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Die Chronik

Die Geschichte des Boldecker Landes von Prof. Dr. Hartmut Widdecke, Bokensdorf
Seit dem 1. Juli 1972 bilden die Dörfer Barwedel, Bokensdorf, Jembke, Osloß, Tappenbeck und Weyhausen eine Samtgemeinde. Damit wurde das alte Boldecker Land in seinem historisch gewachsenen Rahmen als Verwaltungseinheit wieder zusammengefügt. Hier ein kurzer Rückblick in die Geschichte des Boldecker Landes.

"Land unter"

Am Rande des Niedersächsischen Beckens gelegen, war unser Raum in den letzten 250 Millionen Jahren zumeist vom Meer überflutet, dessen Ablagerungen das Land mit einer über 1500 Meter dicken Schicht bedeckten. Kaum hatte sich das Wasser zurückgezogen, rückte es in gefrorener Form wieder heran. Die Gletscher der vorletzten Eiszeit prägten vor 250 000 Jahren die heutige Landschaft. Als höchste Erhebung des Boldecker Landes wurde die Barwedeler Stauchmoräne (102 Meter) geformt. In der letzten Eiszeit, als die Gletscher unser Gebiet nicht mehr erreichten, wurden unsere Flusstäler angelegt. Wie eine neuere Untersuchung der im Boldecker Land abgelagerten Kiese und Sände zeigt, ist das breite Allertal dabei ohne die Hilfe eines eiszeitlichen Urstroms entstanden, so dass die hierfür gern verwendete Bezeichnung "Aller-Urstromtal" nicht ganz zutreffend ist.

Das "Bohlendecken"-Land

In die Aller hinein laufft die Fornitz, welche das Boldecker Land von dem Werder scheidet, und anfangs die Du genennet wird." Hier waren also vor 250 Jahren gleich zwei Namen für einen Fluss gebräuchlich, den wir heute einfach die Kleine Aller nennen. Die "große" und die Kleine Aller, welche unseren Raum auf natürliche Weise nach Süden und Osten hin begrenzen, sind aufgrund ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Landes in Form von zwei unterschiedlich breiten Wellenlinien in das 1975 geschaffene Boldecker Wappen aufgenommen worden.

Die Allerflüsse könnten auch bei der Namensgebung unseres Landes beteiligt gewesen sein, denn Knüppeldämme (Bohlwege) über die Flussniederung machten es von außen zugänglich, so dass man über "Bohlendecken" ins Land gelangte.

In der Nähe der Flüsse lagen von jeher hervorragende Rast- und Siedlungsplätze. Auf das frühe Vordringen des Menschen in unseren Raum weist eine Vielzahl steinzeitlicher Funde hin. In den Niederungen vorkommendes Raseneisenerz führte in der Eisenzeit zu einer verstärkten Besiedlung des Boldecker Landes, wie auch die zahlreichen Urnenfunde aus dieser Zeit im Mündungsdreieck der beiden Allerflüsse bei Weyhausen zeigen.

Das Bokinafeld

Zur Gründung unserer Dörfer an den Flussrändern kommt es nach dem Ende der germanischen Völkerwanderung. Unser Raum, der zunächst am Nordrand des alten Thüringer Reiches liegt, wird seit dem 6. Jahrhundert von den ostfälischen Sachsen eingenommen. Gegen Ende des 8. Jahrhunderts werden sie von den Franken unterworfen und missioniert. Das Kloster Corvey gelangt dabei zu größerem Besitz, zu dem im Jahre 826 auch das Bokinafeld zählt, wobei es sich vielleicht um eine erste Erwähnung des Bokensdorfer oder Boldecker Landes handelt. Das 844 zu Corvey gehörende Lianbeke könnte unser altes Kirchdorf Jembke sein. Barwedel befindet sich bis zum Jahr 888 ebenfalls im Klosterbesitz. Es wird Beriuudi genannt.

Auch die anderen Dörfer des Boldecker Landes dürften zu jener Zeit bereits bestanden haben. Wie Jembke führt auch Tappenbeck seinen Namen auf einen der Kleinen Aller zufließenden Bach (= Beke) zurück, der zu durch "tappen" war. Noch älter als die "beke"-Orte werden die beiden "hausen"- bzw. "heim"-Dörfer (Osloß = Oslebesheim) an der Aller sein, wobei der Fluss früher übrigens weiter südlich an Weyhausen vorbeilief.

Später erscheint in den Urkunden die Bezeichnung "Boldekenland", was man als "Land des Boldeke" deuten kann. Boldeke ist die umgangssprachliche Form des Namens Boldewin/Balduin

Das Wohldenberger Land

Die sechs Dörfer sind im Boldecker Wappen oberhalb der beiden Flusslinien durch sechs Rauten symbolisiert, die Bezug nehmen auf das Wappen "der Herren von Kampen, die die ersten Besitzer des Boldecker Landes waren". Abgesehen davon, dass das Wappen derer von Campen genaugenommen nicht Rauten sondern gezackte Linien enthält, so erscheint doch hinsichtlich der mittelalterlichen Besitzverhältnisse eine Korrektur angebracht: Die Herren in unserem Gebiet zum Ende des ersten Jahrtausends sind die Sachsenkönige aus dem Geschlecht der Ludolfinger, die Barwedel bereits 888 erwerben.

Über die Könige gelangt unser Raum in den Machtbereich des Erzbistums Magdeburg. Als von Osten her zunehmend Slawen in unseren Raum einwandern und von Westen die Welfen vordrängen, übergibt der Erzbischof im 12. Jahrhundert die Herrschaftsrechte an die mit ihm verbündeten Grafen von Wohldenberg. Von Fallersleben aus gelingt es den Grafen, sich durch eine Neuordnung der unter slawischen Einfluss gelangten Dörfer nördlich der Aller neuen Besitz zu schaffen. Unter Einbeziehung slawischer Siedlungselemente und Siedler entstehen die bekannten Rundlingsformen unserer Dörfer.

Der Macht der Welfen sind die Grafen jedoch nicht gewachsen. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts übergeben sie den Herzögen der Lüneburger Linie ihre Herrschaftsrechte in unserem Raum.

"Dat Boldeker Landt"

Im 14. und 15. Jahrhundert gelingt es dem aufblühenden Rittergeschlecht derer von Bartensleben, die die Wolfsburg zu ihrem Herrschaftssitz ausbauen, im ehemaligen Wohldenberger Land einen geschlossenen Besitz zu erwerben.

Bereits 1309 verkaufen die Grafen von Wohdenberg Bereweden (Barwedel) und Uslevessen (Osloß) an die von Bartensleben, die auch Weydehusen 1344 besitzen. Jembeke übergeben die Wohldenberger an die anfangs erwähnten Knappen von Campe zu Martinsbüttel, von denen es 1339 an die von Mahrenholz und 1448 ebenfalls an die von Bartensleben gelangt. Bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts ist im Wolfsburger Güterverzeichnis das Boldecker Land mit allen sechs Dörfern aufgeführt, wobei nun erstmals auch Bokensdorf und Tappenbeck urkundlich erwähnt werden.

Aber erst mit der Urkunde des Herzogs Heinrich vom 8. Juli 1517 gelingt es den von Bartensleben ein eigenständiges Gebiet, das "Adlige Gericht Boldecker Land" im Fürstentum Lüneburg zu bilden. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts belieben die von Bartensleben und ab 1742 ihre Erben, die Schulenburgs zu Wolfsburg, die Besitzer und Gerichtsherren des Boldecker Landes.

Die Welfenherzöge üben durch ihren Amtssitz in Gifhorn nur eine lockere Oberhoheit aus, so dass die Boldecker lange Zeit keine Steuern an das Fürstentum Lüneburg zahlen. In Gifhorn lenkt man dafür bevorzugt Truppen in dies begünstigte Land der verhassten von Bartensleben, wodurch das Land im 30-jährigen Krieg besonders zu leiden hat.

Die "Boldecker Stadt"

Nachdem das Boldecker Land unter Napoleon 1810 zum Canton Wittingen gelangt, werden bereits 1816 die alten Zustände wieder hergestellt. Entscheidende Veränderungen treten erst Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Die Bauern werden ihre eigenen Grundherren, die Feldmark wird neu geordnet. Das Boldecker Land gelangt 1852 wieder an das Amt Fallersleben und wird 1885 endgültig dem Kreis Gifhorn zugeordnet, wobei der Gerichtssitz in Fallersleben verbleibt.

Die Industrialisierung der Landwirtschaft setzt langsam ein und mit der Grundsteinlegung zum Bau des Volkswagenwerkes am Himmelfahrtstag 1938 tritt das Industriezeitalter vollends in unseren Raum ein.

Der Plan, die "Stadt des KdFWagens" auf einer Fläche "nordwestlich des Werksgeländes im Boldecker Land mit dem Mittelpunkt Bokensdorf" zu errichten, wird jedoch wieder fallengelassen. Obwohl am Rande der alten Dörfer immer neue Siedlungen entstehen, konnte der ländliche Charakter des Raumes bis heute gewahrt bleiben.