Wohnungsmarkt. So stieg landesweit 2021 die Zahl der Neubauten gegenüber dem Vorjahr um 9,8 %, im Werra-Meißner-Kreis allerdings sank sie um 38 % . Insgesamt wurden binnen Jahresfrist zwischen Werra und Meißner nur 55 neue Wohngebäude gebaut - 49 von ihnen waren Einfamilien-, fünf Zweifamilienhäuser und nur ein einziges hatte mehr als drei Wohnungen. Mit diesen Zahlen stand der Kreis im "hessischen Vergleich ganz unten." Obwohl das Mietniveau zwischen Werra und Meißner noch nicht einmal ansatzweise die Dimensionen erreicht hat, die mittlerweile in den Ballungszentren als "normal" definiert werden, fehlt es trotzdem an bezahlbarem Wohnraum.
Um diesem Umstand entgegenzutreten, wurde der Kreisausschuss im Juni 2023 vom Kreistag nach langen und kontroversen Diskussionen mit knapper Mehrheit beauftragt, das Konzept einer kreiseigenen Wohnungsbaugesellschaft zu entwickeln. Sinn dieses ergebnisoffenen Prozesses sollte es am Ende sein, mit einer eigenen Wohnungsbaugesellschaft jenseits aller Profitorientierung die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen und nicht zuletzt dadurch den Kreis als attraktiven Wohnstandort für neue Mitbürger interessant zu machen. Im Frühjahr 2024 hat der Kreistag mit großer Mehrheit beschlossen, dass zunächst ein "Masterplan Wohnen" erstellt werden soll. Dieser soll als verlässliche Grundlage dienen um weitere Fördergelder zu akquirieren und entsprechenden Wohnraum schaffen zu können. Die Angelegenheit bleibt unter dem Titel "Gründung einer Wohnungsbaugenossenschaft/Masterplan Wohnen" im Geschäftsgang.
Arbeiten und Leben
Was macht die Lebensqualität einer Region aus? Diese Frage stellt sich im Werra-Meißner-Kreis in periodischen Abständen immer wieder aufs Neue. Grund dafür sind nicht nur die kreisinternen Entwicklungen, sondern die regelmäßig in Form diverser Studien von unterschiedlichen Medien, Instituten und Ämtern publizierten Kriterien, die den Kreis in ein vermeintlich objektives Ranking-Raster zu pressen versuchen.
Ob es sich dabei um die Experten von "Focus Money" und das "Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos" handelte, die diese Expertisen veröffentlichten, oder es um Daten des "Statistischen Landesamtes" ging, der Werra-Meißner-Kreis war überall entweder Schlusslicht oder im letzten Drittel zu finden. Folgt man den Schlagzeilen der heimatlichen Pressemedien, die diese Ergebnisse für die Menschen in der Region aufgearbeitet haben, müsste im Kreis mittlerweile eigentlich nur noch ein Bruchteil seiner 100.000 Einwohner beheimatet sein: "Kreis im Wirtschaftsranking auf hinterem Platz" (Januar 2016), "Wirtschaftskraft: Kreis Schlusslicht in Hessen" (Januar 2018), "Im Kreis wird hessenweit am wenigsten verdient" (Juli 2019) und "Kreis bleibt ärmster Landkreis Hessens" (2020).
In der Gesamtbewertung des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos aus dem Jahr 2016 belegte der Kreis im Ranking der 402 untersuchten Landkreise und kreisfreien Städte Platz 280, was im Vergleich zur Studie aus dem Jahr 2010 immerhin eine deutliche Verbesserung um 90 Plätze bedeutete. Zugrunde gelegt wurden in diesem "Zukunftsatlas" insgesamt 32 Kriterien, die, hier in sechs Stichpunkten zusammengefasst, folgendes Ergebnis brachten:
Eine andere Statistik desselben Amtes vom Dezember 2020 befasste sich mit dem verfügbaren Netto-Einkommen hessischer Haushalte für den Zeitraum 2012-2018. Auch hier lag der Kreis mit 21.156 Euro für das Jahr 2018 (2012 = 18.330 Euro) auf dem drittletzten Rang unter den 27 hessischen Verwaltungsbezirken. Da nur für die Städte Kassel und Offenbach noch niedrigere Einkommen ermittelt wurden, wird in dieser Statistik die wenig erfreuliche Stellung des Werra-Meißner-Kreises als "ärmster Landkreis Hessens" (siehe oben) festgeschrieben. Allerdings sind diese Zahlen für sich betrachtet nur bedingt aussagekräftig und geben ohne Relation zu den Lebenshaltungskosten nur wenig Aufschluss darüber, wie lebenswert eine Region tatsächlich ist.
Deutlich positiver liest sich die Analyse des "Instituts der deutschen Wirtschaft" aus Köln, die dem Werra-Meißner-Kreis im Sommer 2023 in den Bereichen, Wirtschaftsstruktur, Arbeitsmarkt und Lebensqualität sowohl "gute Werte" als auch eine ebenso "gute Dynamik" bescheinigte. In diesem aktuellen Ranking belegt der Kreis Platz 82 von 400 untersuchten Landkreisen.
Dass die Verantwortlichen alles dafür unternehmen, das "standing" des Kreises auf allen Ebenen zu verbessern, liegt auf der Hand. Dazu erforderlich war auch eine Bündelung aller Kräfte, die der Kreis entsprechend im Bereich von Wirtschaftsförderung und Tourismusmarketing vorgenommen hat. In der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre wurden so aus bis dato vier unterschiedlichen Institutionen bzw. Gesellschaften nur noch zwei: Ab Jahresbeginn 2017 war die Wirtschaftsfördergesellschaft (WFG) für den Bereich Wirtschaftsförderung in all ihren Ausprägungen zuständig und der "Geo-Naturpark Frau-Holle-Land" für die Vermarktung des Kreises als Tourismusregion.
Nach wie vor problematisch hingegen stellt sich die Zahl der hier lebenden Menschen dar, die sich im letzten Jahrzehnt wie einbetoniert um die 100.000er Marke drehte und auch in allen Prognosen zumindest bis 2027 in etwa gleichbleiben wird. Ebenfalls wenig verändert zeigt sich dabei das Durchschnittsalter, das von 47,3 Jahren 2022 auf prognostiziert 47,6 Jahren in 2027 steigen dürfte. Bedenkt man aber, dass sich die Einwohnerzahl des Kreises seit Beginn der 1990er Jahre um rund 16.000 oder 14 % verringert hat und dabei der Altersdurchschnitt deutlich gestiegen ist, so besteht hier für die Zukunft erheblicher Handlungsbedarf.
Diesem hat der Kreis in einem ersten Schritt durch die Fortschreibung des Masterplans Daseinsvorsorge zum Bereich "Seniorinnen und Senioren" im Jahr 2017 Rechnung getragen und sich dabei besonders auf die Verbesserung des Pflegebereiches ganz allgemein sowie die Informations- und Beratungsstrukturen des kreiseigenen Seniorenbüros und Pflegestützpunktes konzentriert. Letztlich lautete das Credo des als solchen bezeichneten Masterplans Senioren "Zuhause alt werden dürfen" .
Ein weiteres Problemfeld dürfte sich in absehbarer Zeit im Gesundheitsbereich auftun, denn einer immer älter werdenden Bevölkerung steht ein zunehmender Mangel an Hausärzten gegenüber. Viele der aktuell noch praktizierenden Mediziner haben das Rentenalter erreicht bzw. stehen kurz davor und adäquate Nachfolger sind - besonders was die Praxen auf den Dörfern anbelangt - wenn überhaupt nur unter großen Mühen zu finden.
Bereits seit 2017 stand deshalb die Suche nach neuen Ärzten auf der Agenda der Kreisverwaltung ganz oben - umgesetzt wurde hier u. a. eine Datenbank mit Studierenden und Auszubildenden verschiedener medizinischer Bereiche, die aus der Region stammen und diese zur Ausbildung verlassen haben. Vielleicht besteht ja hier ein Anknüpfungspunkt, die eine oder den anderen später wieder für Arbeit und Leben im Heimatkreis zu animieren. Gleichzeitig hat der Kreis mit den Projekten "Land-Arzt-Leben", "Landtag" und "Landpartie" attraktive Instrumente geschaffen, um bei jungen Medizinern das Interesse für den Werra-Meißner-Kreis zu wecken. Eine weitergehende Initiative, junge Mediziner durch ein Stipendium an die Region zu binden, fand hingegen im Kreistag keine Mehrheit.
Die zweite wichtige Säule in der regionalen Gesundheitsvorsorge ist das Klinikum Werra-Meißner mit seinen Standorten in Eschwege und Witzenhausen. Nachdem der Kreis die schwierige Situation des Krankenhauses in den Jahren nach der Jahrtausendwende mit Bravour gemeistert hatte (siehe dazu auch das Kapitel "Sanierungsfall Krankenhäuser") war die Zukunft der Krankenhäuser erst einmal gesichert und selbst während der Pandemie gelang es dem Klinikum, Überschüsse zu erwirtschaften.
Dieses positive Szenario hatte aber nicht auf Dauer Bestand. Die am 1. April 2023 erfolgten Umstrukturierungen am Standort Witzenhausen - hier besonders Einschränkung der Notfallambulanz - in Verbindung mit dem von der Bundesregierung geplanten "Krankenhauszukunftsgesetz" verhalfen dem lange begrabenen "Stilllegungsgespenst" für den Standort Witzenhausen zur furchteinflößenden Wiederauferstehung.
Obwohl von Schließung keine Rede sein konnte, wurde doch das Leistungsangebot im Witzenhäuser Teil des Klinikums zum Unmut der unmittelbar Betroffenen erheblich reduziert. Zusätzlich dazu war die Fluktuation innerhalb des medizinischen Leitungspersonal größer als bislang gewohnt und auch die Finanzen entwickelten sich deutlich schlechter als prognostiziert. Die Folge war eine höhere finanzielle Belastung des Kreises und der Stadt Witzenhausen als Träger, die für 2024 erhebliche zusätzliche Mittel (5 Mio. Euro bzw. 1,5 Mio. Euro) zur Sicherung des Betriebes aufwenden müssen.
Die Anstrengungen um die Sicherung der Lebensqualität im Alter, der flächendeckenden hausärztlichen Versorgung sowie des Erhalts der Krankenhäuser sind elementare Bestandteile grundsätzlicher Daseinsvorsorge. Nicht minder wichtig ist aber das gesellschaftliche Miteinander, das gemeinsame Tun, um den bürgerlichen Zusammenhalt zu festigen. Beispielhaft für dieses Bestreben sind die kreisweiten "Freiwilligentage", die, mit Ausnahme der pandemiebedingten Unterbrechungen, seit 2008 unter dem Motto "Ein Kreis - ein Tag" immer im September den ganzen Kris von Herleshausen bis Ziegenhagen und von Eichenberg bis Hopfelde mobilisieren, um gemeinsam in den Städten und Dörfern zum Nutzen aller anzupacken und die örtliche Lebensqualität zu verbessern.
Geradezu sinnbildlich für die nachhaltige Unterstützung gemeinschaftlichen und gemeinnützigen Engagements im Kreis steht die am 27. Mai 2004 gegründete "Bürgerstiftung Werra-Meißner", die im Jubiläumsjahr des Kreises nun auch schon auf zwei Jahrzehnte erfolgreiches Wirken zurückblicken kann. Die von 47 Privatpersonen und Unternehmen mit einem Gründungskapital von 61.600 Euro gegründeten Stiftung hat während der zwei Jahrzehnte ihres Bestehens 195 Projekte mit einer Gesamtfördersumme von 155.860 Euro unterstützt - und das auf allen Ebenen ausschließlich ehrenamtlich. "Bei der Bürgerstiftung", so die stellvertretende Vorsitzende Bärbel Schuhmann-Nolte, "kann jeder mitmachen (...) unsere Grundsätze basieren auf Demokratie und Vielfalt. Deshalb sollen die Förderungen zur Stärkung des Gemeinwesens beitragen."
Zur Stärkung des Gemeinwesens gehört auch der vom damaligen Landrat Reuß ins Leben gerufene "Werra-Meißner-Tag", der die Menschen des Kreises zusammenführen und die ganze Vielfalt der Region gebündelt demonstrieren will.
Nach pandemiebedingter Zwangspause findet ein großes Kreisfest anlässlich des 50. Jubiläums der Kreisgründung am Wochenende vom 30. August bis 1. September 2024 mit verschiedenen Aktionen statt. Die Landrätin lädt alle Bürgerinnen und Bürger am Sonntag, dem 1. September nach Eschwege in den Schlosspark hinter dem Landgrafenschloss und die Bahnhofstraße ein. "Schwerpunkt der Veranstaltung wird die Präsentation der heimischen Vereine, Verbände und Organisationen sein. Daneben gibt es ein buntes Unterhaltungsprogramm im Festzelt, das von einem kulinarischen Angebot aus der Region genussvoll ergänzt wird. Ebenso wird es spezielle Angebote für Kinder- und Jugendliche geben. Gleichzeitig wollen wir über den Stand der Sanierung des Landgrafenschlosses informieren und einen Einblick in das neue Verwaltungszentrum geben" informiert Landrätin Nicole Rathgeber über das Programm. Ein besonderes Highlight wird auch das Benefizkonzert des Hessischen Landespolizeiorchesters - welches mit ca. 26 Musikerinnen und Musikern anreist - und bereits am Samstag, dem 31. August um 12.00 Uhr im Festzelt stattfindet sein. Die Erlöse sind dem derzeit im Bau befindlichen "stationären Hospiz Meißnerblick" in Eschwege zugedacht.
Klima, Umwelt, Energie
Unter der Überschrift "Im Team gegen den Klimawandel" informierte die Lokalpresse am 30. Mai 2024 ihre Leser über die aktuellen Anstrengungen, die der Kreis zur Bewältigung der mit dem Klimawandel einhergehenden Probleme unternimmt. "Die Folgen des Klimawandels", ist dem Artikel zu entnehmen, "will man im Werra-Meißner-Kreis nicht alleine lösen. Zwei Klimaanpassungs-Manager haben im April ihre Arbeit in der Kreisverwaltung aufgenommen und wollen in einer Allianz aus 16 Kommunen und Bürgerideen dem Klimawandel begegnen."
Natürlich ist die Beschäftigung mit bzw. der Kampf gegen den Klimawandel nicht erst seit dem Frühjahr 2024 ein zentrales Moment der Kreispolitik - in vielfältiger Weise beschäftigte man sich schon seit längerem mit Strategien zur CO2-Minderung bzw. der Abfederung von Gefahren, die durch den Klimawandel entstehen. Ob es sich nun um Klimaschutzforen und Klimamessen, Informationsbroschüren zum Klimaschutz oder darum handelte, dass Kreisbedienstete und Politiker mit gutem Beispiel vorangingen und symbolisch für den Klimaschutz radelten - Initiativen und Ideen nebst Umsetzung gab es im letzten Jahrzehnt mehr als nur eine. Hierzu gehörte und gehört auch die Elektromobilität, im Kanon der Klimaschutzmaßnahmen ganz weit oben angesiedelt, im Werra-Meißner-Kreis bis 2015 mit insgesamt acht E-Autos allerdings nur im Promillebereich vorhanden.
Um diesen Zustand wenn nicht zu beenden, so denn zumindest zu verbessern, schlossen sich die fünf nordhessischen Landkreise, die im selben Zeitraum bereits gemeinsam die Region flächendeckend mit dem Kabelnetz für schnelles Internet versorgten, auch im Bereich der E-Mobilität mit dem "Elektromobilitätskonzept Nordhessen" zusammen. Im Fokus dieses Konzeptes, dessen Federführung der Landkreis Waldeck-Frankenberg innehatte, stand neben dem Ausbau des Netzes von Ladestationen vor allem die Verbesserung der E-Mobilität auf den Dörfern - hier sollte vorrangig geprüft werden, ob es Potenziale für Elektro- Carsharing im ländlichen Raum gibt.
Trotz aller Bemühungen, Konzepte und Kooperationen steckte und steckt die E-Mobilität im Werra-Meißner-Kreis weiterhin in den Kinderschuhen, wofür zwei Beispiele aus der Kreisverwaltung geradezu symbolhaft stehen: Am 11. April 2018 verkündeten Landrat und Stellvertreter vor der Presse, dass der "Landkreis (...) auf E-Mobilität (...) setzt" . Wer nun aber gedacht hatte, dass damit die Umrüstung aller Dienstwagen der Kreisverwaltung gemeint war, sah sich zumindest überrascht, denn in Wirklichkeit handelte es sich um 1 (!) E-Bike, das der Kreis für seinen Fuhrpark angeschafft hatte.
Zwei Monate später wurde dann aber tatsächlich das erste Dienstauto des Kreises, dass rein elektrisch angetrieben wurde, in Betrieb genommen . Anfang Februar 2020 wurde die Elektromobilität mit der Maßgabe, den Werra-Meißner-Kreis zur "Modelregion für E-Mobilität" zu machen zum Thema im Kreistag. Im gleichen Kontext prognostizierte der Vertreter der EAM für 2030 die Zahl von 4.400 E-Autos auf den Straßen im Kreisgebiet. In 2019 waren es an gleicher Stelle allerdings erst deren 20.
Weitaus intensiver gestaltete sich hingegen der Ausbau der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien. Seit der Erstellung des Klimaschutzkonzeptes im Jahr 2011 hatte es einen merklichen Anstieg insbesondere bei Photovoltaik- und Windkraft-Anlagen gegeben. So stieg allein die Zahl der Windparks im Kreis bis 2019 von zwei auf sieben, mit 39 anstatt 6 Anlagen und einer erzeugten Stromleistung, die von 11,1 Mio. KWh auf 302,5 Mio. KW in die Höhe schoss.
Insgesamt sind laut Regionalplan Nordhessen im Kreisgebiet 17 sogenannte "Windvorrangflächen" mit insgesamt 1.415 ha Gesamtfläche ausgewiesen. Federführend und besonders aktiv im Kontext des Ausbaus erneuerbarer Energien ist die Bürgerenergie-Genossenschaft Werra-Meißner, die an mehreren Windparks im Kreisgebiet beteiligt ist. Konfliktfrei indes war der Ausbau der Windenergie in der Vergangenheit nicht und wird es auch absehbar in Zukunft nicht sein.
Immer wieder wurden Planung und Bau von Windrädern vor allem durch Bürgerinitiativen, Naturschützer und - wie die Beispiele Großalmerode, Gertenbach, Ziegenhagen oder Ringgau zeigen - auch Städten und Dorfgemeinschaften heftig kritisiert und teilweise auch beklagt. Diese z. T. berechtigten lokalen Widerstände mit der für die Energiewende in großem Maße benötigten Windenergie in Einklang zu bringen, war bislang problematisch und wird es aller Voraussicht nach auch in Zukunft noch sein.
Nicht minder problematisch sind für viele Menschen im Kreis die Trassenführungen der sogenannte "Stromautobahnen", die die CO2-freie Energie aus den Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee quer durchs Land nach Süden bringen sollen. Schien der Werra-Meißner-Kreis anfangs von der Trassenführung des "Südlinks" nicht betroffen zu sein, so drehte sich dies im Laufe der Zeit um 180 Grad.
Nicht nur, dass die Südlink-Trasse inzwischen mitten durch den Kreis läuft und alle Proteste von Kreisgremien, Kommunen und Bürgerinitiativen vom Wind der Energiewende verweht worden sind, steht seit Februar 2024 fest, dass mit "Nordwest- und Südwestlink" noch zwei weitere große Nord-Süd-Stromtrassen das Werra-Meißner-Land queren werden. Auch hier ging und geht die Einflussnahme der Bürger gegen null, womit die Akzeptanz der Energiewende nicht unbedingt erhöht wird.
Neben der Gewinnung erneuerbarer Energien durch Wind bzw. Fotovoltaik war es vor allem das Projekt "Wärmewende Werra-Meißner-Kreis" mit den beiden Modellvorhaben "Holzige Biomasse" und "Energetische Quartiersanierung", das gezielt vorangetrieben wurde. Durch das zwar heftig umstrittene, aber dennoch im Herbst 2023 verabschiedete neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) bekam das Thema Wärmewende durch die den Kommunen vorgegeben Schaffung sogenannter "Wärmepläne" noch einmal zusätzliche Dynamik.
Was die Ausführung der Wärmepläne anbelangt, bleibt aber erst einmal abzuwarten, welche Vorgaben der Bund machen würde. Um nicht ganz im Nebulösen zu verbleiben, gründete der Kreis in Kooperation mit der "Innung Sanitär und Heizungstechnik" der Kreishandwerkerschaft zum Jahreswechsel 2023/2024 das "Kompetenzzentrum Wärmepumpe Werra-Meißner", das bis zum Sommer 2024 an den Beruflichen Schulen in Eschwege eingerichtet werden soll.
"Auszubildende, sowie die Handwerker, die schon im Berufsleben stehen, können hier umfassend in allen Facetten der Wärmepumpentechnologie auf den neusten Stand gebracht werden. Aber auch die Planer und Energieberater werden zielgerichtet weitergebildet. Letztendlich profitieren davon die Bürger und Bürgerinnen, die diese Technik für die Beheizung ihrer Gebäude einsetzen und sich hier auch umfassend informieren können", so Landrätin Nicole Rathgeber bei der Vorstellung.
Von Wölfen und Landwirten
Konfliktpotenziale bargen nicht nur die Diskussionen um die Standorte der Windkraftanlagen in sich, sondern auch das Problemfeld "Wölfe" und - besonders zum Jahreswechsel 2023/2024 - die sich entladende Unzufriedenheit der Landwirte über das Vorgehen der Bundesregierung.
Dass der Wolf im Werra-Meißner-Kreis wieder heimisch geworden ist, belegen mittlerweile zahlreiche Sichtungen, Fotografien, teils auch persönliche Begegnungen sowie gerissene Wild- und Weidetiere. War die Existenz der sogenannten "Stölzinger Wölfin" 2016 noch umstritten - "Angebliche Sichtungen im Werra-Meißner-Kreis können noch nicht belegt werden", lautete damals eine Schlagzeile in der Lokalpresse - so hatte sich in den Folgejahren die Problemstellung dahingegen verändert, dass es nicht mehr darum ging, ob, sondern wie viele Wölfe es waren, die sich in der Region angesiedelt hatten.
Und es waren mittlerweile viele: Bis Ende Oktober 2022 hat es im Werra-Meißner-Kreis 42 anerkannte Wolfsnachweise gegeben, womit das Kreisgebiet die höchste Wolfsdichte in ganz Hessen aufwies. Dies beschäftigte in zunehmendem Maß insbesondere die Weidetierhalter, die sich in ihrer Sorge um den Erhalt der Viehbestände von Behördenseite allein gelassen fühlten und sich durch ihre Forderung nach Abschuss von sogenannten "Problemwölfen" zusätzlich noch harscher Kritik von Naturschützern ausgesetzt sahen.
Ihren Höhepunkt erreichte die Kontroverse Ende Februar 2023 mit einer Informationsveranstaltung zum Thema "Weidetierschutz vor dem Wolf" in Reichensachsen, durch die sich 250 Teilnehmer eigentlich Unterstützung von der Landesregierung bei der Bewältigung ihrer Wolfsprobleme erhofften. Dazu kam es allerdings nicht, die Presse sprach von einer "Infoveranstaltung Wolf mit Tumulten", die am Schuss von den "meisten der 250 Teilnehmer ratlos, frustriert und wütend" verlassen wurde. Seitdem hat sich die seinerzeit konfliktträchtige Stimmung weitgehend beruhigt, was sowohl daran liegt, dass einerseits die Wolfsnachweise deutlich zurückgegangen sind und andererseits die seit Anfang des Jahres im Amt befindliche Landesregierung den Wolf ins Jagdrecht aufnehmen will.
Ein besonders hohes Konfliktpotenzial entwickelte sich zum Jahreswechsel 2023/2024 um die Haushaltssparbeschlüsse der Bundesregierung, die insbesondere die Landwirte zur Kasse baten und den ohnehin vorhandenen Unmut der Bauern zum Überkochen brachten. Wie überall im ganzen Land gingen bzw. fuhren auch im Werra-Meißner-Kreis die heimischen Landwirte auf die Straße, um gegen die Berliner Beschlüsse zu protestieren.
Ob nun Fahrzeugkorso in Eschwege, eine Schlepperdemonstration von Eschwege nach Witzenhausen, die Teilnahme an der Kundgebung nordhessischer Bauern in Kassel, eine abendliche Lichterfahrt durch Eschwege oder die Teilnahme an der bundesweiten Großkundgebung in Berlin - die heimischen Landwirte nutzten über einen ganzen Monat lang die unterschiedlichsten Formen, ihren Protest in die Öffentlichkeit zu tragen. So wurden als Zeichen der Solidarität auch Gummistiefel an vielen Ortsschildern im Landkreis angebracht.
Das letzte Wort ...
... der kleinen Kreisgeschichte der vergangenen zehn Jahre soll, nein muss die Landrätin als Chefin der Kreisverwaltung und Repräsentantin der Menschen im Werra-Meißner-Kreis haben.
Im Rückblick auf das Jahr 2023, den sie - verbunden mit dem Ausblick auf 2024 - am 30. Dezember 2023 in einem Pressegespräch mit den lokalen Medien vornahm, wurde Nicole Rathgeber nach ihrem ganz persönlichen Fazit nach Ablauf des ersten Drittels ihrer Amtszeit befragt: "Der Job", so das uneingeschränkt positive Resümee der Landrätin über ihre ersten beiden Jahre als Schlossherrin im Landgrafenschloss, "ist herausfordernd und vielfältig, macht aber auch viel Spaß."
Deutlich verhaltener jedoch klang dann ihre Beurteilung der allgemeinen Entwicklung. Der Kreis, in immer stärkerem Maße als "Nothelfer" zur Bewältigung von Aufgaben herangezogen, für die er weder ausgelegt ist noch die Mittel besitzt, war und ist zunehmend Zwängen ausgesetzt, die mit seinen ureigensten Aufgaben wenig bis gar nichts zu tun haben.
Diesbezüglich hofft die Landrätin - und das sicher in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der Menschen im Werra-Meißner-Kreis - "dass wir (...) nicht weiter multiple Krisen bekommen, die uns vor Ort wieder hart treffen. Das würde uns die Chance eröffnen, mehr Zukunftsplanung ins Auge zu fassen, agieren zu können und nicht nur kurzfristig auf Krisen reagieren zu müssen."
"Der Werra-Meißner-Kreis mit seinem geografischen Standort in der Mitte Deutschlands hat ein großes Potenzial, welches es weiterhin auszubauen gilt. Eine zentrale Aufgabe in der Zukunft ist dieses Potenzial auch künftig bestmöglich durch die Zusammenarbeit der politischen Entscheider auf allen kommunalen Ebenen unter Zusammenarbeit mit den hier ansässigen Unternehmen und den zahlreichen örtlichen Vereinen und Verbänden - welche der Kitt in unserer Gesellschaft sind - weiterhin zu fördern und auszubauen.
Lassen Sie uns unseren Landkreis zu dem Wohn-, Arbeits- und Lebensmittelpunkt werden den wir uns für unsere Zukunft wünschen", so Landrätin Nicole Rathgeber abschließend.
Wohl kaum jemand hätte sich im Rahmen des 40. Kreisgeburtstages 2014 vorstellen können, wie dramatisch anders als von vielen erwartet sich das Jahrzehnt auf dem Weg hin zum "runden" Kreisjubiläum in 2024 gestalten würde. Das Jahr 2014 wirkt aus heutiger Sicht regelrecht unbeschwert und fast ist man versucht, es mit dem Adjektiv "golden" zu versehen.
Der Kreis und seine 16 Kommunen befanden sich auf einem erkennbar guten Weg, allenthalben begannen sich die Finanzen zu konsolidieren - der Kreishaushalt schloss anstelle eines prognostizierten Minus von 3,5 Mio. Euro mit einem Plus nahe der Million . Die Bevölkerungszahlen hatten sich ebenso stabilisiert wie die Zahl der Arbeitsplätze, das politische Fahrwasser war wohltuend ruhig und die Lebensqualität in der naturnahen Region zwischen Werra und Meißner brauchte trotz aller von außen immer wieder hereingetragener Unkenrufe keine Vergleiche zu scheuen.
Zehn Jahre später ist der Werra-Meißner-Kreis immer noch ein sehr guter Raum zum Leben - auch wenn ein auf vielen gesellschaftlichen und politischen Ebenen feststellbarer Wandel einige der noch 2014 praktisch unumstößlichen Gewissheiten auf den Prüfstand gestellt und letztlich für nicht mehr zukunftstauglich befunden hat. Dieser Wandel betrifft alle Lebensbereiche und umfasst ebenso Politik und Verwaltungen, Kommunikation und Wirtschaft, Lebensentwürfe und deren Ausformungen.
Vieles von dem, was für den Kreis wichtig war und wurde, sind Entwicklungen aus seinem "Innenraum" - die politischen Veränderungen an der Kreisspitze und im Parteiensystem, das finanzielle Auf und Ab der Haushalte, die Entwicklung der Bürgergesellschaft in ihrer Gesamtheit sowie die Zukunftsvorsorge über den Tag hinaus. Nicht minder wichtig waren und sind aber auch Entwicklungen, die aus dem "Außenraum" in diesen Werra-Meißner-Innenraum getragen wurden und sowohl das Leben der Menschen als auch die Entwicklung des Kreises nachhaltig beeinflusst haben.
So hat es denn noch nie in der Geschichte dieses mit 50 Jahren noch relativ jungen Gebildes eine Dekade gegeben, die derart geprägt war von Ereignissen, denen der "Innenraum" ohne Möglichkeit der Beeinflussung einfach nur ausgeliefert war. Wie an einer Perlenschnur reihten sich ab 2015 Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie und zum Schluss noch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hintereinander auf. Begonnen hat dies alles mit dem massenhaften Zustrom von Kriegsflüchtlingen und anderen Geflüchteten, der vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2015 das gesamte öffentliche Leben im Kreis an prominenter Stelle dominiert hat.
Die Zahl der Geflüchteten im Kreis begann sich allerdings schon 2013 deutlich zu erhöhen und übertraf mit 238 die Zahl des Vorjahres (172) deutlich. Mit dieser Steigerung einher ging für den Kreis neben den wachsenden logistischen Herausforderungen wie Unterbringung, Bekleidung, Verpflegung etc. vor allem ein deutlicher Kostenanstieg von 1,2 Mill. Euro in 2012 auf 1,85 Mio. Euro in 2013, von dem nur etwa die Hälfte vom Land Hessen übernommen wurde. Ende Juni 2014 war die Zahl der Geflüchteten im Kreis bereits auf 280 angewachsen, Tendenz ungebremst steigend. Ende Dezember 2014 lag man dann schon bei 360, was eine Steigerung von 47% binnen Jahresfrist bedeutete und zu einer finanziellen Unterdeckung von 1,3 Mio. Euro führte.
"Es ist eine historische Zeit"
Mit dieser Aussage beschrieb Michael Roth, der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt und heimische Bundestagsabgeordnete, im Kontext der Diskussionen um die Planung einer weiteren großräumigen Unterkunft für 500 Personen im Feriendorf Sontra die Flüchtlingssituation Anfang Oktober 2015 . Zu diesem Zeitpunkt hatten die Flüchtlingswellen, die seit dem Frühsommer 2015 in immer kürzeren Abständen an die Grenzen Europas schwappten, in ihren Ausläufern endgültig auch den Werra-Meißner-Kreis erreicht.
Nachdem viele europäische Länder ihre Grenzen für Geflüchtete geschlossen hatten und die Bundesregierung das mittlerweile historische Credo "Wir schaffen das" verkündete, wurde Deutschland zum Hauptziel der Fluchtbewegung und die Menschen strömten in immer größerer Zahl ins Land. Schon bevor sich der große Flüchtlingstreck in Bewegung setzte, hatte Michael Roth mit der Aussage "Zuwanderer machen den Kreis bunter" die Richtung für unsere Region vorgegeben - nun lag es an den Verantwortlichen in Kreis und Kommunen, die neue Vielfalt unterzubringen und idealerweise auch dauerhaft zu integrieren.
Im September wurden Erstaufnahmeeinrichtungen u. a. in Hess. Lichtenau und Sontra eingerichtet. Zusätzlich dazu bauten Kreis und Kommunen in rascher Folge und unter großem Zeitdruck die Kapazitäten in Gemeinschaftsunterkünften aus, so dass anfangs mit Ausnahme von Wanfried in allen Kommunen des Kreises Flüchtlinge untergebracht werden konnten.
Und sie kamen - Männer, Frauen und Kinder - oft mit so kurzen Vorlaufzeiten, dass nur Stunden blieben, um sie alle einigermaßen menschenwürdig unterzubringen. Wöchentlich trafen neue Gruppen ein und die Unterbringung wurde trotz der vorhandenen Kapazitäten immer schwieriger. Laut einer Ende Oktober 2015 veröffentlichten Studie des renommierten Pestel-Institutes fehlten im Kreisgebiet dauerhaft Wohnungen für knapp 500 Flüchtlinge - eine Aussage, die die Kreisverwaltung in letzter Konsequenz allerdings nicht bestätigen konnte bzw. wollte. Und das mit gutem Grund, denn in Richtung Jahresende stellte sich die Gesamtsituation im Bereich der Flüchtlingsproblematik zunehmend unübersichtlich, teilweise widersprüchlich und in manchen Teilbereichen sogar verworren dar.
So kündigte z. B. im Oktober das Regierungspräsidium an, dass im ehemaligen Feriendorf Sontra Platz für 500 Geflüchtete geschaffen werden sollte, was in Stadt und Umland zu erregten Diskussionen auf Versammlungen und in Form von Leserbriefen in der örtlichen Presse führte. Dann passierte wochenlang nichts, ehe das RP Mitte Dezember mitteilte, dass noch vor Weihnachten mit den ersten 48 Bewohnern zu rechnen sei. Aber auch diese kamen nicht und zum Jahreswechsel 2015/2016 standen die Ferienhäuser immer noch leer.
Anfang November musste dann auf Maßgabe der Landesregierung relativ überstürzt Platz für weitere 1000 Flüchtlinge geschaffen werden. Dies betraf allerdings nicht nur den Werra-Meißner-Kreis, sondern alle hessischen Landkreise gleichermaßen. Sinn dieser - nennen wir es einmal "Vorratshaltung" - war die Entlastung der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen, die dem Andrang offenbar nicht mehr gewachsen war.
Innerhalb kürzester Zeit gelang es dank der Unterstützung von THW und Feuerwehren, die quasi im Akkord arbeiteten, diese Plätze in Eschwege auf dem Gelände der ehemaligen Firma Julphar und bei Friedola zu schaffen. In der Nacht zum 10. November kamen die ersten 100 Flüchtlinge in der Kreisstadt an, sorgten allerdings nur wenige Stunden später für erhebliche Irritationen.
Offenbar war für viele der Neuankömmlinge Eschwege nur Zwischenstation, denn bereits am nächsten Morgen machte sich ca. die Hälfte der Flüchtlinge auf den Weg zum Stadtbahnhof, um von dort die Weiterreise anzutreten. Hier wurden sie allerdings aufgehalten, weil vor Ort ziemliche Verwirrung bzgl. einer möglichen Residenzpflicht herrschte. Erst im Laufe des Tages klärte sich die Situation und die Menschen konnten weiterreisen. "Es gibt eine Reihe offener Fragen," so Kreissprecher Jörg Klinge damals, "die das Land Hessen und der Bund noch beantworten müssen."
In Hess. Lichtenau wurde in Rekordzeit eine Zeltstadt für 500 Bewohner aus dem Boden gestampft - kaum war sie fertiggestellt, wurde entschieden, dass es zu kalt für die Unterbringung im Zelt sei, und die Menschen wurden in andere Erstaufnahmeeinrichtungen verteilt, Abbau der Zelte bis Mitte Dezember inklusive. Parallel dazu entstand im Industriegebiet Senkefeld auf 34.000 m² eine feste "Flüchtlingsstadt" aus 17 Leichtbauhallen, die ein Fassungsvermögen von 1.250 Personen besaßen und kurz vor Weihnachten mit den ersten 90 Geflüchteten belegt wurden.
Über die reine Unterbringung und Versorgung sowie das Engagement der staatlichen Stellen hinaus, blieb auch die Zivilgesellschaft von der Flüchtlingsproblematik nicht unberührt. Dabei reichte die Bandbreite von dezidiert fremdenfeindlichen Übergriffen - so z. B. im Witzenhäuser Erntefestzelt und bei der daran anschließenden Mahnwache auf dem Marktplatz - einem Aufnahmestopp bei der Eschweger Tafel - der Installierung einer Arbeitsgruppe "Wir im Werra-Meißner-Kreis" mit Hilfen zur Integration bis hin zu einer beispiellosen Welle an Hilfsbereitschaft, die parteien- und generationenübergreifend das gesamte Kreisgebiet erfasste.
Besonders nachhaltig entwickelte sich die bis heute aktive Initiative "Eschwege hilft", die aus einer Matratzen-Sammelaktion entstand und innerhalb kürzester Zeit zu einer ehrenamtlichen Organisation mit zahlreichen Helferinnen und Helfern sowie einem umfangreichen Aufgabenspektrum wurde. Im Mittelpunkt stand während der Flüchtlingskrise die Entgegennahme und großflächige Verteilung von Hilfsgütern, die in einem ehemaligen Eschweger Supermarkt erfolgte.
Zum Jahreswechsel 2015/2016 hatte sich die allerorten zu konstatierende aufgeregte Stimmung dann wieder deutlich beruhigt und langsam gewann das "business as usual" die Oberhand. Die schlimmsten Prognosen bzgl. der Zahl unterzubringender Geflüchteter waren nicht eingetreten und mit 964 Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften plus 267 in Notunterkünften war man Mitte Dezember weit von der noch am Monatsbeginn prognostizierten Zahl 2000 entfernt.
Die in Gemeinschaftsunterkünften bzw. Wohnungen untergebrachten 964 Flüchtlinge verteilten sich auf die 16 Kommunen des Kreises wie folgt:
- Eschwege Gemeinschaftsunterkunft: 192
- Witzenhausen Gemeinschaftsunterkunft: 192
- Sontra Gemeinschaftsunterkunft: 103
- Hess. Lichtenau Gemeinschaftsunterkunft: 85
- Bad Sooden-Allendorf Gemeinschaftsunterkunft: 58
- Großalmerode Gemeinschaftsunterkunft: 39
- Meinhard Gemeinschaftsunterkunft: 30
- Ringgau Gemeinschaftsunterkunft: 30
- Weißenborn Gemeinschaftsunterkunft: 30
- Waldkappel Gemeinschaftsunterkunft: 24
- Neu-Eichenberg Gemeinschaftsunterkunft: 20
- Meißner Gemeinschaftsunterkunft: 19
- Herleshausen Gemeinschaftsunterkunft: 12
- Wehretal Gemeinschaftsunterkunft: 8
- Berkatal Gemeinschaftsunterkunft: 0
- Wanfried Belegung erst 2016
Wohnung: 38
Notunterkunft: 267
Wohnung: 27
Notunterkunft: 0
Wohnung: 13
Notunterkunft: 0
Wohnung: 6
Notunterkunft: 0
Wohnung: 7
Notunterkunft: 0
Wohnung: 9
Notunterkunft: 0
Wohnung: 13
Notunterkunft: 0
Wohnung: 0
Notunterkunft: 0
Wohnung: 0
Notunterkunft: 0
Wohnung: 0
Notunterkunft: 0
Wohnung: 1
Notunterkunft: 0
Wohnung: 0
Notunterkunft: 0
Wohnung: 4
Notunterkunft: 0
Wohnung: 0
Notunterkunft: 0
Wohnung: 4
Notunterkunft: 0
Wohnung: 0
Notunterkunft: 0
Gleichzeitig stieg die Pauschale, die das Land den Kommunen für Betreuung und Unterbringung von Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften und Wohngemeinschaften für 2016 in Aussicht stellte, von 601 Euro auf 865 Euro pro Person und Monat - mithin stand für 2016 nun die Summe von 2,8 Mio. Euro an Landesmitteln zur Verfügung. "Damit", so die spürbar erleichterte Feststellung von Landrat Stefan Reuß, "können wir diese Kostenstelle fast ausgleichen."
Generell lässt sich nach dem für viele höchst anspruchsvollen Jahr 2015 konstatieren, dass Kreis und Kommunen als Verwaltungseinheiten auf allen Ebenen bestens funktioniert und viele nichtstaatlichen Organisationen und Initiativen sowie eine große Menge engagierter Einzelpersonen alles zur Versorgung der neu in die Region gekommenen Menschen getan haben. Obwohl für viele dieser "Neubürger" der Aufenthalt im Kreisgebiet nur vorübergehend war, blieb die Suche nach Wohnraum nach wie vor das zentrale Problem.
So wurden im Februar und März 2016 das Keudell'sche Schloss in Wanfried sowie das frühere Katasteramt und das "Blumenhaus" der ehemaligen Wartebergklinik in Witzenhausen vom Kreis angemietet und zu Unterkünften umgebaut. Dann aber ließ der Ankommensdruck nach und bedingt durch die internationalen Vereinbarungen, die den Flüchtlingsansturm deutlich abschwächten, entspannte sich die Unterbringungssituation im Kreis bis zur Jahresmitte deutlich.
Bis Mitte Juni 2016 hatten bereits alle 300 Bewohner der Notunterkunft in Eschwege und 150 Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung in Sontra den Kreis wieder verlassen. Dabei wurden die bislang in Sontra untergebrachten 148 Männer, Frauen und Kinder nach Fuldatal-Rothwesten umquartiert und am 14. /15. Juni ging es für die 298 Menschen aus dem Friedola-Lager im Eschweger Industriegebiet nach Hanau. "Wir reduzieren unsere aktiven Einrichtungen auf insgesamt 19 Standorte mit dann rund 20.000 Plätzen", so das Hess. Sozialministerium als zuständige Dienststelle. Parallel dazu behalte man die bisherigen Einrichtungen an 20 Standorten mit 15.000 Plätzen als passive Reserve, die bei Bedarf wieder aktiviert werden könne.
Damit gehörten die krisenhaften Ausschläge der Flüchtlingsproblematik erst einmal der Vergangenheit an und man konnte sich nun darauf konzentrieren, die Integration der im Werra-Meißner-Kreis verbliebenen Flüchtlinge voranzubringen. "Nach den Masterplänen Daseinsvorsorge und Inklusion", so Landrat Stefan Reuß Mitte Juni im Eschweger E-Werk, "...liegt nunmehr der Masterplan Integration vor. Wie kann es auch anders sein, kein Thema hat unser Land im letzten Jahr so beschäftigt wie das Thema Flucht und Integration."
Mit diesem Masterplan, dessen vier zentrale Themenfelder sich mit "Arbeit und beruflicher Integration", "Wohnen, Freizeit und Kultur", "Bildung und Sprache" sowie "Sozialem Engagement" befassten, wurde allen Beteiligten ein hilfreicher Leitfaden zur Integration an die Hand gegeben - das Entscheidende aller diesbezüglichen Bemühungen aber fasste die Presse treffend in ihrer Berichterstattung zusammen: "Sprache und Arbeit sind das A und O."
Flüchtlingspolitik und Integration standen auch im Mittelpunkt des 14. Regionalforums Werra-Meißner, das Ende September 2016 mit dem Leitthema "Zuwanderung als Chance" auf die neuen Herausforderungen einging. "Die letzten zwölf Monate", so Landrat Stefan Reuß in seiner Eröffnungsrede, "waren geprägt von Hektik, Unkoordiniertheit, Panik und Hysterie. Gut, dass wir inzwischen davon wegkommen und sich mehr Klarheit ergibt." Gleichzeitig lobte er die ehrenamtlichen Helfer, "die (...) an der richtigen Stelle (...) zupacken" und damit beweisen, welch hohen Stellenwert bürgerliches Engagement besitzt. Wenn auch ab dem Herbst 2016 die größten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik vorerst gebannt waren, blieb die Thematik "Flucht, Migration, Zuwanderung" mit allen damit verbundenen gesellschaftlichen Unsicherheiten dem Kreis von nun an erhalten.
Immer wieder wurde seitdem von vielen Seiten und auf vielen Ebenen versucht, denjenigen Menschen, die im Werra-Meißner-Kreis sesshaft geworden waren, nicht nur das zum Leben Notwendige zur Verfügung zu stellen, sondern sie auch in die heimische Gesellschaft zu integrieren, ihnen durch Arbeit ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und dadurch eine neue Heimat zu geben. Dieses Bemühen war und ist nicht immer nur von Erfolg gekrönt, zumal es auf beiden Seiten auch Vorurteile zu überwinden gilt.
Hinzu kam nach Jahren relativer Ruhe - im 2. Quartal 2018 kamen nur noch 52 Geflüchtete in den Kreis (im 1. Quartal 2015 waren es 530) - plötzlich ein erneuter steiler Anstieg von Schutzsuchenden aus der von Russland überfallenen Ukraine und Menschen aus Afrika und Asien. Und plötzlich waren sie dann wieder da, die Erinnerungen an 2015. Schon im November 2021 gab es "kaum Platz für Geflüchtete", wie die Lokalpresse meldete, und im Sommer 2023 musste man feststellen, dass der "Puffer" an Aufnahmekapazität für den Winter auf 606 Plätze gesunken war . In diesem Zusammenhang ging die Kreisverwaltung rein rechnerisch davon aus, wöchentlich 11 Personen zugewiesen zu bekommen, eine Zahl, die sich durch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Spätaussiedler und Ukraine-Flüchtlinge allerdings noch erhöhte.
Im Gegensatz zu anderen hessischen Landkreisen musste der Werra-Meißner-Kreis im Sommer 2023 aber, wie der erste Kreisbeigeordnete Friedel Lenze im Kreistagsausschuss für Soziales und Integration erläuterte, "bei der Unterbringung von Geflüchteten noch nicht auf Zelte, Container oder kommunale Gebäude wie Turnhallen zurückgreifen" . Ob dies allerdings auf Dauer so bleibt, hängt hauptsächlich davon ab, ob sich eine Flüchtlingskrise 2.0 entwickelt, die neben allen logistischen Herausforderungen mittlerweile auch massive gesellschaftliche Verwerfungen mit sich bringen würde.
Corona friert das Leben ein
Als am 16. März 2020 bei einem Einwohner der Gemeinde Meinhard erstmals im Kreis das Corona-Virus festgestellt wurde, hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass mit diesem Augenblick die am 12. März 2020 von der WHO als Pandemie eingestufte Infektionserkrankung über drei lange Jahre - Ende April 2023 wurde sie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach offiziell für beendet erklärt - für die Menschen im Kreis zur nahezu allbeherrschenden Lebensbegleiterin werden würde.
Den Weg und die Folgen des Virus während dieser Zeit auch nur ansatzweise in allen Facetten und Folgen nachzuzeichnen ist hier gänzlich unmöglich - zu komplex und vielschichtig waren nicht nur die wellenartigen Verläufe der Krankheit selbst, sondern auch die ebenso wellenartigen Maßnahmen des Staates zum Schutz von Leib und Leben seiner Bürger.
Gleich ob im öffentlichen Raum oder im privaten Umfeld, die Pandemie bestimmte den Rhythmus. So gingen bis dato relativ unbekannte Begriffe wie "Lockdown", "Shutdown", Maskenpflicht, Priorisierung oder Inzidenz in den allgemeinen Sprachgebrauch über und es wurden die täglich in der heimischen Presse veröffentlichten Zahlen der Neuinfektionen von Sontra bis Witzenhausen so intensiv studiert wie in normalen Zeiten nur die Tabellen der diversen Fußballligen. Die tägliche Pressekonferenz des Robert-Koch-Instituts zur Coronalage wurde zur allmorgendlichen Pflichtveranstaltung und hatte für das tägliche Leben größeren Stellenwert als die abendliche Wetterkarte.
Plötzlich war das bislang gewohnte Leben fast völlig verschwunden und zwei Jahre lang dominierte das Virus und dessen Bekämpfung alle Lebensbereiche: Die Schulen wurden ebenso geschlossen, wieder geöffnet und nochmals geschlossen wie die Gastronomie und der Einzelhandel mit Ausnahme der Lebensmittelmärkte. Betriebe und öffentliche Verwaltungen gingen ins "Homeoffice", die politischen Institutionen wie Kreistag und Gemeindeparlamente trafen sich entweder digital, per Telefonkonferenz oder - wenn es die Inzidenzen zuließen - mit riesigem Abstand in Turn- bzw. Stadthallen.
Dabei trieb die Pandemie auch durchaus seltsame Blüten. Das wohl berühmteste Beispiel dafür ist der durch massenhaftes "Hamstern" plötzlich entstandene Notstand an Toilettenpapier und das nicht nur in großstädtischen Ballungsgebieten, sondern auch in solch ländlichen Regionen wie dem Werra-Meißner-Kreis. Wie leergefegt waren auf einmal die Regale der großen Märkte in Eschwege, Witzenhausen, Hessisch Lichtenau und anderswo von den drei- oder vierlagigen Kostbarkeiten und es passierte etwas, was vor diesen Tagen fast ausgeschlossen war: Die Städter fuhren zum Einkaufen in die kleinen Läden auf den Dörfern, weil sie gehört hatten, dass dort die begehrten Rollen noch ausreichend vorhanden waren!
Besonders hart traf der Lockdown die Kinder. Zunächst bis zum Ende der Osterferien, dann nochmals verlängert bis Ende April, wurden ab dem 13. März Schulpflicht und Präsenzunterricht ausgesetzt und die Kindergärten geschlossen. Leitendes Prinzip während dieses ersten Lockdowns war es, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, wobei Schulen und Kitas zu diesem Zeitpunkt als dessen Vermehrungsstätten ausgemacht worden waren. Für alle betroffenen Familien bedeutete dies eine immense zusätzliche Belastung des Alltags, für die Kinder ein plötzliches "Herausgerissensein" aus ihrem gewohnten Leben inkl. sämtlicher sozialer Kontakte.
Die Zauberformeln, um die allergrößten Verwerfungen bei der Bewältigung der schulischen Inhalte abzufedern, hießen "Homeschooling" und digitalisierter Unterricht. Die vorhandenen Möglichkeiten reichten aber bei weitem nicht aus und so wurden die Leistungen des Sommerhalbjahres nicht bewertet. Die Kinder erhielten bei der Zeugnisvergabe im Sommer das identische Halbjahreszeugnis und niemand musste das Schuljahr wiederholen.
Obwohl die Infektionszahlen bei Beginn der zweiten Corona-Welle im Herbst deutlich höher waren als noch im Frühjahr, wurde im Bereich der Schulen auf einen zweiten flächendeckenden Lockdown verzichtet und alles versucht, um sie so lange wie möglich offen zu halten. Grund dafür war auch eine verbesserte Datenbasis über das Virus selbst und die damit verbundene Erkenntnis, dass von Kindern keine besondere Infektionsgefahr ausgehen würde. Einzig die Weihnachtsferien wurden auf dem Höhepunkt der zweiten Welle auf vier Wochen vom 14. Dezember 2020 bis 11. Januar 2021 ausgedehnt.
Wirtschaftlich besonders hart traf Corona die Gastronomie. Mehrfache Lockdowns und Geschäftsschließungen - zwei Monate im Frühjahr 2020 und dann wieder ab Anfang November - brachten die Betriebe an den Rand der Existenzkrise und selbst staatliche Hilfen und dass nach wie vor mögliche Abholgeschäft waren nur Tropfen auf den heißen Stein.
Der Sportbetrieb - gleich ob im Freien oder in der Halle - kam für fast zwei Jahre gänzlich zum Erliegen oder wurde je nach dem Stand der Infektionszahlen auf Sparflamme mit strengen Hygieneregeln betrieben. Die allseits beliebten traditionellen Heimatfeste in Eschwege, Bad Sooden-Allendorf, Witzenhausen, Sontra oder Wanfried und das Open Flair gab es, wenn überhaupt, nur digital, das gesamte kulturelle Leben war bis zum Sommer 2022 regelrecht erstarrt.
In den Kliniken wurden die sogenannten "planbaren Operationen" zwar nicht auf den berühmten St. Nimmerleinstag, aber doch auf eine Zeit "nach Corona" verschoben. Der Witzenhäuser Teil des Klinikums Werra-Meißner war "Pandemie-Krankenhaus"; Krankenbesuche allerdings waren hier ebenso wie in den anderen Kliniken des Kreises bzw. den Alten- und Pflegeheimen generell nicht mehr erlaubt.
Auch nach dem Jahreswechsel 2020/2021 gab die Pandemie den Takt vor, beherrschte Corona das Alltagsleben der Menschen vom ersten Tag an. Zwar gab es mittlerweile den lang erwarteten Impfstoff, aber dieser war noch knapp und im Werra-Meißner-Kreis bald schon vergriffen. Immerhin konnten in einem ersten Block schon einmal etwas mehr als 1.300 Altenheimbewohner bzw. Klinikpatienten in Eschwege, Hessisch Lichtenau und Witzenhausen geimpft werden, aber dann war der Impfstoff auch schon wieder vergriffen und das komplizierte Prozedere der Anmeldung bereitete erheblichen Ärger.
Aber auch in einem anderen Zusammenhang sorgte das Impfgeschehen für Unmut: Um nicht unverimpftes Serum vernichten zu müssen, hatten sich Landrat und Erster Kreisbeigeordneter - obwohl sie nicht zur berechtigten Prioritätsgruppe 1 gehörten - am 27. Dezember 2020 im Seniorenheim Birkenhof in Eichenberg impfen lassen, was eine erregte öffentliche Diskussion nach sich zog und zur Bildung eines aus Juristen, Medizinern und Theologen bestehenden kreisweiten "Impfrates" führte, der bis zur Aufhebung der Priorisierung am 7. Juni 2021 entschied, wer mit evtl. übrig gebliebenen Impfdosen geimpft werden sollte.
Festgelegt war durch die Priorisierung bis dahin die Reihenfolge der Impfberechtigten: erst die über 80-Jährigen, dann die Menschen ab 70, dann die über 60-Jährigen. Zwischenzeitlich durften sich auch bestimmte Berufsgruppen und Menschen impfen lassen, deren Tätigkeiten als "systemrelevant" eingestuft worden waren.
Geimpft wurde anfangs in Pflege- und Altenheimen, dann kreisweit durch zwei, später drei mobile Teams sowie stationär ab dem 9. Februar im Impfzentrum Eschwege. Letzteres war übrigens das erste seiner Art in Deutschland und schaffte es dadurch sogar in die Weltnachrichten des amerikanischen Senders CNN. Nachdem dann endlich genügend Impfstoff vorrätig war, begannen auch die niedergelassenen Hausärzte mit den regelmäßigen Impfungen - zu den anfangs angebotenen sogenannten "Sonderimpftagen" gab es einen solch starken Andrang, dass Wartelisten und Terminvergaben unumgänglich wurden.
Als dann im Sommer 2021 die Infektionszahlen deutlich sanken, wurden die Zentren geschlossen und das gesamte Impfgeschehen verlagerte sich in die Praxen der Hausärzte. Doch kaum nachdem sich dieses Prozedere eingespielt hatte, brach im Herbst 2021 die sogenannte "4. Welle" über Deutschland herein und Mitte November entschlossen sich deshalb die Verantwortlichen, im Kreisgebiet wieder vier stationäre Impfzentren in Eschwege, Sontra, Witzenhausen und Hessisch Lichtenau einzurichten. Der Bedarf an Impfstoff und Impfmöglichkeiten war stark gestiegen, was allerdings nicht nur an der vierten Welle, sondern auch an den drastischer werdenden Einschränkungen lag, die ab dem Herbst für Ungeimpfte galten.
Trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte bzgl. der Entwicklung wirksamer Seren zeigte sich die Pandemie überaus hartnäckig und fast hätte es Ende Januar 2021 sogar eine nächtliche Ausgangssperre für das gesamte Kreisgebiet gegeben - glücklicherweise aber verharrte die Inzidenz unter dem dazu notwendigen Wert von 200, so dass den Menschen vorerst zumindest diese Verschärfung erspart blieb. Regelrecht "eingefroren" blieb allerdings kreisweit weiterhin jegliches öffentliche Leben, was z. B. auch Absagen für die Parlamentssitzungen in Hessisch Lichtenau, Witzenhausen, Bad Sooden-Allendorf und Großalmerode nach sich zog.
Mit dem beginnenden Frühjahr lockerten sich dann aber die meisten der strengen Lockdown-Regeln merklich: Zuerst erlaubte das Land Hessen Mitte März den Vereinen, wieder im Freien Sport zu treiben, dann wurden auch die kreiseigenen Hallen sowie die örtlichen Sportplätze geöffnet, wobei erstere allerdings nur unter Beachtung strenger Auflagen benutzt werden durften. Keine Lockerungen indes gab es für die Schulen, denn aufgrund gestiegener Zahlen von Neuinfizierten verschob das Land die eigentlich geplanten Schulöffnungen bis nach den Osterfeiertagen Anfang April.
Mitte März konnte dann nach genau einem Jahr Pandemie auch die erste "Corona-Bilanz" des Kreises gezogen werden. In nackten Zahlen ohne Kommentar: Vom 16. März 2020 bis zum 16. Juni 2021 haben sich im Werra-Meißner-Kreis 2.461 Personen mit dem Virus infiziert, fast jeder fünfte war 80 Jahre und älter. 138 Infizierte sind binnen dieses Jahres an oder mit der Infektion verstorben. Ab diesem Termin wurde auch die Infrastruktur der Testmöglichkeiten mit Hilfe von DRK, Apotheken sowie den Allgemein- und Zahnmedizinern deutlich erweitert, so dass sich bereits Ende April 27 Testzentren in Betrieb und fünf weitere in Planung befanden.
Wer allerdings zu diesem Zeitpunkt gehofft hatte, dass die Pandemie nun endlich und endgültig überwunden sei, sah sich schon bald eines Besseren bzw. in diesem Zusammenhang Schlechteren belehrt, denn vom 28. April bis 13. Mai 2021 griffen im Kreis auf die Regelungen der sogenannten "Bundesnotbremse" mit einer dann doch angeordneten nächtlichen Ausgangssperre. Auch durfte sich höchstens ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen und in Geschäften durften Kunden nur bedient werden, wenn diese einen negativen Corona-Test vorlegen konnten und zusätzlich einen Termin gebucht hatten.
Der Grund für diese drastischen Maßnahmen: Die Inzidenz, also der Wert der Neuansteckungen mit dem Covid-19-Virus in den zurückliegenden sieben Tagen, stieg weit über den Schwellenwert von 100. Für diesen Tag wurden 266 positiv getestete Menschen im Kreis und ein Inzidenzwert von 267 angegeben. Im Klinikum wurden 15 Personen auf der Isolier- und 6 Personen auf der Intensivstation behandelt, davon 5 mit Beatmung.
Weil die Marke noch über 150 kletterte, wurde kurze Zeit später auch das Einkaufen mit Terminvergabe ("click and meet") untersagt - lediglich das Abholen von Ware blieb erlaubt. Nicht betroffen von diesen Einschränkungen waren dieses Mal die Schulen, in denen direkt nach Ende der Osterferien am 19. April wieder Präsenzunterricht angeboten wurde. Allerdings mussten sich alle Schüler vor dem täglichen Unterrichtsbeginn einem Corona-Schnelltest und einer entsprechenden Schulung zum Umgang damit unterziehen.
Der wellenartige Pandemieverlauf ging das gesamte Jahr 2021 weiter und blieb den Menschen im Kreis sogar bis weit in den Sommer 2022 erhalten. Im Juni 2021 konnte das Klinikum Werra-Meißner im bisherigen Pandemiekrankenhaus Witzenhausen aufgrund der drastisch gesunkenen Inzidenzen den Normalbetrieb wiederaufnehmen - um im November desselben Jahres von der 4. Corona-Welle überspült zu werden. "Im Vergleich zum Vorjahr", so Dr. Peter Schott, der ärztliche Direktor des Klinikums, "haben wir jetzt schon mehr CoVid-Patienten als im Dezember 2020." Wegen der erneut hohen Infektionszahlen griffen abermals die mittlerweile sattsam bekannten Maßnahmen inkl. der Absage zahlreicher Weihnachtsmärkte und sonstiger Jahresend-Veranstaltungen im Kreisgebiet.
Bereits im Juni 2021 hatten sich 3,68 % von den knapp 100.000 Einwohnern des Kreises mit dem Virus infiziert - mithin jeder 27te, was einer Quote von 3,68 % entsprach. Damit lag diese sowohl im Vergleich zum Land Hessen (4,60 %) als auch dem Bundesdurchschnitt (4,47 %) deutlich niedriger. Bedingt durch die demografische Situation im Landkreis war aber gleichzeitig eine mit 4,26 % überdurchschnittlich hohe Sterberate zu verzeichnen, die deutlich über den Vergleichszahlen von Land (2,57 %) und Bund (2,42 %) lag.
Insgesamt starben vom Frühjahr 2020 bis Ende Juni 2021 157 Menschen im Kreis mit oder an Corona, 116 von ihnen waren 80 Jahre oder älter, 29 zwischen 70 und 79 Jahre alt. Bis Anfang Januar 2022 stiegen diese Zahlen nochmals an und zwar auf 7.155 Infizierte und 193 Todesfälle.
Das öffentliche Leben war immer noch strengen Regeln unterworfen. Darunter fiel z. B. Alkoholverbot an belebten Orten und Plätzen, verbunden mit der allgegenwärtigen Maskenpflicht in den Fußgängerzonen. Für Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen sowie in Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen wie Sportplätzen, Fitnessstudios, Kinos, Theatern und bei touristischen Übernachtungen galt in Innenräumen die Regel 2G+ und außen die Regel 2G.
Ab April wurden dann alle Masken- und Abstandspflichten aufgehoben, worauf die Inzidenz im Landkreis geradezu explosionsartig auf 1.781 stieg und Mitte Juli nahm der Werra-Meißner-Kreis mit wöchentlich fast 2.300 Neuinfektionen dann die absolute bundesweite Spitzenposition in der 7-Tage-Inzidenz ein. Aber der Anteil der Infizierten, für die ein Krankenhausaufenthalt notwendig war, tendierte ebenso wie die Sterblichkeitsrate mittlerweile gegen Null - das Virus hatte eindeutig seinen Schrecken verloren. Bis zum Jahresende 2023 hatten sich im Kreisgebiet 43.698 Menschen mit Corona infiziert, 250 von ihnen waren verstorben.
Die Pandemie war also überwunden und das gewohnte Leben nahm wieder Fahrt auf. Ganz besonders galt dies für die sommerlichen Großveranstaltungen im Kreis, die in den Pandemie-Jahren, wenn überhaupt, ein digitales Kümmerdasein fristeten. Nun aber stiegen sowohl die heimischen Traditionsfeste als auch die Musikfestivals wie das Open Flair in Eschwege oder der "SoundGarten" in Bad Sooden-Allendorf gleich dem sagenhaften Feuervogel Phönix größer und schöner aus der Asche der Pandemie und die Menschen feierten ausgelassen und voller Freude.
Und plötzlich ist Krieg
Aber der Sieg über die Pandemie war nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen stand ein Wort, das die Europäer für ihren Kontinent eigentlich aus dem Sprachgebrauch gestrichen hatten: Krieg. Am 24. Februar 2022, mitten in der letzten großen Corona-Welle, überfiel der russische Diktator Wladimir Putin das Nachbarland Ukraine. Seit diesem Datum ist die Welt eine andere. Von Bundeskanzler Olaf Scholz in einer großen Rede vor dem Bundestag zu Recht als "Zeitenwende" bezeichnet, hat dieser Überfall alle Blütenträume eines friedlich zusammenwachsenden Europas jäh platzen lassen und niemand - auch nicht die Menschen im weit entfernten Werra-Meißner-Kreis - konnte sich den Folgen der von Russland so bezeichneten "Militärischen Spezialoperation" entziehen.
Überall im Kreis lösten die Geschehnisse große Betroffenheit aus und das in allen Lebensbereichen. So ließen die evangelischen Kirchen zunächst täglich um 12 Uhr die Kirchenglocken für den Frieden läuten, nahmen viele Menschen an Friedensgebeten und Andachten teil, äußerten die Bürgermeister der Städte und Gemeinden unisono ihre Bestürzung über den Krieg an sich und die propagandistisch vorgeschobenen Gründe des Überfalls.
Schon wenige Tage nach Kriegsausbruch erreichten die ersten Flüchtlinge das Kreisgebiet. Zuerst kamen die, die hier Bekannte oder Verwandte hatten. Aber schon bald sorgte die große Hilfsbereitschaft dafür, dass Flüchtlinge von der Grenze abgeholt wurden, um ihnen hier Schutz und Sicherheit zu geben. Nur knapp einen Monat nach dem Überfall hielten sich bereits 630 Menschen aus der Ukraine offiziell im Kreisgebiet auf, wobei die eigentliche Zahl sicher deutlich höher lag.
Das stellte die Behörden vor erhebliche Probleme, denn die in Privathaushalten lebenden Ukrainer waren mitunter als Touristen eingereist, besaßen dadurch keinen offiziellen Flüchtlingsstatus und kamen somit auch nicht in den Genuss staatlicher Hilfen. Dies wiederum führte anfangs zu Verwirrung und Frust unter den Betroffenen und ihren einheimischen Helfern. Von Amts wegen wurde aber alles getan, um dieses Problem in den Griff zu bekommen, was etwa fünf Wochen nach Kriegsausbruch und dem Überwinden diverser bürokratischer Hürden auch gelang und so unkomplizierter Hilfe nichts mehr im Wege stand.
Schnell wurde klar, dass sich die Lage in der Ukraine in absehbarer Zeit nicht normalisieren würde, und der von vielen so sehr erhoffte "status quo ante" lag - und liegt beim Verfassen dieser Zeilen immer noch - in weiter Ferne. Dies spürten die Menschen allenthalben und eine gewaltige Welle der Hilfsbereitschaft rollte durch den Kreis und zahllose Menschen waren bestrebt, den Überfallenen so gut es ging zu helfen. Schon wenige Tage nach dem Beginn des russischen Angriffs rollten die ersten Konvois voll bepackt mit Kleidung, Möbeln inkl. einem ganzen LKW voller medizinischer Güter aus den Beständen der orthopädischen Klinik in Hessisch Lichtenau Richtung ukrainischer Grenze. Sehr engagiert waren dabei u.a. die Jugendbildungsstätte auf dem Ludwigstein, das THW, viele Privatpersonen und vor allem auch die Initiative "Eschwege hilft", die unzählige Tonnen Material an die ukrainische Grenze und darüber hinaus brachten.
Hier vor Ort ging es vor allem darum, die wachsende Zahl der Kriegsflüchtlinge unterzubringen. Dazu sammelte die Kreisverwaltung Angebote für Wohnraum und Unterkünfte, liefen Spenden- und Sammelaktionen wie z. B. bei der Jahreshauptversammlung der TSG Bad Sooden-Allendorf im Mai 2022, deren Teilnehmer 3.000 Euro aus dem Vereinsvermögen spendeten. Viele andere Vereine, Verbände und Institutionen stellten ähnliche Aktionen auf die Beine und versuchten damit, das Schicksal der Betroffenen ein wenig erträglicher zu gestalten.
Darüber hinaus zeigte sich aber sehr schnell, dass der Ukraine-Krieg auch erhebliche Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen vor Ort haben würde. So kletterten an den Tankstellen die Benzinpreise auf einen noch nie gesehenen Höchststand, erklommen aufgrund der eingestellten Gaslieferungen aus Russland die Gaspreise für viele "Normalverdiener" existenzgefährdende Höhen. Um die allerschlimmsten Auswirkungen abzuwenden, steuerte die Bundesregierung durch eine zeitlich begrenzte sogenannte "Gaspreisbremse" zwar gegen, die grundsätzliche Problematik der extrem verteuerten Energie aber blieb erhalten.
Ausbleibender Getreideexport aus der Ukraine ließ nicht nur eine Hungersnot in den ärmsten Ländern der Welt befürchten, sondern auch die Preise für heimische Backwaren deutlich ansteigen. Die teils exorbitanten Preissteigerungen beschränkten sich aber nicht auf Brot und Co., sondern zogen sich durch alle Branchen, verschärft noch durch die plötzlich unterbrochenen Lieferketten und fehlendes Material für die meisten handwerklichen Gewerke.
Den Sommer über beherrschte vor allem die Sorge über die Entwicklung von Gas- und Ölpreisen die Szenerie. Um die ganze Dramatik dieser Entwicklung zu demonstrieren, genügt der Blick auf die Preise bei handelsüblichem Heizöl im Zeitraum September 2021 bis Oktober 2022. Am 9. September 2021 kosteten im Werra-Meißner-Kreis 2.840 Liter Heizöl 1.941 Euro, am 22. Oktober 2022 die gleiche Menge 4.462 Euro - mithin also eine Preissteigerung von 2.521 Euro oder sage und schreibe 130 %.
Aktuell hat sich der Preis bei knapp 2.800 Euro eingependelt, zwar deutlich unter den Höchstständen vom Herbst 2022, aber immer noch um 900 Euro oder rund 46 % höher als vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges. Ähnlich gestaltete sich die Entwicklung beim Gaspreis, hier noch verschärft durch die staatliche Einführung einer "Beschaffungsumlage", mit der die Gasversorgung im Winter sichergestellt werden sollte und die die Stadtwerke vor Ort ad hoc umzusetzen hatten.
Zwar wurde diese Umlage als "Spitze des Eisberges" relativ schnell wieder kassiert, aber die Gaspreise blieben ebenso wie die Heizölpreise extrem hoch und waren dadurch Treiber einer inflationären Entwicklung, wie sie Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erlebt hatte. Wie sehr sich unsere Lebenshaltungskosten auf allen Ebenen seitdem verteuert haben, erleben wir jeden Tag beim Einkauf und alle staatlichen Ausgleichsmaßnahmen inkl. der Tarifabschlüsse mit höheren Entgelten für die Beschäftigten machen die finanzpolitische Situation nicht besser - was das letztlich auch für die Kreisfinanzen bedeutet, davon an anderer Stelle mehr.
Insgesamt waren und sind die Herausforderungen groß. Die Bilanz für den Kreis nach dem ersten Jahr Ukraine-Krieg las sich Ende Februar 2023 auf allen Ebenen wie folgt: Die größte registrierte Zahl an Flüchtlingen lag bei 1.049, überwiegend Frauen und Kinder, die allermeisten von ihnen versorgt durch ehrenamtlich Aktive wie "Eschwege hilft", die Tafeln in Eschwege und Witzenhausen bzw. die "Arche" in Hessisch Lichtenau. Der Kreis stellte 750.000 Euro für die Versorgung der Flüchtlinge im Haushalt für 2023 bereit, der Arbeitsmarkt hatte vorübergehend mit einer steigenden Zahl an Arbeitslosen, dem sogenannten "Ukraine-Effekt", zu kämpfen und die Schulen mussten hunderte ukrainischer Kinder sowohl unterrichten als auch integrieren.
Nichts ist so beständig wie der Wandel
Vieles hat sich in der Dekade seit 2014 gewandelt. Dies geschah - wie geschildert - hauptsächlich im Kontext globaler Zusammenhänge und Ereignisse, auf die die Menschen im Werra-Meißner-Kreis keinen Einfluss hatten. Aber auch der Kreis selbst hat sich deutlich verändert, vor allem auch im Hinblick auf seine politischen Kräfteverhältnisse. Bereits seit den Kommunalwahlen des Jahres 2011 waren mit SPD, CDU, FDP, den Grünen, der Linken sowie der FWG fünf Parteien und eine Wählergruppe im Kreistag vertreten - ein Jahrzehnt später wurde diese Meinungsvielfalt noch einmal durch die AfD erweitert.
Hatten sich bis einschließlich 2016 die Sozialdemokraten mit Stimmenanteilen jenseits der 40 %-Marke immer mit mehr oder weniger deutlichem Abstand als stärkste politische Kraft im Kreis behaupten können, so ist diese Stellung mit der Kommunalwahl 2021 deutlich ins Wanken geraten. Diese Erosion begann bereits im März 2016 und setzte sich fünf Jahre später ungebremst fort. Von 44,1 % im Jahre 2011 über 41,8 % in 2016 bis hin zu 32,8 % bei der bislang letzten Kommunalwahl im März 2021 ging es für die SPD rapide abwärts, ohne dass die CDU als größte Oppositionspartei nachhaltig davon profitieren konnte. Ihr Stimmenanteil bewegte sich wie festgezurrt in einer Range zwischen 30 % und 31 %.
Auch wenn es für die Christdemokraten ein Trost sein mag, nach jahrzehntelangem deutlichem Abstand nunmehr in der Wählergunst mit der SPD fast gleichauf zu liegen, so zeigen doch die Ergebnisse der beiden großen Parteien, dass es auch im Werra-Meißner-Kreis für die Volksparteien zunehmend schwerer geworden ist, der Zerfaserung des Parteienspektrums wirksam entgegenzutreten.
Nachdem seit dem März 2021 nun auch noch die rechtspopulistische AfD mit 5,21 % und drei Sitzen im Kreistag vertreten ist - noch 2016 war der Werra-Meißner-Kreis der einzige Landkreis in Hessen, in dem die AfD nicht zu den Wahlen angetreten war - verteilen sich die 61 Parlamentssitze aktuell auf sieben Parteien bzw. Wählergruppen: SPD (32,79 % / 20 Sitze), CDU (30,41 % / 19 Sitze), GRÜNE (13,21 % / 8 Sitze), Freie Wähler (10,32 % / 6 Sitze), AfD (5,21 % / 3 Sitze), Linke 4,06 % / 3 Sitze) und FDP ( 4,00 % / 2 Sitze).
Je differenzierter der Wählerwille das Parlament gestaltete, desto komplizierter wurde der Findungsprozess für eine arbeitsfähige Regierungskoalition, denn die Zeiten von SPD-Alleinregierungen bzw. Sozialliberalen oder rot-grünen Zweierkoalitionen gehörten seit 2016 sichtbar der Vergangenheit an. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise war seinerzeit die rot-grüne Koalition abgewählt worden und an ihre Stelle trat - zum ersten Mal in der Kreisgeschichte - ein Dreierbündnis bestehend aus SPD, Grünen und der FDP. Fast ist man an dieser Stelle geneigt, diese "Ampel" im Werra-Meißner-Kreis als Blaupause für die spätere Ampelregierung auf Bundesebene zu bezeichnen, wobei sich allerdings die Regierungsarbeit der "kleinen" Ampel auf Kreisebene in der folgenden Legislaturperiode deutlich geräuschloser und effektiver gestaltete als das ihrer "großen" Nachfolgerin auf Bundesebene.
Fand die Kommunalwahl 2016 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise statt, so stand der Urnengang fünf Jahre später im Zeichen der Pandemie, was sicher auch den seit 2016 exorbitant gestiegenen Anteil der Briefwähler von 14 % auf 33 % der Wahlberechtigten erklärt. Seit in Hessen bei der Wahl neuer Kommunalparlamente das Prinzip von Kumulieren und Panaschieren angewandt wird, sind diese Stimmabgaben zu einer komplexen, im Extremfall sogar höchst zeitaufwendigen Angelegenheit geworden. Wenn man z. B. für den Kreistag jede Stimme einzeln vergibt, was nach dem Wahlrecht durchaus möglich ist, müssen 61 Kreuzchen gesetzt werden - ohne die darüber hinaus zu Stimmen für Stadtparlamente, Ortsbeiräte etc.
Im März 2021 hatten sich den 81.000 Wahlberechtigten im Werra-Meißner-Kreis insgesamt 1.538 Bewerberinnen und Bewerber um die Sitze in Ortsbeiräten, Stadtparlamenten, Gemeindevertretungen und Kreistag zur Wahl gestellt. Allein bei der Kreistagswahl wurden 2.484.096 gültige Stimmen kumuliert und panaschiert, deren Auszählung mehrere Tage in Anspruch nahm und mit denen dann letztlich die seit 2016 regierende Ampel zwar knapp, aber dennoch abgewählt wurde. Was folgte, war ein neues Konstrukt, nämlich eine sogenannte "Kooperationsvereinbarung" von SPD und Grünen mit der Partei Die Linke, die unterhalb der Schwelle einer formalen Koalition für eine regierungsfähige Mehrheit im Kreistag sorgen sollte.
Dieses Konstrukt hatte allerdings nur eineinhalb Jahre Bestand, um dann, bedingt auch durch Turbulenzen um die Wahl des neuen Ersten Kreisbeigeordneten, im Januar 2023 von der ersten "Großen Koalition" auf Kreisebene abgelöst zu werden. Ein Bündnis von SPD und CDU war für den Werra-Meißner-Kreis etwas so grundlegend Neues, dass es für viele ziemlich überraschend kam. Beide Partner setzten damit, wie es ein Pressekommentar formulierte, "auf Verlässlichkeit statt Luftschlösser" und präsentierten in ihrem 10-seitigen Koalitionsvertrag Anfang Januar 2023 elf Themenfelder, mit denen sie den Kreis fit für die Zukunft machen wollen.
Nachdem Landrat Stefan Reuß Mitte März 2017 seine erneute Kandidatur für das höchste Amt im Landkreis öffentlich gemacht hatte, war die für den 24. September zusammen mit der Bundestagswahl angesetzte Wahlentscheidung eigentlich nur noch Formsache. Seit dem 6. Juni 2006 im Amt, hatte sich der Landrat durch sein überaus erfolgreiches Wirken über alle Parteigrenzen hinweg eine solche Reputation erarbeitet, dass keine der im Kreistag vertretenen Parteien auf den Gedanken kam, einen Gegenkandidaten aufzustellen.
Bei einer - bedingt durch die gleichzeitig stattfindende Bundestagswahl - hohen Wahlbeteiligung von 73,8 % erreichte er dann auch mit 83,8 % Zustimmung ein absolutes Traumergebnis, das seine 78 % aus dem Jahr 2012 noch einmal deutlich übertraf. Nachdem am 6. November auch der 1. Beigeordnete Dr. Rainer Wallmann vom Kreistag für eine zweite Amtszeit gewählt wurde, konnte die Presse titeln, dass "Reuß und Wallmann ( ...) für weitere sechs Jahre den Werra-Meißner-Kreis (...) vertreten".
Was damals niemand ahnen konnte: Beide verließen vor dem Ende ihrer Amtszeit die Kreisverwaltung - Landrat Stefan Reuß wurde am 30. Juni 2021 mit Wirkung zum 1. Januar 2022 zum Präsidenten des Hessischen Sparkassen- und Giroverbandes gewählt und der Erste Beigeordnete Dr. Rainer Wallmann wechselte im Herbst 2022 als Geschäftsführer des kommunalen Abfallentsorgungsunternehmens EDG nach Dortmund.
Nun mussten beide Spitzenpositionen nacheinander neu besetzt werden, ein Vorgang, der die heimische politische Landschaft gehörig durcheinanderwirbelte. Für den Landratsposten waren es dann letztlich vier Kandidatinnen und Kandidaten, die für den zum 1. Januar 2022 freiwerdenden Chefsessel im Landgrafenschloss ihre Hüte in den Ring warfen: die Bürgermeister Herz (Witzenhausen, parteilos), Hix (Bad Sooden-Allendorf, CDU) und Lenze (Berkatal, SPD) sowie als einzige Frau innerhalb der bürgermeisterlichen Männerrunde die Grebendorfer Ortsvorsteherin Nicole Rathgeber, deren Kandidatur von den Freien Wählern unterstützt wurde.
Den ersten Wahlgang am 24. Oktober entschied Friedel Lenze mit 41,56 % der Stimmen für sich, gefolgt von Nicole Rathgeber, die 29,70 % auf sich vereinigen konnte - beide stellten sich am 7. November der notwendigen Stichwahl. Letztere entschied, wie die Presse titelte "überraschend" Nicole Rathgeber mit großem Vorsprung für sich (59,7 % gegenüber 40,3 %) und wurde dadurch zur neuen Landrätin gewählt.
Ihren höchsten Stimmenanteil erreichte die neue Landrätin dabei im Ringgau mit 79,4 % und in Wanfried mit 71,9 %, ihren niedrigsten in Eschwege und Berkatal - knapp an der 50 %-Marke vorbei - mit jeweils 46,9 %. Alles in allem ein solides Wahlergebnis. In ihr Amt eingeführt wurde sie in der Kreistagssitzung am 13. Dezember 2021, in der gleichzeitig der scheidende Landrat Stefan Reuß nach seiner letzten höchst emotionalen Kreistagsrede vom Hohen Haus einmütig "mit Ovationen im Stehen verabschiedet" wurde.
Als Nicole Rathgeber am 1. Januar 2022 ihr Amt antrat, war das für den Werra-Meißner-Kreis in vielerlei Hinsicht eine Zeitenwende: Seit Gründung der Landkreise Eschwege und Witzenhausen 1821 und deren Zusammenlegung 1974 war die neue Landrätin die erste Frau an der Spitze des Kreises, die erste, die die Bastion der SPD im Landratsamt nach 48 Jahren durchbrochen hatte, zudem in Hessen eine von damals insgesamt nur drei (heute zwei) Landrätinnen und die einzige, die aus den Reihen der Freien Wähler kam.
Bundesweite Bekanntheit erlangte die Landrätin dann anderthalb Jahre später, als sie in der Sendung "RTL Direkt Special - Am Tisch mit Olaf Scholz" als eine von vier "Menschen aus dem Volk" die Möglichkeit hatte, direkt mit dem Bundeskanzler zu diskutieren. Eine knappe Million Zuschauer hatte eingeschaltet und erlebte eine Landrätin, die mit Olaf Scholz "...auf Augenhöhe diskutierte" und dabei "den Schneid hatte, dem Bundeskanzler Erfahrungen von "normalen Menschen" sachlich, aber bestimmt mit auf den Weg zu geben (...) Nicht zuletzt prägte sie den Satz des Abends, der in der Übertragung ein wenig unterging: "Seien Sie mehr on fire!" "On fire" geriet dann ab Herbst zunehmend die hauchdünne rot-grün-rote Mehrheit im Kreistag.
Nach der Ankündigung des hauptamtlichem Ersten Kreisbeigeordnetem, den Werra-Meißner-Kreis in Richtung Ruhrgebiet zu verlassen (s. o.), begann die fieberhafte Suche nach einem Nachfolger. Im Herbst 2022 schickten dann die Grünen, die laut Koalitionsvertrag das Vorschlagsrecht für diese Position besaßen, Holger Pflüger-Grone aus Witzenhausen ins Rennen. Die Abstimmung am 26. September zeitigte allerdings auch nach drei Wahlgängen kein Ergebnis, denn dem Kandidaten der Mehrheitsfraktionen war in allerletzter Minute in Gestalt des von der CDU ins Rennen geschickten Juristen Dr. Philipp Kanzow ein Gegenkandidat erwachsen, der die exakt gleiche Stimmenzahl erreichte.
Was folgte, war eine wachsende Ungewissheit über die zukünftigen Kräfteverhältnisse im Kreistag, die in eine Neuausschreibung der Beigeordnetenstelle und den Verzicht des Grünen-Kandidaten auf einen zweiten Wahlgang mündete.
Als Folge all dieser politischen Turbulenzen begannen ab Mitte Dezember erste Gespräche zwischen SPD und CDU, um die Möglichkeit einer "Großen Koalition" auszuloten.
Mitte Januar 2023 wurde diese Option dann konkret: Die Sozialdemokraten beendeten ihre Zusammenarbeit mit den Grünen und schlossen stattdessen ein Bündnis mit der CDU. Diese Koalition stellte in der Geschichte des Werra-Meißner-Kreises eine ebensolche Zeitenwende dar, wie bereits im Herbst 2021 die Wahl Nicole Rathgebers zur Landrätin. Zwar war die neue Verbindung laut den Aussagen beider Partner "keine Liebesheirat", bedeute aber eine stabile Mehrheit im Kreistag (39 von 61 Sitzen) und sei deshalb - auch angesichts der bestehenden und zukünftigen Herausforderungen - für den Kreis das Beste. Um diese Mehrheit auch im täglichen Geschäft zu verankern, gestand die CDU den Sozialdemokraten die Position des Ersten Kreisbeigeordneten zu, womit die SPD wieder direkten Zugriff auf das Landratsamt erhielt.
Im Gegenzug bekam die CDU das Zugriffsrecht auf die neu geschaffene Position eines zweiten hauptamtlichen Beigeordneten und den Vorsitz im Kreistag. Entsprechend dieser Vereinbarungen wurde der bisherige Kreistagsvorsitzende Friedel Lenze am 1. März 2023 zum Ersten Kreisbeigeordneten und der CDU-Abgeordnete Peter von Roeder zum neuen Kreistagsvorsitzenden gewählt. Mit der Änderung der Hauptsatzung wurden gleichzeitig die rechtlichen Voraussetzungen für die Wahl eines weiteren hauptamtlichen Beigeordneten geschaffen, die dann - allerdings begleitet von erheblichem politischen Widerstand in der kreisweiten Öffentlichkeit - am 1. Juni erfolgte und den bereits im Herbst 2022 von der CDU ins Rennen geschickten Dr. Philipp Kanzow in das neu geschaffene Amt brachte. Die Kreisspitze war nun wieder komplett, dabei erstmals in der Geschichte des Werra-Meißner-Kreises zu dritt.
Bemerkenswert - und deshalb an dieser Stelle auch zu dokumentieren - ist das Ergebnis der Wahlen zum Hessischen Landtag vom 9. Oktober 2023, die auch für den Werra-Meißner-Kreis eine dramatische Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse mit sich brachten. Unter der Schlagzeile "Rechtsruck ist haarsträubend" bewertete die Lokalpresse das Wahlergebnis als "deutlichen Sieg für die CDU, enorme Zuwächse für die AfD, eine Klatsche für Grüne und SPD" . "Tief enttäuscht" zeigte sich deshalb auch der SPD-Unterbezirksvorsitzende Knut John aus Eschwege, dessen Partei im gesamten Werra-Meißner-Kreis als eine ihrer einstigen Hochburgen herbe Verluste hinnehmen und den Christdemokraten die "Pole Position" überlassen musste.
Damit lagen die Verluste der Sozialdemokraten zwischen Werra und Meißner ebenso voll im Landestrend wie die der Grünen und die Gewinne der Christdemokraten, die in beiden Wahlkreisen, die das Kreisgebiet abdeckten, stark zulegten und mit Abstand zur führenden politischen Kraft auf Landesebene wurden. Ebenfalls hohe Zuwächse verbuchen konnte die rechtspopulistische AfD, die sowohl im Wahlkreis 9 "Eschwege-Witzenhausen" als auch im Wahlkreis 10 "Rotenburg" Zuwächse von über 5 % erreichte und mit knapp 20 % fast ebenso viele Zweitstimmen auf sich vereinigen konnte wie die Sozialdemokraten.
Haushalte und Investitionen
Sowohl die notwendige Daseinsvorsorge für die Bürger als auch die auf vielen Ebenen erforderlichen Zukunftsinvestitionen sind natürlich auch auf der Ebene des Landkreises von dessen finanzieller Ausstattung abhängig. Es genügt daher nicht, hehre politische Absichtserklärungen zu postulieren und den Menschen möglichst rosige Perspektiven anzudienen. Gefragt ist immer eine Politik mit Augenmaß, die eingedenk der vorhandenen finanziellen Möglichkeiten das Machbare in den Blick nimmt und sich nicht in - sicher erstrebenswerten, aber unrealisierbaren - Zukunftsträumen verliert.
Nach Jahren der finanziellen Dauerkrise hatte sich der Landkreis mit Wirkung vom 7. Dezember 2012 unter den Schutzschirm des Landes Hessen gestellt und war von 19,6 Mio. Euro der angehäuften Schulden entlastet worden. Im Gegenzug hatte man sich verpflichtet, bis spätestens 2018 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Dieses Ziel war nicht nur ambitioniert, sondern wurde auch erreicht - und zwar viel früher, als es selbst die kühnsten Optimisten erwartet hatten.
Bereits 2014 schaffte man einen ausgeglichenen Etat und ein Jahr später war der "Turnaround" mit dem ersten positiven Kreishaushalt seit 21 Jahren endgültig geschafft. Bei einem Gesamtvolumen von insgesamt 135 Mio. Euro hatte sich das ursprünglich für das Haushaltsjahr 2015 eingeplante Minus von 1,4 Mio. Euro in ein zwar kleines, aber nichtsdestotrotz Plus von 188.000 Euro gewandelt.
Dass diese positive Entwicklung keine Eintagsfliege war, bestätigte sich Ende November 2015 bei der Einbringung des Haushalts für 2016, der, laut vorsichtiger Prognose, mit einem Überschuss von etwa einer Viertelmillion abschließen sollte. Aus dieser Viertelmillion wurde bis zum September 2016 dann ein mehr als deutliches Plus von 5,5 Mio. Euro, das den Kreis nunmehr auch in die Lage versetzte, "Altdefizite auszugleichen und in die Zukunft zu investieren."
In ähnlichen Dimensionen entwickelten sich die Haushalte der kommenden Jahre, so dass man bereits Ende Januar 2018, also vier Jahre früher als geplant, den kommunalen Schutzschirm des Landes Hessen wieder verlassen konnte. Damit übernahm das Land Hessen fast 20 Mio. Euro Schulden, die sich in der Vergangenheit angesammelt hatten, und attestierte dem Kreis darüber hinaus, "bei der Konsolidierung ein hohes Tempo vorgelegt zu haben."
Auf die Gründe für diese rasante und überraschend positive Entwicklung angesprochen, verwies Landrat Stefan Reuß u. a. auf die seinerzeit herrschende Niedrigzinsphase, die "für alle öffentlichen Haushalte natürlich ein Segen" gewesen sei, sowie die uneingeschränkt positive konjunkturelle Lage. Zukünftig war der Kreis nun dauerhaft zu einem ausgeglichenen Haushalt verpflichtet und musste sich gleichzeitig einer zusätzlichen Netto-Neuverschuldung enthalten.
Nächstes Ziel auf dem Weg hin zur nachhaltigen finanziellen Gesundung war der Abbau der Kassenkredite. Ähnlich wie beim Schutzschirmprogramm stand auch hier wieder das Land bereit, dieses Mal mit dem speziellen Unterstützungsprogramm der sogenannte "Hessenkasse", mit deren Hilfe die Kassenkredite von Kreisen, Städten und Gemeinden abgelöst werden konnten.
Nachdem am 7. Mai 2018 der Kreistag den Beitritt zur Hessenkasse beschlossen hatte, wurden mit Stichtag 17. Dezember 2018 47,6 Mio. Euro Schulden, die durch Kassenkredite aufgehäuft worden waren, vom Land Hessen übernommen. Natürlich ging auch dies nicht ohne Eigenleistung, denn die Hälfte der Gesamtsumme muss an das Land zurückgezahlt werden. Gewählt wurde hier ein Ratenmodus in Höhe von 25 Euro pro Einwohner und Jahr - der Kreis muss also bis Ende 2027 jedes Jahr rund 2,5 Mio. Euro als Tilgung an das Land überweisen.
Die positive Haushaltsentwicklung setzte sich in den kommenden Jahren fort - zwar nicht immer auf der Höhe des Jahres 2016 - aber kontinuierlich im positiven Bereich. Fast das gesamte vergangene Jahrzehnt hatte dieser Haushaltstrend Bestand, ehe er ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2024 in den negativen Bereich drehte. Noch für 2023 wies der Jahresabschluss einen Überschuss von rund 2 Mio. Euro aus - an ein solches Ergebnis ist im laufenden Haushaltsjahr 2024 noch nicht einmal ansatzweise zu denken.
Bereits bei der Einbringung des Etats Mitte Dezember 2023 war deutlich geworden, dass sich der eingebrachte Haushaltsansatz mit 198 Mio. Euro auf der Einnahmen- und 213 Mio. Euro auf der Ausgabenseite nicht nur weit weg von den mittlerweile gewohnt positiven Zahlen bewegen, sondern mit einem prognostizierten Minus von über 14,5 Mio. Euro in rekordverdächtigen Negativsphären bewegen würde.
Dennoch wurde er von den Mehrheitsfraktionen im Kreistag "zähneknirschend gebilligt", wobei diese allerdings im gleichen Atemzug "ernsthafte Sparbemühungen der Kreisverwaltung einforderten". Die Forderung nach Sparbemühungen ist das Eine, Möglichkeiten solche zu finden und sie dann vor allem auch mit signifikanten Auswirkungen auf die Ausgabenseite umzusetzen, das Andere. Dies insbesondere auch, weil - wie alle Fraktionen im Kreistag unisono monieren - von Bund und Land den Kreisen immer neue Aufgaben zugeordnet werden, ohne dass im Gegenzug die finanzielle Ausstattung entsprechend verbessert wird. Letztlich führt dieses Vorgehen dazu, dass "dreiviertel des Kreishaushaltes nicht mehr zu beeinflussen sind ", was nicht nur aktuell im Werra-Meißner-Kreis, sondern in fast allen hessischen Landkreisen zu ähnlich gelagerten Finanzproblemen führt.
Für den Werra-Meißner Kreis bedeutet dieses Szenario, dass sich im ersten Quartal des laufenden Haushaltsjahres 2024 bereits ein Verlust von ca. 2 Mio. Euro ergeben hat und sich der Haushalt für das Gesamtjahr so entwickeln wird, wie bei der Einbringung des Etats prognostiziert wurde. Dabei dürfte die finanzielle Talsohle, wie es Landrätin Nicole Rathgeber auf der Kreistagssitzung im Mai 2024 berichtete, noch lange nicht erreicht sein.
"Trotz des erheblichen Defizits im Jahr 2024", so die Verwaltungschefin, "...das auch durch eine hohe Ausgleichszahlung von 5,5 Mio. Euro an das Klinikum geschuldet ist, sei das laufende Haushaltsjahr noch ein Schonjahr. Die Prognosen zeigten, dass 2025 noch viel schlimmer werde." Auch wenn die Fachbereichsleiter der Kreisverwaltung deshalb erneut aufgefordert wurden, "massiv zu sparen", verheißt dieser Ausblick der Landrätin für die kommenden Jahre nichts Gutes.
"Jeder zweite Euro für Soziales" - diese Schwerpunktsetzung von Landrat Stefan Reuß für den Etat 2018 galt nicht nur für dieses eine, hier beispielhaft herausgegriffene Zahlenwerk, sondern zog sich durch alle Haushaltspläne, die vom Kreistag im letzten Jahrzehnt verabschiedet worden sind. Neben den knapp 19 Mio. Euro, die als Umlage an den Landeswohlfahrtsverband gingen, waren dies 2018 noch 34 Mio., die in die Bereiche Grundsicherung für Sozialhilfeempfänger bzw. Arbeitssuchende flossen, 14 Mio. erhielt die Kinder- und Jugendhilfe, 5 Mio. mussten für die Betreuung von Geflüchteten aufgewendet werden.
Neben dem Schuldenmanagement lag ein weiterer Schwerpunkt mit 18 Mio. Euro im investiven Bereich, wobei hier der Löwenanteil an Schulen und Kreisgebäude mit 11,6 sowie die Erhaltung der Kreisstraßen mit 4 Mio. ging. In ähnlicher Höhe bewegten sich die Investitionen auch in den kommenden Jahren, wobei insbesondere die Erneuerung der Gefahrenabwehr, sprich neue Feuerwehrfahrzeuge und Gerätehäuser, sowie - und dies vor allem - die grundlegende Modernisierung der Kreisverwaltung selbst im Fokus stand.
Nachdem zum Jahresbeginn 2015 die Sanierungsarbeiten in der Witzenhäuser Außenstelle fast abgeschlossen waren, begannen nun die Vorbereitungen zur Modernisierung der Verwaltungsgebäude im Eschweger Landgrafenschloss. Bereits 2014 war allen Verantwortlichen klar, dass das stark sanierungsbedürftige Schloss den Anforderungen, die eine zukunftsfähige Verwaltung zu erfüllen hatte, nicht mehr entsprach. Hinzu kam eine immer problematischer werdende räumlich Enge sowie die wenig bürgernahe Aufteilung der Kreisverwaltung auf mehrere, z. T. weit entfernte Standorte.
Geraume Zeit legten die Planungen den Fokus auf die Komplettsanierung des Schlossareals, um dann auf einmal Ende Mai 2015 in eine ganz andere Richtung zu gehen und das Areal auf der gegenüber liegenden Straßenseite mit Schlosshotel und ehemaliger Sparkasse in den Blick zu nehmen. Die bislang geplante Komplettsanierung des Schlosses sollte nun "deutlich zurückgefahren", das Schlosshotel erworben und zusammen mit der bereits als Verwaltungsgebäude genutzten ehemaligen Sparkasse abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Nachdem der Kreistag mit deutlicher Mehrheit "grünes Licht" für dieses völlig veränderte Konzept gegeben hatte, wurden Ende Juli 2015 die Kaufverträge unterschrieben, das Schlosshotel gekauft und am 25. September der Startschuss für das neue Sanierungskonzept mit einem europaweit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb gegeben.
In seiner ursprünglichen Form war die Fertigstellung des Gesamtprojekts auf das Jahresende 2019 terminiert - aufgrund der veränderten Umstände und auch bedingt durch den doch zeitaufwändigen Architektenwettbewerb ging man nun von einem Bauende Mitte bis Ende 2020 aus. Dieser Terminangabe lag allerdings die Vorstellung von reibungsloser Planung und zügiger Ausführung zugrunde. Die tatsächlichen Abläufe gestalteten sich dann aber deutlich komplizierter und langwieriger als im Szenario des Sommers 2015 prognostiziert.
Der Kostenrahmen sollte sich im Vergleich zur ursprünglichen Planung nicht ändern und für die Gesamtsanierung - also inkl. der bereits abgeschlossenen Arbeiten am Kreishaus in Witzenhausen - weiterhin bei 13,8 Mio. Euro gedeckelt bleiben, wobei das bereits sanierte Kreishaus in Witzenhausen mit 300.000 Euro zu Buche schlug. Für die Modernisierung des Landgrafenschlosses waren nun 3 Mio. Euro veranschlagt und der völlig neu zu planende Bereich Verwaltungsgebäude II/Schlosshotel sollte - einschließlich des Kaufpreises von 500.000 Euro für das Schlosshotel - die Summe von 10,5 Mio. Euro nicht überschreiten.
Der Ende September 2015 angestoßene Architektenwettbewerb stieß in der Branche auf große Resonanz und die Kreisverwaltung erhielt diesbezüglich über 500 Anfragen. Letztlich beteiligten sich 74 Architekturbüros am Wettbewerb und reichten bis Anfang 2016 ihre Entwürfe ein. Im Frühjahr 2016 verständigte sich die Findungskommission, bestehend aus Kreisverwaltung, Architekten, Stadtplanern, den Fraktionsvorsitzenden der Parteien und Vertretern der Stadt Eschwege auf die 16 Entwürfe, aus denen dann bis Mitte Juni die drei Erstplatzierten herausgefiltert wurden.
Den Auftrag bekam letztendlich auch der Sieger des Wettbewerbs, das Berliner Architekturbüro Karl Hufnagel, das in seinem Entwurf große Teile des bestehenden Gebäudekomplexes als erhaltungs- und sanierungswürdig einbezogen hatte. Am Beginn der eigentlichen Arbeiten stand dann ab dem Sommer 2017 als erstes der Abriss der nicht erhaltenswürdigen Gebäudeteile des bisherigen Verwaltungstraktes II. Die dort beschäftigten Mitarbeiter waren zuvor für die Zeit bis zur Fertigstellung des Neubaus nach Oberhone umgezogen.
Kurz bevor Anfang 2019 dann mit dem eigentlichen Neubau begonnen werden konnte, musste erst einmal eine ebenso überraschende wie negative Neubewertung sowohl des Zeitplans als auch des Kostenapparates verdaut werden: Die Fertigstellung verzögerte sich um ein ganzes Jahr und - noch viel gravierender - sie verteuerte sich um fast 4 Mio. Euro. Hinzu kamen noch die absehbar anschwellenden Kosten der Schlosssanierung, die in ihrer Gesamtheit bei Verantwortlichen und Öffentlichkeit einen gehörigen Schock auslösten. Was folgte, war die Neubewertung des Gesamtprojektes, die schließlich in drei neue Planungsvarianten mit unterschiedlichen Kostenrahmen zwischen 13,59 und 16,25 Mio. Euro mündete.
Angesichts dieser Situation verschob sich der Baubeginn um ein ganzes Jahr - 2019 hatte man alle Hände voll zu tun, den Kostenrahmen von Neubau und Gesamtsanierung einigermaßen in Grenzen zu halten. Dies beschäftigte sowohl den Kreistag in mehreren Sitzungen - hier wurde u. a. im Februar 2019 ein Akteneinsichtsausschuss gebildet - als auch die verantwortlichen Dienststellen der Kreisverwaltung unter Leitung des zuständigen Ersten Kreisbeigeordneten Dr. Rainer Wallmann fast eineinhalb Jahre.
Im März 2019 kündigte der Kreis dann die Verträge mit dem bislang verantwortlichen Berliner Architekturbüro und beauftragte den kreiseigenen Architekten Theodor Sternal mit der Neuplanung, die den ursprünglichen Entwurf "abspeckte", dadurch mit 12,5 Mio. deutlich kostengünstiger und vom Kreistag folgerichtig auch so beschlossen wurde. "Auf Basis dieser Neuplanung", erläuterte der 1. Beigeordnete diese Entscheidung gegenüber der Presse, "...mit den Gesamtinvestitionen von 12,5 Mio. Euro sowie den Investitionsfolgekosten hat der Kreistag am 22. März 2019 entschieden, den Vertrag mit dem Büro Hufnagel zu kündigen bzw. aufzuheben und die nach aktuellem Berechnungsstand ca. 2,5 Mio. günstigere Neuplanung umzusetzen."
Teilt man die Komplettsanierung der Kreisverwaltung in zwei Abschnitte ein, so endete der durch mancherlei Turbulenzen und Konfusionen geprägte erste mit dem nicht ganz billigen Ende der Kooperation mit dem Architekturbüro Hufnagel - letztlich musste der Kreis an Honoraren und Ausfallentschädigungen 660.000 Euro nach Berlin überweisen - und dem Beginn der eigentlichen Bauarbeiten im September 2020.
Als dann tatsächlich mit den Bauarbeiten begonnen wurde, traten die Turbulenzen des Vorjahres in den Hintergrund und der Neubau machte unerwartet geräuschlos sichtbare Fortschritte. Auch auf der Kostenseite gab es positive Signale: Trotz der weltweit gestiegenen Rohstoffpreise blieb es bei den veranschlagten Kosten von etwa 12,4 Mio. Euro. Dies lag auch daran, dass 95 % der notwendigen Gewerke noch zu den günstigeren Konditionen des Jahres 2020 beauftragt werden konnten. Anfang Juli 2020 wurde dann für den Neubau des Gebäudeteils C Richtfest gefeiert und einen Monat später stand dann auch der Rohbau für Gebäudeteil D.
Doch auf den "letzten Metern" der Baumaßnahme gab es noch einmal schlechte Nachrichten: Im Februar 2022 musste ein weiterer deutlicher Kostenanstieg verkraftet werden - diesmal drehte es sich um rund 650.000 Euro, die vor allem den knappen Rohstoffen auf dem Weltmarkt und den damit verbundenen z. T. exorbitanten Preiserhöhungen geschuldet waren. Letztendlich verschlang der Neubau inkl. aller Summen, die den Auseinandersetzungen im Kontext der Erstbeplanung "zum Opfer" fielen, 13,6 Mio. Euro - ob die für die Schlosssanierung veranschlagten 4,4 Mio. ausreichen werden, muss die Zukunft zeigen.
Natürlich war die Modernisierung der Verwaltungsgebäude nur ein Teil der vielfältigen Investitionen, die der Werra-Meißner-Kreis während des letzten Jahrzehnts in eigener Regie getätigt hat. Mit den Schulen und den Kreisstraßen, deren Funktionstüchtigkeit der Kreis als verantwortlicher Träger zu gewährleisten hat, sind schon die beiden Bereiche genannt, die hier im Mittelpunkt stehen. Maßnahmen zur Verbesserung dieser wichtigen Bestandteile "Kommunaler Infrastruktur" werden aufgrund ihrer Bedeutung regelmäßig auch von Bund und Land gefördert, so dass sich die finanzielle Belastung für den Kreishaushalt bei den allermeisten Maßnahmen somit in überschaubaren Bahnen bewegt.
Ein Beispiel für diese Aufteilung sind die Planungen für das Jahr 2016, in dem von Seiten des Kreises "15 Schulen und 5 Kreisstraßen modernisiert und saniert" wurden. Für dieses Investitionsprogramm, das in seiner Gesamtheit ein Volumen von 13,5 Mio. Euro hatte, erhielt der Kreis rund 12,5 Mio. als Zuschüsse von Bund und Land über direkte Zahlungen bzw. sogenannter Sonder- und Rahmendarlehensprogramme.
Wie wurden nun diese Gelder im Einzelnen verwendet? Hierzu an dieser Stelle die ausführliche Dokumentation aller Einzelmaßnahmen des Jahres 2016 im Bereich der Schulen, die mit 11,5 Mio. Euro den Löwenanteil der Gesamtsumme verschlangen und in den Folgejahren 2018, 2020 und 2023 mit weiteren 18 Mio. Euro in ähnlicher Intensität fortgeführt wurden:
- Neugestaltung der Fassade in den Bereichen F und R der Rhenanus-Schule in Bad Sooden-Allendorf 1,5 Mio. Euro
- Neue Brennwertkessel (FWS Eschwege 50.000 Euro/Alexander v. Humboldt- Schule Eschwege 35.000 Euro/Geschwister-Scholl-Schule Eschwege 70.000 Euro/Südringgauschule in Herleshausen 50.000 Euro)
- Neuer Brennwertkessel sowie Neugestaltung der Fassade (Brüder-Grimm-Schule Eschwege 795.000 Euro/Anne-Frank-Schule und Großsporthalle in Wanfried 535.000 Euro)
- Neuer Brennwertkessel sowie energetische Sanierung der Fassade (Hirschbergschule Rommerode 910.000 Euro/Schule am Fischbach Fürstenhagen 435.000 Euro/Meinhardschule Grebendorf 515.000 Euro)
- Energetische Sanierung der Fassade Freiherr-vom-Stein-Schule Hessisch Lichtenau 375.000 Euro
- Neugestaltung der Fassade (Adam-von-Trott-Schule Sontra 2,4 Mio. Euro/Kleeblattschule Reichensachsen 600.000 Euro)
- Neue Pelletheizung für die Karl-Heinz-Böhm-Schule in Waldkappel für 240.000 Euro
- Weiterhin soll in Höhe von 2,2 Mio. Euro die Maßnahme der Innenraumsanierung im Bauteil I der Freiherr-vom-Stein-Schule in Hessisch Lichtenau umgesetzt werden
Bis 2022 wurden dann insgesamt 23 Sanierungsprojekte mit Kosten in Gesamthöhe von 14,2 Mio. Euro durchgeführt, ab 2023 folgten noch einmal 11 Maßnahmen mit einem Volumen von 6,5 Mio. Euro für die Landesstraßen und 8 Mio. Euro für die Bundestrassen. "Ziel aller dieser Maßnahmen", so Hessen Mobil als die dafür zuständige Behörde, "sei es, kontinuierlich und verlässlich an der Sanierung der Landesstraßen zu arbeiten und deren vielerorts schlechten Zustand zu verbessern."
Ein stetes Ärgernis hingegen und wirtschaftlicher Hemmschuh zudem ist die scheinbar "unendliche Geschichte" des Baus der A 44. Nicht nur, dass andauernde Materialengpässe und Lieferschwierigkeiten die eigentlich für 2022 geplante Freigabe des Abschnittes Waldkappel-Ringgau nochmals bis zum Jahresende 2024 verschieben, sondern auch die Fertigstellung der Autobahn insgesamt wird sich abermals um mehrere Jahre verzögern. Grund hierfür ist die einkassierte Ausschreibung des Tunnels Holstein bei Sontra, die die erneute Vergabe der Bauarbeiten notwendig machte. Die Folge: Stillstand der Arbeiten in Höhe Mitterode, Entsetzen in Sontra und die allgemeine Befürchtung, dass diese für den Kreis so wichtige Schnellstraße niemals fertig wird.
War die Ertüchtigung des Straßennetzes auf Kreis- und Landesebene praktisch mit den Händen zu greifen, so konnte im Bereich der Versorgung mit schnellem Internet davon mitnichten die Rede sein. Mit großem Medienrummel als "Europas größtes Breitbandprojekt" im Oktober 2016 von den fünf Landkreisen Kassel, Hersfeld-Rotenburg, Schwalm-Eder, Waldeck-Frankenberg und natürlich Werra-Meißner in Bad Sooden-Allendorf gestartet, sollten die beteiligten Kreise bis 2020 flächendeckend mit schnellem Internet versorgt werden; von den insgesamt dazu erforderlichen rund 2.000 km Kabel waren 400 km im Werra-Meißner-Kreis zu verlegen.
Im Mai 2018 gab es dann eine positive Zwischenbilanz bezüglich der Ausbaufortschritte, die sich mit bislang 1.000 km verlegtem Kabel laut Breitband Nordhessen GmbH deutlich besser entwickelten als geplant. Im Werra-Meißner-Kreis war man seinerzeit in Frankenhain, Frankershausen, Herleshausen, Nesselröden, Unhausen, Wommen, Grandenborn, Blankenbach, Wolfterode, Breitau und Ulfen in der Bauphase, auf die dann die Vermarktung folgen sollte. In allen anderen Gemeinden des Altkreises Eschwege befand man sich indes noch in der Planungsphase.
Im März 2023 dann folgende Schlagzeilen in der HNA: "Vielerorts läuft noch nicht viel" und "Ausbau gerät ins Stocken" . Der Grund für diese enttäuschende Entwicklung - immerhin war ja 2016 prognostiziert worden, dass alle beteiligten Kreise bis 2020 flächendeckend mit schnellem Internet versorgt sein würden - lag einerseits an der deutlich verspäteten Fertigstellung des Kabelnetzes, vor allem aber an der wachsenden Marktsituation vor Ort, die durch eine Vielzahl konkurrierender Anbieter hervorgerufen wurde. Während in manchen Kommunen der Ausbau mit Glasfaser so gut wie abgeschlossen ist, hat er in anderen Orten leider noch nicht begonnen. Alle beteiligten Akteure sind positiv gestimmt, dass der Werra-Meißner-Kreis in den nächsten Jahren tatsächlich flächendeckend mit schnellem Internet versorgt sein wird.
Ebenso unbefriedigend wie die kreisweite Bereitstellung des schnellen Internets entwickelte sich auch der Wohnungsmarkt. So stieg landesweit 2021 die Zahl der Neubauten gegenüber dem Vorjahr um 9,8 %, im Werra-Meißner-Kreis allerdings sank sie um 38 % . Insgesamt wurden binnen Jahresfrist zwischen Werra und Meißner nur 55 neue Wohngebäude gebaut - 49 von ihnen waren Einfamilien-, fünf Zweifamilienhäuser und nur ein einziges hatte mehr als drei Wohnungen. Mit diesen Zahlen stand der Kreis im "hessischen Vergleich ganz unten." Obwohl das Mietniveau zwischen Werra und Meißner noch nicht einmal ansatzweise die Dimensionen erreicht hat, die mittlerweile in den Ballungszentren als "normal" definiert werden, fehlt es trotzdem an bezahlbarem Wohnraum.
Um diesem Umstand entgegenzutreten, wurde der Kreisausschuss im Juni 2023 vom Kreistag nach langen und kontroversen Diskussionen mit knapper Mehrheit beauftragt, das Konzept einer kreiseigenen Wohnungsbaugesellschaft zu entwickeln. Sinn dieses ergebnisoffenen Prozesses sollte es am Ende sein, mit einer eigenen Wohnungsbaugesellschaft jenseits aller Profitorientierung die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen und nicht zuletzt dadurch den Kreis als attraktiven Wohnstandort für neue Mitbürger interessant zu machen. Im Frühjahr 2024 hat der Kreistag mit großer Mehrheit beschlossen, dass zunächst ein "Masterplan Wohnen" erstellt werden soll. Dieser soll als verlässliche Grundlage dienen um weitere Fördergelder zu akquirieren und entsprechenden Wohnraum schaffen zu können. Die Angelegenheit bleibt unter dem Titel "Gründung einer Wohnungsbaugenossenschaft/Masterplan Wohnen" im Geschäftsgang.
Arbeiten und Leben
Was macht die Lebensqualität einer Region aus? Diese Frage stellt sich im Werra-Meißner-Kreis in periodischen Abständen immer wieder aufs Neue. Grund dafür sind nicht nur die kreisinternen Entwicklungen, sondern die regelmäßig in Form diverser Studien von unterschiedlichen Medien, Instituten und Ämtern publizierten Kriterien, die den Kreis in ein vermeintlich objektives Ranking-Raster zu pressen versuchen.
Ob es sich dabei um die Experten von "Focus Money" und das "Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos" handelte, die diese Expertisen veröffentlichten, oder es um Daten des "Statistischen Landesamtes" ging, der Werra-Meißner-Kreis war überall entweder Schlusslicht oder im letzten Drittel zu finden. Folgt man den Schlagzeilen der heimatlichen Pressemedien, die diese Ergebnisse für die Menschen in der Region aufgearbeitet haben, müsste im Kreis mittlerweile eigentlich nur noch ein Bruchteil seiner 100.000 Einwohner beheimatet sein: "Kreis im Wirtschaftsranking auf hinterem Platz" (Januar 2016), "Wirtschaftskraft: Kreis Schlusslicht in Hessen" (Januar 2018), "Im Kreis wird hessenweit am wenigsten verdient" (Juli 2019) und "Kreis bleibt ärmster Landkreis Hessens" (2020).
In der Gesamtbewertung des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos aus dem Jahr 2016 belegte der Kreis im Ranking der 402 untersuchten Landkreise und kreisfreien Städte Platz 280, was im Vergleich zur Studie aus dem Jahr 2010 immerhin eine deutliche Verbesserung um 90 Plätze bedeutete. Zugrunde gelegt wurden in diesem "Zukunftsatlas" insgesamt 32 Kriterien, die, hier in sechs Stichpunkten zusammengefasst, folgendes Ergebnis brachten:
- Demografische Entwicklun / Rang 338
- Arbeitsmarkt / Rang 112
- Wettbewerb und Innovation / Rang 341
- Wohlstand und soziale Lage / Rang 272
- Standortstärke / Rang 262
- Entwicklungschancen / Rang 342
Eine andere Statistik desselben Amtes vom Dezember 2020 befasste sich mit dem verfügbaren Netto-Einkommen hessischer Haushalte für den Zeitraum 2012-2018. Auch hier lag der Kreis mit 21.156 Euro für das Jahr 2018 (2012 = 18.330 Euro) auf dem drittletzten Rang unter den 27 hessischen Verwaltungsbezirken. Da nur für die Städte Kassel und Offenbach noch niedrigere Einkommen ermittelt wurden, wird in dieser Statistik die wenig erfreuliche Stellung des Werra-Meißner-Kreises als "ärmster Landkreis Hessens" (siehe oben) festgeschrieben. Allerdings sind diese Zahlen für sich betrachtet nur bedingt aussagekräftig und geben ohne Relation zu den Lebenshaltungskosten nur wenig Aufschluss darüber, wie lebenswert eine Region tatsächlich ist.
Deutlich positiver liest sich die Analyse des "Instituts der deutschen Wirtschaft" aus Köln, die dem Werra-Meißner-Kreis im Sommer 2023 in den Bereichen, Wirtschaftsstruktur, Arbeitsmarkt und Lebensqualität sowohl "gute Werte" als auch eine ebenso "gute Dynamik" bescheinigte. In diesem aktuellen Ranking belegt der Kreis Platz 82 von 400 untersuchten Landkreisen.
Dass die Verantwortlichen alles dafür unternehmen, das "standing" des Kreises auf allen Ebenen zu verbessern, liegt auf der Hand. Dazu erforderlich war auch eine Bündelung aller Kräfte, die der Kreis entsprechend im Bereich von Wirtschaftsförderung und Tourismusmarketing vorgenommen hat. In der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre wurden so aus bis dato vier unterschiedlichen Institutionen bzw. Gesellschaften nur noch zwei: Ab Jahresbeginn 2017 war die Wirtschaftsfördergesellschaft (WFG) für den Bereich Wirtschaftsförderung in all ihren Ausprägungen zuständig und der "Geo-Naturpark Frau-Holle-Land" für die Vermarktung des Kreises als Tourismusregion.
Nach wie vor problematisch hingegen stellt sich die Zahl der hier lebenden Menschen dar, die sich im letzten Jahrzehnt wie einbetoniert um die 100.000er Marke drehte und auch in allen Prognosen zumindest bis 2027 in etwa gleichbleiben wird. Ebenfalls wenig verändert zeigt sich dabei das Durchschnittsalter, das von 47,3 Jahren 2022 auf prognostiziert 47,6 Jahren in 2027 steigen dürfte. Bedenkt man aber, dass sich die Einwohnerzahl des Kreises seit Beginn der 1990er Jahre um rund 16.000 oder 14 % verringert hat und dabei der Altersdurchschnitt deutlich gestiegen ist, so besteht hier für die Zukunft erheblicher Handlungsbedarf.
Diesem hat der Kreis in einem ersten Schritt durch die Fortschreibung des Masterplans Daseinsvorsorge zum Bereich "Seniorinnen und Senioren" im Jahr 2017 Rechnung getragen und sich dabei besonders auf die Verbesserung des Pflegebereiches ganz allgemein sowie die Informations- und Beratungsstrukturen des kreiseigenen Seniorenbüros und Pflegestützpunktes konzentriert. Letztlich lautete das Credo des als solchen bezeichneten Masterplans Senioren "Zuhause alt werden dürfen" .
Ein weiteres Problemfeld dürfte sich in absehbarer Zeit im Gesundheitsbereich auftun, denn einer immer älter werdenden Bevölkerung steht ein zunehmender Mangel an Hausärzten gegenüber. Viele der aktuell noch praktizierenden Mediziner haben das Rentenalter erreicht bzw. stehen kurz davor und adäquate Nachfolger sind - besonders was die Praxen auf den Dörfern anbelangt - wenn überhaupt nur unter großen Mühen zu finden.
Bereits seit 2017 stand deshalb die Suche nach neuen Ärzten auf der Agenda der Kreisverwaltung ganz oben - umgesetzt wurde hier u. a. eine Datenbank mit Studierenden und Auszubildenden verschiedener medizinischer Bereiche, die aus der Region stammen und diese zur Ausbildung verlassen haben. Vielleicht besteht ja hier ein Anknüpfungspunkt, die eine oder den anderen später wieder für Arbeit und Leben im Heimatkreis zu animieren. Gleichzeitig hat der Kreis mit den Projekten "Land-Arzt-Leben", "Landtag" und "Landpartie" attraktive Instrumente geschaffen, um bei jungen Medizinern das Interesse für den Werra-Meißner-Kreis zu wecken. Eine weitergehende Initiative, junge Mediziner durch ein Stipendium an die Region zu binden, fand hingegen im Kreistag keine Mehrheit.
Die zweite wichtige Säule in der regionalen Gesundheitsvorsorge ist das Klinikum Werra-Meißner mit seinen Standorten in Eschwege und Witzenhausen. Nachdem der Kreis die schwierige Situation des Krankenhauses in den Jahren nach der Jahrtausendwende mit Bravour gemeistert hatte (siehe dazu auch das Kapitel "Sanierungsfall Krankenhäuser") war die Zukunft der Krankenhäuser erst einmal gesichert und selbst während der Pandemie gelang es dem Klinikum, Überschüsse zu erwirtschaften.
Dieses positive Szenario hatte aber nicht auf Dauer Bestand. Die am 1. April 2023 erfolgten Umstrukturierungen am Standort Witzenhausen - hier besonders Einschränkung der Notfallambulanz - in Verbindung mit dem von der Bundesregierung geplanten "Krankenhauszukunftsgesetz" verhalfen dem lange begrabenen "Stilllegungsgespenst" für den Standort Witzenhausen zur furchteinflößenden Wiederauferstehung.
Obwohl von Schließung keine Rede sein konnte, wurde doch das Leistungsangebot im Witzenhäuser Teil des Klinikums zum Unmut der unmittelbar Betroffenen erheblich reduziert. Zusätzlich dazu war die Fluktuation innerhalb des medizinischen Leitungspersonal größer als bislang gewohnt und auch die Finanzen entwickelten sich deutlich schlechter als prognostiziert. Die Folge war eine höhere finanzielle Belastung des Kreises und der Stadt Witzenhausen als Träger, die für 2024 erhebliche zusätzliche Mittel (5 Mio. Euro bzw. 1,5 Mio. Euro) zur Sicherung des Betriebes aufwenden müssen.
Die Anstrengungen um die Sicherung der Lebensqualität im Alter, der flächendeckenden hausärztlichen Versorgung sowie des Erhalts der Krankenhäuser sind elementare Bestandteile grundsätzlicher Daseinsvorsorge. Nicht minder wichtig ist aber das gesellschaftliche Miteinander, das gemeinsame Tun, um den bürgerlichen Zusammenhalt zu festigen. Beispielhaft für dieses Bestreben sind die kreisweiten "Freiwilligentage", die, mit Ausnahme der pandemiebedingten Unterbrechungen, seit 2008 unter dem Motto "Ein Kreis - ein Tag" immer im September den ganzen Kris von Herleshausen bis Ziegenhagen und von Eichenberg bis Hopfelde mobilisieren, um gemeinsam in den Städten und Dörfern zum Nutzen aller anzupacken und die örtliche Lebensqualität zu verbessern.
Geradezu sinnbildlich für die nachhaltige Unterstützung gemeinschaftlichen und gemeinnützigen Engagements im Kreis steht die am 27. Mai 2004 gegründete "Bürgerstiftung Werra-Meißner", die im Jubiläumsjahr des Kreises nun auch schon auf zwei Jahrzehnte erfolgreiches Wirken zurückblicken kann. Die von 47 Privatpersonen und Unternehmen mit einem Gründungskapital von 61.600 Euro gegründeten Stiftung hat während der zwei Jahrzehnte ihres Bestehens 195 Projekte mit einer Gesamtfördersumme von 155.860 Euro unterstützt - und das auf allen Ebenen ausschließlich ehrenamtlich. "Bei der Bürgerstiftung", so die stellvertretende Vorsitzende Bärbel Schuhmann-Nolte, "kann jeder mitmachen (...) unsere Grundsätze basieren auf Demokratie und Vielfalt. Deshalb sollen die Förderungen zur Stärkung des Gemeinwesens beitragen."
Zur Stärkung des Gemeinwesens gehört auch der vom damaligen Landrat Reuß ins Leben gerufene "Werra-Meißner-Tag", der die Menschen des Kreises zusammenführen und die ganze Vielfalt der Region gebündelt demonstrieren will.
Nach pandemiebedingter Zwangspause findet ein großes Kreisfest anlässlich des 50. Jubiläums der Kreisgründung am Wochenende vom 30. August bis 1. September 2024 mit verschiedenen Aktionen statt. Die Landrätin lädt alle Bürgerinnen und Bürger am Sonntag, dem 1. September nach Eschwege in den Schlosspark hinter dem Landgrafenschloss und die Bahnhofstraße ein. "Schwerpunkt der Veranstaltung wird die Präsentation der heimischen Vereine, Verbände und Organisationen sein. Daneben gibt es ein buntes Unterhaltungsprogramm im Festzelt, das von einem kulinarischen Angebot aus der Region genussvoll ergänzt wird. Ebenso wird es spezielle Angebote für Kinder- und Jugendliche geben. Gleichzeitig wollen wir über den Stand der Sanierung des Landgrafenschlosses informieren und einen Einblick in das neue Verwaltungszentrum geben" informiert Landrätin Nicole Rathgeber über das Programm. Ein besonderes Highlight wird auch das Benefizkonzert des Hessischen Landespolizeiorchesters - welches mit ca. 26 Musikerinnen und Musikern anreist - und bereits am Samstag, dem 31. August um 12.00 Uhr im Festzelt stattfindet sein. Die Erlöse sind dem derzeit im Bau befindlichen "stationären Hospiz Meißnerblick" in Eschwege zugedacht.
Klima, Umwelt, Energie
Unter der Überschrift "Im Team gegen den Klimawandel" informierte die Lokalpresse am 30. Mai 2024 ihre Leser über die aktuellen Anstrengungen, die der Kreis zur Bewältigung der mit dem Klimawandel einhergehenden Probleme unternimmt. "Die Folgen des Klimawandels", ist dem Artikel zu entnehmen, "will man im Werra-Meißner-Kreis nicht alleine lösen. Zwei Klimaanpassungs-Manager haben im April ihre Arbeit in der Kreisverwaltung aufgenommen und wollen in einer Allianz aus 16 Kommunen und Bürgerideen dem Klimawandel begegnen."
Natürlich ist die Beschäftigung mit bzw. der Kampf gegen den Klimawandel nicht erst seit dem Frühjahr 2024 ein zentrales Moment der Kreispolitik - in vielfältiger Weise beschäftigte man sich schon seit längerem mit Strategien zur CO2-Minderung bzw. der Abfederung von Gefahren, die durch den Klimawandel entstehen. Ob es sich nun um Klimaschutzforen und Klimamessen, Informationsbroschüren zum Klimaschutz oder darum handelte, dass Kreisbedienstete und Politiker mit gutem Beispiel vorangingen und symbolisch für den Klimaschutz radelten - Initiativen und Ideen nebst Umsetzung gab es im letzten Jahrzehnt mehr als nur eine. Hierzu gehörte und gehört auch die Elektromobilität, im Kanon der Klimaschutzmaßnahmen ganz weit oben angesiedelt, im Werra-Meißner-Kreis bis 2015 mit insgesamt acht E-Autos allerdings nur im Promillebereich vorhanden.
Um diesen Zustand wenn nicht zu beenden, so denn zumindest zu verbessern, schlossen sich die fünf nordhessischen Landkreise, die im selben Zeitraum bereits gemeinsam die Region flächendeckend mit dem Kabelnetz für schnelles Internet versorgten, auch im Bereich der E-Mobilität mit dem "Elektromobilitätskonzept Nordhessen" zusammen. Im Fokus dieses Konzeptes, dessen Federführung der Landkreis Waldeck-Frankenberg innehatte, stand neben dem Ausbau des Netzes von Ladestationen vor allem die Verbesserung der E-Mobilität auf den Dörfern - hier sollte vorrangig geprüft werden, ob es Potenziale für Elektro- Carsharing im ländlichen Raum gibt.
Trotz aller Bemühungen, Konzepte und Kooperationen steckte und steckt die E-Mobilität im Werra-Meißner-Kreis weiterhin in den Kinderschuhen, wofür zwei Beispiele aus der Kreisverwaltung geradezu symbolhaft stehen: Am 11. April 2018 verkündeten Landrat und Stellvertreter vor der Presse, dass der "Landkreis (...) auf E-Mobilität (...) setzt" . Wer nun aber gedacht hatte, dass damit die Umrüstung aller Dienstwagen der Kreisverwaltung gemeint war, sah sich zumindest überrascht, denn in Wirklichkeit handelte es sich um 1 (!) E-Bike, das der Kreis für seinen Fuhrpark angeschafft hatte.
Zwei Monate später wurde dann aber tatsächlich das erste Dienstauto des Kreises, dass rein elektrisch angetrieben wurde, in Betrieb genommen . Anfang Februar 2020 wurde die Elektromobilität mit der Maßgabe, den Werra-Meißner-Kreis zur "Modelregion für E-Mobilität" zu machen zum Thema im Kreistag. Im gleichen Kontext prognostizierte der Vertreter der EAM für 2030 die Zahl von 4.400 E-Autos auf den Straßen im Kreisgebiet. In 2019 waren es an gleicher Stelle allerdings erst deren 20.
Weitaus intensiver gestaltete sich hingegen der Ausbau der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien. Seit der Erstellung des Klimaschutzkonzeptes im Jahr 2011 hatte es einen merklichen Anstieg insbesondere bei Photovoltaik- und Windkraft-Anlagen gegeben. So stieg allein die Zahl der Windparks im Kreis bis 2019 von zwei auf sieben, mit 39 anstatt 6 Anlagen und einer erzeugten Stromleistung, die von 11,1 Mio. KWh auf 302,5 Mio. KW in die Höhe schoss.
Insgesamt sind laut Regionalplan Nordhessen im Kreisgebiet 17 sogenannte "Windvorrangflächen" mit insgesamt 1.415 ha Gesamtfläche ausgewiesen. Federführend und besonders aktiv im Kontext des Ausbaus erneuerbarer Energien ist die Bürgerenergie-Genossenschaft Werra-Meißner, die an mehreren Windparks im Kreisgebiet beteiligt ist. Konfliktfrei indes war der Ausbau der Windenergie in der Vergangenheit nicht und wird es auch absehbar in Zukunft nicht sein.
Immer wieder wurden Planung und Bau von Windrädern vor allem durch Bürgerinitiativen, Naturschützer und - wie die Beispiele Großalmerode, Gertenbach, Ziegenhagen oder Ringgau zeigen - auch Städten und Dorfgemeinschaften heftig kritisiert und teilweise auch beklagt. Diese z. T. berechtigten lokalen Widerstände mit der für die Energiewende in großem Maße benötigten Windenergie in Einklang zu bringen, war bislang problematisch und wird es aller Voraussicht nach auch in Zukunft noch sein.
Nicht minder problematisch sind für viele Menschen im Kreis die Trassenführungen der sogenannte "Stromautobahnen", die die CO2-freie Energie aus den Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee quer durchs Land nach Süden bringen sollen. Schien der Werra-Meißner-Kreis anfangs von der Trassenführung des "Südlinks" nicht betroffen zu sein, so drehte sich dies im Laufe der Zeit um 180 Grad.
Nicht nur, dass die Südlink-Trasse inzwischen mitten durch den Kreis läuft und alle Proteste von Kreisgremien, Kommunen und Bürgerinitiativen vom Wind der Energiewende verweht worden sind, steht seit Februar 2024 fest, dass mit "Nordwest- und Südwestlink" noch zwei weitere große Nord-Süd-Stromtrassen das Werra-Meißner-Land queren werden. Auch hier ging und geht die Einflussnahme der Bürger gegen null, womit die Akzeptanz der Energiewende nicht unbedingt erhöht wird.
Neben der Gewinnung erneuerbarer Energien durch Wind bzw. Fotovoltaik war es vor allem das Projekt "Wärmewende Werra-Meißner-Kreis" mit den beiden Modellvorhaben "Holzige Biomasse" und "Energetische Quartiersanierung", das gezielt vorangetrieben wurde. Durch das zwar heftig umstrittene, aber dennoch im Herbst 2023 verabschiedete neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) bekam das Thema Wärmewende durch die den Kommunen vorgegeben Schaffung sogenannter "Wärmepläne" noch einmal zusätzliche Dynamik.
Was die Ausführung der Wärmepläne anbelangt, bleibt aber erst einmal abzuwarten, welche Vorgaben der Bund machen würde. Um nicht ganz im Nebulösen zu verbleiben, gründete der Kreis in Kooperation mit der "Innung Sanitär und Heizungstechnik" der Kreishandwerkerschaft zum Jahreswechsel 2023/2024 das "Kompetenzzentrum Wärmepumpe Werra-Meißner", das bis zum Sommer 2024 an den Beruflichen Schulen in Eschwege eingerichtet werden soll.
"Auszubildende, sowie die Handwerker, die schon im Berufsleben stehen, können hier umfassend in allen Facetten der Wärmepumpentechnologie auf den neusten Stand gebracht werden. Aber auch die Planer und Energieberater werden zielgerichtet weitergebildet. Letztendlich profitieren davon die Bürger und Bürgerinnen, die diese Technik für die Beheizung ihrer Gebäude einsetzen und sich hier auch umfassend informieren können", so Landrätin Nicole Rathgeber bei der Vorstellung.
Von Wölfen und Landwirten
Konfliktpotenziale bargen nicht nur die Diskussionen um die Standorte der Windkraftanlagen in sich, sondern auch das Problemfeld "Wölfe" und - besonders zum Jahreswechsel 2023/2024 - die sich entladende Unzufriedenheit der Landwirte über das Vorgehen der Bundesregierung.
Dass der Wolf im Werra-Meißner-Kreis wieder heimisch geworden ist, belegen mittlerweile zahlreiche Sichtungen, Fotografien, teils auch persönliche Begegnungen sowie gerissene Wild- und Weidetiere. War die Existenz der sogenannten "Stölzinger Wölfin" 2016 noch umstritten - "Angebliche Sichtungen im Werra-Meißner-Kreis können noch nicht belegt werden", lautete damals eine Schlagzeile in der Lokalpresse - so hatte sich in den Folgejahren die Problemstellung dahingegen verändert, dass es nicht mehr darum ging, ob, sondern wie viele Wölfe es waren, die sich in der Region angesiedelt hatten.
Und es waren mittlerweile viele: Bis Ende Oktober 2022 hat es im Werra-Meißner-Kreis 42 anerkannte Wolfsnachweise gegeben, womit das Kreisgebiet die höchste Wolfsdichte in ganz Hessen aufwies. Dies beschäftigte in zunehmendem Maß insbesondere die Weidetierhalter, die sich in ihrer Sorge um den Erhalt der Viehbestände von Behördenseite allein gelassen fühlten und sich durch ihre Forderung nach Abschuss von sogenannten "Problemwölfen" zusätzlich noch harscher Kritik von Naturschützern ausgesetzt sahen.
Ihren Höhepunkt erreichte die Kontroverse Ende Februar 2023 mit einer Informationsveranstaltung zum Thema "Weidetierschutz vor dem Wolf" in Reichensachsen, durch die sich 250 Teilnehmer eigentlich Unterstützung von der Landesregierung bei der Bewältigung ihrer Wolfsprobleme erhofften. Dazu kam es allerdings nicht, die Presse sprach von einer "Infoveranstaltung Wolf mit Tumulten", die am Schuss von den "meisten der 250 Teilnehmer ratlos, frustriert und wütend" verlassen wurde. Seitdem hat sich die seinerzeit konfliktträchtige Stimmung weitgehend beruhigt, was sowohl daran liegt, dass einerseits die Wolfsnachweise deutlich zurückgegangen sind und andererseits die seit Anfang des Jahres im Amt befindliche Landesregierung den Wolf ins Jagdrecht aufnehmen will.
Ein besonders hohes Konfliktpotenzial entwickelte sich zum Jahreswechsel 2023/2024 um die Haushaltssparbeschlüsse der Bundesregierung, die insbesondere die Landwirte zur Kasse baten und den ohnehin vorhandenen Unmut der Bauern zum Überkochen brachten. Wie überall im ganzen Land gingen bzw. fuhren auch im Werra-Meißner-Kreis die heimischen Landwirte auf die Straße, um gegen die Berliner Beschlüsse zu protestieren.
Ob nun Fahrzeugkorso in Eschwege, eine Schlepperdemonstration von Eschwege nach Witzenhausen, die Teilnahme an der Kundgebung nordhessischer Bauern in Kassel, eine abendliche Lichterfahrt durch Eschwege oder die Teilnahme an der bundesweiten Großkundgebung in Berlin - die heimischen Landwirte nutzten über einen ganzen Monat lang die unterschiedlichsten Formen, ihren Protest in die Öffentlichkeit zu tragen. So wurden als Zeichen der Solidarität auch Gummistiefel an vielen Ortsschildern im Landkreis angebracht.
Das letzte Wort ...
... der kleinen Kreisgeschichte der vergangenen zehn Jahre soll, nein muss die Landrätin als Chefin der Kreisverwaltung und Repräsentantin der Menschen im Werra-Meißner-Kreis haben.
Im Rückblick auf das Jahr 2023, den sie - verbunden mit dem Ausblick auf 2024 - am 30. Dezember 2023 in einem Pressegespräch mit den lokalen Medien vornahm, wurde Nicole Rathgeber nach ihrem ganz persönlichen Fazit nach Ablauf des ersten Drittels ihrer Amtszeit befragt: "Der Job", so das uneingeschränkt positive Resümee der Landrätin über ihre ersten beiden Jahre als Schlossherrin im Landgrafenschloss, "ist herausfordernd und vielfältig, macht aber auch viel Spaß."
Deutlich verhaltener jedoch klang dann ihre Beurteilung der allgemeinen Entwicklung. Der Kreis, in immer stärkerem Maße als "Nothelfer" zur Bewältigung von Aufgaben herangezogen, für die er weder ausgelegt ist noch die Mittel besitzt, war und ist zunehmend Zwängen ausgesetzt, die mit seinen ureigensten Aufgaben wenig bis gar nichts zu tun haben.
Diesbezüglich hofft die Landrätin - und das sicher in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der Menschen im Werra-Meißner-Kreis - "dass wir (...) nicht weiter multiple Krisen bekommen, die uns vor Ort wieder hart treffen. Das würde uns die Chance eröffnen, mehr Zukunftsplanung ins Auge zu fassen, agieren zu können und nicht nur kurzfristig auf Krisen reagieren zu müssen."
"Der Werra-Meißner-Kreis mit seinem geografischen Standort in der Mitte Deutschlands hat ein großes Potenzial, welches es weiterhin auszubauen gilt. Eine zentrale Aufgabe in der Zukunft ist dieses Potenzial auch künftig bestmöglich durch die Zusammenarbeit der politischen Entscheider auf allen kommunalen Ebenen unter Zusammenarbeit mit den hier ansässigen Unternehmen und den zahlreichen örtlichen Vereinen und Verbänden - welche der Kitt in unserer Gesellschaft sind - weiterhin zu fördern und auszubauen.
Lassen Sie uns unseren Landkreis zu dem Wohn-, Arbeits- und Lebensmittelpunkt werden den wir uns für unsere Zukunft wünschen", so Landrätin Nicole Rathgeber abschließend.