Die territoriale Vorgeschichte der Region um Werra und Meißner
Autoren: Dr. Karl Kollmann / Dr. Herbert Reyer
Von der Landvogtei an der Werra zum Distrikt Eschwege - Die Werra-Meißner-Region zwischen Spätmittelalter und Franzosenherrschaft
Der hessisch-thüringische Erbfolgekrieg
Der hessisch-thüringische Erbfolgekrieg zwischen 1247 und 1264 zeigt deutlich, welche Mächte Ansprüche auf das Werraland durchzusetzen suchten. Nachdem in Thüringen mit Heinrich Raspe, dem deutschen Gegenkönig, das ludowingische Landgrafenhaus erloschen war, stritten die wettinischen Markgrafen von Meißen, die welfischen Herzöge von Braunschweig-Lüneburg und die thüringische Landgrafentochter Sophie von Hessen für ihren Sohn Heinrich um das Erbe. Die Werrastädte gelangten kurzzeitig an Braunschweig, ehe schließlich das Werraland, d. h. seine Hauptorte, die ja von militärisch-strategischer Bedeutung waren, an Hessen kam. Für die junge aufstrebende Landgrafschaft Hessen lag im Werraland schließlich sogar die Grundlage ihrer späteren Erhebung zum Reichsfürstentum: Landgraf Heinrich von Hessen übertrug dem Reich im Jahre 1292 die Stadt Eschwege und erhielt daraufhin von König Adolf von Nassau die Reichsburg Boyneburg und auch Eschwege als unmittelbare Reichslehen. Als am Ende des hessisch-thüringischen Erbfolgekrieges die hessische Landgräfin Sophie und ihr Sohn Heinrich das Kind auf ihre Ansprüche auf Thüringen verzichteten, gelangten in ihren Besitz als Entschädigung jene "acht festen Plätze" (castella) an der Werra, die den Grundstock für den Ausbau der hessischen Landesherrschaft in diesem Raum bildeten. Es handelte sich dabei um die Städte Witzenhausen, Allendorf und Eschwege und wahrscheinlich um den Fürstenstein bei Albungen, die (schon 1265 zerstörte) Westerburg oberhalb Soodens, den Altenstein östlich von Allendorf (jetzt im Kreis Eichsfeld/Thüringen), Bischoffshausen, das heutige Bischhausen (nördlicher Stadtteil von Witzenhausen), und den Arnstein im Norden Witzenhausens. Umstritten ist in der Forschung, ob nicht anstelle des Fürstensteins, der vielleicht erst 1301 mit den bilsteinischen Besitzungen an Hessen fiel, die Stadt Sontra in dieser Aufzählung zu nennen ist. Noch aber war mit diesen im Jahre 1264 gewonnenen "Plätzen" kein einheitliches, zusammenhängendes Territorium landgräflichen Besitzes im Werraland geschaffen. Der Raum war am Ende des 13. Jahrhunderts von einer Reihe kleinerer adliger und geistlicher Herrschaften durchsetzt. Die Landgrafen bemühten sich seither kontinuierlich und mit wechselndem Erfolg, über all diesen Streubesitz ihre Landeshoheit durchzusetzen und zu behaupten.
Die Städte und Ämter im Werraland
Kristallisationspunkte der beginnenden Ausdehnung landgräflicher Herrschaft im Werraland waren die hier erworbenen neugegründeten Städte. Drei von ihnen besaßen übrigens schon, bevor sie der hessischen Landesherrschaft zugefallen waren, Stadtrechte: Witzenhausen erhielt 1225 Marktrecht und dürfte sich bis 1232/1247 zur Stadt entwickelt haben, Allendorf wurde zwischen 1212 und 1218 zur Stadt, Eschwege mag zwischen 1236 und 1264 Stadt geworden sein. Lichtenau indes ist eine Stadtgründung des hessischen Landgrafen Heinrich I.; nach einem gescheiterten Versuch der Stadterhebung Walburgs ließ er kurz vor 1289 mehrere Dörfer zur Stadt Lichtenau zusammenlegen. Sontra erhielt 1368 von Landgraf Heinrich II. das Marktrecht, Waldkappel wurde um 1570 Stadt, Wanfried erst 1608, und Großalmerode schließlich, das aber bis 1817 gemeinsam mit Wickenrode noch zum Amt Kassel-Neustadt bzw. dem Gericht Kaufungen gehörte, also nicht eigentlich dem "Werraland" zuzurechnen ist, wurde erst 1775 von Landgraf Friedrich II. zur Stadt erhoben. Seit der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert bildeten die Städte die Zentren der ersten hessischen Ämter des Werralandes als die kleinsten lokalen Verwaltungseinheiten der Landgrafschaft.
Keimzelle des Amtes Eschwege war am Ende des 13. Jahrhunderts ein eng begrenzter Gerichtsbezirk, die Zent Eschwege, die nur wenige Dörfer im engeren Umkreis der Stadt umfasste. Bereits 1301 konnte der Landgraf die recht beträchtlichen bilsteinischen Lehen erwerben. Der letzte Graf von Bilstein, Otto II., verkaufte ihm u. a. alle Lehen, die er zwischen Werra und dem Hainchen (Wald nahe Altmorschen) besaß (que habemus ab aqua Gwerra dicta usque ad silvam qui Hecheno appellatur). Als der Bilsteiner wenig später starb, gingen auch dessen Eigengüter an Hessen über. Damit war praktisch das gesamte Meißnervorland dem Amt Eschwege einverleibt worden.
1306 erhielt Hessen vom Landgrafen von Thüringen die Lehenshoheit über Wanfried und Frieda und damit die Möglichkeit der Bildung eines weiteren Amtes im Süden der Werralandschaft. Der Besitz um Wanfried, dem östlichen Vorposten Hessens, konnte 1365 durch Zukauf der später als "Wanfrieder Zentdörfer" bezeichneten fünf v. Völkershausischen Dörfer Weißenborn, Rambach, Heldra, Helderbach (wüst bei Heldra) und Altenburschla erweitert werden, dürfte aber erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts als Amt Wanfried organisiert gewesen sein, denn hier wird 1406 erstmals ein hessischer Amtmann zu Wanfried genannt.
Auch Sontra - vielleicht schon 1264 an Hessen gelangt - bildete den Ausgangspunkt eines hessischen Amtes. Im 13. Jahrhundert noch tritt der engere Bezirk der Stadt als adliges Gericht der Vögte von Sontra entgegen. Erst nach ihrem Aussterben in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts kann der Landgraf von Hessen hier endgültig Fuß fassen. Seit dieser Zeit ist mit einem Amt Sontra zu rechnen, ein Amtmann ist freilich frühestens im Jahre 1368 nachzuweisen. Von einem Amt Allendorf ist gegen Ende des 14. Jahrhunderts die Rede. Es wird 1379 erwähnt, scheint sich jedoch erst im 16. Jahrhundert als eigentliches Amt herausgebildet zu haben. Nur wenig früher (1361) treten die Ämter Witzenhausen und Bischhausen entgegen. Nach dem Bau der Burg Ludwigstein im Jahre 1415 wurde Hans von Dörnberg als erster Amtmann auf dem Ludwigstein eingesetzt (1416), dem neuen Amt Ludwigstein das bisherige Amt Witzenhausen zugeordnet.
Ein Amt Reichenbach, als dessen Mittelpunkt zunächst die gleichnamige Burg nahe Hessisch Lichtenau erscheint, bestand schon vor 1318. Sein Amtmann wechselte um 1490 von der Burg nach Lichtenau über. Burg Reichenbach verfiel, das seitherige Amt Lichtenau umfasste nicht nur eine Anzahl umliegender Dorfgemeinden, sondern auch das um 1570 zur Stadt erhobene Waldkappel, dessen Stellung innerhalb des Amtes einen besonderen Charakter hatte und recht schwankend erscheint. 1746 wird schließlich ein eigenes Amt Waldkappel erwähnt, doch dürften auch weiterhin Abhängigkeiten gegenüber Lichtenau bestanden haben. Im Norden der Werralandschaft bildete sich nach dem Erwerb der Burg Ziegenberg gegen Anfang des 14. Jahrhunderts und einiger Dörfer des näheren Umkreises, die bald danach anfielen, ein kleineres landgräfliches Amt Ziegenberg. Es wird bereits vor 1379 bestanden haben. Später gelangte es nach mehrfachen Verpfändungen als Lehen an die v. Buttlar und zählte schließlich als adliges Gericht Ziegenberg zum Amt Ludwigstein.
Die Landvogtei an der Werra
Die Landschaft an der Werra bildete schon seit Ende des 13. Jahrhunderts im Rahmen der gesamten Landgrafschaft Hessen einen zusammengehörigen Verwaltungsbereich. 1329 wird sie gleichberechtigt neben die beiden anderen Teile der Landgrafschaft, Ober- und Niederhessen, gestellt: In einem Bündnisvertrag dieses Jahres mit Mainz ist von drei Teilen Hessens, "obene und nidene und uf der Wirra", die Rede. Entsprechend hatte die Landesherrschaft im Mittelalter, weil der direkten Herrschaftsausübung durch den Landgrafen allein wegen der Größe des Landes schon verwaltungstechnisch Grenzen gesetzt waren, drei mittlere Verwaltungsinstanzen oberhalb der Amtsorganisation geschaffen: So gab es "Landvögte" an den drei Hauptströmen: an der Lahn in Marburg, an der Fulda in Kassel und an der Werra in Eschwege.
Als frühester Inhaber der Landvogtei an der Werra ist Hermann von Brandenfels wahrscheinlich zu machen, der 1292 als Vogt zu Eschwege entgegentritt und das Amt des Landvogtes bis 1305 innehatte. Bis 1385 hatten die Landvögte ihren Sitz in Eschwege; sie standen in der Regel gleichzeitig dem Amt Eschwege vor. Nicht ganz sicher ist dies für den 1332 bezeugten Amtmann Heinrich I. von Eisenbach, der 1333 als Führer der hessischen Truppen an der Werra in einer Fehde gegen die v. Treffurt erscheint und nicht nur Amtmann zu Allendorf war, sondern auch der von Eschwege gewesen sein soll. Hermann von Treffurt dagegen ist 1334 nicht nur Amtmann in Eschwege, sondern eindeutig auch als Landvogt bezeichnet (advocatus domini lantgravii terre Hasste).
Die Landvogtei nach dem "Sterner"-Krieg
Die harte und unnachgiebige Politik des seit 1367 regierenden Landgrafen Hermann II. markiert einen wichtigen Einschnitt in der hessischen Geschichte und insbesondere des Werralandes: Der um seine Selbständigkeit fürchtende hessische Adel lehnte sich angesichts des für ihn beängstigend zügig fortschreitenden Ausbaus der hessischen Territorialmacht und immer höherer Steuerforderungen gegen den Landgrafen auf. Die hessischen Städte, darunter Eschwege, Witzenhausen und Allendorf, denen hohe "Ungeld"-Zahlungen (Verbrauchssteuern) abverlangt wurden, verweigerten sich und stellten sich dem von Graf Gottfried von Ziegenhain geführten Ritterbund der "Sterner", in dem der aufbegehrende hessische Adel organisiert war, an die Seite. Außerdem verbündeten sich die Sterner mit Herzog Otto von Braunschweig, der vor allem die einst 1264 abgetretenen Werrastädte aus erbrechtlichen Gründen für sich beanspruchte. Aus den kriegerischen Auseinandersetzungen der siebziger Jahre des 14. Jahrhunderts ging Landgraf Hermann als glücklicher Sieger hervor. Die relative Selbständigkeit der Werrastädte wurde drastisch eingeschränkt, ihre städtischen Verfassungen wurden beseitigt. Nur Eschwege wehrte sich gegen die landesherrlichen Eingriffe und schlug sich auf die Seite des thüringischen Landgrafen Balthasar und damit einer erneuten, allerdings mächtigeren Koalition gegen den Landgrafen, die von Hermanns schärfstem Rivalen, dem Erzbischof von Mainz, zusammengebracht worden war. Auch Otto von Braunschweig zählte wieder zu den Gegnern. Von drei Seiten drangen die feindlichen Truppen 1385 in Hessen ein, das Werraland wurde von Thüringen besetzt. Eschwege, Sontra und Boyneburg huldigten bereitwillig dem thüringischen Landgrafen als ihrem neuen Landesherrn. Hermann gelang es indes, auf diese Orte eine Anwartschaft zu erwerben und erreichte für seinen Sohn Ludwig zunächst die Mitherrschaft; erst nach Ludwigs Heirat mit Anna von Thüringen 1434 erlangte Hessen die Landeshoheit über die drei Orte zurück. Die nach 1385 weiter zu Hessen gehörenden Teile der Landvogtei wurden dem Vogt auf dem Schloss Bilstein unterstellt, der in dieser Zeit beide Ämter wahrnahm. Nach 1418 begegnen die Landvögte an der Werra in Personalunion auch als Amtmänner in Eschwege und als Vögte zu Bilstein. Ihr Amtssitz ist das Eschweger Schloss. Nicht eindeutig ist, welche Ämter des Werralandes der Landvogtei zuzurechnen sind. Sicher gehörten im 14. Jahrhundert die Ämter Ziegenberg, Witzenhausen/Bischhausen, Allendorf, Eschwege und Wanfried dazu. Die Aufgaben des Landvogtes lagen zum einen, wie sich in den Auseinandersetzungen am Ende des 14. Jahrhunderts gezeigt hat, auf militärischem Gebiet, zum anderen waren sie für Verwaltung und Rechtsprechung zuständig: Sie hatten die Rechtsprechung zu beaufsichtigen, eigene richterliche Tätigkeit ist nur in wenigen Fällen nachzuweisen. Außerdem überwachten sie die Amtsverwaltungen, achteten auf die Grenzen, sollten Korruption verhindern und allgemein das Land vor Schaden bewahren. Die Landvögte waren Vertrauensleute der Landgrafen und stiegen nicht selten zu den höchsten Ämtern im Lande auf.
Die beginnende Neuzeit lässt einen Wandel bei den mittelalterlichen Mittelinstanzen erkennen. Der Landvogt an der Werra beispielsweise verliert im 16. Jahrhundert weitgehend seine Funktionen. Zwar sollte er nach den Testamenten Landgraf Philipps in Salz- und Bergwerkssachen Bescheid wissen, doch hat er mit solchen Aufgaben nie etwas zu tun gehabt. Der Landvogt an der Werra war im 16. Jahrhundert zum reinen Titularbeamten abgesunken.
Landadel muss hessische Landeshoheit anerkennen
Wie zuvor schon erwähnt, war das unter hessischer Landesherrschaft stehende Gebiet zwischen Ziegenberg und Sontra keineswegs ein zusammenhängendes, einheitliches Territorium. Es war allenthalben von kleineren Adelsgerichten und geistlichen Besitzungen durchsetzt. Im Süden hatte zum Beispiel das Kloster Kaufungen größeren Besitz; dazu gehörte vor allem Herleshausen. Die Treusch-Buttlar hatten das Gericht Brandenfels inne. Der im 13. /14. Jahrhundert bestehende Gerichtsbezirk des Klosters Germerode, über den die Landgrafen 1349 Vogtei und weltliches Gericht beanspruchten, kam mit der Reformation an das Gericht Bilstein. Auch Mainz und das Kloster Heydau hatten in unserem Raum Streubesitz. Über bedeutenden Besitz aber verfügten die v. Boyneburg. Sie hatten Allodien, Gerichtsrechte und Lehen, die über den gesamten Bereich der Werralandschaft verteilt waren. Wichtigste Besitzungen waren ihr freier Hof und Vorwerk Datterpfeife und die Dörfer und Gerichte Reichensachsen, Oetmannshausen, Langenhain, Ober- und Niederdünzebach und Jestädt. Sie waren begütert u. a. in Schlierbach, Netra, Röhrda und Rittmannshausen. Weitere im südlichen Teil der Werralandschaft begüterte Adelsfamilien waren die Herren v. Diede, die v. Eschwege und die v. Keudell. Im Norden treten im 14. Jahrhundert die Herren von Berlepsch als Lehensnehmer und Pfandinhaber der Landgrafen entgegen. Die Herren v. Bodenhausen begegnen im 14. /15. Jahrhundert. Sie erhielten den Arnstein und u. a. Eichenberg von Landgraf Ludwig I. zu Lehen. Um Sooden-Allendorf hatten die v. Dörnberg Besitz, im Raum Lichtenau die v. Hundelshausen. Rückerode und Flasbach (heutige Flachsbachmühle) trugen die v. Berge zu Lehen. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle detaillierter auf alle diese ohnehin häufigen Veränderungen unterworfenen Besitzverhältnisse einzugehen.
Wesentlich erscheint die sich im 14. /15. Jahrhundert abzeichnende Entwicklung die dazu führte, dass die Landgrafen in stetigem Ausbau ihrer Territorialmacht den hiesigen Landadel zur Lehensauftragung und damit zur Anerkennung der hessischen Landeshoheit zu zwingen vermochten.
Die ständigen Verpfändungen landesherrlicher Ämter oder einzelner Dörfer und Gerichte, ja selbst der gesamten Landvogtei an der Werra, als Ausdruck notorischer Finanzprobleme der Landgrafschaft, mögen dem Prozess der Entwicklung zum Territorialstaat hinderlich gewesen sein, sicherten aber anders als bei Lehen, dass die Rechtstitel jederzeit - sofern freilich das Geld zur Auslösung einer Pfandschaft überhaupt vorhanden war - rückrufbar waren. Gemessen an den anderen Landesteilen aber kamen solche Verpfändungen im Werraland relativ häufig vor, sicherlich auch ein Zeichen dafür, dass dieser Raum nicht gerade im Vordergrund landesherrlichen Interessen gestanden haben mag.
Das Werraland im "Ökonomischen Staat" und seine Verwaltungsorganisation
Das Dorfbuch des Niederfürstentums Hessen im "Ökonomischen Staat" Landgraf Wilhelms IV., dem von ihm als politisches Testament und Staatshandbuch 1585 hinterlassenen Werk, bietet uns einen umfassenden Überblick über die territorialen Verhältnisse am Ende des 16. Jahrhunderts. Es nennt nicht nur sämtliche Ämter und die ihnen zugerechneten Dörfer und Höfe, sondern liefert auch genaue Zahlen der hier im einzelnen wohnenden "Hausgesessenen". Bezeichnenderweise sind die dem Adel zustehenden Gerichte jeweils einem landgräflichen Amt zugeordnet. Danach bestehen 1585 folgende Ämter im Werraland: Allendorf, Eschwege, Lichtenau, Ludwigstein, Sontra und Wanfried. Als kleinste Ämter erscheinen Wanfried mit 373 und Allendorf mit 793 Hausgesessenen. Die Adelsdörfer im Amt Allendorf gehören den v. Bischhausen, v. Hanstein und v. Dörnberg. Das bevölkerungsreichste Amt Eschwege (2.954 Hausgesessene) gliedert sich in die Gerichtsstühle Abterode und Germerode und das umfängliche adlige Gericht Boyneburg. Außer den Boyneburgern sind hier u. a. noch die v. Diede, die v. Keudell, die v. Dörnberg und die v. Eschwege im Besitz von Dörfern. Eine schematische Aufteilung der Dörfer in verschiedene Leistungseinheiten, "Orte", die aus zwei bzw. nur einem Dorf bestehen, bietet das Amt Lichtenau (insgesamt 870 Hausgesessene). Die hier verzeichneten Adelsdörfer stehen den v. Hundelshausen, den v. Meisenbug und den v. Ratzenberg zu.
Das Amt Ludwigstein besteht neben der Stadt Witzenhausen aus nur acht Dorfgemeinden, nicht weniger als 21 Dörfer und drei Höfe stehen dem Landadel zu. Sie gehören den v. Bischhausen, v. Berlepsch, v. Berge, v. Buttlar und v. Bodenhausen. Insgesamt werden 1.323 Hausgesessene gezählt. Das Amt Sontra schließlich mit seinen 1.480 Hausgesessenen besteht aus den vier "Gerichtsstühlen" Sontra, Ulfen, Rockensüß und Wommen. Hinzu tritt das adlige Gericht der Treuschen. Die außerdem aufgeführten Adelsdörfer sind im Besitz der v. Diede, der v. Baumbach, v. Hundelshausen, v. Treusch und v. Trott zu Solz. Die hier genannten Ämter der Werra- Meißner-Region umfassen 1585 demnach 7.793 Hausgesessene. Das dürfte etwa einer Zahl von insgesamt 34.000 Einwohnern entsprechen. Ungefähr 13.000 Einwohner sind davon Hintersassen des Adels.
Der "Ökonomische Staat", der ansonsten eine umfassende statistische Übersicht über Besitz und Einkünfte der Landgrafschaft bietet, macht auch die Funktion der Amtsorganisation des hessischen Landesstaates deutlich: Die Ämter sind in erster Linie als Einrichtungen der landesherrlichen Finanzverwaltung zu verstehen: Die an ihrer Spitze als "landgräfliche Diener" entgegentretenden adligen Amtmänner hatten in ihrem Amtsbereich den ihrem Landesherren zustehenden Anspruch auf Abgaben und Dienste durchzusetzen. Sie übten als persönliche Stellvertreter des Landgrafen dessen obrigkeitliche Gewalt aus. An der Seite des Amtmannes standen im 16. Jahrhundert in unterschiedlicher Anzahl bürgerliche Unterbeamte, sie erschienen als Rentmeister, Rentschreiber, Schultheißen und Vögte. Rentmeister und -schreiber waren die eigentlichen Finanzbeamten, Schultheißen und Vögte sowie Zentgrafen nahmen Aufgaben als Gerichtsvorsitzende wahr. Der voranschreitende Ausbau der Landesherrschaft führte zu einer wachsenden Aufgabendifferenzierung der Beamtenschaft und zu einer zunehmenden Reglementierung der Bevölkerung bis in die Dorfgemeinden hinein, deren Organe seit dem Spätmittelalter in den Landesordnungen schließlich immer häufiger für die eigenen Belange eingespannt und am untersten Ende der landgräflichen Beamten-hierarchie gesehen werden. Amtsträger der Dorfgemeinden - an ihrer Spitze erscheint im Norden der Werralandschaft der "Grebe", im Süden der (Dorf-)Schultheiß - werden ausschließlich von der Herrschaft oder dem Amtmann eingesetzt, die anfängliche Mitwirkung der Gemeindemitglieder ist in der frühen Neuzeit kaum mehr erkennbar. Selbst das unterhalb dieser herrschaftlichen Dorfvorsteher anzusiedelnde, von der Genossenschaft herzuleitende Mehrmännerkollegium der "Vormünder" oder (Gemeinde-)Vorsteher oder - wie es im Südosten um Wanfried herum bezeichnet wird - der "Heimbürgen" gerät unter den Einfluss der Landesherrschaft und wird für deren Zwecke vereinnahmt. Diese Entwicklung findet ihren vorläufigen Höhepunkt in der 1739 erlassenen hessischen "Grebenordnung", durch die erstmals umfassend für die Landgrafschaft die Einführung einer einheitlichen Dorfverfassung versucht wird.
Die Rotenburger Quart
Seit dem 17. Jahrhundert bildet das Werratal das Kernstück eines kleinen souveränen (eingeschränkt souveränen) Fürstentums, der Rotenburger Quart. Mehr als zwei Jahrhunderte beherrschte das merkwürdige Nebeneinander von rotenburgischer Amtsbefugnis und Kasseler Oberhoheits- und Vorbehaltsrechten, die von "Reservaten-Kommissaren" wahrgenommen wurden, das politische Bild unserer Region. Landgraf Moritz hatte sich 1627 bei seinem Rücktritt eine Ausstattung seiner Kinder aus zweiter Ehe ausbedungen, denen 1628 der vierte Teil des Landes, die "Quart", überlassen werden musste; zu ihr zählen seither die Schlösser, Städte und Ämter Rotenburg, Sontra, Eschwege, Wanfried, Witzenhausen, außerdem der hessische Anteil an Treffurt und der 1571 an Hessen gefallene ehemalige Herrschaftsbereich der v. Plesse mit Gleichen.
Als Hauptort der Quart und damit als Namensgeber erscheint Rotenburg. Nachdem das Haus Hessen-Rotenburg Mitte des 17. Jahrhunderts in den Besitz der Niedergrafschaft Katzenelnbogen gelangt war, verlor der ursprüngliche Bereich der Quart seine Bedeutung. Landgraf Ernst residierte auf Rheinfels, Rotenburg büßte zunächst seine Funktion als Residenzstadt ein. Die zeitweise Teilung des Ländchens unter seine Söhne Karl und Wilhelm führte zu einer Wiederbelebung Rotenburgs als Residenz durch Wilhelm, der hier freilich nicht ständig anwesend war, und zur Bildung einer Hofhaltung in Wanfried, wo sich Karl niederließ. Die Wanfrieder Linie erlosch jedoch schon 1755 ihr Anteil fiel damit wieder an Rotenburg zurück.
Teil des "Königreiches Westphalen"
Ein vorläufiges Ende der Rotenburger Quart tritt mit der französischen Besetzung im Jahre 1806 ein. Mit der Errichtung des Königreiches Westphalen 1807, an dessen Spitze Napoleon seinen Bruder Jérôme stellte, wurde die Verwaltung nach französischem Muster umgebildet: Jérôme, der in Kassel residierte, hob nicht nur die bis dahin weiterbestehende Patrimonialgerichtsbarkeit des Landadels auf, sondern trennte auch Justiz und Verwaltung, die bisher von ein und derselben Person, dem Amtmann, versehen worden waren. Neben der Verwirklichung dieser aus der Französischen Revolution herrührenden freiheitlichen Prinzipien wurde eine völlige Neuorganisation des Landes vorgenommen. Das Königreich zerfiel in Departements, die zumeist nach den wichtigen sie berührenden Flüssen benannt waren, diese waren in Distrikte, diese wiederum in Kantone gegliedert. Die Grenzen waren recht willkürlich gezogen und haben in den wenigsten Fällen auf die historischen Gegebenheiten Rücksicht genommen. Das Departement der Werra als südlichstes des Königreiches erstreckte sich von Marburg bis nach Eschwege, Hauptstadt war Marburg.
Die Werralandschaft, erweitert im Südwesten durch Landstriche um Spangenberg und Nentershausen, fand sich im Wesentlichen im Distrikt Eschwege wieder. Sämtliche Orte rechts der Werra gehörten zum Distrikt Heiligenstadt im Harzdepartement, der Raum um Großalmerode war Teil der Fuldadepartements. An der Spitze des Distriktes stand ein "Unterpräfekt". Zum Eschweger Distrikt zählte übrigens auch das schmalkaldische Gebiet. 1813 bestanden im Distrikt Eschwege (ohne Schmalkalden) folgende Kantone: Aue, Reichensachsen, Netra, Bischhausen, Nentershausen, Spangenberg, Lichtenau, Witzenhausen und Sooden.
Die Befreiungskriege setzten der Franzosenherrschaft 1813 ein Ende. 1814 wurden die hessischen Ämter wiederhergestellt, und auch die Rotenburger Quart lebte noch einmal für wenige Jahre auf, bis sie 1834 erlosch.
Von der Landvogtei an der Werra zum Distrikt Eschwege - Die Werra-Meißner-Region zwischen Spätmittelalter und Franzosenherrschaft
Der hessisch-thüringische Erbfolgekrieg
Der hessisch-thüringische Erbfolgekrieg zwischen 1247 und 1264 zeigt deutlich, welche Mächte Ansprüche auf das Werraland durchzusetzen suchten. Nachdem in Thüringen mit Heinrich Raspe, dem deutschen Gegenkönig, das ludowingische Landgrafenhaus erloschen war, stritten die wettinischen Markgrafen von Meißen, die welfischen Herzöge von Braunschweig-Lüneburg und die thüringische Landgrafentochter Sophie von Hessen für ihren Sohn Heinrich um das Erbe. Die Werrastädte gelangten kurzzeitig an Braunschweig, ehe schließlich das Werraland, d. h. seine Hauptorte, die ja von militärisch-strategischer Bedeutung waren, an Hessen kam. Für die junge aufstrebende Landgrafschaft Hessen lag im Werraland schließlich sogar die Grundlage ihrer späteren Erhebung zum Reichsfürstentum: Landgraf Heinrich von Hessen übertrug dem Reich im Jahre 1292 die Stadt Eschwege und erhielt daraufhin von König Adolf von Nassau die Reichsburg Boyneburg und auch Eschwege als unmittelbare Reichslehen. Als am Ende des hessisch-thüringischen Erbfolgekrieges die hessische Landgräfin Sophie und ihr Sohn Heinrich das Kind auf ihre Ansprüche auf Thüringen verzichteten, gelangten in ihren Besitz als Entschädigung jene "acht festen Plätze" (castella) an der Werra, die den Grundstock für den Ausbau der hessischen Landesherrschaft in diesem Raum bildeten. Es handelte sich dabei um die Städte Witzenhausen, Allendorf und Eschwege und wahrscheinlich um den Fürstenstein bei Albungen, die (schon 1265 zerstörte) Westerburg oberhalb Soodens, den Altenstein östlich von Allendorf (jetzt im Kreis Eichsfeld/Thüringen), Bischoffshausen, das heutige Bischhausen (nördlicher Stadtteil von Witzenhausen), und den Arnstein im Norden Witzenhausens. Umstritten ist in der Forschung, ob nicht anstelle des Fürstensteins, der vielleicht erst 1301 mit den bilsteinischen Besitzungen an Hessen fiel, die Stadt Sontra in dieser Aufzählung zu nennen ist. Noch aber war mit diesen im Jahre 1264 gewonnenen "Plätzen" kein einheitliches, zusammenhängendes Territorium landgräflichen Besitzes im Werraland geschaffen. Der Raum war am Ende des 13. Jahrhunderts von einer Reihe kleinerer adliger und geistlicher Herrschaften durchsetzt. Die Landgrafen bemühten sich seither kontinuierlich und mit wechselndem Erfolg, über all diesen Streubesitz ihre Landeshoheit durchzusetzen und zu behaupten.
Die Städte und Ämter im Werraland
Kristallisationspunkte der beginnenden Ausdehnung landgräflicher Herrschaft im Werraland waren die hier erworbenen neugegründeten Städte. Drei von ihnen besaßen übrigens schon, bevor sie der hessischen Landesherrschaft zugefallen waren, Stadtrechte: Witzenhausen erhielt 1225 Marktrecht und dürfte sich bis 1232/1247 zur Stadt entwickelt haben, Allendorf wurde zwischen 1212 und 1218 zur Stadt, Eschwege mag zwischen 1236 und 1264 Stadt geworden sein. Lichtenau indes ist eine Stadtgründung des hessischen Landgrafen Heinrich I.; nach einem gescheiterten Versuch der Stadterhebung Walburgs ließ er kurz vor 1289 mehrere Dörfer zur Stadt Lichtenau zusammenlegen. Sontra erhielt 1368 von Landgraf Heinrich II. das Marktrecht, Waldkappel wurde um 1570 Stadt, Wanfried erst 1608, und Großalmerode schließlich, das aber bis 1817 gemeinsam mit Wickenrode noch zum Amt Kassel-Neustadt bzw. dem Gericht Kaufungen gehörte, also nicht eigentlich dem "Werraland" zuzurechnen ist, wurde erst 1775 von Landgraf Friedrich II. zur Stadt erhoben. Seit der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert bildeten die Städte die Zentren der ersten hessischen Ämter des Werralandes als die kleinsten lokalen Verwaltungseinheiten der Landgrafschaft.
Keimzelle des Amtes Eschwege war am Ende des 13. Jahrhunderts ein eng begrenzter Gerichtsbezirk, die Zent Eschwege, die nur wenige Dörfer im engeren Umkreis der Stadt umfasste. Bereits 1301 konnte der Landgraf die recht beträchtlichen bilsteinischen Lehen erwerben. Der letzte Graf von Bilstein, Otto II., verkaufte ihm u. a. alle Lehen, die er zwischen Werra und dem Hainchen (Wald nahe Altmorschen) besaß (que habemus ab aqua Gwerra dicta usque ad silvam qui Hecheno appellatur). Als der Bilsteiner wenig später starb, gingen auch dessen Eigengüter an Hessen über. Damit war praktisch das gesamte Meißnervorland dem Amt Eschwege einverleibt worden.
1306 erhielt Hessen vom Landgrafen von Thüringen die Lehenshoheit über Wanfried und Frieda und damit die Möglichkeit der Bildung eines weiteren Amtes im Süden der Werralandschaft. Der Besitz um Wanfried, dem östlichen Vorposten Hessens, konnte 1365 durch Zukauf der später als "Wanfrieder Zentdörfer" bezeichneten fünf v. Völkershausischen Dörfer Weißenborn, Rambach, Heldra, Helderbach (wüst bei Heldra) und Altenburschla erweitert werden, dürfte aber erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts als Amt Wanfried organisiert gewesen sein, denn hier wird 1406 erstmals ein hessischer Amtmann zu Wanfried genannt.
Auch Sontra - vielleicht schon 1264 an Hessen gelangt - bildete den Ausgangspunkt eines hessischen Amtes. Im 13. Jahrhundert noch tritt der engere Bezirk der Stadt als adliges Gericht der Vögte von Sontra entgegen. Erst nach ihrem Aussterben in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts kann der Landgraf von Hessen hier endgültig Fuß fassen. Seit dieser Zeit ist mit einem Amt Sontra zu rechnen, ein Amtmann ist freilich frühestens im Jahre 1368 nachzuweisen. Von einem Amt Allendorf ist gegen Ende des 14. Jahrhunderts die Rede. Es wird 1379 erwähnt, scheint sich jedoch erst im 16. Jahrhundert als eigentliches Amt herausgebildet zu haben. Nur wenig früher (1361) treten die Ämter Witzenhausen und Bischhausen entgegen. Nach dem Bau der Burg Ludwigstein im Jahre 1415 wurde Hans von Dörnberg als erster Amtmann auf dem Ludwigstein eingesetzt (1416), dem neuen Amt Ludwigstein das bisherige Amt Witzenhausen zugeordnet.
Ein Amt Reichenbach, als dessen Mittelpunkt zunächst die gleichnamige Burg nahe Hessisch Lichtenau erscheint, bestand schon vor 1318. Sein Amtmann wechselte um 1490 von der Burg nach Lichtenau über. Burg Reichenbach verfiel, das seitherige Amt Lichtenau umfasste nicht nur eine Anzahl umliegender Dorfgemeinden, sondern auch das um 1570 zur Stadt erhobene Waldkappel, dessen Stellung innerhalb des Amtes einen besonderen Charakter hatte und recht schwankend erscheint. 1746 wird schließlich ein eigenes Amt Waldkappel erwähnt, doch dürften auch weiterhin Abhängigkeiten gegenüber Lichtenau bestanden haben. Im Norden der Werralandschaft bildete sich nach dem Erwerb der Burg Ziegenberg gegen Anfang des 14. Jahrhunderts und einiger Dörfer des näheren Umkreises, die bald danach anfielen, ein kleineres landgräfliches Amt Ziegenberg. Es wird bereits vor 1379 bestanden haben. Später gelangte es nach mehrfachen Verpfändungen als Lehen an die v. Buttlar und zählte schließlich als adliges Gericht Ziegenberg zum Amt Ludwigstein.
Die Landvogtei an der Werra
Die Landschaft an der Werra bildete schon seit Ende des 13. Jahrhunderts im Rahmen der gesamten Landgrafschaft Hessen einen zusammengehörigen Verwaltungsbereich. 1329 wird sie gleichberechtigt neben die beiden anderen Teile der Landgrafschaft, Ober- und Niederhessen, gestellt: In einem Bündnisvertrag dieses Jahres mit Mainz ist von drei Teilen Hessens, "obene und nidene und uf der Wirra", die Rede. Entsprechend hatte die Landesherrschaft im Mittelalter, weil der direkten Herrschaftsausübung durch den Landgrafen allein wegen der Größe des Landes schon verwaltungstechnisch Grenzen gesetzt waren, drei mittlere Verwaltungsinstanzen oberhalb der Amtsorganisation geschaffen: So gab es "Landvögte" an den drei Hauptströmen: an der Lahn in Marburg, an der Fulda in Kassel und an der Werra in Eschwege.
Als frühester Inhaber der Landvogtei an der Werra ist Hermann von Brandenfels wahrscheinlich zu machen, der 1292 als Vogt zu Eschwege entgegentritt und das Amt des Landvogtes bis 1305 innehatte. Bis 1385 hatten die Landvögte ihren Sitz in Eschwege; sie standen in der Regel gleichzeitig dem Amt Eschwege vor. Nicht ganz sicher ist dies für den 1332 bezeugten Amtmann Heinrich I. von Eisenbach, der 1333 als Führer der hessischen Truppen an der Werra in einer Fehde gegen die v. Treffurt erscheint und nicht nur Amtmann zu Allendorf war, sondern auch der von Eschwege gewesen sein soll. Hermann von Treffurt dagegen ist 1334 nicht nur Amtmann in Eschwege, sondern eindeutig auch als Landvogt bezeichnet (advocatus domini lantgravii terre Hasste).
Die Landvogtei nach dem "Sterner"-Krieg
Die harte und unnachgiebige Politik des seit 1367 regierenden Landgrafen Hermann II. markiert einen wichtigen Einschnitt in der hessischen Geschichte und insbesondere des Werralandes: Der um seine Selbständigkeit fürchtende hessische Adel lehnte sich angesichts des für ihn beängstigend zügig fortschreitenden Ausbaus der hessischen Territorialmacht und immer höherer Steuerforderungen gegen den Landgrafen auf. Die hessischen Städte, darunter Eschwege, Witzenhausen und Allendorf, denen hohe "Ungeld"-Zahlungen (Verbrauchssteuern) abverlangt wurden, verweigerten sich und stellten sich dem von Graf Gottfried von Ziegenhain geführten Ritterbund der "Sterner", in dem der aufbegehrende hessische Adel organisiert war, an die Seite. Außerdem verbündeten sich die Sterner mit Herzog Otto von Braunschweig, der vor allem die einst 1264 abgetretenen Werrastädte aus erbrechtlichen Gründen für sich beanspruchte. Aus den kriegerischen Auseinandersetzungen der siebziger Jahre des 14. Jahrhunderts ging Landgraf Hermann als glücklicher Sieger hervor. Die relative Selbständigkeit der Werrastädte wurde drastisch eingeschränkt, ihre städtischen Verfassungen wurden beseitigt. Nur Eschwege wehrte sich gegen die landesherrlichen Eingriffe und schlug sich auf die Seite des thüringischen Landgrafen Balthasar und damit einer erneuten, allerdings mächtigeren Koalition gegen den Landgrafen, die von Hermanns schärfstem Rivalen, dem Erzbischof von Mainz, zusammengebracht worden war. Auch Otto von Braunschweig zählte wieder zu den Gegnern. Von drei Seiten drangen die feindlichen Truppen 1385 in Hessen ein, das Werraland wurde von Thüringen besetzt. Eschwege, Sontra und Boyneburg huldigten bereitwillig dem thüringischen Landgrafen als ihrem neuen Landesherrn. Hermann gelang es indes, auf diese Orte eine Anwartschaft zu erwerben und erreichte für seinen Sohn Ludwig zunächst die Mitherrschaft; erst nach Ludwigs Heirat mit Anna von Thüringen 1434 erlangte Hessen die Landeshoheit über die drei Orte zurück. Die nach 1385 weiter zu Hessen gehörenden Teile der Landvogtei wurden dem Vogt auf dem Schloss Bilstein unterstellt, der in dieser Zeit beide Ämter wahrnahm. Nach 1418 begegnen die Landvögte an der Werra in Personalunion auch als Amtmänner in Eschwege und als Vögte zu Bilstein. Ihr Amtssitz ist das Eschweger Schloss. Nicht eindeutig ist, welche Ämter des Werralandes der Landvogtei zuzurechnen sind. Sicher gehörten im 14. Jahrhundert die Ämter Ziegenberg, Witzenhausen/Bischhausen, Allendorf, Eschwege und Wanfried dazu. Die Aufgaben des Landvogtes lagen zum einen, wie sich in den Auseinandersetzungen am Ende des 14. Jahrhunderts gezeigt hat, auf militärischem Gebiet, zum anderen waren sie für Verwaltung und Rechtsprechung zuständig: Sie hatten die Rechtsprechung zu beaufsichtigen, eigene richterliche Tätigkeit ist nur in wenigen Fällen nachzuweisen. Außerdem überwachten sie die Amtsverwaltungen, achteten auf die Grenzen, sollten Korruption verhindern und allgemein das Land vor Schaden bewahren. Die Landvögte waren Vertrauensleute der Landgrafen und stiegen nicht selten zu den höchsten Ämtern im Lande auf.
Die beginnende Neuzeit lässt einen Wandel bei den mittelalterlichen Mittelinstanzen erkennen. Der Landvogt an der Werra beispielsweise verliert im 16. Jahrhundert weitgehend seine Funktionen. Zwar sollte er nach den Testamenten Landgraf Philipps in Salz- und Bergwerkssachen Bescheid wissen, doch hat er mit solchen Aufgaben nie etwas zu tun gehabt. Der Landvogt an der Werra war im 16. Jahrhundert zum reinen Titularbeamten abgesunken.
Landadel muss hessische Landeshoheit anerkennen
Wie zuvor schon erwähnt, war das unter hessischer Landesherrschaft stehende Gebiet zwischen Ziegenberg und Sontra keineswegs ein zusammenhängendes, einheitliches Territorium. Es war allenthalben von kleineren Adelsgerichten und geistlichen Besitzungen durchsetzt. Im Süden hatte zum Beispiel das Kloster Kaufungen größeren Besitz; dazu gehörte vor allem Herleshausen. Die Treusch-Buttlar hatten das Gericht Brandenfels inne. Der im 13. /14. Jahrhundert bestehende Gerichtsbezirk des Klosters Germerode, über den die Landgrafen 1349 Vogtei und weltliches Gericht beanspruchten, kam mit der Reformation an das Gericht Bilstein. Auch Mainz und das Kloster Heydau hatten in unserem Raum Streubesitz. Über bedeutenden Besitz aber verfügten die v. Boyneburg. Sie hatten Allodien, Gerichtsrechte und Lehen, die über den gesamten Bereich der Werralandschaft verteilt waren. Wichtigste Besitzungen waren ihr freier Hof und Vorwerk Datterpfeife und die Dörfer und Gerichte Reichensachsen, Oetmannshausen, Langenhain, Ober- und Niederdünzebach und Jestädt. Sie waren begütert u. a. in Schlierbach, Netra, Röhrda und Rittmannshausen. Weitere im südlichen Teil der Werralandschaft begüterte Adelsfamilien waren die Herren v. Diede, die v. Eschwege und die v. Keudell. Im Norden treten im 14. Jahrhundert die Herren von Berlepsch als Lehensnehmer und Pfandinhaber der Landgrafen entgegen. Die Herren v. Bodenhausen begegnen im 14. /15. Jahrhundert. Sie erhielten den Arnstein und u. a. Eichenberg von Landgraf Ludwig I. zu Lehen. Um Sooden-Allendorf hatten die v. Dörnberg Besitz, im Raum Lichtenau die v. Hundelshausen. Rückerode und Flasbach (heutige Flachsbachmühle) trugen die v. Berge zu Lehen. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle detaillierter auf alle diese ohnehin häufigen Veränderungen unterworfenen Besitzverhältnisse einzugehen.
Wesentlich erscheint die sich im 14. /15. Jahrhundert abzeichnende Entwicklung die dazu führte, dass die Landgrafen in stetigem Ausbau ihrer Territorialmacht den hiesigen Landadel zur Lehensauftragung und damit zur Anerkennung der hessischen Landeshoheit zu zwingen vermochten.
Die ständigen Verpfändungen landesherrlicher Ämter oder einzelner Dörfer und Gerichte, ja selbst der gesamten Landvogtei an der Werra, als Ausdruck notorischer Finanzprobleme der Landgrafschaft, mögen dem Prozess der Entwicklung zum Territorialstaat hinderlich gewesen sein, sicherten aber anders als bei Lehen, dass die Rechtstitel jederzeit - sofern freilich das Geld zur Auslösung einer Pfandschaft überhaupt vorhanden war - rückrufbar waren. Gemessen an den anderen Landesteilen aber kamen solche Verpfändungen im Werraland relativ häufig vor, sicherlich auch ein Zeichen dafür, dass dieser Raum nicht gerade im Vordergrund landesherrlichen Interessen gestanden haben mag.
Das Werraland im "Ökonomischen Staat" und seine Verwaltungsorganisation
Das Dorfbuch des Niederfürstentums Hessen im "Ökonomischen Staat" Landgraf Wilhelms IV., dem von ihm als politisches Testament und Staatshandbuch 1585 hinterlassenen Werk, bietet uns einen umfassenden Überblick über die territorialen Verhältnisse am Ende des 16. Jahrhunderts. Es nennt nicht nur sämtliche Ämter und die ihnen zugerechneten Dörfer und Höfe, sondern liefert auch genaue Zahlen der hier im einzelnen wohnenden "Hausgesessenen". Bezeichnenderweise sind die dem Adel zustehenden Gerichte jeweils einem landgräflichen Amt zugeordnet. Danach bestehen 1585 folgende Ämter im Werraland: Allendorf, Eschwege, Lichtenau, Ludwigstein, Sontra und Wanfried. Als kleinste Ämter erscheinen Wanfried mit 373 und Allendorf mit 793 Hausgesessenen. Die Adelsdörfer im Amt Allendorf gehören den v. Bischhausen, v. Hanstein und v. Dörnberg. Das bevölkerungsreichste Amt Eschwege (2.954 Hausgesessene) gliedert sich in die Gerichtsstühle Abterode und Germerode und das umfängliche adlige Gericht Boyneburg. Außer den Boyneburgern sind hier u. a. noch die v. Diede, die v. Keudell, die v. Dörnberg und die v. Eschwege im Besitz von Dörfern. Eine schematische Aufteilung der Dörfer in verschiedene Leistungseinheiten, "Orte", die aus zwei bzw. nur einem Dorf bestehen, bietet das Amt Lichtenau (insgesamt 870 Hausgesessene). Die hier verzeichneten Adelsdörfer stehen den v. Hundelshausen, den v. Meisenbug und den v. Ratzenberg zu.
Das Amt Ludwigstein besteht neben der Stadt Witzenhausen aus nur acht Dorfgemeinden, nicht weniger als 21 Dörfer und drei Höfe stehen dem Landadel zu. Sie gehören den v. Bischhausen, v. Berlepsch, v. Berge, v. Buttlar und v. Bodenhausen. Insgesamt werden 1.323 Hausgesessene gezählt. Das Amt Sontra schließlich mit seinen 1.480 Hausgesessenen besteht aus den vier "Gerichtsstühlen" Sontra, Ulfen, Rockensüß und Wommen. Hinzu tritt das adlige Gericht der Treuschen. Die außerdem aufgeführten Adelsdörfer sind im Besitz der v. Diede, der v. Baumbach, v. Hundelshausen, v. Treusch und v. Trott zu Solz. Die hier genannten Ämter der Werra- Meißner-Region umfassen 1585 demnach 7.793 Hausgesessene. Das dürfte etwa einer Zahl von insgesamt 34.000 Einwohnern entsprechen. Ungefähr 13.000 Einwohner sind davon Hintersassen des Adels.
Der "Ökonomische Staat", der ansonsten eine umfassende statistische Übersicht über Besitz und Einkünfte der Landgrafschaft bietet, macht auch die Funktion der Amtsorganisation des hessischen Landesstaates deutlich: Die Ämter sind in erster Linie als Einrichtungen der landesherrlichen Finanzverwaltung zu verstehen: Die an ihrer Spitze als "landgräfliche Diener" entgegentretenden adligen Amtmänner hatten in ihrem Amtsbereich den ihrem Landesherren zustehenden Anspruch auf Abgaben und Dienste durchzusetzen. Sie übten als persönliche Stellvertreter des Landgrafen dessen obrigkeitliche Gewalt aus. An der Seite des Amtmannes standen im 16. Jahrhundert in unterschiedlicher Anzahl bürgerliche Unterbeamte, sie erschienen als Rentmeister, Rentschreiber, Schultheißen und Vögte. Rentmeister und -schreiber waren die eigentlichen Finanzbeamten, Schultheißen und Vögte sowie Zentgrafen nahmen Aufgaben als Gerichtsvorsitzende wahr. Der voranschreitende Ausbau der Landesherrschaft führte zu einer wachsenden Aufgabendifferenzierung der Beamtenschaft und zu einer zunehmenden Reglementierung der Bevölkerung bis in die Dorfgemeinden hinein, deren Organe seit dem Spätmittelalter in den Landesordnungen schließlich immer häufiger für die eigenen Belange eingespannt und am untersten Ende der landgräflichen Beamten-hierarchie gesehen werden. Amtsträger der Dorfgemeinden - an ihrer Spitze erscheint im Norden der Werralandschaft der "Grebe", im Süden der (Dorf-)Schultheiß - werden ausschließlich von der Herrschaft oder dem Amtmann eingesetzt, die anfängliche Mitwirkung der Gemeindemitglieder ist in der frühen Neuzeit kaum mehr erkennbar. Selbst das unterhalb dieser herrschaftlichen Dorfvorsteher anzusiedelnde, von der Genossenschaft herzuleitende Mehrmännerkollegium der "Vormünder" oder (Gemeinde-)Vorsteher oder - wie es im Südosten um Wanfried herum bezeichnet wird - der "Heimbürgen" gerät unter den Einfluss der Landesherrschaft und wird für deren Zwecke vereinnahmt. Diese Entwicklung findet ihren vorläufigen Höhepunkt in der 1739 erlassenen hessischen "Grebenordnung", durch die erstmals umfassend für die Landgrafschaft die Einführung einer einheitlichen Dorfverfassung versucht wird.
Die Rotenburger Quart
Seit dem 17. Jahrhundert bildet das Werratal das Kernstück eines kleinen souveränen (eingeschränkt souveränen) Fürstentums, der Rotenburger Quart. Mehr als zwei Jahrhunderte beherrschte das merkwürdige Nebeneinander von rotenburgischer Amtsbefugnis und Kasseler Oberhoheits- und Vorbehaltsrechten, die von "Reservaten-Kommissaren" wahrgenommen wurden, das politische Bild unserer Region. Landgraf Moritz hatte sich 1627 bei seinem Rücktritt eine Ausstattung seiner Kinder aus zweiter Ehe ausbedungen, denen 1628 der vierte Teil des Landes, die "Quart", überlassen werden musste; zu ihr zählen seither die Schlösser, Städte und Ämter Rotenburg, Sontra, Eschwege, Wanfried, Witzenhausen, außerdem der hessische Anteil an Treffurt und der 1571 an Hessen gefallene ehemalige Herrschaftsbereich der v. Plesse mit Gleichen.
Als Hauptort der Quart und damit als Namensgeber erscheint Rotenburg. Nachdem das Haus Hessen-Rotenburg Mitte des 17. Jahrhunderts in den Besitz der Niedergrafschaft Katzenelnbogen gelangt war, verlor der ursprüngliche Bereich der Quart seine Bedeutung. Landgraf Ernst residierte auf Rheinfels, Rotenburg büßte zunächst seine Funktion als Residenzstadt ein. Die zeitweise Teilung des Ländchens unter seine Söhne Karl und Wilhelm führte zu einer Wiederbelebung Rotenburgs als Residenz durch Wilhelm, der hier freilich nicht ständig anwesend war, und zur Bildung einer Hofhaltung in Wanfried, wo sich Karl niederließ. Die Wanfrieder Linie erlosch jedoch schon 1755 ihr Anteil fiel damit wieder an Rotenburg zurück.
Teil des "Königreiches Westphalen"
Ein vorläufiges Ende der Rotenburger Quart tritt mit der französischen Besetzung im Jahre 1806 ein. Mit der Errichtung des Königreiches Westphalen 1807, an dessen Spitze Napoleon seinen Bruder Jérôme stellte, wurde die Verwaltung nach französischem Muster umgebildet: Jérôme, der in Kassel residierte, hob nicht nur die bis dahin weiterbestehende Patrimonialgerichtsbarkeit des Landadels auf, sondern trennte auch Justiz und Verwaltung, die bisher von ein und derselben Person, dem Amtmann, versehen worden waren. Neben der Verwirklichung dieser aus der Französischen Revolution herrührenden freiheitlichen Prinzipien wurde eine völlige Neuorganisation des Landes vorgenommen. Das Königreich zerfiel in Departements, die zumeist nach den wichtigen sie berührenden Flüssen benannt waren, diese waren in Distrikte, diese wiederum in Kantone gegliedert. Die Grenzen waren recht willkürlich gezogen und haben in den wenigsten Fällen auf die historischen Gegebenheiten Rücksicht genommen. Das Departement der Werra als südlichstes des Königreiches erstreckte sich von Marburg bis nach Eschwege, Hauptstadt war Marburg.
Die Werralandschaft, erweitert im Südwesten durch Landstriche um Spangenberg und Nentershausen, fand sich im Wesentlichen im Distrikt Eschwege wieder. Sämtliche Orte rechts der Werra gehörten zum Distrikt Heiligenstadt im Harzdepartement, der Raum um Großalmerode war Teil der Fuldadepartements. An der Spitze des Distriktes stand ein "Unterpräfekt". Zum Eschweger Distrikt zählte übrigens auch das schmalkaldische Gebiet. 1813 bestanden im Distrikt Eschwege (ohne Schmalkalden) folgende Kantone: Aue, Reichensachsen, Netra, Bischhausen, Nentershausen, Spangenberg, Lichtenau, Witzenhausen und Sooden.
Die Befreiungskriege setzten der Franzosenherrschaft 1813 ein Ende. 1814 wurden die hessischen Ämter wiederhergestellt, und auch die Rotenburger Quart lebte noch einmal für wenige Jahre auf, bis sie 1834 erlosch.