Parteien und Politiker
Autor: Matthias Roeper;
Aktualisierung/Ergänzung: Martin Kliebisch
Damit ein politisches Gebilde wie der Werra-Meißner-Kreis im Sinn und zum Wohl seiner Bürger funktionieren kann, benötigt es neben der Kreisverwaltung politische Institutionen, die sowohl die Entscheidungen treffen als auch die Verwaltung kontrollieren und Persönlichkeiten, die diese Institutionen mit Leben erfüllen.
Das oberste Organ des Kreises ist der Kreistag, dessen 61 Abgeordnete im Fünf-Jahres-Turnus von den Bürgerinnen und Bürgern des Werra-Meißner-Kreises direkt in allgemeiner, freier, gleicher, geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt werden. Aus der Mitte der Abgeordneten werden der Kreistagsvorsitzende als oberster protokollarischer Repräsentant des Kreises, der sogenannte "Kreisausschuss" - die fünfzehnköpfige "Regierung" des Kreises, bestehend aus der Landrätin, dem hauptamtlichem Ersten Kreisbeigeordnetem, dem weiterem hauptamtlichem Kreisbeigeordnetem sowie zwölf ehrenamtlichen Mitgliedern und die neun Fachausschüsse mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten gewählt.
Wie oft der Kreistag im Jahresverlauf zu ordentlichen Parlamentssitzungen zusammentritt ist der Themenvielfalt geschuldet, allerdings sind mindestens vier jährliche Sitzungstermine vom Gesetzgeber zwingend vorgeschrieben.
Die politische Farbenlehre des Werra-Meißner-Kreises gestaltete sich in den ersten vier Jahrzehnten Kreisgeschichte ziemlich übersichtlich. Ebenso wie die bisherigen Landräte - "Immer einer von der SPD", titelte die Presse - Eitel O. Höhne (1974-1988), Dieter Brosey (1988-2006) und Stefan G. Reuss (seit 2006), kamen auch die damaligen sechs Kreistagsvorsitzenden aus den Reihen der Sozialdemokraten als der dominierenden politischen Kraft in der Region.
Kreistagsvorsitzende seit 1974
In der Wahlperiode 2011-2016, waren im Kreistag mit den fünf Parteien CDU, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Die LINKE und der SPD fünf Parteien und die FWG als Wählergruppe vertreten: Im Vergleich zum ersten gewählten Parlament des Werra-Meißner-Kreises hat sich die Zahl der im Kreistag vertretenen politischen Strömungen im Jahr 2014 damit glattweg verdoppelt.
Im Jahr 2024 stellt sich der Kreistag durch Fraktionswechsel und Fraktionsaustritte folgendermaßen dar: SPD 20 Sitze, CDU 18 Sitze, B90/DIE GRÜNEN 8 Sitze, FREIE WÄHLER 5 Sitze, AfD 3 Sitze, DIE LINKE 3 Sitze, FDP 4 Sitze.
Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass in zwei Wahlperioden von 1997-2006 auch Abgeordnete der am rechten Rand des Parteienspektrums angesiedelten Partei "Die Republikaner" in den Kreistag gewählt worden sind. Dies blieb allerdings ein einmaliges Intermezzo und grundsätzlich spielten solcherlei politische Strömungen im Werra-Meißner-Kreis keine Rolle.
Über Fraktionsstärke hinaus ist auch im Jahr 2024 die Zahl der Abgeordneten aus dem Werra-Meißner-Kreis im Hessischen Landtag vertreten. Lena Arnold und Stefan Schneider (CDU), Karina Fissmann (SPD), Felix Martin und Hans-Jürgen Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Die vier erstgenannten sind auch ehrenamtlich im Kreistag tätig.
Eine große Rolle spielten immer, gleich ob haupt- oder ehrenamtlich, die handelnden Personen, ohne deren Engagement in der Vergangenheit "nichts ging" und auch in der Zukunft nichts geht. Mittlerweile ist es ja gang und gäbe, sich bei den unterschiedlichsten Anlässen und aus den mannigfaltigsten Gründen in ausgiebiger Politikerschelte zu ergehen, was bisweilen auch bei eklatanten Fehlentscheidungen und spektakulären Fehlplanungen berechtigt sein mag.
Im Bereich ehrenamtlicher Politik in den Kommunen und Landkreisen, die im Engagement in Ortsbeiräten, Stadtverordnetenversammlungen und Magistraten, im Kreistag und Kreisausschuss ihren Ausdruck findet, sollte zuerst einmal die Anerkennung für das Engagement an sich und die Übernahme bisweilen doch erheblicher Verantwortung für das Wohl oder Wehe vieler stehen. Auch die hauptamtlichen Protagonisten der Kreispolitik, die Landräte/die Landrätin und ihre Stellvertreter, stehen für eine bürgernahe Politik, geerdet und deshalb in der Regel ungefährdet, sich in "Wolkenkuckucksheimen" zu verlieren.
In den fünfzig Jahren Kreisgeschichte hat es von Herleshausen bis Ziegenhagen und Neu-Eichenberg bis Fürstenhagen zahlreiche solcher engagierter Mitbürgerinnen und Mitbürger gegeben, die sich in den Parteien für das Gedeihen des Kreises eingesetzt und sich nicht gescheut haben, viel Zeit und Energie durch die Übernahme politischer Ämter zu opfern.
Stellvertretend für die Vielen sind schon die Kreistagsvorsitzenden seit 1974 benannt worden, von denen sicher der Lichtenauer Horst Römisch in den ersten Jahren des neuen Kreises die schwierigste Aufgabe zu bewältigen hatte. Eines der größten Probleme, denen sich Horst Römisch damals gegenüber sah, war die relative Unkenntnis, die zwischen den handelnden Personen und teilweise auch über die zu behandelnden Probleme bestand. "Viele Abgeordnete kennen sich untereinander noch nicht", so Römisch in seiner Bilanz nach einem Jahr Werra-Meißner-Kreis, "und das Problem, das an der Peripherie des Kreisteils Witzenhausen ansteht, kennt der Abgeordnete aus dem Kreisteil Eschwege nur in den seltensten Fällen (...) Wenn es uns aber gelingt, es den Menschen leicht zu machen, dann ist das Ziel erreicht."
Im Jahr 2014, war alles das, was Horst Römisch 1974 noch als Problem empfand, alltägliche Normalität: Man kennt sich bestens, und auch dank einer völlig veränderten Medienlandschaft und moderner Kommunikationstechnik sind alle Probleme aus allen Winkeln des Kreises allen Verantwortlichen in der Regel hinlänglich bekannt. Zwar langsam, dafür aber stetig, und vor allem ohne Umkehreffekt, veränderte sich auch das politische Bewusstsein. Immer offensichtlicher rückte der neue Kreis als Ganzes in den Mittelpunkt der Wahrnehmung und bei den allermeisten Entscheidungsprozessen verblasste das Altkreisdenken zusehends und verschwand schließlich völlig.
Viel zu dieser Entwicklung beigetragen haben Persönlichkeiten wie die unvergessene Erika Wagner (*1933-+2011), die neben ihren Funktionen im Hessischen Landtag als Abgeordnete (1978-1995) und Vizepräsidentin (1991-1995) über vierzig Jahre lang erst dem Eschweger Kreistag und dann dem Kreistag des Werra-Meißner-Kreises angehörte. Zum Schluss ihres langen politischen Engagements hatte Erika Wagner für eine Legislaturperiode von 1997-2001 auch den Kreistagvorsitz inne und blickte am Ende dieser vier Jahre auf 126 Plenar- und Ausschusssitzungen zurück, was einer Gesamtsitzungsdauer von vierzehn Tagen am Stück entsprach.
Der Kreistag würdigte in der Januarsitzung 2001 seine scheidende Vorsitzende und deren Lebensleistung. "Bei all ihrem Engagement habe Erika Wagner stets Bodenhaftung behalten. Souveränität, Sachverstand und Augenmaß seien die herausragenden Persönlichkeitsmerkmale der scheidenden Vorsitzenden: Frau Wagner Sie waren eine großartige Repräsentantin der Bevölkerung unseres Kreises."
Hervorragendes geleistet haben auch Persönlichkeiten wie der langjährige Kreistagsvorsitzende Willi Höll (SPD) aus Wanfried, der CDU-Fraktionsvorsitzende Heinz-Dieter Herbort aus Hess. Lichtenau und sein FDP-Kollege Prof. Dr. Heinz Bliss, die maßgeblich an der Zusammenführung der beiden Altkreise zum Werra-Meißner-Kreis beteiligt waren. Weiterhin zu nennen sind die zum Teil auch heute noch aktiven Gremienmitglieder: Corinna Bartholomäus (Grüne), Herbert Bruchmüller (FDP), Dieter Franz (SPD), Christa Fröhlich (CDU), Erich Hofsommer (SPD), Karl Jeanrond (SPD), Dr. Wolfgang Kistner (SPD), Imelda Landgrebe (SPD), Dietrich Meister (CDU), Fritz Römer (CDU), Jürgen Schinkmann (SPD), Bernd Schleicher (SPD), Lothar Seeger (SPD), Wilfried Wetterau (SPD), Lothar Winter (CDU) und Lothar Quanz (SPD) sowie die noch heute aktiven langjährigen Fraktionsvorsitzenden Uwe Brückmann (CDU) und Sigrid Erfurth (Grüne). Höll und Herbort verlieh Landrat Dieter Brosey während der Kreistagssitzung im Dezember 1988 die Ehrenplakette des Werra-Meißner-Kreises, nicht zuletzt "... weil sie Fairness in der Politik bewiesen" haben.
Überhaupt Fairness: Trotz aller bisweilen schon mal auch heftigerer Auseinandersetzungen in der Sache blieb das politische Klima in den vielen Jahrzehnten Kreisgeschichte immer moderat und der faire Umgang miteinander war einer der wichtigsten Eckpfeiler der Kreispolitik. Diesen ganz wesentlichen Punkt unterstrich auch der Theodor Leyhe, der in seiner Funktion als Erster Kreisbeigeordneter insgesamt 27 Jahre zwei Landräten zur Seite stand.
"Er wünsche dem Kreistag," so Leyhe in einem Pressegespräch kurz vor seiner Verabschiedung, "weiterhin eine so gute Streitkultur wie bisher (...) man möge sich auch weiterhin nach hitzigen Sitzungen bei Essen und Bier zusammensetzen und mögliche Verletzungen gleich wieder heilen bzw. relativieren."
Damit wären wir bei den Personen angelangt, die nicht nur maßgeblich die politische Entwicklung des Kreises geprägt haben, sondern auch vor allen anderen als sein Gesicht in der Öffentlichkeit präsent waren: Die drei Landräte und ihre drei Stellvertreter. Gemeinsam mit Eitel Höhne, Dieter Brosey und Stefan Reuß lenkten die Ersten Kreisbeigeordneten Theodor Leyhe (1974-2001) und Henry Thiele (2001-2011, beide FDP) und Dr. Rainer Wallmann (2012-2022, GRÜNE) die Geschicke des Kreises.
Im Jahr 2024 bildet Landrätin Nicole Rathgeber (ab 2022, FREIE WÄHLER) mit dem Ersten Kreisbeigeordneten Friedel Lenze (ab 2023, SPD) und dem hauptamtlichen Kreisbeigeordneten Dr. Philipp Kanzow (ab 2023, CDU) das Führungsteam an der Spitze der Kreisverwaltung.
Am längsten von allen war Theodor Leyhe (FDP) im Amt. Der gebürtige Korbacher, dessen Weg über das Amt des Stadtkämmerers von Oberursel in den Vize-Chef-Sessel des neu gebildeten Werra-Meißner-Kreises führte, stand fast drei Jahrzehnte an der Seite der Landräte Eitel Höhne bzw. Dieter Brosey und war so maßgeblich an der Entwicklung des Kreises beteiligt.
Meilensteine dieser Tätigkeit, die er in seiner ersten Amtszeit dem Verlust der absoluten SPD - Mehrheit bei den Kommunalwahlen 1974 verdankte, waren seinem eigenen Empfinden nach das Ringen um den gemeinsamen Schulentwicklungsplan, die Modernisierung der Krankenhäuser in Witzenhausen und Eschwege sowie der Auf- und Ausbau der Deponie in Weidenhausen.
Seine Dezernate Schulverwaltung, Bauamt, Ausgleichsamt, Gesundheitsamt mit Krankenhäusern, Sozialamt und Jugendamt haben sich in seiner Amtszeit zu den größten Etatposten des Kreishaushalts entwickelt, "... das hätte ich am Anfang nicht gedacht. Als ich kam, war der gesamte Kreisetat so hoch wie der in Oberursel."
Am 20. August 2001 ist er mit stehenden Ovationen von "seinem" Kreistag, an dessen Sitzungen er über 100 Mal teilgenommen hatte, in den Ruhestand verabschiedet worden. Davor war er 1980, 1986, 1992 und am 23. März 1998 vier Mal trotz nunmehr wieder absoluter sozialdemokratischer Mehrheit im Amt des 1. Kreisbeigeordneten bestätigt worden.
Zum Nachfolger Leyhes wählte der Kreistag im Oktober 2001 den gebürtigen Eschweger Henry Thiele, der zuvor als Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes und auch als Kreistagsabgeordneter der FDP bereits eng mit dem Geschehen im Kreis verbunden war. Auch Henry Thiele, der ebenso wie Theodor Leyhe mit zwei Landräten erfolgreich und vertrauensvoll zusammen arbeitete und durch eine breite Mehrheit (47 von 53 anwesenden Abgeordneten) im Juni 2007 im Amt bestätigt wurde, setzte in vielen Bereichen zukunftsweisende Akzente.
Besonders am Herzen lag ihm, der sich in seiner Selbsteinschätzung als "Meister im Bohren dicker Bretter" verstand, die Schulpolitik, der demografische Wandel, als gelerntem Landwirt selbstredend natürlich auch die Landwirtschaft - übrigens erst seit 2006 bei der Kreisverwaltung angesiedelt - und insbesondere der Tourismus, der durch seine Initiative neu aufgestellt und zukunftsfähig ausgerichtet werden konnte.
Die Gründung der Werratal Tourismus GmbH ging ebenso auf seine Tatkraft zurück wie die Einbeziehung des Naturparks Werra-Meißner Kaufunger Wald in die neuen Tourismuskonzepte. "Den Naturpark", schrieb die heimische Presse anlässlich Thieles Abwahl im Sommer 2011, "hat es vorher nur gegeben, er hat ihn zu einer Perle des Kreises gemacht und als erster den Begriff Fremdenverkehr abgeschafft - es gibt nur Gäste, sagte Thiele im überzeugenden Ton eines Machers." Dass Thieles zweite Amtszeit nicht über die kompletten fünf Jahre lief, lag am Ergebnis der Kommunalwahlen des Jahres 2011, das die Fortführung der seit 1974 regierenden SPD/FDP Koalition unmöglich machte. Die neue politische Mehrheit im Kreis wurde von SPD und den GRÜNEN gebildet, die folgerichtig auch die Aufgaben des Ersten Kreisbeigeordneten für sich reklamierten.
Gewählt wurde am 2. Dezember 2011 an Stelle Thieles, der übrigens als Geschäftsführer der DEULA GmbH in Witzenhausen dem Werra-Meißner-Kreis erhalten blieb, als Kandidat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Rainer Wallmann aus Witzenhausen. Der neue Vize-Landrat, gebürtiger Berliner, studierte in Witzenhausen Agrarwissenschaft und Ökologische Umweltsicherung, trat sein neues Amt im Frühjahr 2012 an - seinen Aufgabenschwerpunkt hatte er bereits vor Amtsantritt klar formuliert: "Das Wichtigste ist die Energiewende."
Am 18. Februar 1988 wurde der damals 45-jährige Dieter Brosey (SPD) mit 41 Stimmen der SPD/FDP Koalition als Nachfolger Eitel O. Höhnes zum neuen Landrat des Werra-Meißner-Kreises gewählt - gegen die Stimmen der CDU Fraktion, deren zwanzig Abgeordnete geschlossen für ihren Kandidaten, den Hess. Lichtenauer Ingo Geisler, stimmten. Geboren wurde der neue Landrat 1942 im sächsischen Chemnitz und lebte ab 1947 mit seiner Familie in Hünfeld. Nach Abitur, Jura-Studium und Referendariat übernahm er die Stelle als Dezernent für Gesundheitswesen beim Regierungspräsidium in Kassel. 1975 wurde er in seinem Wohnort Großalmerode zum Bürgermeister gewählt und schließlich im Februar 1988 zum Landrat des Werra-Meißner-Kreises.
Obwohl diese Wahl unspektakulär und das klare Votum für Dieter Brosey aufgrund der Mehrheitsverhältnisse von vornherein absehbar gewesen ist, so ist diese Wahl, im Nachhinein betrachtet, doch gewissermaßen als historisch zu bezeichnen, denn zum letzten Mal nämlich wurde der Landrat von den Abgeordneten des Kreistages gewählt.
Die Landratswahl des Jahres 1994 wurde bereits als Direktwahl durchgeführt und - niemand im Saal der Eschweger Stadthalle hätte das damals für möglich gehalten - in einem Kreis, der vom Rand des freien Europa in die Mitte des geeinten Deutschland gerückt war.
Der Blick auf die Ziele des neuen Landrates am Beginn seiner Amtszeit und auf das Fazit nach 18-jähriger Tätigkeit im Juni 2006 macht deutlich, welche gravierenden Umwälzungen in der Amtszeit Dieter Broseys das Gesicht des Werra-Meißner-Kreises verändert haben. Ganz oben auf seiner Agenda standen eine "behutsame Führung und sachliche Politik", die mit dem vorhandenen "soliden finanziellen Fundament als Basis" helfen sollte, die innerdeutsche "Grenze durchlässig zu machen"(...) "Dies sei", so der Landrat, "lebenswichtig für den Kreis und könne die Probleme der Randlage mildern."
Drei Amtsperioden später las sich Dieter Broseys Bilanz seiner Jahre als Landrat deutlich ernüchterter, als sie es angesichts der weltgeschichtlichen Veränderungen eigentlich hätte sein müssen: "Ich habe 1988 eine wohlgeordnete Kreisverwaltung von meinem Vorgänger übernommen, und alles war planbar und überschaubar. Nach dem Jahr 1989 änderte sich das sukzessive. Die Grenzöffnung und der Fall des Ostblocks katapultierte den Kreis aus seiner Randlage ins Herz Europas. Die anfängliche Euphorie wich Mitte der Neunziger Jahre den ersten wirtschaftlichen Rückschlägen, die sich in den vergangenen zehn Jahren noch verstärkt haben. Firmen schlossen ohne Not und verlagerten ihre Produktionsstätten ins Ausland. Das Fördergefälle zwischen Ost und West tut noch heute wirtschaftlich ordentlich weh. Im zweiten Schritt musste der Kreis entsprechend weniger Einnahmen verbuchen, so dass der ausgeglichene Haushalt in Schieflage geriet und heute ein Defizit von knapp 40 Millionen Euro aufweist.(...) Diesen Vorgängen hätte ich gern noch mehr entgegengesetzt."
Zweimal wurde Dieter Brosey durch Direktwahlen in seinem Amt bestätigt, beide Male setzte er sich in überzeugender Manier gegen Mitbewerber Uwe Brückmann (CDU) durch - 1994 mit 70,9 % und 2000 mit 67,7 % der abgegebenen Stimmen. Einziger Wermutstropfen bei diesen überzeugenden Wahlerfolgen war die schlechte Wahlbeteiligung, die sich beim Wahlgang im Januar 2000 mit 43,8 % noch einmal um fast 8 % gegenüber der ohnehin schon mäßigen Beteiligung von 51,1 % im Januar 1994 verschlechterte. "Ob Sieger oder Unterlegener", kommentierte diesen Trend am Tag nach der Wahl die Presse, "beide muss nachdenklich stimmen, dass nicht einmal die Hälfte der Kreisbevölkerung an die Urnen gegangen ist. Desinteresse oder Politikverdrossenheit?"
Dieter Brosey manöverierte in der ihm eigenen unaufgeregten Art den Kreis sicher durch diese schwierige Zeit und brachte neben der Förderung der heimischen Wirtschaft, die ihm besonders am Herzen lag, und der Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs auch die Verwaltungsmodernisierung auf den Weg, die dann vom neuen Landrat Stefan Reuss kurz nach der Amtsübernahme umgesetzt werden konnte. Reuss war es auch, der im Rahmen der Verabschiedung seines Vorgängers nicht nur dessen Sachlichkeit und Fairplay herausstellte, sondern sich auch für die gut funktionierende Verwaltung bedankte, die ihm nun zur Verfügung stand: "Herr Brosey, Sie haben mir ein bestelltes Haus übergeben."
Der damalige Landrat Stefan Reuß kann für sich in Anspruch nehmen, mit seinem Wahlsieg am 29. Januar 2012 historische Maßstäbe gesetzt zu haben: Mit 78,2 % der abgegeben Stimmen siegte er "überdeutlich", wie die Presse titelte und bekam mit diesem Vertrauensbeweis der Kreisbürger den Lohn für eine überzeugende erste Amtszeit. "Stefan Reuß", so die Presse weiter, "hat sich das große Vertrauen der Menschen im Werra-Meißner-Kreis erarbeitet - deutlicher konnte ihm dies gestern nicht bescheinigt werden."
Noch in der ersten Wahl im März 2006 konnte Stefan Reuß mit 56,9 % der Stimmen deutlich weniger Wähler hinter sich vereinigen, allerdings hatte er mit Sigrid Erfurt MdL (Bündnis 90/Die Grünen) und Dirk Landau MdL (CDU) auch veritable Gegenkandidaten. Reuß, Jahrgang 1970, wurde in Kassel geboren, wuchs in Velmeden auf und lebt mit seiner Familie in Witzenhausen. Nach dem Studium von Wirtschaftspädagogik und Verwaltungswissenschaften war er seit 2001 Dozent für Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Kassel, Kreistagsabgeordneter und SPD-Unterbezirksvorsitzender. Als begeisterter Fußballer schlug er die Schiedsrichterlaufbahn ein und brachte es als Referee immerhin bis in die 3. Bundesliga. Er gehörte als Vizepräsident für Wirtschaft und Finanzen dem Präsidium des hessischen Fußballverbandes an. Neben der Rettung der heimischen Krankenhäuser, die zweifellos als das herausragende Ereignis seiner Amtszeit gelten kann, waren es die unterschiedlichen Aktivitäten gegen die Folgen des "demografischen Wandels", die der Landrat zur Chefsache gemacht und ganz oben auf seine Agenda gesetzt hat.
Vieles von dem, was er in seiner Antrittsrede am 29. Mai 2006 vor dem Kreistag in Reichensachsen formulierte, ist unter seiner Führung umgesetzt worden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang z. B. das "Bündnis für Familie", eine verstärkte Tourismusförderung oder auch der "Werra-Meißner-Tag" als Mittel zum besseren Kennenlernen der Menschen im Kreis untereinander. "Lassen sie uns", rief er den Kreistag damals auf, "abseits von parteipolitischen Interessen zum Wohle des Kreises und der Menschen arbeiten (...) und uns als Einheit begreifen."
Stefan G. Reuß ist auf eigenen Wunsch aus dem Amt des Landrates ausgeschieden und seit dem 1. Januar 2022 geschäftsführender Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen-Thüringen in Frankfurt am Main.
Seit dem 1. Januar 2022 steht der Werra-Meißner-Kreis unter Führung von Landrätin Nicole Rathgeber. Rathgeber, Jahrgang 1983, wurde in Eschwege geboren, wuchs in Wanfried auf und lebt mit ihrem Partner in Meinhard-Grebendorf. Vor ihrer politischen Karriere war sie, die selbst Volljuristin ist, als Teamleiterin bei der Arbeitsagentur Kassel für die Berufsberatung von Akademikern zuständig. Sie ist die erste Frau im Werra-Meißner-Kreis, die das Amt der Landrätin bekleidet.
Näheres zum politischen Geschehen der letzten Jahre im Werra-Meißner-Kreis können sie im folgenden Kapitel 10 "Dekade der Herausforderungen" unter "Nichts ist so beständig wie der Wandel" erfahren.
Landräte seit der Gründung der Landkreise in Kurhessen im Jahr 1821
Werra-Meißner-Kreis
² Liberal-Demokratische Partei
³ Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten
Persönlichkeiten die für ihr Jahrzehnte andauerndes politisches Engagement in den Gremien des Werra-Meißner-Kreises ausgezeichnet wurden:
25 Jahre und mehr
25 Jahre
Aktualisierung/Ergänzung: Martin Kliebisch
Damit ein politisches Gebilde wie der Werra-Meißner-Kreis im Sinn und zum Wohl seiner Bürger funktionieren kann, benötigt es neben der Kreisverwaltung politische Institutionen, die sowohl die Entscheidungen treffen als auch die Verwaltung kontrollieren und Persönlichkeiten, die diese Institutionen mit Leben erfüllen.
Das oberste Organ des Kreises ist der Kreistag, dessen 61 Abgeordnete im Fünf-Jahres-Turnus von den Bürgerinnen und Bürgern des Werra-Meißner-Kreises direkt in allgemeiner, freier, gleicher, geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt werden. Aus der Mitte der Abgeordneten werden der Kreistagsvorsitzende als oberster protokollarischer Repräsentant des Kreises, der sogenannte "Kreisausschuss" - die fünfzehnköpfige "Regierung" des Kreises, bestehend aus der Landrätin, dem hauptamtlichem Ersten Kreisbeigeordnetem, dem weiterem hauptamtlichem Kreisbeigeordnetem sowie zwölf ehrenamtlichen Mitgliedern und die neun Fachausschüsse mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten gewählt.
Wie oft der Kreistag im Jahresverlauf zu ordentlichen Parlamentssitzungen zusammentritt ist der Themenvielfalt geschuldet, allerdings sind mindestens vier jährliche Sitzungstermine vom Gesetzgeber zwingend vorgeschrieben.
Die politische Farbenlehre des Werra-Meißner-Kreises gestaltete sich in den ersten vier Jahrzehnten Kreisgeschichte ziemlich übersichtlich. Ebenso wie die bisherigen Landräte - "Immer einer von der SPD", titelte die Presse - Eitel O. Höhne (1974-1988), Dieter Brosey (1988-2006) und Stefan G. Reuss (seit 2006), kamen auch die damaligen sechs Kreistagsvorsitzenden aus den Reihen der Sozialdemokraten als der dominierenden politischen Kraft in der Region.
Kreistagsvorsitzende seit 1974
- 1974-1980 Horst Römisch - SPD
- 1980-1988 Willi Höll - SPD
- 1989-1996 Ronald Gundlach - SPD
- 1997-2001 Erika Wagner - SPD
- 2001-2011 Jürgen Schinkmann - SPD
- 2011-2021 Dieter Franz - SPD
- 2021-2023 Friedel Lenze (jun.) - SPD
- seit 2023 Peter Freiherr Roeder von Diersburg - CDU
Hess. Lichtenau
Wanfried
Bad Sooden-Allendorf
Eschwege
Meinhard
Wehretal
Berkatal
Wanfried
In der Wahlperiode 2011-2016, waren im Kreistag mit den fünf Parteien CDU, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Die LINKE und der SPD fünf Parteien und die FWG als Wählergruppe vertreten: Im Vergleich zum ersten gewählten Parlament des Werra-Meißner-Kreises hat sich die Zahl der im Kreistag vertretenen politischen Strömungen im Jahr 2014 damit glattweg verdoppelt.
Im Jahr 2024 stellt sich der Kreistag durch Fraktionswechsel und Fraktionsaustritte folgendermaßen dar: SPD 20 Sitze, CDU 18 Sitze, B90/DIE GRÜNEN 8 Sitze, FREIE WÄHLER 5 Sitze, AfD 3 Sitze, DIE LINKE 3 Sitze, FDP 4 Sitze.
Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass in zwei Wahlperioden von 1997-2006 auch Abgeordnete der am rechten Rand des Parteienspektrums angesiedelten Partei "Die Republikaner" in den Kreistag gewählt worden sind. Dies blieb allerdings ein einmaliges Intermezzo und grundsätzlich spielten solcherlei politische Strömungen im Werra-Meißner-Kreis keine Rolle.
Über Fraktionsstärke hinaus ist auch im Jahr 2024 die Zahl der Abgeordneten aus dem Werra-Meißner-Kreis im Hessischen Landtag vertreten. Lena Arnold und Stefan Schneider (CDU), Karina Fissmann (SPD), Felix Martin und Hans-Jürgen Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Die vier erstgenannten sind auch ehrenamtlich im Kreistag tätig.
Eine große Rolle spielten immer, gleich ob haupt- oder ehrenamtlich, die handelnden Personen, ohne deren Engagement in der Vergangenheit "nichts ging" und auch in der Zukunft nichts geht. Mittlerweile ist es ja gang und gäbe, sich bei den unterschiedlichsten Anlässen und aus den mannigfaltigsten Gründen in ausgiebiger Politikerschelte zu ergehen, was bisweilen auch bei eklatanten Fehlentscheidungen und spektakulären Fehlplanungen berechtigt sein mag.
Im Bereich ehrenamtlicher Politik in den Kommunen und Landkreisen, die im Engagement in Ortsbeiräten, Stadtverordnetenversammlungen und Magistraten, im Kreistag und Kreisausschuss ihren Ausdruck findet, sollte zuerst einmal die Anerkennung für das Engagement an sich und die Übernahme bisweilen doch erheblicher Verantwortung für das Wohl oder Wehe vieler stehen. Auch die hauptamtlichen Protagonisten der Kreispolitik, die Landräte/die Landrätin und ihre Stellvertreter, stehen für eine bürgernahe Politik, geerdet und deshalb in der Regel ungefährdet, sich in "Wolkenkuckucksheimen" zu verlieren.
In den fünfzig Jahren Kreisgeschichte hat es von Herleshausen bis Ziegenhagen und Neu-Eichenberg bis Fürstenhagen zahlreiche solcher engagierter Mitbürgerinnen und Mitbürger gegeben, die sich in den Parteien für das Gedeihen des Kreises eingesetzt und sich nicht gescheut haben, viel Zeit und Energie durch die Übernahme politischer Ämter zu opfern.
Stellvertretend für die Vielen sind schon die Kreistagsvorsitzenden seit 1974 benannt worden, von denen sicher der Lichtenauer Horst Römisch in den ersten Jahren des neuen Kreises die schwierigste Aufgabe zu bewältigen hatte. Eines der größten Probleme, denen sich Horst Römisch damals gegenüber sah, war die relative Unkenntnis, die zwischen den handelnden Personen und teilweise auch über die zu behandelnden Probleme bestand. "Viele Abgeordnete kennen sich untereinander noch nicht", so Römisch in seiner Bilanz nach einem Jahr Werra-Meißner-Kreis, "und das Problem, das an der Peripherie des Kreisteils Witzenhausen ansteht, kennt der Abgeordnete aus dem Kreisteil Eschwege nur in den seltensten Fällen (...) Wenn es uns aber gelingt, es den Menschen leicht zu machen, dann ist das Ziel erreicht."
Im Jahr 2014, war alles das, was Horst Römisch 1974 noch als Problem empfand, alltägliche Normalität: Man kennt sich bestens, und auch dank einer völlig veränderten Medienlandschaft und moderner Kommunikationstechnik sind alle Probleme aus allen Winkeln des Kreises allen Verantwortlichen in der Regel hinlänglich bekannt. Zwar langsam, dafür aber stetig, und vor allem ohne Umkehreffekt, veränderte sich auch das politische Bewusstsein. Immer offensichtlicher rückte der neue Kreis als Ganzes in den Mittelpunkt der Wahrnehmung und bei den allermeisten Entscheidungsprozessen verblasste das Altkreisdenken zusehends und verschwand schließlich völlig.
Viel zu dieser Entwicklung beigetragen haben Persönlichkeiten wie die unvergessene Erika Wagner (*1933-+2011), die neben ihren Funktionen im Hessischen Landtag als Abgeordnete (1978-1995) und Vizepräsidentin (1991-1995) über vierzig Jahre lang erst dem Eschweger Kreistag und dann dem Kreistag des Werra-Meißner-Kreises angehörte. Zum Schluss ihres langen politischen Engagements hatte Erika Wagner für eine Legislaturperiode von 1997-2001 auch den Kreistagvorsitz inne und blickte am Ende dieser vier Jahre auf 126 Plenar- und Ausschusssitzungen zurück, was einer Gesamtsitzungsdauer von vierzehn Tagen am Stück entsprach.
Der Kreistag würdigte in der Januarsitzung 2001 seine scheidende Vorsitzende und deren Lebensleistung. "Bei all ihrem Engagement habe Erika Wagner stets Bodenhaftung behalten. Souveränität, Sachverstand und Augenmaß seien die herausragenden Persönlichkeitsmerkmale der scheidenden Vorsitzenden: Frau Wagner Sie waren eine großartige Repräsentantin der Bevölkerung unseres Kreises."
Hervorragendes geleistet haben auch Persönlichkeiten wie der langjährige Kreistagsvorsitzende Willi Höll (SPD) aus Wanfried, der CDU-Fraktionsvorsitzende Heinz-Dieter Herbort aus Hess. Lichtenau und sein FDP-Kollege Prof. Dr. Heinz Bliss, die maßgeblich an der Zusammenführung der beiden Altkreise zum Werra-Meißner-Kreis beteiligt waren. Weiterhin zu nennen sind die zum Teil auch heute noch aktiven Gremienmitglieder: Corinna Bartholomäus (Grüne), Herbert Bruchmüller (FDP), Dieter Franz (SPD), Christa Fröhlich (CDU), Erich Hofsommer (SPD), Karl Jeanrond (SPD), Dr. Wolfgang Kistner (SPD), Imelda Landgrebe (SPD), Dietrich Meister (CDU), Fritz Römer (CDU), Jürgen Schinkmann (SPD), Bernd Schleicher (SPD), Lothar Seeger (SPD), Wilfried Wetterau (SPD), Lothar Winter (CDU) und Lothar Quanz (SPD) sowie die noch heute aktiven langjährigen Fraktionsvorsitzenden Uwe Brückmann (CDU) und Sigrid Erfurth (Grüne). Höll und Herbort verlieh Landrat Dieter Brosey während der Kreistagssitzung im Dezember 1988 die Ehrenplakette des Werra-Meißner-Kreises, nicht zuletzt "... weil sie Fairness in der Politik bewiesen" haben.
Überhaupt Fairness: Trotz aller bisweilen schon mal auch heftigerer Auseinandersetzungen in der Sache blieb das politische Klima in den vielen Jahrzehnten Kreisgeschichte immer moderat und der faire Umgang miteinander war einer der wichtigsten Eckpfeiler der Kreispolitik. Diesen ganz wesentlichen Punkt unterstrich auch der Theodor Leyhe, der in seiner Funktion als Erster Kreisbeigeordneter insgesamt 27 Jahre zwei Landräten zur Seite stand.
"Er wünsche dem Kreistag," so Leyhe in einem Pressegespräch kurz vor seiner Verabschiedung, "weiterhin eine so gute Streitkultur wie bisher (...) man möge sich auch weiterhin nach hitzigen Sitzungen bei Essen und Bier zusammensetzen und mögliche Verletzungen gleich wieder heilen bzw. relativieren."
Damit wären wir bei den Personen angelangt, die nicht nur maßgeblich die politische Entwicklung des Kreises geprägt haben, sondern auch vor allen anderen als sein Gesicht in der Öffentlichkeit präsent waren: Die drei Landräte und ihre drei Stellvertreter. Gemeinsam mit Eitel Höhne, Dieter Brosey und Stefan Reuß lenkten die Ersten Kreisbeigeordneten Theodor Leyhe (1974-2001) und Henry Thiele (2001-2011, beide FDP) und Dr. Rainer Wallmann (2012-2022, GRÜNE) die Geschicke des Kreises.
Im Jahr 2024 bildet Landrätin Nicole Rathgeber (ab 2022, FREIE WÄHLER) mit dem Ersten Kreisbeigeordneten Friedel Lenze (ab 2023, SPD) und dem hauptamtlichen Kreisbeigeordneten Dr. Philipp Kanzow (ab 2023, CDU) das Führungsteam an der Spitze der Kreisverwaltung.
Am längsten von allen war Theodor Leyhe (FDP) im Amt. Der gebürtige Korbacher, dessen Weg über das Amt des Stadtkämmerers von Oberursel in den Vize-Chef-Sessel des neu gebildeten Werra-Meißner-Kreises führte, stand fast drei Jahrzehnte an der Seite der Landräte Eitel Höhne bzw. Dieter Brosey und war so maßgeblich an der Entwicklung des Kreises beteiligt.
Meilensteine dieser Tätigkeit, die er in seiner ersten Amtszeit dem Verlust der absoluten SPD - Mehrheit bei den Kommunalwahlen 1974 verdankte, waren seinem eigenen Empfinden nach das Ringen um den gemeinsamen Schulentwicklungsplan, die Modernisierung der Krankenhäuser in Witzenhausen und Eschwege sowie der Auf- und Ausbau der Deponie in Weidenhausen.
Seine Dezernate Schulverwaltung, Bauamt, Ausgleichsamt, Gesundheitsamt mit Krankenhäusern, Sozialamt und Jugendamt haben sich in seiner Amtszeit zu den größten Etatposten des Kreishaushalts entwickelt, "... das hätte ich am Anfang nicht gedacht. Als ich kam, war der gesamte Kreisetat so hoch wie der in Oberursel."
Am 20. August 2001 ist er mit stehenden Ovationen von "seinem" Kreistag, an dessen Sitzungen er über 100 Mal teilgenommen hatte, in den Ruhestand verabschiedet worden. Davor war er 1980, 1986, 1992 und am 23. März 1998 vier Mal trotz nunmehr wieder absoluter sozialdemokratischer Mehrheit im Amt des 1. Kreisbeigeordneten bestätigt worden.
Zum Nachfolger Leyhes wählte der Kreistag im Oktober 2001 den gebürtigen Eschweger Henry Thiele, der zuvor als Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes und auch als Kreistagsabgeordneter der FDP bereits eng mit dem Geschehen im Kreis verbunden war. Auch Henry Thiele, der ebenso wie Theodor Leyhe mit zwei Landräten erfolgreich und vertrauensvoll zusammen arbeitete und durch eine breite Mehrheit (47 von 53 anwesenden Abgeordneten) im Juni 2007 im Amt bestätigt wurde, setzte in vielen Bereichen zukunftsweisende Akzente.
Besonders am Herzen lag ihm, der sich in seiner Selbsteinschätzung als "Meister im Bohren dicker Bretter" verstand, die Schulpolitik, der demografische Wandel, als gelerntem Landwirt selbstredend natürlich auch die Landwirtschaft - übrigens erst seit 2006 bei der Kreisverwaltung angesiedelt - und insbesondere der Tourismus, der durch seine Initiative neu aufgestellt und zukunftsfähig ausgerichtet werden konnte.
Die Gründung der Werratal Tourismus GmbH ging ebenso auf seine Tatkraft zurück wie die Einbeziehung des Naturparks Werra-Meißner Kaufunger Wald in die neuen Tourismuskonzepte. "Den Naturpark", schrieb die heimische Presse anlässlich Thieles Abwahl im Sommer 2011, "hat es vorher nur gegeben, er hat ihn zu einer Perle des Kreises gemacht und als erster den Begriff Fremdenverkehr abgeschafft - es gibt nur Gäste, sagte Thiele im überzeugenden Ton eines Machers." Dass Thieles zweite Amtszeit nicht über die kompletten fünf Jahre lief, lag am Ergebnis der Kommunalwahlen des Jahres 2011, das die Fortführung der seit 1974 regierenden SPD/FDP Koalition unmöglich machte. Die neue politische Mehrheit im Kreis wurde von SPD und den GRÜNEN gebildet, die folgerichtig auch die Aufgaben des Ersten Kreisbeigeordneten für sich reklamierten.
Gewählt wurde am 2. Dezember 2011 an Stelle Thieles, der übrigens als Geschäftsführer der DEULA GmbH in Witzenhausen dem Werra-Meißner-Kreis erhalten blieb, als Kandidat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Rainer Wallmann aus Witzenhausen. Der neue Vize-Landrat, gebürtiger Berliner, studierte in Witzenhausen Agrarwissenschaft und Ökologische Umweltsicherung, trat sein neues Amt im Frühjahr 2012 an - seinen Aufgabenschwerpunkt hatte er bereits vor Amtsantritt klar formuliert: "Das Wichtigste ist die Energiewende."
Am 18. Februar 1988 wurde der damals 45-jährige Dieter Brosey (SPD) mit 41 Stimmen der SPD/FDP Koalition als Nachfolger Eitel O. Höhnes zum neuen Landrat des Werra-Meißner-Kreises gewählt - gegen die Stimmen der CDU Fraktion, deren zwanzig Abgeordnete geschlossen für ihren Kandidaten, den Hess. Lichtenauer Ingo Geisler, stimmten. Geboren wurde der neue Landrat 1942 im sächsischen Chemnitz und lebte ab 1947 mit seiner Familie in Hünfeld. Nach Abitur, Jura-Studium und Referendariat übernahm er die Stelle als Dezernent für Gesundheitswesen beim Regierungspräsidium in Kassel. 1975 wurde er in seinem Wohnort Großalmerode zum Bürgermeister gewählt und schließlich im Februar 1988 zum Landrat des Werra-Meißner-Kreises.
Obwohl diese Wahl unspektakulär und das klare Votum für Dieter Brosey aufgrund der Mehrheitsverhältnisse von vornherein absehbar gewesen ist, so ist diese Wahl, im Nachhinein betrachtet, doch gewissermaßen als historisch zu bezeichnen, denn zum letzten Mal nämlich wurde der Landrat von den Abgeordneten des Kreistages gewählt.
Die Landratswahl des Jahres 1994 wurde bereits als Direktwahl durchgeführt und - niemand im Saal der Eschweger Stadthalle hätte das damals für möglich gehalten - in einem Kreis, der vom Rand des freien Europa in die Mitte des geeinten Deutschland gerückt war.
Der Blick auf die Ziele des neuen Landrates am Beginn seiner Amtszeit und auf das Fazit nach 18-jähriger Tätigkeit im Juni 2006 macht deutlich, welche gravierenden Umwälzungen in der Amtszeit Dieter Broseys das Gesicht des Werra-Meißner-Kreises verändert haben. Ganz oben auf seiner Agenda standen eine "behutsame Führung und sachliche Politik", die mit dem vorhandenen "soliden finanziellen Fundament als Basis" helfen sollte, die innerdeutsche "Grenze durchlässig zu machen"(...) "Dies sei", so der Landrat, "lebenswichtig für den Kreis und könne die Probleme der Randlage mildern."
Drei Amtsperioden später las sich Dieter Broseys Bilanz seiner Jahre als Landrat deutlich ernüchterter, als sie es angesichts der weltgeschichtlichen Veränderungen eigentlich hätte sein müssen: "Ich habe 1988 eine wohlgeordnete Kreisverwaltung von meinem Vorgänger übernommen, und alles war planbar und überschaubar. Nach dem Jahr 1989 änderte sich das sukzessive. Die Grenzöffnung und der Fall des Ostblocks katapultierte den Kreis aus seiner Randlage ins Herz Europas. Die anfängliche Euphorie wich Mitte der Neunziger Jahre den ersten wirtschaftlichen Rückschlägen, die sich in den vergangenen zehn Jahren noch verstärkt haben. Firmen schlossen ohne Not und verlagerten ihre Produktionsstätten ins Ausland. Das Fördergefälle zwischen Ost und West tut noch heute wirtschaftlich ordentlich weh. Im zweiten Schritt musste der Kreis entsprechend weniger Einnahmen verbuchen, so dass der ausgeglichene Haushalt in Schieflage geriet und heute ein Defizit von knapp 40 Millionen Euro aufweist.(...) Diesen Vorgängen hätte ich gern noch mehr entgegengesetzt."
Zweimal wurde Dieter Brosey durch Direktwahlen in seinem Amt bestätigt, beide Male setzte er sich in überzeugender Manier gegen Mitbewerber Uwe Brückmann (CDU) durch - 1994 mit 70,9 % und 2000 mit 67,7 % der abgegebenen Stimmen. Einziger Wermutstropfen bei diesen überzeugenden Wahlerfolgen war die schlechte Wahlbeteiligung, die sich beim Wahlgang im Januar 2000 mit 43,8 % noch einmal um fast 8 % gegenüber der ohnehin schon mäßigen Beteiligung von 51,1 % im Januar 1994 verschlechterte. "Ob Sieger oder Unterlegener", kommentierte diesen Trend am Tag nach der Wahl die Presse, "beide muss nachdenklich stimmen, dass nicht einmal die Hälfte der Kreisbevölkerung an die Urnen gegangen ist. Desinteresse oder Politikverdrossenheit?"
Dieter Brosey manöverierte in der ihm eigenen unaufgeregten Art den Kreis sicher durch diese schwierige Zeit und brachte neben der Förderung der heimischen Wirtschaft, die ihm besonders am Herzen lag, und der Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs auch die Verwaltungsmodernisierung auf den Weg, die dann vom neuen Landrat Stefan Reuss kurz nach der Amtsübernahme umgesetzt werden konnte. Reuss war es auch, der im Rahmen der Verabschiedung seines Vorgängers nicht nur dessen Sachlichkeit und Fairplay herausstellte, sondern sich auch für die gut funktionierende Verwaltung bedankte, die ihm nun zur Verfügung stand: "Herr Brosey, Sie haben mir ein bestelltes Haus übergeben."
Der damalige Landrat Stefan Reuß kann für sich in Anspruch nehmen, mit seinem Wahlsieg am 29. Januar 2012 historische Maßstäbe gesetzt zu haben: Mit 78,2 % der abgegeben Stimmen siegte er "überdeutlich", wie die Presse titelte und bekam mit diesem Vertrauensbeweis der Kreisbürger den Lohn für eine überzeugende erste Amtszeit. "Stefan Reuß", so die Presse weiter, "hat sich das große Vertrauen der Menschen im Werra-Meißner-Kreis erarbeitet - deutlicher konnte ihm dies gestern nicht bescheinigt werden."
Noch in der ersten Wahl im März 2006 konnte Stefan Reuß mit 56,9 % der Stimmen deutlich weniger Wähler hinter sich vereinigen, allerdings hatte er mit Sigrid Erfurt MdL (Bündnis 90/Die Grünen) und Dirk Landau MdL (CDU) auch veritable Gegenkandidaten. Reuß, Jahrgang 1970, wurde in Kassel geboren, wuchs in Velmeden auf und lebt mit seiner Familie in Witzenhausen. Nach dem Studium von Wirtschaftspädagogik und Verwaltungswissenschaften war er seit 2001 Dozent für Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Kassel, Kreistagsabgeordneter und SPD-Unterbezirksvorsitzender. Als begeisterter Fußballer schlug er die Schiedsrichterlaufbahn ein und brachte es als Referee immerhin bis in die 3. Bundesliga. Er gehörte als Vizepräsident für Wirtschaft und Finanzen dem Präsidium des hessischen Fußballverbandes an. Neben der Rettung der heimischen Krankenhäuser, die zweifellos als das herausragende Ereignis seiner Amtszeit gelten kann, waren es die unterschiedlichen Aktivitäten gegen die Folgen des "demografischen Wandels", die der Landrat zur Chefsache gemacht und ganz oben auf seine Agenda gesetzt hat.
Vieles von dem, was er in seiner Antrittsrede am 29. Mai 2006 vor dem Kreistag in Reichensachsen formulierte, ist unter seiner Führung umgesetzt worden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang z. B. das "Bündnis für Familie", eine verstärkte Tourismusförderung oder auch der "Werra-Meißner-Tag" als Mittel zum besseren Kennenlernen der Menschen im Kreis untereinander. "Lassen sie uns", rief er den Kreistag damals auf, "abseits von parteipolitischen Interessen zum Wohle des Kreises und der Menschen arbeiten (...) und uns als Einheit begreifen."
Stefan G. Reuß ist auf eigenen Wunsch aus dem Amt des Landrates ausgeschieden und seit dem 1. Januar 2022 geschäftsführender Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen-Thüringen in Frankfurt am Main.
Seit dem 1. Januar 2022 steht der Werra-Meißner-Kreis unter Führung von Landrätin Nicole Rathgeber. Rathgeber, Jahrgang 1983, wurde in Eschwege geboren, wuchs in Wanfried auf und lebt mit ihrem Partner in Meinhard-Grebendorf. Vor ihrer politischen Karriere war sie, die selbst Volljuristin ist, als Teamleiterin bei der Arbeitsagentur Kassel für die Berufsberatung von Akademikern zuständig. Sie ist die erste Frau im Werra-Meißner-Kreis, die das Amt der Landrätin bekleidet.
Näheres zum politischen Geschehen der letzten Jahre im Werra-Meißner-Kreis können sie im folgenden Kapitel 10 "Dekade der Herausforderungen" unter "Nichts ist so beständig wie der Wandel" erfahren.
Landräte seit der Gründung der Landkreise in Kurhessen im Jahr 1821
Werra-Meißner-Kreis
- Landrätin Nicole Rathgeber - FREIE WÄHLER seit 2022
- Landrat Stefan G. Reuß - SPD 2006-2021
- Landrat Dieter Brosey - SPD 1988-2006
- Landrat Eitel O. Höhne - SPD 1974-1988
- Landrat Eitel O. Höhne - SPD 1961-1973
- Landrat Hansjochen Kubitz - BHE ³ 1954-1960
- Landrat Gerhard Pforr - LDP ² 1948-1954
- Landrat Johannes Braunholz - SPD 1946-1948
- Landrat Dr. Friedrich Alfred Busse 1945-1946
- Landrat Wolfgang Hartdegen 1945
- Landrat Dr. Walter Schultz - NSDAP ¹ 1936-1945
- Landrat Dr. Philipp Deichmann - NSDAP ¹ 1932-1936
- Landrat Hans Otto Glahn - SPD 1932
- Landrat Hermann Langer - SPD 1921-1932
- Regierungsassessor Dr. Rudolf Bödiker 1919-1920
- Landrat Alexander v. Keudell 1893-1919
- Landrat Emil Grimm 1885-1893
- Landrat Carl August Friedrich Groß 1861-1885
- Landrat Carl Friedrich v. Stiernberg 1853-1861
- Landrat Adrian v. Specht 1851-1853
- Landrat Carl August Friedrich Groß 1847-1851
- Landrat Philipp Georg Giesler 1844-1847
- Kreissekretär Carl Rohde 1843-1844
- Landrat Elard Wilhelm v. Ende 1835-1843
- Kreisrat Friedrich Rohde 1829-1835
- Kreisrat Christian Schmitten 1823-1829
- Kreisrat Friedrich Meisterlin 1821-1823
- Landrat Wilhelm Brübach - SPD 1946-1973
- Landrat Hans Wilhelm v. Coelln 1945-1946
- Landrat Dr. Walter Gerber - NSDAP ¹ 1938-1945
- Landrat Dr. Ernst Beckmann - NSDAP ¹ 1932-1938
- Landrat Jean Ernst Gröniger - SPD 1929-1932
- Landrat Georg Thöne - SPD 1919-1928
- Landrat Georg Eschstruth 1919
- Landrat Dr. Hermann Wolf 1917-1919
- Landrat Heinrich Erdwin Mordian v. Bischoffshausen 1895-1917
- Landrat Bernhard v. Schenck 1884-1895
- Landrat Christian Ludwig Friedrich Ernst Bernstein 1875-1884
- Kreissekretär Sandrock 1875
- Landrat Thomas Boch 1868-1875
- Landrat Adam Heinrich Wilhelm Uloth 1856-1868
- Landrat Eduard v. Göddaeus 1855-1856
- Landrat Ludwig Carl v. Oeynhausen 1851-1855
- Landrat Carl Wilhelm Bickell 1848-1851
- Kreissekretär Schlott 1847-1848
- Kreissekretär Ludwig Carl v. Oeynhausen 1846-1847
- Kreisrat Karl Michael Heuser 1832-1846
- Kreisrat Karl Wilhelm Philipp Bockwitz 1821-1832
² Liberal-Demokratische Partei
³ Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten
Persönlichkeiten die für ihr Jahrzehnte andauerndes politisches Engagement in den Gremien des Werra-Meißner-Kreises ausgezeichnet wurden:
25 Jahre und mehr
- Helmut Apel
- Karlheinz Apel
- Prof. Dr. Heinz Bliss
- Uwe Brückmann
- Manfred-Otto Cassel
- Armin Euler
- Fritz Ewald
- Otto Fey
- Helmut Fohler
- Fritz Franke
- Christa Frölich
- Walter Hallepape
- Josef Heinz
- Carl-Moritz Heppe
- Heinz-Dieter Herbort
- Ursula Hilmes
- Erich Hofsommer
- Willi Höll
- Dr. Wolfgang Kistner
- Waltraud Kohlhase
- Imelda Landgrebe
- Theodor Leyhe
- Dietrich Meister
- Charles Miossec
- Lothar Quanz
- Fritz Römer
- Jürgen Schinkmann
- Lothar Seeger
- Erika Wagner
- Wilfried Wetterau
25 Jahre
- Corinna Bartholomäus
- Dr. Lutz Bergner
- Sigrid Erfurth
- Dieter Franz
- Ekkehard Götting
- Karl Jeanrond
- Lothar Nöding
- Waldemar Rescher
- Ilona Rohde-Erfurth
- Friedrich Arnoldt
- Lena Arnoldt
- Wolfhard Austen
- Dr. Lutz Bergner
- Michael Craciun
- Katharina Csollak-Klein
- Sigrid Erfurth
- Frank Fiedler
- Wolfgang Fischer
- Helga Först
- Ekkehard Götting
- Hans Heckrodt
- Andreas Heine
- Dr. Uwe Heinemann
- Lothar Hellwig
- Dorothea Henkelmann
- Alexander Heppe
- Andreas Hölzel
- Wilhelm Holzhauer
- Armin Jung
- Dr. Marita Kroneberger
- Anita Krüger
- Dirk Landau
- Friedel Lenze (sen.)
- Ute Lorenz-Roth
- Lothar Nöding
- Waldemar Rescher
- Ilona Rohde-Erfurth
- Ilse von Scharfenberg
- Christa Schein
- Peter Schill
- Stefan Schneider
- Andreas Trube
- Jürgen Vogelei
- Sabine Wilke
- Jürgen Zick
- Michael Zimmermann